BGH Beschluss v. - 3 StR 400/17

Ermittlungsverfahren: Rechtsgrundlage für das Versenden sogenannter "stiller SMS"

Leitsatz

Rechtsgrundlage für das Versenden sogenannter "stiller SMS" durch die Ermittlungsbehörden ist § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO.

Gesetze: § 100a StPO, § 100i Abs 1 Nr 2 StPO

Instanzenzug: Az: 172 OJs 7/15 - 2 - 3/16

Gründe

1Das Kammergericht hat den Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (PKK) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Revision, mit der er das Bestehen eines Verfahrenshindernisses geltend macht und die er auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts sowie auf Verfahrensbeanstandungen stützt. Das Rechtsmittel erweist sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Ein Verfahrenshindernis besteht nicht. Die gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erteilte Ermächtigung zur Verfolgung von PKK-Führungskadern bis hin zur Ebene der Gebietsverantwortlichen ist wirksam. Anhaltspunkte für eine willkürliche Erteilung der Ermächtigung - worauf sich eine gerichtliche Überprüfung allenfalls erstrecken könnte - bestehen nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 265/13, NStZ-RR 2014, 274 und 3 StR 407/13, juris Rn. 6). Die Vorschrift des § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB ist - auch aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts - nicht verfassungswidrig. Die in den genannten Verfahren erhobenen Verfassungsbeschwerden hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschlüssen vom - 2 BvR 2389/14 - und vom - 2 BvR 2730/14 - nicht zur Entscheidung angenommen.

II.

31. Die erhobenen Verfahrensrügen dringen im Wesentlichen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch. Der eingehenderen Erörterung bedarf lediglich die Rüge der Verletzung der §§ 100a, 100b aF, § 261 StPO durch Verwertung von mittels sogenannter "stiller SMS" erlangter Standortdaten (II.4. der Revisionsbegründung), mit der geltend gemacht wird, dass eine Eingriffsermächtigung fehle. Der Verfahrensbeanstandung bleibt im Ergebnis der Erfolg versagt. Rechtsgrundlage für das Versenden stiller SMS durch die Ermittlungsbehörden ist § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO; zur Erhebung der dadurch erzeugten Daten ermächtigt § 100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 StPO i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 5 TKG bzw. § 100g Abs. 2 StPO i.V.m. § 113b Abs. 4 TKG. Im Einzelnen:

4a) Bei einer stillen SMS (auch "stealth ping" genannt) wird eine spezielle Kurzmitteilung (SMS) an eine Mobilfunknummer gesandt, die zwar eine Verbindung mit dem angewählten Mobiltelefon erzeugt, jedoch von dessen Nutzer nicht bemerkt werden kann, da sie im Nachrichteneingang nicht angezeigt wird. Der Empfang der SMS bewirkt - wie eine gewöhnliche Telefonverbindung zu einem Mobilfunkgerät - eine Rückmeldung des Mobiltelefons bei der Funkzelle, in der es eingebucht ist, wodurch bei dem jeweiligen Netzbetreiber ein Verkehrsdatensatz erzeugt wird, der auch die Angabe der benutzten Funkzelle beinhaltet. Nach einer Abfrage der Daten bei dem Netzbetreiber kann - abhängig von der Größe der Funkzelle - der ungefähre Standort des Mobiltelefons im Zeitpunkt des Empfangs der stillen SMS bestimmt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass das angewählte Mobiltelefon eingeschaltet und empfangsbereit ist ("Standby-Modus"). Im betriebsbereiten Standby-Modus erzeugt das Mobiltelefon in periodischen Abständen ähnliche Daten: Die Netzbetreiber erfassen hierbei die sog. "Local Area", in der ein Mobiltelefon eingebucht ist, welche ihrerseits aus einer variablen Anzahl von Funkzellen besteht. In wiederkehrenden Abständen von einigen Stunden meldet das Mobiltelefon dem Netzbetreiber, in welcher Local Area es gerade eingebucht ist. Darüber hinaus wird sofort gemeldet, wenn das Mobiltelefon in eine Funkzelle einer anderen Local Area wechselt. Ein Wechsel zwischen zwei Funkzellen, die sich in derselben Local Area befinden, wird hingegen nicht mitgeteilt (vgl. BT-Drucks. 18/2695, S. 5 f.; Roggan, FS Hirsch, S. 153, 157 f.).

