BGH Beschluss v. - IX ZR 2/18

Zivilrechtsstreit: Folgen des Versterbens eines sich selbst vertretenden Rechtsanwalts

Leitsatz

Verstirbt ein sich in einem Rechtsstreit selbst vertretender Rechtsanwalt, tritt eine Unterbrechung des Verfahrens auch dann ein, wenn für ihn ein allgemeiner Vertreter bestellt war, dessen Vertretungsbefugnis mit dem Tod des Rechtsanwalts endet.

Gesetze: § 78 Abs 4 ZPO, § 239 Abs 1 ZPO, § 244 Abs 1 ZPO, § 246 Abs 1 ZPO, § 53 BRAO

Instanzenzug: OLG Celle Az: 6 U 8/17vorgehend Az: 20 O 269/14

Gründe

I.

1Der klagende Rechtsanwalt nimmt die Beklagten auf Zahlung von Anwaltsvergütung in Anspruch. Im Wege der Widerklage verlangen die Beklagten von dem Kläger Schadensersatz wegen einer vermeintlichen anwaltlichen Fehlberatung. Das Berufungsgericht hat durch Urteil vom , das dem Kläger am zugestellt worden ist, der Klage teilweise stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.

2Die Rechtsanwaltskammer Braunschweig hat durch Bescheid vom Assessor     B.          für den Zeitraum vom 1. Juni bis einschließlich als Vertreter für den Kläger in seinen Geschäften als Rechtsanwalt bestellt. Der Kläger ist am verstorben; Erben sind nicht bekannt. Durch Bescheid vom hat die Rechtsanwaltskammer Braunschweig Rechtsanwalt     J.     für die Zeit bis zum zum Abwickler der Kanzlei des Klägers ernannt. Die Anordnung ist durch Bescheid vom bis zum verlängert worden.

3Der Senat hat den Beklagten durch Beschluss vom Prozesskostenhilfe zur Durchführung einer Nichtzulassungsbeschwerde gewährt, soweit ihr Widerklagebegehren abgewiesen worden ist. Die Beklagten, denen der Senatsbeschluss am zugestellt worden ist, haben am verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.

II.

4Der Rechtsstreit ist durch den Tod des Klägers am unterbrochen worden, weil er zu diesem Zeitpunkt nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war (§ 239 Abs. 1, § 246 Abs. 1 ZPO). Bei dieser Sachlage kann nicht über das Wiedereinsetzungsgesuch der Beklagten entschieden werden.

51. Im Falle des Todes einer Partei tritt gemäß § 239 Abs. 1 ZPO eine Unterbrechung des Verfahrens bis zur Aufnahme durch den Rechtsnachfolger ein. Dies gilt gemäß § 246 Abs. 1 ZPO nicht, wenn eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten stattfand.

62. Im Streitfall ist der Kläger verstorben. Eine Unterbrechung des Verfahrens ist eingetreten, weil es an einer Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten fehlt.

7a) Der Kläger durfte sich als zugelassener Rechtsanwalt in vorliegendem Rechtsstreit mit den Beklagten selbst vertreten (§ 78 Abs. 4 ZPO). Verstirbt ein klagender Rechtsanwalt, der sich selbst vertreten hat, wird das Verfahren entsprechend der Regel des § 239 Abs. 1 ZPO grundsätzlich unterbrochen. Die Bestimmung des § 246 Abs. 1 ZPO, wonach bei Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten der Tod der Partei nur auf Antrag zu einer Aussetzung führt, beruht auf der Erwägung, dass die Prozessvollmacht gemäß § 86 ZPO über den Tod des Mandanten hinaus fort gilt. Mangels Personenverschiedenheit von Mandant und Prozessbevollmächtigtem ist § 246 Abs. 1 ZPO im Fall des Versterbens eines sich selbst vertretenden Rechtsanwalts nicht einschlägig. Vielmehr gewinnt die Regelung des § 244 Abs. 1 ZPO Vorrang, wonach der Tod des Prozessbevollmächtigten das Verfahren unterbricht (, BGHZ 111, 104, 107; RG JW 1913, 876, 877; KG, NJW-RR 2008, 142, 143; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 246 Rn. 2a; MünchKomm-ZPO/Stackmann, 5. Aufl., § 246 Rn. 8; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 246 Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 4. Aufl., § 246 Rn. 3; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 14. Aufl., § 246 Rn. 2; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 38. Aufl., § 246 Rn. 3; Prütting/Gehrlein/Anders, ZPO, 9. Aufl., § 246 Rn. 5).

