Sexueller Missbrauch von Kindern: Tathandlung des Einwirkens durch entsprechende Reden
Gesetze: § 176 Abs 4 Nr 4 Alt 4 StGB
Instanzenzug: LG Rostock Az: 12 KLs 26/17 (2)
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Vergewaltigung, sexuellen Missbrauchs eines Kindes und Beleidigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
2Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, von der er die Nichtanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) - wirksam - ausgenommen hat, hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
31. Der Schuldspruch hält in den Fällen II. 5, II. 8 und II. 10 der Urteilsgründe rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Angeklagte ist insoweit freizusprechen.
4a) Das Landgericht hat festgestellt:
5aa) Der zur Tatzeit 65-jährige Angeklagte traf am auf offener Straße auf die ihm unbekannte 11-jährige K. und forderte das Kind auf, mit ihm zu kommen. Als das Mädchen dieser Aufforderung nicht nachkam, folgte er ihr und äußerte, dass er mit ihr spazieren gehen wolle, „weil er an ihre Muschi fassen wolle“. Auf diese einmalige Äußerung des Angeklagten rannte das Kind davon (Fall II. 5 der Urteilsgründe).
6bb) Am traf der Angeklagte an einem Wanderweg auf die ihm unbekannte 75-jährige R. . Ihr gegenüber äußerte der Angeklagte unvermittelt zweimal „Ich will Dich ficken“, woraufhin R. die Flucht ergriff (Fall II. 8 der Urteilsgründe).
7cc) Am traf der Angeklagte an einem anderen Wanderweg auf die ihm unbekannte 63-jährige W. . Der Angeklagte wandte sich der Spaziergängerin zu und äußerte einmalig „Ich will Deine Muschi lecken“ (Fall II. 10 der Urteilsgründe).
8b) Die Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 4 Var. 4 StGB im Fall II. 5 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, da die Feststellungen den Schuldspruch nicht tragen.
9Die Tathandlung nach § 176 Abs. 4 Nr. 4 Var. 4 StGB setzt voraus, dass der Täter durch „entsprechende Reden“ auf ein Kind „einwirkt“. Mit dem Merkmal „entsprechende Reden“ sind Äußerungen gemeint, die nach Art und Intensität pornographischem Material - insbesondere pornographischen Darstellungen - entsprechen (vgl. , BGHSt 29, 29, 30; Senat, Beschluss vom - 2 StR 657/90, NStZ 1991, 485). „Einwirken“ bedeutet dabei eine psychische Einflussnahme tiefergehender Art (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 657/90, aaO; , NStZ 2011, 455; Beschluss vom - 3 StR 490/14, BGHR StGB § 176 Abs. 4 Nr. 4 Einwirken 1). Bloß sexualbezogene oder grob sexuelle Äußerungen genügen ebenso wenig zur Tatbestandsverwirklichung des § 176 Abs. 4 Nr. 4 Var. 4 StGB wie kurze, oberflächliche Reden (vgl. , juris; Senat, Beschluss vom - 2 StR 657/90, aaO; LK/Hörnle, 12. Aufl., § 176 Rn. 99; MünchKomm-StGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 176 Rn. 51; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 29. Aufl., § 176 Rn. 17).
10Gemessen hieran erfüllt die einmalige Äußerung des Angeklagten gegenüber dem 11-jährigen Mädchen, „an ihre Muschi fassen“ zu wollen, nicht den Tatbestand des § 176 Abs. 4 Nr. 4 Var. 4 StGB. Zwar war die Äußerung gegenüber dem unbekannten Kind sexuell motiviert. Jedoch lag darin keine verbale Einwirkung, die nach Art und Intensität der Demonstration pornographischen Materials vergleichbar gewesen wäre. Der Angeklagte beschränkte sich auf eine kurze, einmalige Äußerung. Die dabei für das weibliche Geschlechtsorgan gewählte Bezeichnung „Muschi“ (vgl. zur Wortbedeutung Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Band 6, 3. Aufl., S. 2660: salopp für Vulva u.a.) entspricht einer Benennung, die unter Kindern und auch gegenüber Kindern weithin gebräuchlich ist, ohne per se als anstößig oder vulgär empfunden zu werden.
11c) Die Äußerung des Angeklagten gegenüber dem 11-jährigen Kind führt auch nicht zu einer Strafbarkeit wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB.
12aa) Die Strafvorschrift des § 185 StGB stellt die „Beleidigung“ unter Strafe, ohne das die Strafbarkeit begründende Verhalten näher zu umschreiben. Im Hinblick auf das Erfordernis der Tatbestandsbestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) bedarf die Vorschrift unter Bestimmung des zu schützenden Rechtsguts der näheren Konturierung (vgl. zu diesem Erfordernis bei § 185 StGB: Senat, Urteil vom - 2 StR 662/88, BGHSt 36, 145, 148 mwN; LK/Hilgendorf, aaO, Vor § 185 Rn. 2, 12; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 185 Rn. 2; zum Erfordernis und zum Umfang der Tatbestandsbestimmtheit im materiellen Strafrecht allgemein vgl. BVerfGE 45, 363, 370 f. mwN).