5b) Der Einsatz stiller SMS und die Erhebung der so generierten Standortdaten kann entgegen der vom Generalbundesanwalt vertretenen Ansicht nicht auf § 100a StPO i.V.m. den Ermittlungsgeneralklauseln der § 161 Abs. 1 Satz 1, § 163 Abs. 1 StPO gestützt werden. Die Erhebung mittels stiller SMS erzeugter Standortdaten wird schon deshalb nicht von § 100a StPO erfasst, weil sie nicht im Rahmen von Telekommunikation anfallen. Zwar schützt das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG nicht nur die Vertraulichkeit des Kommunikationsinhalts, sondern auch der näheren Umstände des Kommunikationsvorgangs (, BVerfGE 125, 260, 309 f.), wozu als Verkehrsdaten auch die Standortdaten während der Kommunikation zu zählen sind. Als Kommunikation in diesem Sinne ist die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mittels Fernmeldetechnik gleich welcher Art zu verstehen (, NJW 2007, 351, 353 mwN). Bei dem Versand stiller SMS fehlt es jedoch an einem menschlich veranlassten Informationsaustausch, der sich auf zu übermittelnde Inhalte bezieht. Es wird lediglich ein Datenaustausch zwischen technischen Geräten verursacht, der keinen Rückschluss auf Kommunikationsbeziehungen oder -inhalte erlaubt.

6Zudem erfasst § 100a StPO seinem Wortlaut nach nur die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation, also die Auskunft über vorhandene Daten. Das Erzeugen solcher Daten, das eine aktive Einflussnahme auf den vorhandenen Datenbestand darstellt, geht jedoch darüber hinaus und bedarf daher einer eigenen Ermächtigungsgrundlage (insoweit überzeugend Eisenberg/Singelnstein, NStZ 2005, 62, 63; LR/Hauck, StPO, 26. Aufl., § 100a Rn. 70). Diese kann nicht in den Ermittlungsgeneralklauseln der § 161 Abs. 1 Satz 1, § 163 Abs. 1 StPO gesehen werden, weil der Einsatz stiller SMS und die sich daran anschließende Abfrage der so erzeugten Standortdaten das Erstellen eines - wenn auch abhängig von der Größe der Funkzellen recht groben - Bewegungsprofils ermöglichen und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) in erheblicher Weise berühren.

7c) Soweit als Rechtsgrundlage für das Versenden stiller SMS § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO erwogen wird (BeckOK StPO/Graf, § 100a Rn. 233; SSW-StPO/Eschelbach, 3. Aufl., § 100h Rn. 6; SK-StPO/Wolter/Greco, 5. Aufl., § 100a Rn. 21 und § 100g Rn. 29), vermag auch dies letztlich nicht zu überzeugen.

8aa) Zwar dürfen nach dieser Vorschrift auch ohne Wissen des Betroffenen außerhalb von Wohnungen sonstige besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel verwendet werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre und Gegenstand der Untersuchung eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist. In Abgrenzung zu § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO sind unter den "sonstigen technischen Mitteln" i.S.d. § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO solche zu verstehen, die weder der Herstellung von Bildaufzeichnungen noch der Aufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes innerhalb (§ 100c StPO) oder außerhalb (§ 100f StPO) von Wohnungen dienen (vgl. , BGHSt 46, 266, 271 f.; , BVerfGE 112, 304, 317). Dabei bezieht sich die Bestimmung eines technischen Mittels zu Observationszwecken auf seine konkrete Verwendung im Strafverfahren. Es ist unerheblich, mit welcher Zweckbestimmung es ursprünglich konzipiert und auf den Markt gebracht wurde (MüKoStPO/Günther, § 100h Rn. 6). Diese Voraussetzungen erfüllt das technische Mittel der stillen SMS.

