BFH Beschluss v. - VII B 59/02

Gründe

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hatte am bei der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Oberfinanzdirektion —OFD—) die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) über ”Kettenglieder für Stetigförderer” unter Einreihung in die Unterpos. 8431 39 90 der Kombinierten Nomenklatur —KN— (Teile, erkennbar ausschließlich oder hauptsächlich für Stetigförderer der Pos. 8428 KN bestimmt) beantragt. Bei den Waren handelt es sich um geschmiedete Gelenkkettenglieder aus Stahl in ”Gabelform”, die an den Enden zur Aufnahme von Gelenkbolzen quer durchbohrt sind. Die Kettenglieder werden teilweise anbearbeitet (nur Fräsung des Passes) und teilweise fertig bearbeitet aus dem Drittland eingeführt. Die fertig bearbeiteten Glieder werden darüber hinaus einsatzgehärtet sowie mit gefrästem Radius und Bohrungen geliefert. Nach Angaben der Klägerin können die Kettenglieder nur für den Bau von Stetigförderern verwendet werden.

Mit der vZTA Nr. ... vom reihte die OFD die Waren als ”Teile von Ketten (andere Gelenkketten)” in die Unterpos. 7315 19 00 KN ein.

Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage vor dem Finanzgericht (FG), mit der sie begehrte, die getroffenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben sowie die OFD zu verpflichten, die Kettenglieder in die Unterpos. 8431 39 90 KN einzureihen.

Das FG wies die Klage ab und bestätigte die Einreihung durch die OFD. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, die Kettenglieder stellten sich nach ihrer objektiven Beschaffenheit als Teile von (anderen) Gelenkketten aus Stahl dar und gehörten ohne Rücksicht auf ihren Verwendungszweck zur Pos. 7315 KN. Dies folge aus Anm. 1 Buchst. g zu Abschn. XVI KN i.V.m. Anm. 2 Buchst. a zu Abschn. XV KN, wonach Gelenkketten und Teile davon aus Stahl der Pos. 7315 in der Nomenklatur stets als ”Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit” gälten und daher in das Stoffkapitel (Kap. 73 KN: Waren aus Eisen oder Stahl) gehörten. Auf den konkreten Verwendungszweck der Ware komme es nicht an. Das von der Klägerin hierzu unter Beweis gestellte Vorbringen, die Kettenglieder könnten ausschließlich im Bereich der Trogkettenförderer eingesetzt werden, sei mithin unerheblich.

Hiergegen richtet sich die auf einen Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Das FG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verletzt, weil es die (im Einzelnen bezeichneten) schriftsätzlich angebotenen Beweisantritte nicht berücksichtigt und insbesondere kein Sachverständigengutachten eingeholt habe. Das Gutachten hätte ergeben, dass die Kettenglieder ausschließlich für die Fertigung von Stetigförderern (im Bereich der Trogkettenförderer) geeignet seien und eine Verwendung für Ketten mit allgemeiner Gebrauchsmöglichkeit aus technischen und wirtschaftlichen Gründen ausgeschlossen sei. Unter diesen Umständen hätte das FG der Klage stattgeben müssen. Das Rügerecht sei nicht verloren, da auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem FG verzichtet worden sei.

Die OFD ist der Beschwerde entgegengetreten. Sie ist der Auffassung, das unter Beweis gestellte Vorbringen der Klägerin sei nicht entscheidungserheblich gewesen.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, weil der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensmangel jedenfalls nicht vorliegt.

1. Nach feststehender Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) darf das FG auf die von einem Beteiligten beantragte Beweiserhebung, ohne seine Pflicht zur Sachverhaltsermittlung zu verletzen, im Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel unerreichbar oder unzulässig oder absolut untauglich ist (, BFH/NV 2001, 181, m.w.N.). Im Streitfall konnte das FG auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichten, weil die vom Gutachter zu den von der Klägerin genannten Beweisthemen zu treffenden Aussagen für die Entscheidung des Rechtsstreits, wie das FG in seinem Urteil selbst ausgeführt hat, unerheblich sind. Ebenso gut hätte das FG zugunsten der Klägerin als wahr unterstellen können, dass die streitgegenständlichen Kettenglieder ausschließlich für die Fertigung von Stetigförderern (im Bereich der Trogkettenförderer) geeignet sind und eine Verwendung für Ketten mit allgemeiner Gebrauchsmöglichkeit aus technischen und wirtschaftlichen Gründen ausgeschlossen ist. Das ergibt sich aus Folgendem:

a) Nach Anm. 1 Buchst. g zu Abschn. XVI KN gehören ”Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit im Sinne der Anmerkung 2 zu Abschnitt XV, aus unedlen Metallen (Abschnitt XV)” nicht zu Abschn. XVI KN (das sind die sog. Maschinen-Kap. 84 und 85 KN). Bei dieser Anm. handelt es sich um eine sog. Ausweisungsvorschrift, d.h. wenn die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind, kommt eine Zuordnung zu Kap. 84 und 85 KN, also auch zu der von der Klägerin für zutreffend erachteten Unterpos. 8431 39 90 KN, nicht in Betracht. Vielmehr ist dann das betreffende Stoffkapitel (hier Kap. 73 KN: Waren aus Eisen oder Stahl) einschlägig.

