BGH Beschluss v. - 5 StR 432/17

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Voraussetzungen der Maßregelanordnung wegen Bedrohung

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 S 1 StGB, § 241 StGB, § 261 StPO

Instanzenzug: Az: 602 Js 36754/14 - 5 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagte freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich ihre auf die Sachrüge gestützte Revision, die in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg hat.

I.

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts trennte sich der Geschädigte im Sommer 2013 nach fast zehnjähriger wechselvoller Beziehung von der im Jahr 1968 geborenen Angeklagten. Grund waren ihre aus seiner Sicht überhandnehmenden psychischen Auffälligkeiten, die sich unter anderem in depressiven Phasen, zuletzt auch in Verfolgungsideen äußerten. Nach der Trennung belästigte die nicht vorbestrafte Angeklagte ihn durch eine Vielzahl von Telefonanrufen und Textnachrichten mit teilweise beleidigendem und bedrohendem Inhalt. Unter anderem drohte sie, ihn umzubringen und sein Haus anzuzünden. Der Geschädigte erwirkte deshalb wiederholt Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz gegen die Angeklagte, die sie aber nicht an weiteren Kontaktversuchen hinderten. Anlass der Unterbringung der Angeklagten sind folgende Einzeltaten:

3Am verursachte sie am Audi A8 des Geschädigten mit einer Vielzahl von Hammerschlägen einen Totalschaden (Tat 1).

4Am suchte sie gegen 23:50 Uhr den Bruder des Geschädigten und dessen Ehefrau auf. Ihnen sagte sie, dass sie Gerechtigkeit wolle, selbst wenn sie dafür jemanden aus der Familie „aufschlitzen“ müsse. Dies führte in der Familie zu großer Besorgnis auch um die Sicherheit und die körperliche Unversehrtheit der Kinder (Tat 2).

5Am beschmierte sie das Auto des Geschädigten mit Exkrementen sowie Erde und legte drei benutzte Tampons auf die Motorhaube (Tat 3).

6Am begab sie sich zur Arbeitsstätte des Geschädigten, schrie laut herum und trat drei Scheiben der Eingangstür des ihm gehörenden Hauses ein (Tat 4).

7Nachdem wegen dieser Tatvorwürfe am die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Bremen-Blumenthal begonnen hatte, suchte die Angeklagte am gegen 0:00 Uhr erneut die Arbeitsstätte des Geschädigten auf und schlug mit einem Hammer sechs Glaselemente der Hauseingangstür ein (Tat 5).

8Am suchte die Angeklagte abermals die Arbeitsstätte des Geschädigten auf und klopfte an der Tür, obwohl ihr dies durch untersagt war (Tat 6).

9Am stellte sich die Angeklagte vor das Auto des Geschädigten, so dass er nicht wegfahren konnte. Sie wollte mit ihm reden, obwohl ihr das durch den vorgenannten Beschluss untersagt war. Nachdem sie auf Handzeichen nicht reagiert hatte, sprach er mit ihr (Tat 7).

10Über diese Taten hinaus kam es zu weiteren Vorfällen, von deren Verfolgung gemäß § 154 StPO abgesehen wurde. Zwischenzeitlich war die Angeklagte wohnungslos, weil ihr wegen ihres den Hausfrieden störenden Verhaltens die Wohnung gekündigt worden war.

112. Die vom Amtsgericht beauftragte psychiatrische Sachverständige kam nach am erfolgter Exploration der Angeklagten zu dem Ergebnis, dass die Angeklagte unter einer „manischen Psychose mit psychotischen Symptomen“ leide. Ohne eine dringend notwendige medikamentöse Behandlung sei damit zu rechnen, dass sie angesichts ihres massiven Hasses und der zerstörerischen Wut auf den Geschädigten weitere Straftaten bis hin zu Gewalt- und Brandstiftungsdelikten begehen werde. Daraufhin erließ das Amtsgericht einen Unterbringungsbefehl nach § 126a StPO, der ab dem vollzogen wurde, und verwies das Verfahren an das Landgericht, da eine Unterbringung nach § 63 StGB in Betracht komme.

12In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht am stellte die Strafkammer im Einklang mit der Sachverständigen eine Verbesserung des psychischen Zustands der Angeklagten fest und hob den Unterbringungsbefehl auf. Zwar blieb die Sachverständige bei ihrer Diagnose, kam jedoch zu einer abweichenden Gefährlichkeitsprognose, da sich die Angeklagte im Rahmen der Therapie im Maßregelvollzug von ihrem ehemaligen Lebensgefährten „abgekoppelt“ habe.

