Beweisverwertungsverbot im Strafverfahren: Unterbliebene Belehrung über die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung bei der Beschuldigtenvernehmung
Gesetze: § 136 Abs 1 S 2 StPO, § 136 Abs 1 S 3 Halbs 2 StPO vom , § 136 Abs 1 S 5 Halbs 2 StPO vom , § 140 Abs 1 StPO, § 140 Abs 2 StPO
Instanzenzug: Az: 2 StR 163/17 Beschlussvorgehend LG Erfurt Az: 176 Js 26015/14 - 3 KLs jugnachgehend Az: 2 StR 163/17 Beschlussnachgehend Az: 2 StR 163/17 Beschlussnachgehend Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Az: 57818/18 Urteil
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, von der drei Jahre und sechs Monate als vollstreckt gelten. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten bleibt aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift genannten Gründen ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
2Der näheren Erörterung bedarf nur die Rüge des Angeklagten, seine Angaben und diejenigen der Mitangeklagten S. und V. seien unverwertbar, weil sie entgegen § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. (jetzt: § 136 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 StPO) im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmungen nicht darüber belehrt worden seien, dass ihnen unter den Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 und 2 StPO ein Pflichtverteidiger bestellt werden könnte. Sie greift im Ergebnis nicht durch.
3Tatsächlich sind zwar die notwendigen Belehrungen nach § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. nicht erfolgt. Daraus aber folgt – entgegen der Ansicht der Revision – kein Verwertungsverbot.
4Die Frage, ob das Unterbleiben des gesetzlich vorgeschriebenen Hinweises auf die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung zu einem Beweisverwertungsverbot führt, hat der Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden; er hat allerdings bereits vor der gesetzlichen Einführung dieser Belehrungspflicht auch ohne gesetzliche Vorgabe im Einzelfall eine Pflicht zur Belehrung über die Möglichkeit einer unentgeltlichen Verteidigung bejaht und bei einem Verstoß hiergegen ein grundsätzliches Beweisverwertungsverbot abgelehnt (BGH NStZ 2006, 236, 237). Dies hat er im Wesentlichen damit begründet, dass nur gravierende Verfahrensverstöße zu einem Beweisverwertungsverbot führen könnten und die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung nicht annähernd einer Verletzung der Pflicht zur Belehrung über die Möglichkeit einer Verteidigerkonsultation gleich komme, die grundsätzlich ein Verwertungsverbot nach sich ziehe.
5Der Senat hält auch nach der Einfügung der Belehrungspflicht in § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. die Annahme eines absoluten Beweisverwertungsverbots nicht für geboten (ebenso: Meyer-Goßner/Schmitt, 60. Aufl., § 136 Rn. 21). Weder dem Gesetz, das Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren umsetzt, noch den Gesetzgebungsmaterialien oder auch der genannten Richtlinie lässt sich entnehmen, dass die Neuregelung das Ziel verfolgt, die Verletzung der Belehrungspflicht hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen den von der Rechtsprechung für Verstöße gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO entwickelten Grundsätzen gleichzustellen. Dies gilt auch, wenn davon auszugehen ist, dass die neu eingefügte Regelung der Sache nach eine Erweiterung der Pflicht zur Belehrung über die Verteidigerkonsultation nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO darstellt (so im Ergebnis auch Schuhr, in: Münchener Kommentar zur StPO, § 136, Rn. 38). Hieraus folgt nicht, dass auch hinsichtlich der Rechtsfolgen an diese Regelung anzuknüpfen wäre (a.A. aber Schuhr, aaO). Wie der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen zur alten Rechtslage ausgeführt hat, bleibt die Verletzung der Pflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 StPO a.F. in ihrer Bedeutung hinter derjenigen nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zurück, die die grundsätzliche Zugangsmöglichkeit zu einem Verteidiger als solchen betrifft. Es handelt sich insoweit um eine für die Rechtsstellung des Beschuldigten als Verfahrenssubjekt konstitutive Bestimmung, deren Verletzung in aller Regel zur Annahme eines Beweisverwertungsverbots führen muss (vgl. dazu Schneider, NStZ 2016, 552, 554). Damit sind die Regelungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers, die nicht absolut gelten und vom Vorliegen der in § 140 Abs. 1 und 2 StPO genannten Voraussetzungen abhängig sind, nicht vergleichbar. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren kein eigenes Antragsrecht auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat, sondern lediglich anregen kann, dass die Staatsanwaltschaft von ihrem Antragsrecht Gebrauch macht. Hieran sollte im Übrigen – wie die Gesetzesbegründung klarstellt – die Ergänzung der Vorschrift nichts ändern (vgl. BT-Drucks. 17/12578, 16).
6Die nach § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 StPO a.F. bzw. § 136 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 StPO n.F. unterbliebene Belehrung des Angeklagten begründet deshalb kein absolutes Verwertungsverbot. Aber auch die Annahme eines relativen, im Rahmen einer einzelfallbezogenen Abwägung festzustellendes Verwertungsverbot kommt hier nicht in Betracht. Das Landgericht hat in seinem den Widerspruch gegen die Verwertung zurückweisenden Kammerbeschluss zutreffend in den Blick genommen, dass das staatliche Verfolgungs- und Aufklärungsinteresse – wie hier – bei einem Tötungsdelikt besonders hoch ist, die Belehrung nicht bewusst oder willkürlich, sondern aus Unkenntnis der Vernehmungsbeamten über die Neuregelung unterblieben ist und damit der festgestellte Verstoß von geringerem Gewicht ist. Zudem fehlen – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat – jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, die Angeklagten hätten im Rahmen ihrer ersten Vernehmung Angaben zur Sache gemacht, weil sie mangels wirtschaftlicher Mittel keine Möglichkeit gesehen hätten, sich eines Verteidigers zu bedienen. Auch die Revision hat hierzu nichts vorgetragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:060218B2STR163.17.1
Fundstelle(n):
AO-StB 2019 S. 20 Nr. 1
wistra 2018 S. 395 Nr. 9
EAAAG-87308