Vertragsauslegung - Verweisung auf Tarifvertrag
Gesetze: § 611 BGB
Instanzenzug: Az: 2 Ca 2452/13 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 3 Sa 566/14 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Anwendung des Gehaltstarifvertrags für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen (GTV) auf ihr Arbeitsverhältnis sowie daraus resultierende Entgeltdifferenzansprüche für den Zeitraum von Mai bis Oktober 2013.
2Die Klägerin ist bei der Beklagten, die Möbelhäuser betreibt, aufgrund eines Arbeitsvertrags vom zunächst als Verkäuferin und zuletzt als Schauwerbegestalterin beschäftigt. Dieser lautet auszugsweise wie folgt (die unterstrichenen Passagen sind handschriftlich in das Formular eingefügt):
3Der im April 1999 geltende Tariflohn der Gehaltsgruppe I (6. Bj.) des zwischen dem Einzelhandelsverband Nordrhein-Westfalen e.V. einerseits sowie den Gewerkschaften HBV und DAG andererseits vereinbarten GTV betrug, wie bereits seit dem , monatlich 3.349,00 DM brutto.
4Die Beklagte ist Mitglied des Einzelhandelsverbandes Ostwestfalen-Lippe e.V., der wiederum Mitglied im Einzelhandelsverband Nordrhein-Westfalen e.V. ist. Sie war zunächst Mitglied mit Tarifgebundenheit. Auf ihren Antrag hin führt sie der Verband seit dem als Mitglied ohne Tarifgebundenheit („OT-Mitglied“). Die Verbandssatzung sieht eine derartige OT-Mitgliedschaft vor.
5Bis zum Wechsel in die OT-Mitgliedschaft wurde das Gehalt der Klägerin regelmäßig entsprechend den Tarifabschlüssen im Einzelhandel Nordrhein-Westfalen erhöht. Der zu dieser Zeit gültige GTV war zum gekündigt.
6Im März 2005 schlossen die Parteien eine „Vereinbarung zur Änderung des Arbeitsvertrages“, die auszugsweise wie folgt lautet:
7Jedenfalls nach Abschluss dieser Vereinbarung gab die Beklagte Tariflohnerhöhungen im Einzelhandel Nordrhein-Westfalen nicht mehr an die Klägerin weiter.
8Bis zum Abschluss dieses Änderungsvertrags hatte die Klägerin gemäß der im einschlägigen Manteltarifvertrag genannten Arbeitszeit regelmäßig 37,5 Stunden pro Woche gearbeitet. Sodann führten die Parteien einen Arbeitsrechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Münster (- 4 Ca 1026/10 -), bei dem es im Wesentlichen darum ging, ob es sich bei der Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 auf 40 Stunden um eine Arbeitszeiterhöhung mit oder ohne Lohnausgleich handelte. Dabei kam es zu einem rechtskräftigen in dem das Zustandekommen eines Vergleichs festgestellt wurde, nach dem sich die Beklagte zur Zahlung eines bestimmten Betrags für Mehrarbeit im Zeitraum von Oktober 2006 bis Mai 2010 sowie zur - rückwirkenden - Gewährung von Urlaubstagen ab 2006 verpflichtete. Ferner waren sich die Parteien darüber einig, dass die Klägerin ab dem wöchentlich 37,5 Arbeitsstunden erbringt. Mehrarbeitsentgeltansprüche für den Zeitraum von Oktober 2005 bis September 2006 sowie Urlaubsansprüche für das Jahr 2005 sollten vom Vergleich ausdrücklich ausgenommen sein. Sie waren jedoch später Gegenstand eines Vergleichs vom , mit dem das arbeitsgerichtliche Verfahren endgültig beendet wurde. Fragen der Vergütungshöhe thematisierte die Klägerin in diesem Rechtsstreit nicht.
9Mit Schreiben vom verlangte die Klägerin vergeblich die Zahlung von Entgeltdifferenzen für die Monate Mai bis Oktober 2013 zwischen der ihr gezahlten Vergütung und den Beträgen aus der Gehaltsgruppe I (6. Bj.) des zu dieser Zeit geltenden Gehaltstarifvertrags.
10Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, aufgrund der nach ihrer Auffassung zeitdynamischen Verweisungsklausel in § 1 Nr. 3 des Arbeitsvertrags sei der GTV in seiner jeweiligen Fassung auf ihr Arbeitsverhältnis anzuwenden. Diese Klausel sei im Änderungsvertrag vom März 2005 erneut vereinbart worden, weshalb sie nicht mehr als Gleichstellungsabrede ausgelegt werden könne. Eine nachfolgende, von § 1 Nr. 3 des Arbeitsvertrags abweichende Gehaltsvereinbarung habe es nicht gegeben.
11Die Klägerin hat beantragt,
12Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags die Auffassung vertreten, schon der Arbeitsvertrag verweise hinsichtlich der Entgelthöhe nicht auf die Tarifverträge des Einzelhandels. Es sei vielmehr unter § 4 Nr. 2 des Arbeitsvertrags ausdrücklich ein konkretes Monatsgehalt vereinbart worden. Jedenfalls liege eine Gleichstellungsabrede vor, die auch nicht geändert worden sei. Mit der Änderungsvereinbarung aus März 2005 sei die Klausel in § 1 Nr. 3 des Arbeitsvertrags nicht neu abgeschlossen worden. Mit dem Einleitungssatz hinsichtlich der Weitergeltung von in der Änderungsvereinbarung nicht aufgeführten Regelungsgegenständen habe erkennbar nur erreicht werden sollen, keine redaktionell ganz neu verfassten Arbeitsverträge aufzusetzen. Zudem sei zu diesem Zeitpunkt erkennbar klar gewesen, dass sie sich von den tarifvertraglichen Regelungen zumindest hinsichtlich der Hauptleistungspflichten - wozu neben der ausdrücklich geänderten Arbeitszeit auch das Entgelt gehöre - habe lösen wollen. Im Übrigen sei mit dem Vergleich vom eine wirksame Vereinbarung über die Vergütung dahingehend getroffen worden, dass dies unverändert bleiben sollte. Letztlich seien Ansprüche der Klägerin aufgrund der jahrelang unterbliebenen Geltendmachung und der insoweit anstandslosen Weiterarbeit zumindest verwirkt.
13Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter. Der dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetretene Nebenintervenient hat die von ihm zunächst eingelegte Revision zurückgenommen.
Gründe
14Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage auf Zahlung der Differenzentgeltansprüche in der Sache zu Recht stattgegeben.
15I. Der Klägerin stehen Differenzentgeltansprüche in Höhe von 1.449,00 Euro brutto aus dem Arbeitsvertrag iVm. § 611 BGB zu. Das haben die Vorinstanzen rechtsfehlerfrei erkannt.
16Der Arbeitsvertrag vom enthält auch hinsichtlich der Vergütung eine Inbezugnahme auf die jeweiligen (Gehalts-)Tarifverträge des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen (1). Die Bezugnahme ist trotz des Endes der im Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses bestehenden Tarifgebundenheit der Beklagten wegen der vertraglichen Änderungsvereinbarung aus März 2005 weiterhin zeitdynamisch ausgestaltet (2). Eine weitere wirksame Einigung der Parteien über den Wegfall der Dynamik der Verweisung liegt nicht vor (3). Da schließlich keine Verwirkung eingetreten ist (4), hat die Klägerin Anspruch auf das begehrte Differenzentgelt für die Monate Mai bis Oktober 2013 nebst Zinsen (5).
171. Mit dem Arbeitsvertrag vom haben die Parteien den GTV in seiner jeweiligen Fassung vertraglich in Bezug genommen. Die Verweisungsklausel umfasst auch die tariflichen Regelungen zur Lohnhöhe. Das ergibt die Auslegung des Vertrags. Dies hat der Senat in einem von zahlreichen Parallelverfahren für einen nahezu wortgleichen Arbeitsvertrag angenommen und ausführlich begründet ( - Rn. 21 bis 31). Dieses Urteil ist in der Revisionsverhandlung mit den Parteien erörtert worden. Der Senat hat danach trotz erneuter Überprüfung keinen Anlass, von seiner Auffassung Abstand zu nehmen.
