Verbot diskriminierender Abgaben – Art. 110 AEUV – Einheitliche Steuer für den Kraftfahrzeugverkehr – Festsetzung des Steuersatzes anhand des Datums der erstmaligen Zulassung des Fahrzeugs im Mitgliedstaat der Besteuerung – Aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Gebrauchtwagen – Keine Berücksichtigung des Datums der Erstzulassung in einem anderen Mitgliedstaat
Leitsatz
Art. 110 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach die mit ihr eingeführte einheitliche Verkehrsteuer auf zur Personenbeförderung bestimmte Kraftfahrzeuge (Pkw), die in diesem Mitgliedstaat zugelassen oder registriert sind, ungeachtet des Datums der Erstzulassung erhoben wird, wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat erfolgte und dadurch die Besteuerung von aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Fahrzeugen höher ist als die gleichartiger nicht eingeführter Fahrzeuge.
Instanzenzug:
Gründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 110 AEUV.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Luís Manuel dos Santos und der Fazenda Pública (Finanzverwaltung, Portugal) über die gegen den Kläger für das Jahr 2014 festgesetzte einheitliche Verkehrsteuer (Imposto Único de Circulação) für einen aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Gebrauchtwagen.
Rechtlicher Rahmen
3 Art. 2 Abs. 1 des Código do Imposto Único de Circulação (Gesetzbuch über die einheitliche Verkehrsteuer, im Folgenden: CIUC) bestimmt:
„Die einheitliche Verkehrsteuer ist auf in Portugal zugelassene oder eingetragene Fahrzeuge folgender Kategorien zu entrichten:
Kategorie A: Personenkraftwagen (Pkw) und Nutzfahrzeuge mit einem Bruttogewicht von bis zu 2 500 kg, die in der Zeit von 1981 bis zum Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes zugelassen wurden;
Kategorie B: in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und d des Kraftfahrzeugsteuergesetzes genannte Personenkraftwagen (Pkw) sowie Nutzfahrzeuge mit einem Bruttogewicht von bis zu 2 500 kg, die nach Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes zugelassen wurden;
…”
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
4 Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist Eigentümer eines aus dem Vereinigten Königreich nach Portugal eingeführten Kraftfahrzeugs. Dieses Fahrzeug mit Erstzulassung vom im Vereinigten Königreich wurde am , also nach dem Inkrafttreten des CIUC am , in Portugal erneut zugelassen.
5 Am wurde für dieses Fahrzeug einheitliche Verkehrsteuer in Höhe von 131,40 Euro für das Jahr 2014 gegen den Kläger des Ausgangsverfahrens festgesetzt.
6 Da der Kläger des Ausgangsverfahrens der Ansicht war, dass er hierdurch diskriminiert werde, erhob er beim vorlegenden Gericht Klage gegen die Erhebung dieser Steuer. Er macht u. a. geltend, dass nach dem eingeführte Fahrzeuge und genauso alte, aber vor dem eingeführte und zugelassene Fahrzeuge unterschiedlich besteuert würden, obwohl sie dieselben Eigenschaften aufwiesen. Dies sei unvereinbar mit dem in Art. 110 AEUV verankerten Grundsatz des freien Warenverkehrs zwischen Mitgliedstaaten.
7 Das vorlegende Gericht führt insoweit aus, dass die Erstzulassung des vom Kläger des Ausgangsverfahrens eingeführten Fahrzeugs am in einem anderen Mitgliedstaat erfolgt sei und es gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. b CIUC der einheitlichen Verkehrsteuer unterliege, da es nach Portugal eingeführt und nach dem erneut zugelassen worden sei, während es bei einer Erstzulassung in Portugal von dieser Steuer befreit gewesen wäre. Somit unterliege das Fahrzeug der einheitlichen Verkehrsteuer nur, weil die Erstzulassung nicht in Portugal, sondern in einem anderen Mitgliedstaat erfolgt sei.