13Hiervon ausgehend ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass § 185 StGB Schutz vor Angriffen auf das Rechtsgut der Ehre gewährt. Ein Angriff auf die Ehre liegt vor, wenn der Täter einem anderen zu Unrecht Mängel nachsagt, die, wenn sie vorlägen, den Geltungswert des Betroffenen minderten. Eine „Nachrede“, die in einem herabsetzenden Werturteil oder einer ehrenrührigen Tatsachenbehauptung bestehen kann, verletzt den aus der Ehre fließenden Achtungsanspruch. Mit einer solchen „Nachrede“ wird die Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung kundgegeben, die den Tatbestand verwirklicht (vgl. Senat, Urteil vom - 2 StR 662/88, BGHSt 36, 145, 148 mwN; vgl. auch , BGHR StGB § 185 Ehrverletzung 4; LK/Hilgendorf, aaO, § 185 Rn. 1; MünchKomm-StGB/Regge/Pegel, aaO, § 185 Rn. 8; Fischer, aaO, § 185 Rn. 4).
14Im Zusammenhang mit der Vornahme sexuell motivierter Äußerungen liegt ein Angriff auf die Ehre nur vor, wenn der Täter zum Ausdruck bringt, der Betroffene weise insoweit einen seine Ehre mindernden Mangel auf. Eine ehrverletzende Kundgabe von Missachtung liegt regelmäßig nicht allein in der sexuell motivierten Äußerung des Täters. Denn allein die sexuelle Motivation des Täters, mit der er den Betroffenen unerwünscht und gegebenenfalls in einer ungehörigen, das Schamgefühl betreffenden Weise konfrontiert, genügt für die erforderliche, die Strafbarkeit begründende, herabsetzende Bewertung des Opfers nicht. Eine Herabsetzung des Betroffenen kann sich bei sexuell motivierten Äußerungen im Einzelfall nur durch das Hinzutreten besonderer Umstände unter Würdigung des Gesamttatgeschehens ergeben (vgl. , NStZ 1986, 453, 454; Senat, Urteil vom - 2 StR 662/88, BGHSt 36, 145, 150; , aaO; Senat, Beschluss vom - 2 StR 285/06, BGHR StGB § 185 Ehrverletzung 6; , NStZ-RR 2012, 206; vgl. zu den Anforderungen an die im Einzelfall vorliegenden besonderen Umstände auch LK/Hilgendorf, aaO, § 185 Rn. 30, 31; MünchKomm-StGB/Regge/Pegel, aaO, § 185 Rn. 13; Fischer, aaO, § 185 Rn. 11, 11a).
15bb) Gemessen hieran ergibt sich hier aus der sexuell motivierten Äußerung des Angeklagten nicht die für die Tatbestandsverwirklichung erforderliche herabsetzende Bewertung des Kindes. Der Angeklagte hat mit seiner einmaligen Äußerung nicht zum Ausdruck gebracht, das 11-jährige Mädchen sei mit einem entsprechenden, ihre Ehre mindernden Makel behaftet. Neben der kurzen, sexuell motivierten Äußerung, sind hier keine weiteren besonderen Tatumstände festgestellt, die auf eine von dem Angeklagten gewollte herabsetzende Bewertung des Kindes schließen lassen. Die Äußerung des Angeklagten stellt sich zwar als sexuell motiviert dar, weist jedoch für sich genommen noch keinen ehrverletzenden Charakter im Sinne des § 185 StGB auf.
16d) Aus den genannten Gründen können auch die Verurteilungen wegen Beleidigung in den Fällen II. 8 und II. 10 der Urteilsgründe keinen Bestand haben. Auch in diesen Fällen hat der Angeklagte die Betroffenen mit sexuell motivierten Äußerungen konfrontiert. In diesen flüchtigen Bemerkungen, die in keinem weiteren Handlungszusammenhang standen, ist eine herabsetzende Bewertung der Betroffenen mit ehrverletzendem Charakter im Sinne des § 185 StGB ebenfalls noch nicht zu erkennen.
17e) Der Senat schließt in den vorgenannten Fällen II. 5, II. 8 und II. 10 der Urteilsgründe aus, dass weitere Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung des Angeklagten zuließen. Im Fall II. 5 der Urteilsgründe gilt dies auch unter dem Gesichtspunkt eines versuchten sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1, Abs. 6 StGB. Denn die erkennbar vollständig getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen belegen nicht, dass der Angeklagte - selbst einen entsprechenden Tatentschluss unterstellt - bereits zur Vornahme einer sexuellen Handlung unmittelbar angesetzt hat (§ 22 StGB).
