BSG Beschluss v. - B 13 R 107/17 B

Instanzenzug: SG Neubrandenburg Az: S 2 R 181/15 Urteilvorgehend Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Az: L 7 R 137/16 Beschluss

Gründe

1I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um eine Rente wegen Erwerbsminderung. Das die Klage unter Auferlegung von Verschuldenskosten iHv 150 Euro abgewiesen. Das LSG (7. Senat) hat nach Anhörung der Beteiligten die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung mit Beschluss vom zurückgewiesen. An diesem Beschluss haben der Vorsitzende Richter am LSG A., der Richter am LSG M. und der Richter am SG G. mitgewirkt.

2Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG. Sie rügt die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO). Die Mitwirkung des Richters am SG G. bei der Beschlussfassung des 7. Senats des LSG führe zu dessen ordnungswidrigen Besetzung, weil die seit Januar 2015 bereits andauernde Abordnung des Richters am SG G. an das LSG nicht den in der Rechtsprechung des BVerfG vorgegebenen Grenzen gerecht werde. Die Abordnung möge ursprünglich zur Erprobung erfolgt sein. Dieser Rechtfertigungsgrund sei mittlerweile aber weggefallen. Jedenfalls legitimiere er keine Abordnung über mehrere Jahre. Die Dauer der Abordnung des Richters am SG G. rechtfertige sich auch nicht mit einer nicht vorhersehbaren Überlastung des LSG.

3Der Senat hat Stellungnahmen der Präsidentin des und über die Gründe und die (Fort-)Dauer der Abordnung des Richters am SG G. an das LSG eingeholt.

4II. Auf die Beschwerde der Klägerin war der angefochtene Beschluss des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

51. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Die Klägerin hat formgerecht (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG) und auch in der Sache zutreffend die Verletzung ihres Rechts aus Art 101 Abs 1 S 2 GG auf den gesetzlichen Richter gerügt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

62. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Die Klägerin rügt mit ihrer Beschwerde zu Recht eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des 7. Senats des LSG Mecklenburg-Vorpommern bei der am erfolgten Beschlussfassung in der hier streitbefangenen Sache.

7Das LSG besteht nach § 30 Abs 1 SGG aus dem Präsidenten, den Vorsitzenden Richtern, weiteren Berufsrichtern und den ehrenamtlichen Richtern, und jeder Senat des LSG wird nach § 33 Abs 1 S 1 SGG in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern tätig. Die Verletzung der Vorschriften über die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO).

8a) Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (zB BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 1551/95 - Juris RdNr 3; ebenso auch BGH <Dienstgericht des Bundes> Urteil vom - RiZ <R> 2/04 - BGHZ 162, 333, 340 f; - BVerwGE 102, 7, 8; - Juris RdNr 5) sieht das GG im Interesse der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Richter vor, dass deren Amt grundsätzlich von bei dem betreffenden Gericht planmäßig und auf Lebenszeit ernannten Richtern ausgeübt wird. Richter sind nach Art 97 Abs 1 GG weisungsunabhängig; ihre sachliche Unabhängigkeit wird durch die Garantie der persönlichen Unabhängigkeit in Art 97 Abs 2 GG institutionell gesichert. Auch Art 92 GG setzt als Normalfall Richter voraus, die unversetzbar und unabsetzbar sind.

9Der Einsatz von nicht planmäßigen Richtern bei einem Gericht ist deshalb auf das zwingend gebotene Maß zu beschränken ( ua - BVerfGE 14, 156, 162). Die Notwendigkeiten, die eine solche Verwendung rechtfertigen, können in den einzelnen Gerichtszweigen, bei den einzelnen Gerichten und bei ihren Kammern oder Senaten örtlich und zeitlich verschieden sein; daher hängt es von den jeweiligen besonderen Umständen ab, ob und in welchem Maß im Einzelfall die Besetzung der erkennenden Gerichte mit nicht planmäßigen Richtern zulässig ist. In jedem Fall muss es sich um unumgängliche Bedürfnisse der Rechtspflege handeln.

10Ein zwingender Grund für den Einsatz planmäßiger Richter unterer Gerichte in Abordnung an obere Gerichte ist die Eignungserprobung ( ua - BVerfGE 14, 156, 164). Die Notwendigkeit, Nachwuchs heranzubilden oder Beurteilungsgrundlagen für ein richterliches Beförderungsamt zu schaffen, erlaubt die Heranziehung auch solcher Richter an ein Gericht, die nicht planmäßige Richter dieses Gerichts sind (BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 2 BvR 957/05 - Juris RdNr 7 mwN).

11Zudem liegen zwingende Gründe für einen Einsatz nicht planmäßiger Richter an oberen Gerichten vor, wenn vorübergehend ausfallende planmäßige Richter, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen (typischerweise bei Mutterschutz oder Dienstunfähigkeit) oder wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist. Auch in solchen Fällen ist die Verwendung von nicht planmäßigen Richtern aber nicht gerechtfertigt, wenn die Arbeitslast des Gerichts deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist, oder weil die Justizverwaltung es verabsäumt hat, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen ( ua - BVerfGE 14, 156, 164 f; ebenso - Juris RdNr 8).

12b) Ausgehend von diesen Maßstäben war, wie sich aus den vom Senat eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des und ergibt, der 7. Senat des LSG bei der Beschlussfassung am nicht ordnungsgemäß besetzt. Ein zwingender Grund im obigen Sinne für das Tätigwerden des Richters am SG G. statt eines planmäßigen Richters am LSG lag nicht vor.

