BGH Beschluss v. - 2 StR 102/17

Serienbetrug: Anforderungen an die Feststellung von Tateinheit und Tatmehrheit; Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit

Gesetze: § 25 Abs 2 StGB, § 52 Abs 1 StGB, § 53 StGB, § 263 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Aachen Az: 65 KLs 6/16

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten G.   D.   wegen Betrugs in 24 Fällen und „wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit dem vorsätzlichen Besitz von Munition“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt; den Angeklagten J.   D.    hat es wegen Betrugs in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es den nicht revidierenden Mitangeklagten    M.    wegen Betruges in 12 Fällen, wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt.

2Die hiergegen gerichteten und auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten G.   und J.   D.   haben den aus dem Tenor dieses Beschlusses ersichtlichen Teilerfolg und führen zur Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen zwei bis acht sowie zehn bis 24 der Urteilsgründe; die Urteilsaufhebung in den Fällen zwei bis acht der Urteilsgründe, an denen der nicht revidierende Mitangeklagte M.   beteiligt war, war gemäß § 357 Satz 1 StPO auf diesen zu erstrecken. Im Übrigen sind die Rechtsmittel der Angeklagten unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

31. Die tatrichterliche Annahme, dass die Taten zwei bis acht und zehn bis 24 der Urteilsgründe jeweils im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB) zueinander stehen, ist nicht tragfähig belegt.

4Insoweit hat der Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften zutreffend ausgeführt:

„In den Fällen 2 bis 8 und 10 bis 24 kann die Verurteilung [...] keinen Bestand haben. Die Urteilsgründe lassen eine Nachprüfung der von der Strafkammer angenommenen tatmehrheitlichen Begehung dieser Taten nicht zu. Die hierzu getroffenen Feststellungen sind lückenhaft.

1. Das Landgericht hat - insoweit rechtsfehlerfrei - die Verwirklichung des Betrugstatbestands jeweils darin gesehen, dass entweder als Scheinhalter vorgesehene Personen oder zwischengeschaltete „Vermittler“ vor der Zulassung von Fahrzeugen telefonisch oder durch persönliche Vorsprache bei einem Versicherungsmakler die Zusage vorläufigen Versicherungsschutzes sowie die Übermittlung einer elektronischen Versicherungsbestätigungsnummer herbeiführten und dabei wahrheitswidrig die Bereitschaft zur Zahlung der anfallenden Versicherungsprämie vorspiegelten (UA S. 11-14, 43 f., 46). Nähere Einzelheiten zum tatbestandsmäßigen Verhalten der unmittelbar handelnden Personen - insbesondere zum Zeitpunkt der Kontakte mit den Versicherungen - hat das Landgericht nicht festgestellt. Dies wäre indes im Hinblick darauf erforderlich gewesen, dass die Zulassungen der Fahrzeuge in den Fällen 2 und 8, 3 und 6, 4 und 7, 13 und 15, 14 und 16, 21 und 22 sowie 23 und 24 jeweils am selben Tag erfolgten und hinsichtlich der Person des Scheinhalters und des die vorläufige Deckung zusagenden Versicherungsunternehmens übereinstimmen (vgl. UA S. 15 f., 18, 20). Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass die jeweiligen Deckungszusagen im Rahmen derselben - telefonischen oder persönlichen - Kontaktaufnahme mit der betroffenen Versicherung eingeholt wurden. Unter dieser Voraussetzung kommt - wie die Kammer nicht erkennbar bedacht hat - die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit und damit jeweils nur einer Tat im Rechtssinne in Betracht (vgl. , BeckRS 2014, 19394; , NStZ-RR 2016, 281).

2. Unabhängig davon hat das Landgericht auch nicht erkennbar bedacht, dass bei einer Deliktserie für jeden Beteiligten gesondert zu prüfen ist, ob die einzelnen Straftaten in seiner Person tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen. Leistet ein Beteiligter für alle oder einige Einzeltaten einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten - soweit nicht natürliche Handlungseinheit vorliegt - als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Erbringt er dagegen im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktserie Tatbeiträge, durch die mehrere Einzeldelikte anderer Beteiligter gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm diese als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob die anderen Beteiligten die einzelnen Delikte nach obigen Grundsätzen ihrerseits gegebenenfalls tatmehrheitlich begangen haben, ist demgegenüber ohne Bedeutung (st. Rspr., , NStZ-RR 2003, 265; , BGHSt 49, 177-189 (182 f.). Danach träfe die Annahme des Landgerichts, die Zahl der selbständigen Einzeltaten des Angeklagten entspreche der Anzahl der von den unmittelbar tatausführenden Tätern begangenen Betrugstaten, nur unter der Voraussetzung zu, dass er hinsichtlich jedes Betruges einen (allein) diesen fördernden Beitrag geleistet hat. Hierzu verhält sich das Urteil jedoch nicht abschließend; insbesondere hat die Strafkammer nicht festgestellt, dass den Scheinhaltern bzw. den Vermittlern, die jeweils in engem zeitlichem Zusammenhang mehrere Fahrzeuge versichert und zugelassen haben, zu jeder Einzeltat ein gesonderter Auftrag erteilt wurde.

3. Diese Umstände zwingen zur Aufhebung der Schuldsprüche in den bezeichneten Fällen. [...]“

5Diesen Ausführungen tritt der Senat bei.

62. Die Urteilsaufhebung war in den Fällen zwei bis acht der Urteilsgründe auf den an diesen Taten beteiligten, nicht revidierenden Mitangeklagten M.    zu erstrecken (§ 357 Satz 1 StPO; vgl. , NStZ-RR 2013, 387).

73. Die Urteilsaufhebung führt hinsichtlich aller drei Angeklagten zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.

84. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:261017B2STR102.17.0

Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 10 Nr. 3
EAAAG-71425