Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb 1991 und 1992 (Streitjahre) eine Unternehmensberatung. Er schloss am mit einer GmbH, die einen Rennstall unterhielt, folgenden ”Werbevertrag” ab:
”Alle in unserem Besitz befindlichen Rennpferde, die in unseren Farben laufen, werben u.a. für Sie unter dem Motto 'Mit uns sind Sie ganz weit vorne' wie folgt, jeweils nach Ihren Wünschen:
a) Ganzseitige Werbung in den jeweiligen Rennprogrammen
b) Trikotwerbung am rechten oberen Ärmel der Jockeybluse
Preisvereinbarung: DM 2000/Monat/Pferd zzgl. 14 % MwSt.
Vertragsdauer: Bis
Kündigung: Je 6 Wochen zu Quartalsende für beide Seiten.
Sollte keine Kündigung erfolgen, verlängert sich der Vertrag automatisch um ein weiteres Jahr.
Zahlung: 30 Tage netto nach Rechnungserhalt.”
Unter Bezug auf diesen Werbevertrag stellte die GmbH dem Kläger unter dem ... DM und unter dem ... DM jeweils zuzüglich gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer in Rechnung. Der Kläger hatte bereits vor Rechnungsstellung, und zwar am und am der GmbH Schecks über die Bruttobeträge ausgestellt.
Die Werbemaßnahmen wurden in den Streitjahren nicht wie im Vertrag vom vereinbart durchgeführt, sondern gestalteten sich nach dem Vorbringen des Klägers wie folgt: Die Trainerin der Pferde legte vor und nach den Rennen dem am Rennen teilnehmenden Pferd der GmbH eine Pferdedecke auf, die mit dem Logo eines ”Werbekunden” der GmbH versehen war. Die GmbH besaß sechs Pferdedecken, eine war mit dem Logo des Klägers bestickt, die anderen mit den Emblemen anderer Werbekunden. An einem Rennen nahm jeweils nur ein Pferd der GmbH teil, so dass bei dem Rennen auch nur für einen Werbekunden geworben werden konnte.
Außerdem berechnete eine Werbeagentur in der Rechtsform der KG, an der der Kläger als persönlich haftender Gesellschafter beteiligt war, ihm mit Rechnung vom für die Gestaltung einer Werbeanzeige in der Broschüre eines Rennvereins 2 500 DM zusätzlich gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer.
Der Kläger machte die in den drei Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge als Vorsteuer geltend.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) versagte nach einer beim Kläger vorgenommenen Betriebsprüfung den Vorsteuerabzug. Im Prüfungsbericht heißt es dazu, nach Mitteilung eines anderen FA handele es sich bei der GmbH um ein Strohmannunternehmen, dessen Rechnungen vom und vom über ”Scheinumsätze” zu keinem Vorsteuerabzug berechtigten. Dasselbe gelte für die mit diesen ”Scheinumsätzen” in Verbindung stehende Rechnung der Werbeagentur vom .
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage des Klägers im Wesentlichen ab, nachdem es u.a. die geschäftsführende Gesellschafterin der GmbH als Zeugin vernommen hatte. Das FG führte zur Begründung im Wesentlichen aus:
Die abgerechnete ”Werbevereinbarung” zwischen dem Kläger und der GmbH sei ein Scheingeschäft (§ 41 Abs. 2 der Abgabenordnung —AO 1977—). Der Senat habe unter Berücksichtigung der im Streitfall vorliegenden Umstände und insbesondere der Zeugenvernehmungen die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger die von ihm gezahlten Entgelte in Wahrheit nicht für die behaupteten ”Werbeleistungen” habe entrichten wollen und entrichtet habe. Indizien für die fehlende Ernsthaftigkeit der ”Werbevereinbarung” seien das krasse Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung sowie das Abrechnungsverhalten der GmbH. Es dränge sich der Eindruck auf, dass in Wirklichkeit zunächst der vom Kläger zu zahlende Betrag festgestanden habe und die Rechnungen der GmbH sich anschließend daran orientiert hätten. Wofür der Kläger letztlich die Zahlungen geleistet habe, sei nach den Umständen des Falles unklar. In Betracht kämen möglicherweise die Verschleierung von Pferdeverkäufen an den Kläger oder die Vortäuschung von Betriebseinnahmen bei der GmbH zu dem Zweck, Umsätze mit dem Gestüt des Zeugen X vorzuweisen und dieses zur Vermeidung einer ertragsteuerlichen Liebhaberei in die Gewinnzone führen zu können.
Auch ein Vorsteuerabzug aus der Rechnung der KG scheide aus. Nach den Gesamtumständen des Falles sei der Senat nicht davon überzeugt, dass die KG die abgerechnete Leistung (selbst) erbracht habe.
Mit der Revision rügt der Kläger Verfahrensmängel durch Verletzung des Grundsatzes der Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens bei der Urteilsfindung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) und durch die Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO). In materieller Hinsicht macht er geltend, das FG-Urteil verletze § 41 Abs. 2 AO 1977 i.V.m. § 15 des Umsatzsteuergesetzes 1991 (UStG 1991).
Der Kläger beantragt,
1. die Vorentscheidung aufzuheben,
2. die Umsatzsteuerbescheide 1991 und 1992, jeweils vom , in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dergestalt zu ändern, dass die Umsatzsteuer 1991 auf ... DM und die Umsatzsteuer 1992 auf ... DM festgesetzt wird,
3. die Zinsbescheide zur Umsatzsteuer 1991 und 1992, jeweils vom , dahin zu ändern, dass die Zinsen 1991 auf ... DM und die Zinsen 1992 auf ... DM festgesetzt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die Vorentscheidung ist verfahrensfehlerhaft zustande gekommen.