13Nach der Entlassung aus der Unterbringung beobachtete die Strafkammer eine fortschreitende Verschlechterung des psychischen Zustands der Angeklagten, die zunehmend unruhig sowie getrieben wirkte und sich situationsunangemessen verhielt. Kurz vor Schluss der Beweisaufnahme kam es am zu einem erneuten Vorfall: Die Angeklagte wartete in ihrem Auto vor der Arbeitsstelle des Geschädigten. Als er erschien, formte sie mit ihrer erhobenen Hand eine Pistole und gestikulierte deren Abschuss.

143. Die Strafkammer ist sachverständig beraten zu der Überzeugung gelangt, dass die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten bei Begehung der Anlasstaten sicher vermindert, nicht ausschließbar aber aufgehoben gewesen sei. Die Angeklagte habe im Tatzeitraum an einer schweren manischen Episode mit psychotischen Symptomen (ICD-10: F 30.02) gelitten. Aufgrund ihrer histrionisch-narzisstischen Primärpersönlichkeit in Verbindung mit der psychotischen Manie habe sie auf die Zurückweisung durch ihren früheren Partner völlig unangemessen reagiert. Während ihre „exekutive Steuerungsfähigkeit“ im Sinne einer zielgerichteten Handlungsdurchführung noch gegeben gewesen sei, sei ihre „motivationale Steuerungsfähigkeit“, das Hemmungsvermögen gegen normwidrige Motive, im Tatzeitraum in Wellen immer wieder aufgehoben gewesen. Unter der Reizabschirmung im Rahmen der vorläufigen Unterbringung habe sie sich beruhigen können. Bei Berücksichtigung des Vorfalls vom sowie des Umstands, dass die Angeklagte selbst unter dem Druck der laufenden Hauptverhandlung eine solche Handlung vornehme, sei indes festzustellen, dass das Wahnthema doch immer noch aktuell sei. Bei massiver psychotischer Dynamik ohne Behandlung sei eine Steigerung der Schwere der von der Angeklagten zu erwartenden Straftaten zu prognostizieren. Es bestehe eine hohe Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Menschen in Form von wenigstens gefährlichen Körperverletzungen, aber auch von Brandstiftungsdelikten.

II.

15Die Maßregelentscheidung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

161. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei der Begehung der Anlasstat aufgrund eines länger dauernden psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (st. Rspr.; vgl. , NStZ-RR 2017, 203 f. mwN). Daneben ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades erforderlich, sie werde infolge ihres fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB in der am in Kraft getretenen Neufassung durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom , BGBl. I S. 1610).

172. Diesen Anforderungen wird die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht gerecht.

18a) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Anlasstaten - ungeachtet der Tatsache, dass sie den Alltag des Geschädigten erheblich beeinträchtigten und er in großer Sorge um seine Familie war - keine erheblichen Taten im Sinne des § 63 Satz 1 StGB darstellen. Diese Wertung hält sich im Rahmen ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Zwar sind danach Bedrohungen nicht von vornherein als unerhebliche Taten einzustufen. Namentlich Todesdrohungen, die den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen vermögen, können schwerwiegende Störungen des Rechtsfriedens verursachen. Schon im Hinblick auf das Gewicht der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus ist jedoch erforderlich, dass die Bedrohung in ihrer konkreten Ausgestaltung aus der Sicht des Betroffenen die naheliegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 153/08, StraFo 2008, 300 f.; vom - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202 f.; Urteil vom - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563). Hinreichende Feststellungen in dieser Richtung enthält das angefochtene Urteil indessen nicht.

19b) Unter diesen Vorzeichen darf - was das Landgericht nicht verkennt - nach § 63 Satz 2 StGB die Unterbringung nur angeordnet werden, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass die unterzubringende Person infolge ihres Zustandes (andere) rechtswidrige Taten begehen wird, die den in § 63 Satz 1 StGB bezeichneten Schweregrad erreichen. Hierfür hat das Landgericht zwar zu erwartende Gewalttaten in Form von wenigstens gefährlichen Körperverletzungen oder Brandstiftungen benannt. Hinreichende Anhaltspunkte für diese Erwartung sind jedoch nicht dargetan.