18Der Angeklagte ist demnach in den vorgenannten Fällen gemäß § 354 Abs. 1 StPO freizusprechen.
192. Soweit der Angeklagte im Fall II. 9 der Urteilsgründe wegen versuchter Vergewaltigung verurteilt wurde, ist der Schuldspruch zu ändern.
20a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt der Angeklagte am die ihm unbekannte 71-jährige Geschädigte gewaltsam fest, um mit ihr den Geschlechtsverkehr auszuüben. Er versuchte, ihre Hose zu öffnen und herunterzuziehen, wobei der Reißverschluss der Hose zerriss. Er griff sodann von hinten in ihre Hose und berührte sie im Schritt über der Unterhose. Da die Geschädigte um Hilfe rief, zwei Zeuginnen daraufhin herbeiliefen und den Angeklagten anschrien, erkannte der Angeklagte, dass er sein Vorhaben nicht mehr beenden konnte. Er ließ von der Geschädigten ab und floh.
21Aufgrund dieser Feststellungen hat der Angeklagte nicht nur eine versuchte Vergewaltigung begangen, sondern auch eine vollendete sexuelle Nötigung und damit den Verbrechenstatbestand des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB erfüllt. Diese Tatvollendung muss im Schuldspruch zum Ausdruck kommen. Dass der Angeklagte gewaltsam den Geschlechtsverkehr ausüben wollte, dieses über die Vornahme der sexuellen Handlung hinausgehende Ziel jedoch nicht erreicht hat, berechtigt nicht dazu, die Tat nur als Versuch zu bezeichnen (vgl. , NStZ 1998, 510; Beschluss vom - 3 StR 425/02, BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 18). Hingegen ist im Schuldspruch neben dem vollendeten Grundtatbestand der sexuellen Nötigung für den Versuch der Verwirklichung des Regelbeispiels aus § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB kein Raum (vgl. , NStZ 1998, 510, 511; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 177 Rn. 11; Fischer, aaO, § 177 Rn. 163 mwN; a.A. SK-StGB/Wolters/Noltenius, 9. Aufl., § 177 Rn. 92). Der Schuldspruchänderung steht § 265 Abs. 1 StPO nicht entgegen, denn der Angeklagte hätte sich nicht anders als geschehen verteidigen können.
22b) Der Ausspruch über die insoweit verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten bleibt von der Schuldspruchänderung unberührt. Denn das Landgericht hat die verhängte Strafe rechtsfehlerfrei dem Strafrahmen des vollendeten Grundtatbestands des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB entnommen (vgl. , aaO).
233. Zutreffend hat das Landgericht hinsichtlich des weiteren Tatgeschehens vom (Fall II. 1/II. 2 der Urteilsgründe) angenommen, dass sich der Angeklagte in konkurrenzrechtlicher Hinsicht nur wegen eines Vergehens der Beleidigung schuldig gemacht hat. Gegen die festgesetzte Einzelgeldstrafe von 100 Tagessätzen ist revisionsrechtlich ebenfalls nichts zu erinnern.
24Allerdings führt die unterlassene Bestimmung und Festsetzung der Tagessatzhöhe bezüglich der verhängten Einzelgeldstrafe insoweit zur Zurückverweisung der Sache an den Tatrichter (vgl. , BGHSt 30, 93, 97; Beschluss vom - 1 StR 445/85, BGHSt 34, 90, 93; Senat, Beschluss vom - 2 StR 76/10). Einer Festsetzung der Tagessatzhöhe bedarf es auch dann, wenn die Einzelgeldstrafe - wie hier - gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 StGB in eine Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen wird, da die Bildung einer Gesamtstrafe notwendig den Bestand von wirksamen Einzelstrafen voraussetzt (vgl. , BGHSt 30, 93, 96; Senat, Beschluss vom - 2 StR 295/17, juris).
25Da sich das Landgericht nach den vorliegenden Urteilsgründen mit den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt der festzusetzenden Tagessatzhöhe (§ 40 Abs. 2 StGB) bisher nicht befasst hat, bedarf es insoweit nicht der Aufhebung von Feststellungen im Sinne von § 353 Abs. 2 StPO. Das neue Tatgericht wird hierzu erstmalig Feststellungen treffen können und müssen.
264. Der Ausspruch über die Gesamtstrafe unterfällt der Aufhebung, da er bereits aufgrund der teilweisen Freisprechung des Angeklagten keinen Bestand haben kann.
27Der Senat verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer, nachdem die Zuständigkeit der Jugendschutzkammer nicht mehr gegeben ist.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:021117B2STR415.17.0
Fundstelle(n):
QAAAG-80195