9bb) Jedoch dürfen die nach dieser Vorschrift zulässigen technischen Mittel nur außerhalb von Wohnungen verwendet werden. Die Strafverfolgungsbehörden haben jedoch weder Kenntnis davon noch Einfluss darauf, wo sich ein Mobiltelefon im Zeitpunkt des Empfangs einer stillen SMS befindet. Zwar wird als maßgeblich für die Zuordnung einer Maßnahme als außerhalb oder innerhalb einer Wohnung nicht der Standort oder die Wirkung des technischen Mittels, sondern die Lage der zu erhebenden Daten angesehen (, NJW 1997, 2189 f.; MüKoStPO/Günther, § 100h Rn. 8). Auch der Schutzbereich des Art. 13 GG soll von einem Eingriff dann nicht betroffen sein, wenn dieser unabhängig vom Standort möglich und nicht auf die Wahrnehmung von Vorgängen gerichtet ist, die sich innerhalb der privaten räumlichen Sphäre zutragen. Denn Art. 13 GG vermittelt dem Einzelnen keinen generellen, von den Zugriffsmodalitäten unabhängigen Schutz gegen Eingriffe, deren spezifische Gefährdung durch dessen raumbezogenen Schutzbereich ohnehin nicht abgewendet werden kann (, BVerfGE 120, 274, 309 f. zur Online-Durchsuchung).

10cc) § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO könnte daher als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für das Versenden stiller SMS durchaus in Betracht gezogen werden. Mit § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO gibt es aber eine Eingriffsnorm, die die Ermittlung des Standorts eines Mobiltelefons durch Einsatz technischer Mittel explizit regelt, auch die Versendung stiller SMS umfasst (siehe sogleich d)) und daher insoweit als lex specialis zu § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO anzusehen ist (MüKoStPO/Günther, § 100i Rn. 17).

11d) Die Eingriffsbefugnis für den Einsatz stiller SMS ergibt sich aus § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO. Diese Vorschrift sieht vor, dass bei einem durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht der dort näher bezeichneten Straftaten durch technische Mittel der Standort eines Mobilfunkendgerätes ermittelt werden darf, soweit es für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthalts des Beschuldigten erforderlich ist.

12aa) Zwar hatte der Gesetzgeber bei der Einführung dieser Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung vom (BGBl. I S. 3018) in erster Linie den sogenannten "IMSI-Catcher" im Blick (BT-Drucks. 14/9088 S. 7). Nach dem Wortlaut der Norm hat er deren Anwendungsbereich aber gerade nicht auf diesen beschränkt, sondern durch die Wahl des Begriffs "technische Mittel" erkennbar dem technischen Fortschritt Rechnung tragen und die Anwendbarkeit der Vorschrift auch für weitere kriminaltechnische Neuerungen offenhalten wollen. Dies ist verfassungsrechtlich zulässig und verletzt insbesondere nicht die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Anforderungen an Tatbestandsbestimmtheit und Normenklarheit, die für Vorschriften des Strafverfahrensrechts gelten (vgl. , BVerfGE 112, 304, 315 f.). Auch der konkrete Anwendungsbereich der Norm ist durch den benannten Zweck des technischen Mittels zur Ermittlung des Standorts eines Mobilfunkgeräts hinreichend bestimmt.

13bb) Die Gesetzgebungshistorie bestätigt die Zulässigkeit der Subsumtion der stillen SMS unter diese Vorschrift. Die stille SMS zur Ermittlung des ungefähren Standorts eines Mobilfunkgeräts wird meist observationsunterstützend eingesetzt. Nachdem § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO in seiner ursprünglichen Fassung die Ermittlung des Standorts eines Mobilfunkendgeräts nur zur vorläufigen Festnahme oder Ergreifung des Täters auf Grund eines Haft- oder Unterbringungsbefehls zuließ, hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom (BGBl. I S. 3198) diese Einschränkung gestrichen. Hierdurch wollte er ausdrücklich ermöglichen, dass technische Mittel im Sinne dieser Vorschrift auch zur Unterstützung von Observationsmaßnahmen oder zur Vorbereitung einer Verkehrsdatenerhebung nach § 100g StPO eingesetzt werden können (BT-Drucks. 16/5846, S. 56).