8 Unter diesen Umständen hat das Tribunal Administrativo e Fiscal de Coimbra (Verwaltungs- und Finanzgericht Coimbra, Portugal) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Steht der in Art. 110 AEUV niedergelegte Grundsatz des freien Warenverkehrs zwischen Mitgliedstaaten einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift (Art. 2 Abs. 1 Buchst. b CIUC) entgegen, wenn diese dahin ausgelegt wird, dass bei der einheitlichen Verkehrsteuer das Datum der Erstzulassung nicht zu berücksichtigen ist, wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat erfolgte, und nur das Datum der Zulassung in Portugal von Belang ist, sofern diese Auslegung zu einer höheren Besteuerung von aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Fahrzeugen führt?
Zur Vorlagefrage
9 Nach Art. 99 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, u. a. wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung einer solchen Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.
10 Diese Bestimmung ist hier anzuwenden.
11 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 110 AEUV dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach die mit ihr eingeführte einheitliche Verkehrsteuer auf zur Personenbeförderung bestimmte Kraftfahrzeuge (Pkw), die in diesem Mitgliedstaat zugelassen oder registriert sind, ungeachtet des Datums der Erstzulassung erhoben wird, wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat erfolgte und die Besteuerung eingeführter Fahrzeuge aus einem anderen Mitgliedstaat dadurch höher ist als die gleichartiger nicht eingeführter Fahrzeuge.
12 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Ziel von Art. 110 AEUV darin besteht, den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten unter normalen Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten. Er soll jede Form des Schutzes beseitigen, die aus einer inländischen Abgabe, die Waren aus anderen Mitgliedstaaten diskriminiert, folgen könnte (Urteil vom , Budişan, , EU:C:2016:421, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).
13 Zu diesem Zweck ist es nach Art. 110 Abs. 1 AEUV jedem Mitgliedstaat untersagt, auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten inländische Abgaben zu erheben, die höher sind als bei gleichartigen inländischen Waren (Urteil vom , Budişan, , EU:C:2016:421, Rn. 20).
14 Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Steuersystem nur dann als mit Art. 110 AEUV vereinbar angesehen werden, wenn feststeht, dass seine Ausgestaltung es unter allen Umständen ausschließt, dass eingeführte Waren höher besteuert werden als einheimische Waren, und dass es daher auf keinen Fall diskriminierende Wirkungen hat (Urteile vom , Kommission/Finnland, , nicht veröffentlicht, EU:C:2009:171, Rn. 24, und vom , X, , EU:C:2013:857, Rn. 28).
15 Für den Bereich der Besteuerung eingeführter Gebrauchtfahrzeuge hat der Gerichtshof im Übrigen bereits entschieden, dass Art. 110 AEUV die vollkommene Wettbewerbsneutralität der inländischen Abgaben für bereits auf dem inländischen Markt befindliche und für eingeführte Waren gewährleisten soll (Urteile vom , Krawczyński, , EU:C:2008:434, Rn. 31, und vom , Kalinchev, , EU:C:2010:312, Rn. 31).
16 Bei den Kraftfahrzeugen, die sich auf dem Markt eines Mitgliedstaats befinden, handelt es sich um inländische Waren dieses Mitgliedstaats im Sinne von Art. 110 AEUV. Werden diese Waren auf dem Gebrauchtwagenmarkt dieses Mitgliedstaats zum Verkauf angeboten, sind sie als eingeführten Gebrauchtwagen desselben Typs mit denselben Eigenschaften und derselben Abnutzung gleichartige Waren anzusehen. Denn bei den auf dem Markt dieses Mitgliedstaats erworbenen und den in anderen Mitgliedstaaten zum Zweck der Einfuhr und des Inverkehrbringens in diesem Mitgliedstaat erworbenen Gebrauchtfahrzeugen handelt es sich um konkurrierende Waren (Urteile vom , Tatu, , EU:C:2011:219, Rn. 55, und vom , Nisipeanu, , nicht veröffentlicht, EU:C:2011:466, Rn. 24).