b) Der Begriff ”Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit” ist nicht aus sich heraus, sondern ”im Sinne der Anmerkung 2 zu Abschnitt XV” zu verstehen. Dort heißt es: ”In der Nomenklatur gelten als 'Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit': a) Waren der Position…7315, ...”. Pos. 7315 KN ist eine Spezialposition für ”Ketten und Teile davon, aus Eisen oder Stahl”. Sie erfasst in Unterpos. 7315 19 00 KN ausdrücklich auch Teile von (anderen) Gelenkketten. Alle von Pos. 7315 KN erfassten Waren gelten somit als Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit, ohne dass es auf ihre konkrete Verwendung im Einzelfall ankäme.

Der deutsche Begriff ”gelten” ist im Gemeinschaftsrecht nicht stets im Sinne der Bedeutung einer Fiktion oder Vermutung (die ggf. widerlegt werden könnte) zu verstehen. Dies zeigt beispielsweise deutlich die Anm. 3 zu Abschn. XV KN, wo es heißt: ”In der Nomenklatur gelten als 'unedle Metalle': Eisen und Stahl, Kupfer” usw. (es folgt eine Aufzählung aller unedlen Metalle). Ersichtlich geht es dabei nicht um die Aufstellung einer Fiktion oder Vermutung, sondern um eine Erläuterung des Begriffs. Es wäre angemessener, hier zu übersetzen: In der KN ”sind” unedle Metalle ...oder: ”versteht man” unter unedlen Metallen…oder ”bedeutet der Begriff” unedle Metalle…. Ganz entsprechend verhält es sich mit dem Ausdruck ”gelten” im Obersatz der Anm. 2 zu Abschn. XV KN. Hier wird nichts fingiert oder vermutet, sondern lediglich erläutert, was Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit sind, was man darunter versteht, welche Teile der Begriff erfasst, was er bedeutet. Dies bestätigen klar die vom FG angeführten entsprechenden Ausdrücke in englischer (”'parts of general use' means:...”) und französischer Sprache (”on entend par 'parties et fournitures d`emploi général':...”).

c) Mithin sind Ketten und Gelenkketten sowie Teile davon, aus Eisen oder Stahl (wie im Streitfall) —unedle Metalle des Abschn. XV KN—, stets und ohne Ausnahme in Pos. 7315 KN einzureihen, auch wenn es sich um Spezialketten und Teile davon handelt, die, weil sie etwa für Trogkettenförderer besonders konstruiert sind, wirtschaftlich sinnvoll nur für diesen besonderen Verwendungszweck eingesetzt werden. Da alle Voraussetzungen der Ausweisungsvorschrift erfüllt sind, ist eine Einreihung der Kettenglieder nach Unterpos. 8431 39 90 KN, wie von der Klägerin begehrt, nicht möglich.

Das von der OFD gefundene und vom FG geteilte Einreihungsergebnis (Unterpos. 7315 19 00 KN) wird hingegen bestätigt in den Erläuterungen zum Harmonisierten System zu Pos. 7315, wo es unter RZ. 01.0 bzw. RZ. 08.0 heißt: ”Diese Position umfasst Ketten aus Gusseisen (normalerweise aus schmiedbarem Gusseisen), Eisen oder Stahl, ohne Rücksicht auf die Größe, die Herstellungsart oder ganz allgemein den Verwendungszweck.” bzw. ”Zu dieser Position gehören ebenfalls erkennbare Teile von Ketten aus Eisen oder Stahl wie z.B.…Glieder...”.

d) Hiernach hat das FG zu Recht die Beweisangebote der Klägerin zur konkreten Eignung und Verwendung der Kettenglieder nicht berücksichtigt, weil es hierauf nach den maßgeblichen Zolltarifvorschriften nicht ankommt. Soweit die Verfahrensrüge der Klägerin auch dahin zu verstehen sein sollte, das FG habe unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht, d.h. ohne Anhörung eines Sachverständigen, die Kettenglieder nach ihrer objektiven Beschaffenheit als ”Teile von Gelenkketten aus Stahl” beurteilt, so wäre die Rüge unzulässig. Denn diese Qualifizierung bedeutet nichts anderes als die rechtliche Subsumtion der Ware unter den Wortlaut der geltenden KN, die unausweichlich ist, weil sich die von der Klägerin als zutreffend erachtete Einreihung in die KN, wie ausgeführt, als nicht haltbar erwiesen hat. Das FG ist hier keinem Zirkelschluss unterlegen, wie die Klägerin meint, sondern hat lediglich das zutreffende Einreihungsergebnis an den Anfang seiner Erörterung gestellt und es dann im Einzelnen begründet.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1357 Nr. 10
VAAAA-68725