13Aus den dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern geht hervor, dass Richter am SG G. zunächst für den Zeitraum vom bis zur "Rechtserprobung" an das LSG abgeordnet war. Sodann wurde seine Abordnung bis zum und anschließend erneut bis zum verlängert. Die Fortdauer der Abordnung des Richters am SG G."über den Zeitraum der Rechtserprobung hinaus" sei - so die Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern - "mit Blick auf die Eingangsbelastung und insbesondere auf die erheblichen Bestände" des LSG erfolgt. Ende 2015 entfielen auf jeden Richter am LSG Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich 208 Verfahren, während der Bundesdurchschnitt bei 114 lag. 2016 betrug in Mecklenburg-Vorpommern die Durchschnittsbelastung 135 Verfahrenszugänge pro Richter, während es im Bund 110 waren. Weiter heißt es in ihrem Schreiben vom wie folgt: "Da alle 12 dem LSG zugewiesenen Planstellen besetzt sind, war mir in der Vergangenheit eine Verstärkung nur durch die Abordnung von Richterinnen und Richtern der ersten Instanz möglich. Meinen wiederholten Anzeigen eines erhöhten Stellenbedarfs ist erstmals im Herbst 2016 dadurch Rechnung getragen worden, dass eine kapitelübergreifend genutzte Stelle ausgeschrieben werden konnte." Nach ihrer Auskunft vom ist ein weiterer Richter zum am LSG alsdann im Vorgriff auf den Doppel-Haushalt 2017/2018 - kapitelübergreifend - ernannt worden. Das LSG sei trotz gestiegener Eingangszahlen seit 1993 bis heute (Anm Oktober 2017) mit zwölf Planstellen ausgestattet. Die weitere Abordnung des Richters am SG G. sei den im Einzelnen aufgefächerten Zahlen geschuldet, da die alleinige Besetzung einer weiteren Stelle den Bedarf des Gerichts nicht habe decken können.

14Zwingende Gründe im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des BVerfG für die auch noch im Februar 2017 fortbestehende Abordnung des Richters am SG G. an das LSG ergeben sich aus den dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern nicht.

15aa) Die eine Abordnung an das LSG rechtfertigende Eignungserprobung des Richters am SG G. war bereits zum beendet.

16bb) Zwar weist die Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern auf eine erhebliche Belastungssituation Ende 2015 und 2016 beim Berufungsgericht hin, deren Bewältigung durch Verstärkung richterlichen Personals "nur durch die Abordnung von Richterinnen und Richtern der ersten Instanz möglich" war, weil "alle 12 dem LSG zugewiesenen Planstellen besetzt" waren und ihren "wiederholten Anzeigen eines erhöhten Stellenbedarfs" vom zuständigen Ministerium offenbar nur sehr zögerlich Rechnung ("erstmals im Januar 2017") getragen wurde. Nach der oben dargestellten Rechtsprechung des BVerfG ist allerdings in Fällen eines "außergewöhnlichen Arbeitsanfalls" die Verwendung von nicht planmäßigen Richtern bei dem betreffenden Gericht nur "zeitweilig" gerechtfertigt, jedoch dann nicht, wenn dessen Arbeitslast deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist. Letzteres kommt in den dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern aber mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck, die laut Auskunft selbst für die Abordnung zuständig und verantwortlich zeichnet. Denn sie begründet die Abordnung mit einer dauerhaften erheblichen Belastung des LSG durch entsprechende Eingänge, die nahezu zwangsläufig zu einer erhöhten Bestandsbelastung führen, sowie mit einer nicht ausreichenden Ausstattung des LSG mit Planstellen - zumindest in der Vergangenheit. Unabhängig davon, ob und seit wann eine Ausstattung mit weiteren Planstellen objektiv erforderlich gewesen wäre, kann von einem "zeitweilig außergewöhnlichen Arbeitsanfall", der eine weitere Abordnung rechtfertigen könnte, jedenfalls zum Zeitpunkt der hier fraglichen Beschlussfassung am nicht mehr die Rede sein.

17Die in der Auskunft der Präsidentin vom angesprochene Abordnung eines Vorsitzenden Richters am LSG in das Justizministerium ist kein Ausfall eines planmäßigen Richters im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG, sondern eine gezielte Personalmaßnahme.

18c) Bei dem hiernach vorliegenden absoluten Revisionsgrund (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO) wird das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler vermutet (vgl - Juris RdNr 9).

19Unerheblich ist, dass die Klägerin die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des 7. Senats des LSG nicht bereits während des berufungsgerichtlichen Verfahrens gerügt hat. Die Besetzungsrüge ist nicht gemäß § 202 S 1 SGG iVm § 295 Abs 1 ZPO ausgeschlossen, weil auf die Befolgung der für eine vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen nicht wirksam iS von § 295 Abs 2 ZPO verzichtet werden kann ( - Juris RdNr 16).

20d) Der Senat macht aus prozessökonomischen Gründen von der in § 160a Abs 5 SGG vorgesehenen Möglichkeit der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des LSG wegen des benannten Verfahrensmangels und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz Gebrauch.

21Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2018:250518BB13R10717B0

Fundstelle(n):
ZAAAG-89738