182. Die vertragliche Änderungsvereinbarung der Parteien vom hat dazu geführt, dass die Bezugnahme auf den GTV weiterhin dynamisch ausgestaltet ist. Mit dem Änderungsvertrag haben die Parteien noch vor Ablauf der damaligen Geltungsdauer des GTV die Bezugnahmeregelung aus § 1 Nr. 3 iVm. § 4 Nr. 2 des Arbeitsvertrags erneuert. Auch dies hat der Senat für eine wortgleiche Vereinbarung in dem oa. Parallelverfahren ausführlich begründet ( - Rn. 32 bis 40). Nach Erörterung auch dieses Gesichtspunktes in der Revisionsverhandlung hat der Senat trotz erneuter Überprüfung keinen Anlass gesehen, von seiner Auffassung Abstand zu nehmen.
193. Entgegen der Auffassung der Revision hat auch der zwischen den Parteien vereinbarte gerichtliche Vergleich vom iVm. dem Vergleich vom die vereinbarte Dynamik der Bezugnahme auf den GTV nicht beendet. Keine der Vereinbarungen enthält eine Regelung des künftigen Entgelts. Es wurde lediglich für vergangene Zeiträume eine Gehaltsnachzahlung - ausgehend von einem bestimmten Monatsentgelt - vereinbart. Diese rechnerische Ausgangsposition hat keine gestaltende Wirkung auf die objektive Rechtslage für zukünftige Zeiträume. Sie ist Bestandteil eines Vergleichs, in dem die Klägerin ua. für die Vergangenheit zusätzliche Urlaubstage erhielt. Die einzige zukunftsbezogene Regelung liegt in der Rückkehr zur 37,5-Stunden-Woche. Die Vergleiche dienen in vergütungsrechtlicher Hinsicht damit allein der Beseitigung des rechtlichen Streits, ob die Vereinbarung vom eine Arbeitszeiterhöhung mit oder ohne Lohnausgleich beinhaltet. Für die Frage der Vergütung in künftigen Zeiträumen haben die Vergleiche keine Bedeutung (so schon - Rn. 42 für einen nahezu identischen Vergleich in einem Parallelverfahren).
204. Die Ansprüche der Klägerin sind auch nicht verwirkt. Das Landesarbeitsgericht ist jedenfalls zutreffend davon ausgegangen - ohne dass die Revisionsangriffe eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten -, das im Rahmen einer Verwirkung nach Treu und Glauben neben dem Zeitmoment erforderliche Umstandsmoment liege nicht vor (vgl. dazu im Einzelnen - Rn. 44 bis 47).
215. Die Klage ist auch in der Höhe begründet. Der Klägerin steht die geltend gemachte Vergütungsdifferenz in Höhe von insgesamt 1.449,00 Euro brutto zu. Über die rechnerische Höhe besteht zwischen den Parteien ebenso wenig Streit wie über die Höhe und den Zeitraum des Zinsanspruchs.
22II. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos bleibt, § 97 Abs. 1 ZPO.
23Hinsichtlich der Kosten der Nebenintervention war allerdings das Berufungsurteil zu korrigieren. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts richtet sich die Entscheidung über die Kosten der Nebenintervention nicht nach § 100 ZPO, sondern nach § 101 ZPO. Danach sind diese in der Kostengrundentscheidung getrennt von den Kosten des Rechtsstreits auszuweisen, die allein zwischen den Hauptparteien zu verteilen sind (MüKoZPO/Schulz 5. Aufl. § 101 Rn. 4; Musielak/Voit/Flockenhaus ZPO 14. Aufl. § 101 Rn. 2 f., jeweils mwN). Eine fehlerhafte Kostenentscheidung des Berufungsgerichts ist vom Revisionsgericht auch ohne Antrag von Amts wegen zu korrigieren (vgl. nur - Rn. 63, BAGE 152, 240; - Rn. 21 mwN). Soweit die Kosten der Nebenintervention in der Revision betroffen sind, hat der Nebenintervenient diese nach der Rücknahme einer eigenen Revision analog zu § 269 Abs. 3 ZPO zu tragen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:251017.U.4AZR682.14.0
Fundstelle(n):
SAAAG-80232