17 Folglich ist jeder Mitgliedstaat nach Art. 110 AEUV verpflichtet, seine Steuern auf Kraftfahrzeuge so zu wählen und auszugestalten, dass ihre Wirkung nicht darin besteht, den Verkauf inländischer Gebrauchtwagen zu fördern und damit die Einfuhr gleichartiger Gebrauchtwagen zu erschweren (Urteil vom , Tatu, , EU:C:2011:219, Rn. 56, und vom , Nisipeanu, , nicht veröffentlicht, EU:C:2011:466, Rn. 25).
18 Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende einheitliche Verkehrsteuer jährlich u. a. auf alle zum Personentransport bestimmten Kraftfahrzeuge (Pkw) erhoben wird, die in Portugal zugelassen oder registriert sind, wobei die Höhe dieser Steuer auch davon abhängt, wann das betroffene Fahrzeug erstmals in Portugal zugelassen wurde. Somit wird diese Steuer sowohl auf Neu- als auch auf Gebrauchtwagen erhoben und sowohl auf aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte und erstmals in Portugal zugelassene Fahrzeuge als auch auf solche, die sich bereits auf dem nationalen Markt befanden.
19 Zum Personentransport bestimmte Kraftfahrzeuge (Pkw) wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende sind jedoch von der einheitlichen Verkehrsteuer befreit, wenn sie vor 1981 in Portugal zugelassen waren, während gleichartige Fahrzeuge, die vor 1981 in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen waren, besteuert werden, sofern sie in Portugal erst später erstmals zugelassen wurden.
20 Außerdem fallen diese Fahrzeuge unter die Kategorie A, wenn sie zwischen 1981 und dem Inkrafttreten des CIUC am erstmals in Portugal zugelassen wurden, und unter die Kategorie B, wenn sie nach dem erstmals in Portugal zugelassen wurden. Dagegen fallen gleichartige aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführte und nach dem erstmals in Portugal zugelassene Fahrzeuge selbst dann unter die Kategorie B, wenn ihre Erstzulassung vor diesem Zeitpunkt in einem anderen Mitgliedstaat erfolgte. Nach dem nach Portugal eingeführte Fahrzeuge mit Erstzulassung vor dem in einem anderen Mitgliedstaat werden somit systematisch höher besteuert als gleichartige nicht eingeführte Fahrzeuge, die vor diesem Zeitpunkt erstmals in Portugal zugelassen wurden.
21 Folglich werden durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung die nach dem aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Gebrauchtwagen systematisch steuerlich stärker belastet als gleichartige inländische Gebrauchtwagen, da sie das Datum der Erstzulassung bei aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Fahrzeugen nicht berücksichtigt. Sie hat also zur Folge, dass der Verkauf inländischer Gebrauchtwagen gefördert und damit die Einfuhr gleichartiger Gebrauchtwagen erschwert wird.
22 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 110 AEUV dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach die mit ihr eingeführte einheitliche Verkehrsteuer auf zur Personenbeförderung bestimmte Kraftfahrzeuge (Pkw), die in diesem Mitgliedstaat zugelassen oder registriert sind, ungeachtet des Datums der Erstzulassung erhoben wird, wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat erfolgte und dadurch die Besteuerung von aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Fahrzeugen höher ist als die gleichartiger nicht eingeführter Fahrzeuge.
Kosten
23 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 110 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach die mit ihr eingeführte einheitliche Verkehrsteuer auf zur Personenbeförderung bestimmte Kraftfahrzeuge (Pkw), die in diesem Mitgliedstaat zugelassen oder registriert sind, ungeachtet des Datums der Erstzulassung erhoben wird, wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat erfolgte und dadurch die Besteuerung von aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Fahrzeugen höher ist als die gleichartiger nicht eingeführter Fahrzeuge.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2018:275
Fundstelle(n):
MAAAG-85182