BFH Urteil v. - XI R 23/00

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), zusammenveranlagte Eheleute, erzielten im Streitjahr 1995 jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Der Kläger bezog einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von ... DM sowie eine —sozialversicherungsfreie— Entschädigung i.H. von ... DM.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) kürzte den Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen in Höhe von 12 000 DM gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf 0 DM. Dabei setzte er als Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers sowohl dessen laufenden Lohn als auch die Entschädigung an.

Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2000, 487).

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 10 Abs. 3 EStG. Die Kürzung des Vorwegabzugs bemesse sich seit 1993 einheitlich für Arbeitnehmer und Mandatsträger nach einem festen Prozentsatz der Summe der Einnahmen i.S. des § 19 Abs. 1 und § 22 Nr. 4 EStG. Durch diese pauschalierende und typisierende Neuregelung habe der Gesetzgeber die bis dahin geltende Regelung vereinfachen wollen. Dem laufe die teleologische Auslegung des Finanzgerichts (FG) zuwider.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Der zusammenveranlagten Ehegatten zustehende Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG ist um 16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden (vgl. § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG).

1. Die Entschädigung gehört —entgegen der Auffassung des FG— zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit i.S. des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG. Sie wurde dem Kläger vom Arbeitgeber in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner damaligen Beschäftigung im privaten Dienst gezahlt (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG).

Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG sind nicht nur der laufende Lohn, sondern auch Einmalzahlungen wie eine vom Arbeitgeber gezahlte Entlassungsentschädigung. Dies folgt aus § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Danach gehören zu den Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG auch Entschädigungen, die gewährt worden sind als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen. Die unter § 24 EStG zu subsumierenden Entschädigungen bilden keine selbständige Einkunftsart, wie sich aus § 2 Abs. 1 Satz 2 EStG sowie dem Wort ”auch” in § 24 EStG ergibt (vgl. z.B. , BFH/NV 1999, 40; vom XI R 43/94, BFHE 180, 433, BStBl II 1996, 516; , BFH/NV 1997, 848).

2. Der Arbeitgeber hat gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG für den Kläger Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht. Dies ist dem Grunde nach unstreitig.

Unerheblich ist im Rahmen des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG, dass der Arbeitgeber nicht für sämtliche Lohnaufwendungen Sozialversicherungsbeiträge zu leisten hatte (vgl. zur Sozialversicherungsfreiheit der Entlassungsentschädigung , BSGE 66, 219 = Betriebs-Berater —BB— 1990, 1350). Voraussetzung für die Kürzung des Vorwegabzugs ist nach dem Gesetzeswortlaut allein die Tatsache, dass der Arbeitgeber Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbringt, nicht deren Höhe (vgl. auch , BFH/NV 2000, 1398). Dies folgt aus der Formulierung ”wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden”. Sollte der Vorwegabzug nur in Höhe von 16 v.H. der beitragspflichtigen Einnahmen gekürzt werden, so würde das Gesetz nicht schlechthin von ”Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit”, sondern von sozialversicherungspflichtigen Einnahmen o.Ä. sprechen oder zumindest statt des Wortes ”wenn” das Wort ”soweit” verwenden. Mit der Bezugnahme auf Zukunftssicherungsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG umschreibt das Gesetz den Personenkreis, der von der Kürzung des Vorwegabzugs betroffen ist, nicht die Bemessungsgrundlage für die Kürzungsregelung (BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 848).

Entgegen der Auffassung des FG ergibt sich aus der Verwendung des Begriffs ”soweit” in § 3 Nr. 62 EStG nichts anderes. Die Regelungsinhalte des § 3 Nr. 62 und des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG sind ganz unterschiedlich, auch wenn sie durch die Verweisung in § 10 Abs. 3 EStG verknüpft werden. So betrifft § 3 Nr. 62 EStG die Steuerfreiheit von Arbeitgeberleistungen für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers. § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG hingegen hat den Zweck, Arbeitnehmer und andere Personen, die im Zusammenhang mit ihrer Berufstätigkeit Anwartschaften auf eine Altersversorgung oder Leistungen im Krankheitsfall erlangen, ohne eigene Beiträge zu leisten, mit selbständig Tätigen gleichzustellen. Dies soll nach dem Willen des Gesetzes durch eine pauschalierende und typisierende Regelung für die Kürzung des Vorwegabzugs erreicht werden (vgl. BTDrucks 12/5764, S. 19).

Aus der Entscheidung des erkennenden Senats vom XI R 64/98 (BFHE 189, 361, BFH/NV 2000, 115) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Sie betraf den mit dem Streitfall nicht vergleichbaren Sonderfall eines pflichtversicherten Steuerpflichtigen, der die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung in vollem Umfang selbst getragen hatte. Da nach dem Gesetzeszweck die Steuerpflichtigen, die die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in voller Höhe selbst aufbringen, begünstigt sein sollen, war von einer Kürzung des Vorwegabzugs abzusehen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 463
BFH/NV 2003 S. 463 Nr. 4
OAAAA-69802