Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wegen einer Betäubungsmittelstraftat: Anforderungen an die tatrichterliche Feststellung eines Hangs zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln
Gesetze: § 27 StGB, § 64 StGB, § 246a Abs 1 S 2 StPO, § 261 StPO, § 267 StPO, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG
Instanzenzug: LG Kleve Az: 223 KLs 19/17
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt; zudem hat es die Verwaltungsbehörde angewiesen, "dem Angeklagten vor Ablauf von 12 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen und ihm vor Ablauf dieser Zeit das Recht von einer ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen wieder zu erteilen". Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs weist das Urteil keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Trotz der zweifelhaften Bewertung von MDMA als "harte Droge" (vgl. , juris Rn. 2; zum Meinungsstand Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl., Vorbem. zu §§ 29 ff. Rn. 213 mwN; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 1 Rn. 364 mwN) hat der Strafausspruch Bestand, da die verhängte Rechtsfolge jedenfalls angemessen ist (§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO). Auch die Überprüfung der Entscheidung zur Maßregel nach § 69a Abs. 1 Satz 1, § 69b Abs. 1 Satz 3, § 69 Abs. 1 StGB hat keinen Rechtsfehler ergeben; der Senat hat jedoch den Ausspruch über die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis wegen eines offensichtlichen Schreibversehens des Landgerichts neu gefasst und um das Wort "nicht" ergänzt.
32. Die Entscheidung des Landgerichts, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB abzusehen, begegnet hingegen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
4a) Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der Angeklagte "nach seinen Angaben" zunächst gelegentlich und seit dem Verlust seines Arbeitsplatzes vor etwa eineinhalb Jahren zunehmend Kokain, gelegentlich auch Heroin und vermehrt Alkohol, ohne dass es "zu einer verfestigten Regelmäßigkeit gekommen sei". In finanziell bedrängter Lage nutzte er seine Kontakte in die Betäubungsmittelszene, um sich als Kurier an einem größeren Betäubungsmittelgeschäft zu beteiligen. Nachdem er am Morgen des Tattages Heroin, Kokain und Alkohol "in den für ihn üblichen Bereichen" konsumiert hatte, transportierte er am Nachmittag - unter dem Einfluss der Rauschmittel, indes ohne erhebliche Beeinträchtigung seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit - im Kofferraum seines PKW 1.703,5 g einer MDMA-Zubereitung mit einem Wirkstoffanteil von 369 g MDMA-Base und 1.924,75 g Haschisch mit einem Wirkstoffanteil von ca. 273 g THC aus den Niederlanden über die Grenze in das Bundesgebiet, wo die Drogen gewinnbringend verkauft werden sollten. Über eine zum Führen des Kraftfahrzeugs erforderliche Fahrerlaubnis verfügte der Angeklagte nicht. Nach seiner Inhaftierung stellte er "nach eigenen Angaben" den Konsum von Rauschmitteln ein; ernsthafte Entzugserscheinungen habe er nicht gehabt.
5Die Strafkammer hat - ohne einen Sachverständigen beizuziehen - einen Hang des Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln verneint und hierzu ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der "weitgehend vage gebliebenen Angaben des Angeklagten" dazu nicht mehr als eine bloße Neigung zum Betäubungsmittel- und Alkoholkonsum erkennbar sei.
6b) Zu dem Konsumverhalten des Angeklagten fehlt es bereits an hinreichenden Feststellungen. Die Ausführungen des Landgerichts lassen zudem besorgen, dass es seiner Entscheidung ein fehlerhaftes Verständnis des Begriffs "Hang" im Sinne des § 64 StGB zugrunde gelegt hat.
7aa) Hinsichtlich des Rauschmittelkonsums des Angeklagten sind die Feststellungen lückenhaft, weil das Urteil insoweit lediglich mitteilt, wie sich der Angeklagte dazu eingelassen hat; es fehlt indes an einer Darlegung, von welchem Ausmaß des Konsums sich die Strafkammer überzeugt hat. Auch im Rahmen der Begründung der Maßregelentscheidung verweist die Strafkammer nur auf die weitgehend vage gebliebenen Angaben des Angeklagten und darauf, dass er diese auf Nachfrage nicht habe ergänzen wollen, ohne hinreichende eigene Feststellungen zu treffen.
8bb) Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 587/16, juris Rn. 9; vom - 1 StR 415/15, juris Rn. 7; Urteile vom - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210; vom - 3 StR 386/13, juris Rn. 10). Wenngleich erheblichen Beeinträchtigungen der Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen und in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hangs aus (BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113, 114; vom - 3 StR 103/15, juris Rn. 6; vom - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198, 199). Auch stehen das Fehlen ausgeprägter Entzugssyndrome sowie Intervalle der Abstinenz der Annahme eines Hangs nicht entgegen (BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 87/12, NStZ-RR 2012, 271; vom - 3 StR 88/10, NStZ-RR 2010, 216). Er setzt auch nicht voraus, dass die Rauschmittelgewöhnung auf täglichen oder häufig wiederholten Genuss zurückgeht; vielmehr kann es genügen, wenn der Täter von Zeit zu Zeit oder bei passender Gelegenheit seiner Neigung zum Rauschmittelkonsum folgt (, NStZ-RR 2009, 137).
9Eine die aufgezeigten rechtlichen Maßstäbe in den Blick nehmende Gesamtwürdigung lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Zudem lässt die Erwägung, bei dem Angeklagten sei (aufgrund seiner Angaben) nicht mehr als eine "bloße Neigung zum Betäubungsmittel- und Alkoholmissbrauch" erkennbar geworden, besorgen, dass die Strafkammer rechtsirrig die nach der mitgeteilten Einlassung des Angeklagten naheliegende eingewurzelte Neigung, immer wieder harte Drogen (Kokain und Heroin) sowie Alkohol zu konsumieren, als nicht ausreichend erachtet hat. Dieser hat (unwiderlegt) angegeben, seit längerer Zeit und seit eineinhalb Jahren zunehmend Rauschmittel konsumiert zu haben, und stand - positiv festgestellt - auch zum Tatzeitpunkt "in den für ihn üblichen Bereichen" unter dem Einfluss von Kokain, Heroin und Alkohol. Angesichts dieses Konsumverhaltens erscheint der Angeklagte ersichtlich sozial gefährdet und - wie das Fahren unter Einfluss von Rauschmitteln und die Kuriertätigkeit zeigen - gefährlich. Demgegenüber kommt dem vom Landgericht hervorgehobenen Fehlen ernsthafter Probleme oder Entzugserscheinungen in der Untersuchungshaft nur eingeschränkte Aussagekraft zu; soweit auf die Abstinenz des Angeklagten nach der Inhaftierung abgestellt wird, ist überdies nicht ersichtlich, dass diese als vom Angeklagten ausgehend zu werten ist und der Annahme eines Hangs entgegensteht.
10c) Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil im Hinblick auf die unterbliebene Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt. Angesichts dessen, dass der Angeklagte sich in finanziellen Schwierigkeiten befand, ist es wahrscheinlich, dass er die Taten jedenfalls auch begangen hat, um den mitgeteilten Eigenkonsum befriedigen zu können; der erforderliche symptomatische Zusammenhang liegt daher nahe. Die Begehung weiterer Betäubungsmitteldelikte ist nach dem geschilderten Konsumverhalten des Angeklagten nicht ausgeschlossen. Gleiches gilt bezüglich einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Maßregel für den bisher nicht therapierten Angeklagten.
113. In der neuen Verhandlung wird die Vernehmung eines Sachverständigen erforderlich sein (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:200218B3STR645.17.0
Fundstelle(n):
DAAAG-84229