14cc) Die so generierten Daten können von den Strafverfolgungsbehörden nach § 100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 StPO i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 5 TKG bzw. § 100g Abs. 2 StPO i.V.m. § 113b Abs. 4 TKG erhoben werden. Die Regelungen zur Umsetzung einer entsprechenden Abfrage hat die Bundesregierung mit der Verordnung zur Änderung der Telekommunikationsüberwachungsverordnung vom (BGBl. I S. 1657 und S. 2316) in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, § 32 TKÜV geschaffen.

152. Im Übrigen ist ergänzend lediglich Folgendes anzumerken:

16a) Die Rüge, das Kammergericht hätte zur Überprüfung der Verwertbarkeit verfahrensfremder Telekommunikationsüberwachungserkenntnisse die vollständigen Akten der Drittverfahren beiziehen müssen (II.1. der Revisionsbegründung), ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Rügt die Revision eine unterlassene Beiziehung von Akten, handelt es sich der Sache nach um eine Aufklärungsrüge gemäß § 244 Abs. 2 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317, 327; vom - 3 StR 250/08, NStZ 2009, 51 f.). Der erforderliche Tatsachenvortrag muss sich daher auch darauf erstrecken, aufgrund welcher Umstände sich das Tatgericht zur Beiziehung der verfahrensfremden Akten hätte gedrängt sehen müssen.

17In Bezug auf die Überprüfung der Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen gilt, dass dem eine solche Maßnahme anordnenden Richter bei der Prüfung nach § 100a StPO, ob ein auf bestimmte Tatsachen gestützter Tatverdacht gegeben ist und der Subsidiaritätsgrundsatz nicht entgegensteht, ein Beurteilungsspielraum zusteht. Die Nachprüfung durch den Tatrichter - und durch das Revisionsgericht -, ob die Anordnung rechtmäßig war und die Ergebnisse der Überwachung verwertbar sind, ist daher auf den Maßstab der Vertretbarkeit beschränkt (, BGHSt 41, 30, 33 f.). Ist die Darstellung der Verdachts- und Beweislage im ermittlungsrichterlichen Beschluss plausibel, kann sich der erkennende Richter in der Regel hierauf verlassen. Fehlt es jedoch an einer ausreichenden Begründung oder wird die Rechtmäßigkeit der Maßnahme konkret in Zweifel gezogen, hat der erkennende Richter die Verdachts- und Beweislage, die im Zeitpunkt der Anordnung gegeben war, anhand der Akten zu rekonstruieren und auf dieser Grundlage die Verwertbarkeit zu untersuchen. War die Überwachung der Telekommunikation in einem anderen Verfahren angeordnet worden, hat er hierzu in der Regel die Akten dieses Verfahrens beizuziehen (, BGHSt 47, 362, 367). Um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen, ob die jeweiligen Anordnungen der Überwachungsmaßnahmen ausreichend und plausibel begründet waren und das Kammergericht sich mangels konkreter Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnungsbeschlüsse auf deren Begründungen verlassen durfte, hätte der Revisionsführer jedenfalls alle in den hiesigen Verfahrensakten enthaltenen ermittlungsrichterlichen Beschlüsse mitteilen müssen. Daran fehlt es hier, weil die gegen den gesondert Verfolgten A.   erlassenen Beschlüsse 6 BGs 83/14 vom (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 113), 6 BGs 260/14 vom (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 122), 6 BGs 80/14 vom (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 124), 6 BGs 141/14 vom (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 127), 6 BGs 202/14 vom (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 130) und 6 BGs 259/14 vom (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 133) nicht vorgelegt werden. Auch der ermittlungsrichterliche Beschluss vom - 6 BGs 251/15 - aus dem gegen      K.   geführten Verfahren ist Bestandteil der hiesigen Verfahrensakten (Sbd. Kontakte D.   - K.   Bl. 83), wird jedoch von der Revision nicht mitgeteilt. Und schließlich legt der Beschwerdeführer nicht dar, welche Teile aus verfahrensfremden Akten Bestandteil der hiesigen Verfahrensakten geworden sind. Damit ist dem Senat die Prüfung verwehrt, ob das Kammergericht bereits aufgrund der entsprechenden Akteninhalte die Rechtmäßigkeit der verfahrensfremden ermittlungsrichterlichen Anordnungen kontrollieren konnte oder ob es darüber hinaus die vollständigen Akten hätte beiziehen müssen.

