Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung i. S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG
Gesetze: EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr (1997) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger erzielte bis März 1997 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Bereits ab Oktober 1996 betätigte er sich als selbständiger ”Layouter” mit dem Entwurf von Werbeträgern (Broschüren, Plakaten u.a.). Hierfür nutzte er die Räume im Dachgeschoss des selbst bewohnten, gemieteten Einfamilienhauses (Treppenpodest mit Garderobe ohne eigenen Hauseingang, Arbeitszimmer, Lagerraum und Sanitärraum). Die schon vorher beruflich genutzten Räume hatte er mit einer neuen ”DTP"-Station ausgestattet (Layout-Arbeitsplatz mit einer DTP-Anlage, Computer, Bildschirm und Farbdrucker). Im Streitjahr 1997 versuchte er, eine ...-Zeitschrift am Markt zu etablieren. Diese —kostenlos vertriebene— Zeitschrift ließ er über die Vertriebsorganisation Y an alle Buchhandlungen verteilen. Da aber die erhofften Werbeeinnahmen ausblieben, wurde nur eine einzige Auflage (300 000 Stück) fertiggestellt und ausgeliefert. Anschließend übernahm der Kläger selbständige Dienstleistungen als Hersteller von Werbedruckmaterial für andere Auftraggeber.
Der nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelte Verlust 1997 aus seiner gewerblichen Tätigkeit in Höhe von 78 410 DM resultierte in Höhe von 6 008 DM aus den betrieblichen Raumkosten. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte diese nur mit 2 400 DM. Er ging dabei davon aus, dass es sich bei den vier Räumen um insgesamt ein ”häusliches Arbeitszimmer” i.S. von § 4 Abs. 5 Nr. 6 b EStG handele, welches aber nicht der Mittelpunkt der gesamten Tätigkeit des Klägers gewesen sei. Nach seinen eigenen Angaben habe der Kläger im Streitjahr für Zwecke der Akquisition einer Druckerei, der Anzeigenwerbung, Finanzierung sowie des Vertriebsaufbaus und dergleichen Geschäftsreisen über 13 076 km unternommen. Daher sei davon auszugehen, dass er wesentliche Arbeiten außer Haus erledigt habe.
Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage begehrten die Kläger den vollen Abzug der Raumkosten als Betriebsausgaben. Sie machten im Wesentlichen geltend, die besagten Räume seien als Betriebsstätte anzusehen, auf die § 4 Abs. 5 Nr. 6 b EStG nicht anwendbar sei. Davon abgesehen seien die Räume auch der Mittelpunkt der gesamten betrieblichen Tätigkeit des Klägers gewesen. Anders als z.B. bei einem Handelsvertreter werde die hier zu beurteilende Tätigkeit nicht im Wesentlichen außer Haus ausgeübt. Die berufstypische Reise- und sonstige auswärtige Tätigkeit gehe nicht über das Maß hinaus, das nahezu jede unternehmerische Tätigkeit mit sich bringe. Soweit es die 1997 getätigten Geschäftsreisen über 13 076 km betreffe, sei zu berücksichtigen, dass sich der Betrieb damals im Aufbaustadium befunden habe. Das Betreiben eines Unternehmens im Aufbau sei indes regelmäßig mit einer intensiven Reisetätigkeit verbunden, ohne dass dies als für die betreffende Tätigkeit prägend angesehen werden könne. Im Streitjahr 1997 habe der Kläger ca. 75 v.H. seiner gesamten Arbeitszeit im Arbeitszimmer verbracht. Schon in den folgenden Jahren seien deutlich weniger Außentermine wahrgenommen worden, so dass der Anteil der häuslichen Tätigkeit auf ca. 80 bis 85 v.H. gestiegen sei.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage im streitigen Punkt statt (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2001, 270).
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt (sinngemäß), die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen, als sie auf eine Minderung des Gesamtbetrags der Einkünfte über den Betrag von (541,20 DM ./. 103 DM =) 438,20 DM hinaus gerichtet sei.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet. Das FG hat ohne Rechtsverstoß entschieden, dass die beruflich genutzten Räume den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung des Klägers nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 EStG bildeten und die streitigen Aufwendungen damit ohne Beschränkung der Höhe nach als Betriebsausgaben abziehbar waren.
1. Ebenso wie das FG lässt der erkennende Senat offen, ob die hier zu beurteilenden Räumlichkeiten als ”häusliches Arbeitszimmer” i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG angesehen werden können. Selbst wenn man dies zu Ungunsten der Kläger annimmt, hat ihre Klage in dem vom FG zugesprochenen Umfang Erfolg.
2. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 1 EStG kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer grundsätzlich nicht als Betriebsausgaben abziehen. Dieses generelle Abzugsverbot greift aber nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 EStG dann nicht (jedenfalls nicht in vollem Umfang) ein, wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 v.H. der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit beträgt oder wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesen Fällen wird nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 1 EStG (in der hier maßgeblichen Fassung) die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 2 400 DM begrenzt. Diese Beschränkung der Höhe nach gilt gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG allerdings nicht, wenn das Arbeitszimmer den ”Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung” bildet. Letztere Voraussetzung ist vorliegend gegeben.
3. Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitszimmer in diesem Sinne den ”Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung” darstellt, hat der VI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinen Urteilen vom VI R 82/01 (BFH/NV 2003, 688), VI R 104/01 (BFH/NV 2003, 691) und VI R 28/02 (BFH/NV 2003, 693) im Wesentlichen die folgenden —auch vom erkennenden Senat für zutreffend erachteten— Grundsätze herausgearbeitet:
a) Der Begriff ”Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung” ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Es handelt sich um einen neuen, eigenständigen Rechtsbegriff, zu dessen Auslegung nur auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG selbst zurückgegriffen werden kann (so auch z.B. Söhn in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 4 Rz. Lb 187 und 191).
b) Das häusliche Arbeitszimmer eines Steuerpflichtigen, der —wie auch im vorliegenden Streitfall— lediglich eine berufliche (betriebliche) Tätigkeit ausübt und diese Betätigung teilweise in seinem Arbeitszimmer und teilweise außer Haus ausübt, ist ”Mittelpunkt” i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG, wenn der Steuerpflichtige im Arbeitszimmer diejenigen Handlungen vornimmt und Leistungen erbringt, die für den konkret ausgeübten Beruf wesentlich und prägend sind. Der ”Mittelpunkt” bestimmt sich mit anderen Worten nach dem inhaltlichen (qualitativen) Schwerpunkt der betrieblichen und beruflichen Betätigung des Steuerpflichtigen. Wo er liegt, kann nur im Wege einer umfassenden Wertung der Gesamttätigkeit festgestellt werden.
Im Rahmen dieser Wertung kommt dem zeitlichen (quantitativen) Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers lediglich eine indizielle Bedeutung zu. Der zeitliche Umfang ist insbesondere kein negatives Abgrenzungsmerkmal in dem Sinne, dass, soweit die außerhäusliche Tätigkeit —zeitlich— überwiegt, von vornherein nur noch ein beschränkter Abzug der Aufwendungen in Betracht kommt. Dafür sprechen —wie der VI. Senat des BFH in den erwähnten Urteilen ausführlich und überzeugend dargelegt hat— sowohl Wortlaut und Systematik als auch Sinn und Zweck der Regelungen in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Sätze 2 und 3 EStG.
c) Nicht zu folgen ist der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. , BStBl I 1998, 863 Tz. 8), dass bereits der Umstand einer dauerhaften Außendiensttätigkeit den unbegrenzten Abzug von Werbungskosten nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG per se ausschließen soll.
Andererseits vermag aber auch nicht die Ansicht zu überzeugen, dass ein häusliches Arbeitszimmer schon dann Tätigkeitsmittelpunkt sei, wenn der Steuerpflichtige über keinen anderweitigen festen Arbeitsplatz verfügt und das Arbeitszimmer das örtliche Zentrum bildet, von dem aus er seiner beruflichen (Außendienst-)Tätigkeit nachgeht (so aber Seifert in Korn, Einkommensteuergesetz, § 4 Rz. 1112; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., § 4 Rz. 597; Broudré, Deutsches Steuerrecht —DStR— 1995, 1733, 1735). Diese Fallgestaltung ist in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 Alternative 2 EStG ausdrücklich geregelt und führt nach Satz 3 Halbsatz 1 dieser Bestimmung lediglich zu einer begrenzten Anerkennung der Aufwendungen.
Auch der Gesichtspunkt, dass im häuslichen Arbeitszimmer die ”geschäftsleitenden Ideen” entwickelt und die ”unternehmensbezogenen Entscheidungen” getroffen werden, ist nur dann von Bedeutung, wenn die Entwicklung der Ideen und das Fällen der Entscheidungen für die Tätigkeit des Steuerpflichtigen insgesamt prägend sind. Dienen sie dagegen lediglich der Vorbereitung und Unterstützung der eigentlichen Tätigkeit, die außer Haus verrichtet wird, machen sie das Arbeitszimmer nicht zum Tätigkeitsmittelpunkt (a.A. Seifert in Korn, a.a.O., § 4 Rz. 1112).
