Revision in Strafsachen: Revisionsbegründungsfrist bei mehrfacher Verteidigung
Gesetze: § 345 StPO
Instanzenzug: LG Essen Az: 27 KLs 46/15
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
21. Die Nachprüfung des Urteils auf die von der damaligen Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin K. , rechtzeitig und vom jetzigen Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt Dr. P. , bereits bei ebenfalls rechtzeitiger Einlegung der Revision erhobene allgemeine Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
32. Die Revisionsbegründung von Rechtsanwalt Dr. P. vom , in welcher erstmals ein Verfahrensverstoß geltend gemacht wurde, ist verspätet.
4Bei mehrfacher Verteidigung genügt grundsätzlich die förmliche Zustellung des Urteils an einen der Verteidiger; hierdurch beginnt für alle Verteidiger die Revisionsbegründungsfrist (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 2058/00, NJW 2001, 2532, und vom - 2 BvR 1004/13 [juris Rn. 7]; BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 288/12; vom - 1 StR 436/08 und vom - 4 StR 329/97, NStZ-RR 1997, 364, jeweils mwN). Wird das Urteil mehreren Empfangsberechtigten (förmlich) zugestellt, beginnt die Revisionsbegründungsfrist zwar grundsätzlich nicht vor dem Zeitpunkt, zu dem eine wirksame Zustellung an den letzten Zustellungsempfänger vollzogen wurde ( [juris Rn. 23] mwN). Ist aber die Revisionsbegründungsfrist aufgrund der ersten Zustellung(en) bei einer der weiteren Zustellungen bereits abgelaufen, wird durch diese keine neue Frist in Gang gesetzt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 21/15, NStZ 2015, 540 und vom - 1 StR 238/12, wistra 2012, 435, 436, jeweils mwN).
5So lag der Fall hier. Das angefochtene Urteil wurde der damaligen Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin K. , am zugestellt. Die Revisionsbegründungsfrist lief mithin am (der war ein Samstag) ab. Durch die vom Vorsitzenden am verfügte erneute Zustellung des Urteils an Rechtsanwalt Dr. P. konnte trotz des Zusatzes „Die Zustellung erfolgt zur Ingangsetzung der Revisionsbegründungsfrist“ die Revisionsbegründungsfrist nicht erneut in Gang gesetzt werden.
63. Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen zur Anbringung der in der Revisionsbegründung vom erhobenen Verfahrensrüge der verspäteten Urteilsabsetzung (§ 275 Abs. 1 Satz 2 StPO) kommt entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht in Betracht. Die Revision des Angeklagten ist mit der allgemeinen Sachrüge form- und fristgerecht begründet worden (vgl. , BGHSt 1, 44, 46). Nur bei besonderen Verfahrenslagen, in denen es zur Wahrung des Anspruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unerlässlich erscheint, kommen Ausnahmen von diesem Grundsatz in Betracht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 301/12, NStZ-RR 2012, 316; vom - 3 StR 239/08, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 14; vom - 5 StR 162/93, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8, jeweils mwN). Eine solche Ausnahmekonstellation liegt hier nicht vor. Aus den Akten ist nichts dafür ersichtlich, dass der Angeklagte auf eine (weitere) rechtzeitige Revisionsbegründung durch Rechtsanwalt Dr. P. vertraut hat. Der seinerzeit als Wahlverteidiger neben der Pflichtverteidigerin tätige Rechtsanwalt Dr. P. konnte nicht davon ausgehen, dass ihm das Urteil zwecks Ingangsetzung der Revisionsbegründung zugestellt (werden) würde, zumal ihm die mit einem entsprechenden Vermerk vom Vorsitzenden angeordnete erste Urteilszustellung nach seinen Angaben nicht zugegangen ist. Jedenfalls aber hatte Rechtsanwalt Dr. P. am Akteneinsicht und konnte erkennen, dass die Urteilszustellung an die Pflichtverteidigerin erfolgt und die Revisionsbegründungsfrist daher abgelaufen war. Aus den Akten ist mithin nicht zu entnehmen, dass die erst am bei Gericht eingegangene Revisionsbegründung innerhalb der Frist des § 45 Abs. 1 StPO nachgeholt worden ist.
74. Die Verfahrensrüge ist im Übrigen schon deshalb nicht in ordnungsgemäßer Form erhoben worden (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil die Revision nicht mitteilt, dass das Urteil einen Eingangsstempel vom trägt, also am letzten Tag der Urteilsabsetzungsfrist mit den Unterschriften der Richter auf der Geschäftsstelle eingegangen ist. Aus diesem Grunde wäre die Rüge auch unbegründet. Anhaltspunkte für eine Manipulation sind, wie sich auch aus den dienstlichen Erklärungen des Vorsitzenden und der Geschäftsstellenbeamtin ergibt, nicht ersichtlich.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:120917B4STR233.17.0
Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 880 Nr. 12
SAAAG-72534