18b) Die Rüge der Verletzung des § 250 Satz 2 StPO durch Verlesung polizeilicher Observationsberichte und weiterer polizeilicher Vermerke und Berichte (II.3. der Revisionsbegründung) ist neben den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen im Hinblick auf den im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführten polizeilichen Schlussbericht auch deshalb unbegründet, weil dessen Verfasser in der Hauptverhandlung als Zeuge auch zum Inhalt dieses Berichts vernommen wurde. Damit handelte es sich um eine zulässige vernehmungsergänzende Verlesung (vgl. , NStZ-RR 2008, 48). Da der in § 250 Satz 2 StPO normierte Vorrang des Personalbeweises den grundsätzlich zulässigen (, BGHSt 20, 160, 161 f.) Urkundenbeweis nicht weiter als für seine Zielsetzung einer besseren Sachaufklärung erforderlich einschränkt, ist die eigenständige Beweisverwendung des Inhalts einer verlesenen Urkunde auch dann zulässig, wenn sie beispielsweise Lücken der Zeugenaussage schließt (vgl. im Einzelnen LR/Sander/Cirener, StPO, 26. Aufl., § 250 Rn. 17 ff.). Eine solche Urkunde kann dabei auch im Wege des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden, wenn es nicht ausnahmsweise darauf ankommt, einen in ihr enthaltenen bestimmten Wortlaut unmittelbar mit den Verfahrensbeteiligten zu erörtern (LR/Mosbacher, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 46, 53; aA LR/Sander/Cirener, StPO, 26. Aufl., § 250 Rn. 17 aE).

19c) Die Unzulässigkeit der Rüge der vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts (§ 338 Nr. 1, § 222b StPO) ergibt sich entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht schon daraus, dass die Revision das Protokoll des ersten Hauptverhandlungstages nicht vorgelegt und damit belegt hat, dass der Besetzungseinwand nach § 222b StPO vor der Vernehmung des Angeklagten zur Sache erhoben wurde. Denn der Revisionsführer erfüllt seine die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge bewirkende Pflicht aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bereits mit insoweit vollständigem Vortrag aller entscheidungserheblichen Tatsachen. Ob die von der Revision behaupteten Verfahrenstatsachen als erwiesen angesehen werden können, ist jedoch eine Frage des Beweises, deren Beantwortung dem Revisionsgericht obliegt (vgl. KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 40 mwN).

20Die Unzulässigkeit der Rüge folgt indes daraus, dass die Revision den die Maßnahmen bei Überlastung des 1. Strafsenats regelnden Teil des Geschäftsverteilungsplans des Kammergerichts für das Jahr 2016 (III.B.2.5.) nicht mitgeteilt hat und dieser für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der unterjährigen Übertragung von Zuständigkeiten des 1. Strafsenats auf den 2. Strafsenat von Bedeutung war. Im Übrigen wäre die Rüge aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Erwägungen auch unbegründet.

III.

21Die aufgrund der Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:080218B3STR400.17.0

Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 10 Nr. 33
NJW 2018 S. 2809 Nr. 38
wistra 2018 S. 516 Nr. 12
XAAAG-89957