8b) Ausnahmsweise kommt es beim Tode eines sich selbst vertretenden Rechtsanwalts gemäß § 246 Abs. 1 ZPO nicht zu einer Unterbrechung des Verfahrens, wenn der Rechtsanwalt durch eine andere Person weiterhin wirksam vertreten wird (vgl. , BGHZ 66, 59, 61). Dies ist etwa beim Versterben des Mitglieds einer Rechtsanwaltssozietät anzunehmen, dessen verfahrensmäßigen Belange durch die weiteren vertretungsberechtigten Sozien wahrgenommen werden (BAG, NJW 1972, 1388 f). Gleiches wurde in der Vergangenheit angenommen, wenn für den Anwalt noch zu Lebzeiten ein allgemeiner Vertreter - wie im Streitfall Assessor B.         - bestellt worden war, dem gemäß § 53 Abs. 7 BRAO die vollen anwaltlichen Befugnisse des Rechtsanwalts zustehen, den er vertritt. Hier sollte eine Verfahrensunterbrechung nicht stattfinden, weil der Vertreter auch noch nach dem Tod des Anwalts bis zu dessen Löschung in der Liste der Rechtsanwälte gemäß § 54 BRAO aF zur Vertretung berechtigt war (, BGHZ 61, 84 ff; Beschluss vom - VIII ZR 315/80, NJW 1982, 2324 f; vom , aaO; KG, aaO S. 143). Verbreitet wird auch nach Wegfall des § 54 BRAO aF angenommen, dass eine Unterbrechung des Verfahrens nicht erfolgt, wenn ein allgemeiner Vertreter bestellt ist (Zöller/Althammer, aaO § 78 Rn. 37; Zöller/Greger, aaO § 246 Rn. 2a; Thomas/Putzo/Hüßtege, aaO; Prütting/Gehrlein/Anders, aaO § 244 Rn. 5, § 246 Rn. 5).

9c) Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden, weil nach Streichung des § 54 BRAO aF die Befugnisse eines allgemeinen Vertreters mit dem Tod des vertretenen Anwalts erlöschen und darum § 246 Abs. 1 ZPO nicht eingreift.

10aa) Tatsächlich endet die allgemeine Vertreterstellung in Anwendung von § 53 BRAO mit Ablauf eines etwaigen Bestellungszeitraums, mit Widerruf der Bestellung sowie mit dem Tod sowie mit dem Verlust der Postulationsbefugnis des vertretenen Anwalts (Prütting in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 53 Rn. 34; Feuerich/Weyland/Schwärzer, BRAO, 9. Aufl., § 53 Rn. 35b; Stein/Jonas/Jacoby, ZPO, 23. Aufl., § 86 Rn. 7; BT-Drucks. 16/11385, S. 37). Durch die Streichung des § 54 BRAO aF wurde der frühere Rechtszustand beseitigt, wonach Rechtshandlungen des Vertreters nach dem Tod des Vertretenen bis zu dessen Löschung aus der Liste der Rechtsanwälte wirksam waren (Prütting, aaO; Schwärzer, aaO; BT-Drucks., aaO S. 37; der Hinweis von Zöller/Althammer, aaO auf § 31 Abs. 5 BRAO hilft insoweit nicht weiter).

11bb) Im Streitfall war noch zu Lebzeiten des Klägers für diesen mit Assessor B.         ein allgemeiner Vertreter im Zeitraum bis zum eingesetzt worden. Dessen Vertretungsbefugnisse endeten jedoch mit dem Tod des Klägers am . Erst am wurde Rechtsanwalt J.     zum Abwickler der Kanzlei des Klägers mit - aufgrund späterer Verlängerung der Anordnung - Wirkung bis zum berufen. Da der Kläger im Zeitraum vom 11. bis nicht vertreten war, trat gemäß § 239 Abs. 1, § 246 Abs. 1 eine Unterbrechung des Verfahrens ein (vgl. BT-Drucks. 16/11385, S. 37; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 244 Rn. 9). Durch die nachfolgende Bestellung von Rechtsanwalt J.      als Abwickler wurde die eingetretene Unterbrechung weder rückwirkend beseitigt noch beendet (, VersR 1981, 658; OLG Köln, MDR 2008, 1300; Stein/Jonas/Roth, aaO; MünchKomm-ZPO/Stackmann, 5. Aufl., § 244 Rn. 20).

123. Ist der Rechtsstreit unterbrochen, kann über das Gesuch der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht entschieden werden. Infolge der Verfahrensunterbrechung kann offen bleiben, ob eine Fristversäumung überhaupt vorliegt.

13Während der Unterbrechung sind nicht nur die von einer Partei in Ansehung der Hauptsache vorgenommenen Prozesshandlungen der anderen Partei gegenüber ohne rechtliche Wirkung (§ 249 Abs. 2 ZPO). Der Regelung des § 249 ZPO ist vielmehr zu entnehmen, das auch Handlungen des Gerichts, die nach außen vorgenommen werden, grundsätzlich unwirksam sind (, BGHZ 111, 104, 107). Bei dieser Sachlage kann gegenwärtig über den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten nicht befunden werden. Im Unterschied zu Entscheidungen in der Hauptsache war der Senat durch die Verfahrensunterbrechung nicht gehindert, über das Gesuch der Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu entscheiden ( Ib ZR 103/64, NJW 1966, 1126).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:010318BIXZR2.18.0

Fundstelle(n):
DB 2018 S. 21 Nr. 14
NJW 2018 S. 9 Nr. 16
NJW-RR 2018 S. 567 Nr. 9
WM 2018 S. 2106 Nr. 44
PAAAG-79774