Nicht beizupflichten ist schließlich der Ansicht, dass sich der Tätigkeitsmittelpunkt nach den erwirtschafteten Einnahmen bestimmt (vgl. z.B. Mainzer/Strohner, Finanz-Rundschau —FR— 1996, 91, 97; Niermann, Der Betrieb —DB— 1995, 2084); denn ein solches Verständnis der Abzugsbeschränkung wird schon vom Wortlaut der Regelung nicht gedeckt. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 EStG knüpft an die Tätigkeit an, nicht an den Ertrag.
d) Die Frage, ob die in einem Arbeitszimmer verrichteten Tätigkeiten den Beruf insgesamt prägen oder ob ihnen lediglich eine unterstützende Funktion zukommt, betrifft die Tatsachenfeststellung bzw. -würdigung und muss damit in erster Linie von den FG beantwortet werden. Eine Überprüfung durch den BFH ist nur im Rahmen des § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) möglich.
4. Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist die Entscheidung des FG revisionrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG hat den Begriff ”Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit” in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG im Kern zutreffend ausgelegt. Das Ergebnis der von ihm vorgenommenen Gesamtwürdigung, dass der häusliche Arbeitsbereich des Klägers den Mittelpunkt seiner gesamten beruflichen (betrieblichen) Betätigung gebildet habe, verletzt weder Denkgesetze noch allgemeine Erfahrungssätze. Die hiergegen vom FA vorgebrachten Einwände sind nach § 118 Abs. 2 FGO unbeachtlich.
a) Auf der Grundlage der von ihm getroffenen, für den Senat bindenden Feststellungen ist das FG zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger im Streitjahr 1997 nur noch einer beruflichen Tätigkeit —nämlich seiner gewerblichen Betätigung— nachgegangen ist. Für die Mittelpunktsfrage kommt es daher nur auf diese gewerbliche Betätigung an.
b) Im Einklang mit den oben (unter II. 3.) dargelegten Grundsätzen hat das FG für die Beurteilung der Frage, wo sich der ”Mittelpunkt der beruflichen Betätigung” des sowohl im häuslichen Bereich als auch außerhalb tätigen Klägers befand, zutreffend darauf abgestellt, wo der Kläger ”nach den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls die nach allgemeiner Verkehrsanschauung für den unternehmerischen Erfolg wesentlichen Kerntätigkeiten tatsächlich vornimmt”.
Aufgrund einer umfassenden Tatsachenwürdigung ist das FG zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger die für seine betriebliche Betätigung notwendigen Kernarbeiten (Schreiben der Artikel, Strukturierung der Werbeträger, Organisation der technischen und kaufmännischen Betriebsabläufe) ”ganz überwiegend in seinen häuslichen Betriebsräumen erledigt” habe und die Außentätigkeiten (Überwachung der Endfertigung der Druckerplatten; Besprechungen mit dem Belichtungsunternehmen; von Fall zu Fall erfolgte Präsentation der Werbeprodukte) in qualitativer Hinsicht eher von untergeordneter Bedeutung gewesen seien. Entsprechendes gelte auch für die in der Anlaufphase des Unternehmens notwendigen Besuche bei Banken, Druckereien, Werbe- und Vertriebsfirmen zwecks Aushandlung von Verträgen.
Aufgrund vertretbarer Sachverhaltswürdigung hat das FG angenommen, dass auch das zeitliche Verhältnis zwischen den innerhalb und außerhalb des häuslichen Bereichs ausgeübten Tätigkeiten der Annahme des Mittelpunkts der betrieblichen Betätigung des Klägers im häuslichen Bereich nicht entgegengestanden habe. Es hat hierzu festgestellt, dass der auf den häuslichen Bereich entfallende Zeitanteil der gesamten betrieblichen Tätigkeiten des Klägers nach dessen glaubhafter Darlegung im Streitjahr bei ca. 75 v.H. gelegen habe. Bei einem derart hohen Zeitanteil der häuslichen Betätigung liegt dessen indizielle Bedeutung für die Bestimmung des ”Mittelpunkts” auf der Hand. Soweit das FG in diesem Zusammenhang allerdings gemeint hat, der zeitliche Anteil der häuslichen Tätigkeit müsse ”sicher über der vom Gesetzgeber für den begrenzten Betriebsausgabenabzug festgelegten 50 v.H.-Marke liegen (§ 4 Abs. 5 Nr. 6 b Satz 2 i.V.m. Satz 3 Halbsatz 1 EStG)”, kann sich der erkennende Senat dem aus den unter II. 3. b, Abs. 2 dargelegten Gründen nicht anschließen. Der Kläger verfügte nach den Feststellungen des FG im Streitjahr über keinen anderweitigen Arbeitsplatz. Der zeitliche Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers stellt in diesem Fall kein ausschließendes Kriterium dar (vgl. auch BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 688 unter II. 1. c, aa und bb und 2. der Gründe).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 917
BFH/NV 2003 S. 917 Nr. 7
PAAAA-69670