20Die in den Jahren 2013 bis 2015 begangenen Anlasstaten belegen nicht die angenommene Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Menschen. Soweit ersichtlich geht die Annahme drohender Körperverletzungen oder Brandstiftungen vor allem auf Äußerungen der Beschwerdeführerin im Jahre 2014 gegenüber dem Geschädigten bzw. der Familie seines Bruders zurück, die am Anfang der von der Beschwerdeführerin ausgehenden Belästigungen standen. Das Urteil setzt sich nicht damit auseinander, dass die Angeklagte in der Folgezeit, in der sie sich überwiegend in Freiheit befand, ungeachtet ihrer fortdauernden psychischen Erkrankung und trotz der wiederholten Nähe zum Geschädigten nichts unternahm, um ihre Drohungen in die Tat umzusetzen. Die Strafkammer hat auch nicht festgestellt, dass bei ihr eine latente Neigung zu Gewalttätigkeiten gegen Menschen zu erkennen gewesen wäre (vgl. , StV 2017, 580). Den Ausführungen des Landgerichts kann schließlich selbst in ihrem Gesamtzusammenhang nicht entnommen werden, dass die Angeklagte etwa in Verbindung mit den Gewaltdrohungen gegenüber dem Geschädigten und seiner Familie gefährliche Gegenstände bei sich geführt und damit ein erhebliches Druckpotential aufgebaut (vgl. , NStZ 2008, 563 f.; Beschluss vom - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 77) oder sich gedanklich mit näher spezifizierten Tötungsarten beschäftigt hätte (vgl. aaO). Für die Wahrscheinlichkeit der Begehung von Brandstiftungen fehlt ungeachtet der früheren Äußerung der Angeklagten jeglicher Anhalt.

21Dass die Angeklagte den Geschädigten kurze Zeit nach ihrer Freilassung während laufender Hauptverhandlung mit einem Pistolenhandzeichen bedroht hat, mag zwar - wie von der Strafkammer im Einklang mit der Sachverständigen angenommen - einen hohen Handlungsdruck aufgrund einer Verschlechterung ihres seelischen Zustands belegen. Diese Handlung lässt aber wiederum keine qualitative Steigerung des bisherigen deliktischen Verlaufs erkennen. Sie ist überdies in die besondere Situation der Hauptverhandlung einzuordnen, in der die Angeklagte mit dem Geschädigten und ihrer Beziehung zu ihm konfrontiert wurde. Auch nach dem neuen Vorfall bleibt offen, weshalb mit einer Umsetzung der Gewaltdrohungen konkret zu rechnen ist. Die Gefahr einer Steigerung des Krankheitsverlaufs und der hierauf zurückzuführenden Straftaten wird nicht dargelegt. Es bedürfte einer nachvollziehbaren Erklärung dafür, weshalb die Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre - soweit ersichtlich - bislang (noch) intakte innere Hemmschwelle zur körperlichen Gewalttätigkeit gegen Personen mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades überschreiten wird. Einer solchen ermangelt es.

223. Der Senat schließt nicht aus, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die - etwa unter dem Aspekt schwerwiegender Bedrohung im oben genannten Sinn - die Voraussetzungen des § 63 Satz 1 StGB erfüllen. Über die Anordnung der Maßregel ist deshalb erneut zu entscheiden.

23Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hebt der Senat auch den Freispruch der Angeklagten auf. Er schließt nicht aus, dass die neue tatgerichtliche Verhandlung und die erneute Begutachtung der Angeklagten - womöglich durch einen anderen Sachverständigen -, die auch eine aktuelle Exploration erfordern wird, eine abweichende Beurteilung ihrer Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten ergeben wird, zumal die aus den im Urteil wiedergegebenen Darlegungen der Sachverständigen die Inhalte des die Angeklagte treibenden Wahns nur umrisshaft deutlich werden lassen und sich gegebenenfalls Zweifel ergeben könnten, ob diese nicht bereits die Unrechtseinsicht aufgehoben haben (vgl. ).

24Die Aufhebung (auch) des Freispruchs entspricht im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers, durch die Regelung des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO zu vermeiden, dass nach einer erfolgreichen Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB die Tat ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass er bei Begehung der Tat schuldfähig war (BT-Drucks. 16/1344, S. 17). Das neue Tatgericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung der isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 349/13, NStZ-RR 2014, 89; vom - 3 StR 211/16).

254. Von der Aufhebung nicht betroffen sind die rechtsfehlerfreien Feststellungen zu den objektiven Tatgeschehen. Vom neuen Tatgericht gegebenenfalls ergänzend getroffene Feststellungen dürfen den bisherigen nicht widersprechen. Mit der Aufhebung des Urteils ist die Kostenbeschwerde der Angeklagten gegenstandslos.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:121217B5STR432.17.0

Fundstelle(n):
OAAAG-78156