1. Die Rüge des Klägers, das FG habe seine Entscheidung nicht unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens getroffen, ist entsprechend den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO in zulässiger Weise erhoben worden und auch begründet.
a) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO muss das Gericht seiner Entscheidung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legen. Diese Vorschrift verpflichtet das FG nicht nur, das Ergebnis der mündlichen Verhandlung, sondern auch den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen. Zwar muss das Gericht nicht auf jedes Beweismittel ausdrücklich eingehen; dem Urteil muss sich jedoch entnehmen lassen, dass nichts übersehen und alles im Zusammenhang gewürdigt wurde (vgl. , BFH/NV 1999, 42, m.w.N.; vom III R 49/98, BFH/NV 2001, 911, m.w.N.).
b) Diesen Anforderungen wird die Vorentscheidung nicht gerecht. Das angefochtene Urteil lässt nicht erkennen, dass das FG die Aussage der von ihm als Zeugin vernommenen geschäftsführenden Gesellschafterin der GmbH bei seiner Würdigung berücksichtigt hat.
Das FG hat das Fehlen der Ernsthaftigkeit der zwischen dem Kläger und der GmbH getroffenen Werbevereinbarung u.a. wie folgt begründet (Urteil S. 9, 10): ”Ein starkes Indiz für die fehlende Ernsthaftigkeit der 'Werbevereinbarung' ist das krasse Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Der Kläger war nach der vorgegebenen Abmachung nämlich verpflichtet, pro im Bestand der (GmbH) gehaltenes Pferd und pro Monat 2 000 DM zu zahlen, ohne dass er irgend einen Einfluss darauf hatte, ob mit dem betreffenden Pferd überhaupt und wann und wie oft für ihn geworben wurde. Die (GmbH) konnte nach dieser 'Werbevereinbarung' das ihr zustehende Entgelt beliebig dadurch erhöhen, dass sie den Bestand ihrer Pferde erhöhte, ohne dass diese Bestandserhöhung irgend einen Einfluss auf die für den Kläger zu erbringende 'Werbeleistung' haben musste. Da die (GmbH) mehrere 'Werbekunden' hatte, mussten sich —im Vertrag nicht geregelte— Kollisionen ergeben in der Frage, wessen Pferdedecke nun auf das an einem Rennen teilnehmende Pferd aufgelegt werden sollte. ...”
Diese Ausführungen lassen nicht erkennen, dass das FG die Aussage der Zeugin berücksichtigt hat. Diese hatte u.a. ausgesagt:
”Jeweils ca. vier Wochen vor den einzelnen Rennen habe ich dem Kläger von den voraussichtlichen Startterminen und startenden Pferden und Rennorten Mitteilung gemacht. Der Kläger hat dann jeweils mitgeteilt, ob für ihn an diesem Termin geworben werden soll oder nicht. Einfluss auf die vom Kläger später zu zahlenden Entgelte hatte jedoch seine Entscheidung nicht, weil eine Pauschale vereinbart war.…Für den Fall, dass auf einzelnen Rennen mehrere Kunden zugleich für ihr Unternehmen Werbemaßnahmen beansprucht hätten, hätte ich eine Auswahl treffen müssen, weil mir pro Rennen jeweils nur ein Pferd zur Verfügung stand. Ich hätte dann zwischen meinen Kunden diplomatisch vermitteln müssen.”
Aus dieser Zeugenaussage ergibt sich, dass der Kläger —entgegen der Darstellung des FG— Einfluss auf den Einsatz der Pferde ausüben konnte und ausgeübt hat. Außerdem haben sich nach der Aussage der Zeugin die vom FG angeführten Kollisionen der Interessen mehrerer Werbekunden nicht ergeben.
Zwar ist denkbar, dass das FG die Aussage der Zeugin in seine Betrachtung einbezogen, dieser aber kein Gewicht beigemessen hat, etwa weil es die Zeugin für nicht glaubwürdig hielt. Die dafür maßgebenden Gründe hätten aber im Urteil dargestellt werden müssen (vgl. , BFH/NV 1989, 230).
2. Auf der unterlassenen Berücksichtigung der Zeugenaussage kann das Urteil des FG auch beruhen. In einem solchen Fall kann das Revisionsgericht das angefochtene Urteil auf seine sachliche Richtigkeit nicht überprüfen, weil verfahrensrechtlich fehlerhaft nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO Grundlage der Entscheidung geworden ist (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 1999, 42, m.w.N.; vom III R 28/98, BFH/NV 1999, 1116, m.w.N.).
3. Im zweiten Rechtsgang wird das FG zu prüfen haben, ob und ggf. welche Leistungen für das Unternehmen des Klägers erbracht worden sind und ob insoweit die Voraussetzungen zum Vorsteuerabzug nach § 15 UStG 1991 vorlagen. Dabei wird zu beachten sein, dass nach der Rechtsprechung des Senats die Angemessenheit des Entgelts —jedenfalls für die Annahme eines Leistungsaustauschs— grundsätzlich ohne Belang ist (vgl. Senatsurteil vom V R 37/84, BFHE 158, 144, BStBl II 1989, 913, 917).
Möglicherweise ist eine Beiladung der Unternehmer, die die streitigen Leistungen an den Kläger erbracht haben (sollen), zweckmäßig. Dann könnte u.a. festgestellt werden, ob diese die Leistungen, deretwegen der Kläger den Vorsteuerabzug begehrt, umsatzversteuert haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 494 Nr. 4
CAAAA-68513