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LSG Hamburg Urteil v. - L 3 R 24/17

In Streit steht die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die am xxxxx 1983 geborene Klägerin nahm nach dem Abitur zunächst ein Lehramtsstudium auf, das unbeendet blieb, und erwarb im Oktober 2009 einen Bachelor auf Arts im Studiengang "Modern China". Sie war in der Folgezeit bei verschiedenen Arbeitgebern als kaufmännische Angestellte tätig. Daneben absolvierte sie erfolgreich den Fernlehrgang "Außenwirtschaft und Exportmanagement mit I.-Zertifikat". Das letzte Arbeitsverhältnis endete zum 14. Oktober 2013. Bereits ab dem 16. September 2013 war die Klägerin auf Dauer arbeitsunfähig erkrankt. Der medizinische Dienst der Krankenversicherung N. sah ihre Erwerbsfähigkeit als erheblich gefährdet an und empfahl medizinische Leistungen zur Rehabilitation (Stellungnahme vom 9. Oktober 2014). Zum Wintersemester 2014/2015 nahm die Klägerin ein Studium der Psychologie an der F. H1 auf, an der sie seitdem ununterbrochen ohne Beurlaubung immatrikuliert ist. Sie war zunächst als Vollzeitstudentin eingeschrieben. Die Beklagte, der die Studienaufnahme seinerzeit nicht bekannt war, gewährte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Die Klägerin wurde im März und April 2015 fünf Wochen lang stationär im S.-Klinikum in B., Abteilung Psychosomatik/Psycho-therapie, behandelt. Der Entlassungsbericht vom 6. Mai 2015 nennt unter anderem die Diagnose "hyperkinetische Störungen: einfache Aktivität-und Aufmerksamkeitsstörung". Die letzte Tätigkeit als Einkäuferin könne die Klägerin nur unter drei Stunden täglich ausüben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe ein Leistungsvermögen für mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit klar umrissenem Aufgabengebiet im Stehen, Gehen oder Sitzen im Umfang von sechs Stunden und mehr mit qualitativen Einschränkungen. Die Klägerin wurde unter Hinweis auf ihre noch unzureichende Stabilisierung arbeitsunfähig entlassen. Die Weiterführung der ambulanten Psychotherapie und gegebenenfalls die Durchführung einer weiteren teilstationären oder stationären psychiatrisch/psychotherapeutischen Behandlung wurden dringend empfohlen. Für die Zeit nach der Stabilisierung wurde eine berufliche Rehabilitationsleistung angeregt. Spätestens am 9. Juli 2015 beantragte die Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei der Beklagten und äußerte den Wunsch, eine Ausbildung zur Heilpraktikerin zu absolvieren. Um insbesondere die Belastbarkeit beurteilen zu können, nahm sie vom 9. bis zum 27. November 2015 an einer Berufsfindungsmaßnahme beim Berufsförderungswerk H. teil. Dort äußerte sie Interesse an einem Studium der sozialen Arbeit oder der Sozialpädagogik. Der Maßnahmeträger diagnostizierte bei der Klägerin eine psychische Minderbelastbarkeit auf dem Boden einer posttraumatischen Belastungsstörung mit in Triggersituationen starkem Ohnmachtserleben und Einschränkungen im Denken; ein Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätssyndrom, unter medikamentöser Behandlung; auf dem Boden eines Verdachts auf emotional instabile Persönlichkeitsstörung sowie medikamentös behandelter Bluthochdruck. Er gelangte zur Einschätzung, die Klägerin könne nach einer Phase der Stabilisierung eine Ausbildung auf hohem Niveau realisieren. Derzeit bestehe jedoch noch keine ausreichende psychische Belastbarkeit für eine berufliche Integration. Zudem sei ihre Motivation derzeit klar auf eine Tätigkeit im sozialen Bereich ausgerichtet. Auch von Seiten des Berufsförderungswerks wurde vorgeschlagen, der Klägerin eine weitere stationäre psychosomatische Behandlung zu gewähren und die psychotherapeutische Behandlung zu intensivieren (Gutachten zur beruflichen Integration vom 8. Dezember 2015). Der sozialmedizinische Dienst der Beklagten gelangte nach Aktenlage zu dem Schluss, die Klägerin sei über sechs Stunden leistungsfähig für körperlich mittelschwere Arbeiten in einem möglichst überschaubaren Arbeitsbereich bei lediglich qualitativen Einschränkungen, unter anderem dem Ausschluss von Tätigkeiten mit einer besonderen Nähe zu sozialen Bereichen. Er empfahl ebenfalls eine weitere stationäre psychosomatische Behandlung (Gutachten vom 30. Dezember 2015). Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Die Klägerin teilte mit, eine erneute stationäre Behandlung nicht in Anspruch nehmen zu wollen. Sie halte sich für ausbildungsfähig und bevorzuge eine berufsfördernde Leistung. Sie legte eine Stellungnahme ihrer seinerzeit behandelnden Psychotherapeutin, Dipl.-Psych. G. vor, die die sofortige Aufnahme einer berufsfördernder Maßnahme unter psychotherapeutischer Begleitung befürwortete. Nach weiterer Korrespondenz mit der Beklagten informierte die Klägerin mit Schreiben vom 5. März 2016 über ihr Studium an der F. H1 und äußerte den Wunsch, dieses in ein Präsenzstudium im Bachelorstudiengang Psychologie an der M. School H. umzuwandeln. Dort würden Studiengebühren in Höhe von 695 Euro pro Monat anfallen. Daraufhin wiederrief die Beklagte die Bewilligung von medizinischen Rehabilitationsleistungen. Zudem lehnte sie mit Bescheid vom 21. März 2016 die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ab. Sie blieb bei ihrer Einschätzung, dass die begehrte Leistung derzeit aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erfolgreich durchgeführt werden könne. Vorrangig sei die psychotherapeutische Behandlung weiterzuführen bzw. die angebotene stationäre Behandlung durchzuführen. Das angestrebte Studium sei im Übrigen nicht förderfähig, weil es die maximal mögliche Förderzeit von zwei Jahren überschreite. Zudem erscheine die von der Klägerin angestrebte Tätigkeit als Psychotherapeutin langfristig nicht leidensgerecht. Mit ihrem Widerspruch wandte die Klägerin sich weiterhin gegen die aus ihrer Sicht unzutreffenden Einschätzungen des Berufsförderungswerks sowie des sozialmedizinischen Diensts der Beklagten. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. September 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Gewährung der beantragten Leistung zur Teilhabe am Arbeitslebens setze gemäß § 10 Abs. 1 Nummer 2 SGB VI voraus, dass durch diese eine Minderung der Erwerbsfähigkeit abgewendet werden könne oder, bei bereits geminderter Erwerbsfähigkeit, diese wesentlich gebessert, wiederhergestellt oder eine wesentliche Verschlechterung abgewendet werden könne. Aus dem Abschlussbericht des Berufsförderungswerks H. und der anschließenden Auswertung ergebe sich indes, dass die Klägerin derzeit nicht ausreichend belastbar für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sei. Deswegen sei ihr auch eine stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation bewilligt worden, nach deren Abschluss das weitere Vorgehen bezüglich der beruflichen Leistungen zur Rehabilitation hätte geplant werden können. Abgesehen davon würden Studiengänge grundsätzlich nicht gefördert. Mit ihrer am 19. September 2016 erhobenen Klage hat die Klägerin auch die Erstattung der Kosten begehrt, die ihr seit dem 5. März 2016 durch ihr Fernstudium entstanden sind und fortlaufend entstehen. Sie hat Kosten in Höhe von 371 Euro pro Semester zuzüglich der zunächst unbezifferten Kosten für Studienmaterial geltend gemacht. Sie hat vorgebracht, das Fernstudium zunächst nur "zur Probe" aufgenommen zu haben. Die Beklagte hat an ihrer Entscheidung festgehalten. Das Sozialgericht Hamburg hat den Verwaltungsvorgang der Beklagten beigezogen und am 1. März 2017 einen Erörterungstermin durchgeführt. Die Beteiligten sind darauf hingewiesen worden, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg verspreche und mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gerechnet werden müsse. Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 2. März 2017 abgewiesen. Dabei ist es davon ausgegangen, die Klägerin begehre allein die Förderung eines Präsenzstudiums der Psychologie an der M. School H ... Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide. Das Sozialgericht ist der Begründung der Beklagten gefolgt und hat hervorgehoben, angesichts der vorliegenden medizinischen Unterlagen sei es nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte jedenfalls derzeit die erforderliche Eignung der Klägerin für die begehrte Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben verneine. Die Ergebnisse der Berufsfindungsmaßnahme würden zudem deutlich darauf hinweisen, dass der Klägerin die Eignung auch für eine langfristige Tätigkeit im angestrebten Beruf der Psychotherapeuten fehle. Die Beklagte habe erkennbar Ermessen ausgeübt, das das Gericht nicht durch eigene Erwägungen übergeben dürfe. Keinesfalls bestehe eine Situation einer Ermessensreduzierung "auf null". Schließlich würde die erstrebte Ausbildung mit einer Mindeststudienzeit von sechs Semestern bei Vollzeitstudium und von mindestens zwölf Semestern bei Teilzeitstudium die Höchstförderungsdauer von zwei Jahren nach § 37 Abs. 2 SGB IX überschreiten. Bei dieser Sachlage sei es auch nicht geboten, weitere medizinische Ermittlungen anzustrengen. Der Gerichtsbescheid ist der Klägerin am 4. März 2017 zugestellt worden. Mit ihrer am 15. März 2017 erhobenen Berufung vertieft sie ihr bisheriges Vorbringen und betont, sie sei sehr wohl für ein Psychologiestudium geeignet, wie sie inzwischen unter Beweis gestellt habe. Nachdem die Beklagte sich den kooperativen Bemühungen um ihre berufliche Integration letztlich verweigert habe, habe sie, die Klägerin, an dem bereits aufgenommenen Fernstudium festgehalten, weil es für sie passend sei und weil eine anderweitige berufliche Förderung inzwischen aus Zeit- und Kostengründen ineffizient sei. Es sei unangemessen, wenn ihr nunmehr eine Kostenübernahme allein mit dem Argument verweigert werde, das Ermessen sei nicht "auf null" reduziert. Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Mit Beschluss vom 16. Mai 2017 hat der seinerzeit zuständige Senat den Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt. Der Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist ebenfalls erfolglos geblieben (SG Hamburg, Beschl. v. 3. Juli 2017, S 20 R 478/17 ER; LSG Hamburg, Beschl. v. 21. August 2017, L 2 R 81/17 B ER). Seit dem Wintersemester 2017/2018 ist die Klägerin als Teilzeitstudentin immatrikuliert. Mit Beschluss vom 10. November 2017 ist die Berufung der Berichterstatterin übertragen worden. Die mündliche Verhandlung hat am 29. Mai 2018 stattgefunden. Im Termin hat die Klägerin klargestellt, weiterhin sowohl eine Kostenerstattung für das Fernstudium als auch die Förderung eines Präsenzstudiums zu begehren. Die bislang aufgelaufenen Materialkosten für das Fernstudium hat sie auf mindestens 300 Euro geschätzt. Als Förderleistung komme für sie inzwischen nur noch die Förderung eines Präsenzstudiums an der Universität H. in Betracht.

Fundstelle(n):
FAAAG-87218

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