BFH Beschluss v. - V B 88/00

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand der Import und Export insbesondere von Ersatzteilen und Zubehör für Kfz und Industriemaschinen ist. In den Streitjahren 1992 bis 1994 erklärte die Klägerin überwiegend steuerfreie Ausfuhrumsätze. Bei einer Umsatzsteuerprüfung ergab sich, dass die Ausfuhrbelege der Klägerin in den Streitjahren teilweise mit gefälschten Zollstempeln versehen waren, teilweise mit Zollstempelabdrucken des Hauptzollamts (HZA) R, die ausschließlich für die Gütereinfuhr verwendet werden. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) verminderte dementsprechend die als steuerfrei erklärten Ausfuhrumsätze und erhöhte —unter Herausrechnung der Umsatzsteuer— die steuerpflichtigen Umsätze für die Streitjahre 1992 bis 1994 entsprechend.

Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte die Klägerin lediglich die Steuerfreiheit der unter Verwendung echter Dienststempel belegten Ausfuhrumsätze geltend. Dazu führte sie aus, bei diesen Umsätzen sei die Ware von ihren Kunden abgeholt und in ein Drittland befördert worden. Sie besitze für sämtliche Umsätze Rechnungsbelege und Ausfuhr- und Abnehmerbescheinigungen, in denen u.a. auch die Ausfuhr durch die Grenzzollstelle R mit echten Zollstempeln —wenn auch Gütereinfuhrstempel— bestätigt worden sei. Sie habe den gesetzlich geforderten Nachweis durch eine öffentliche Urkunde der zuständigen Behörde erbracht. Dass ein Bediensteter des Zollamts Stempel zu Unrecht angebracht habe, sei ihr nicht anzulasten. Es verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, denn das FA habe bei Umsatzsteuerprüfungen in den Jahren 1990 und 1993 die Zollstempel nicht beanstandet.

Das Finanzgericht (FG) führte in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 657 abgedruckten Urteil im Wesentlichen aus, tatbestandliche Voraussetzung für die Umsatzsteuerbefreiung einer Ausfuhrlieferung sei der Belegnachweis. Der Nachweis könne nicht auf andere Weise, etwa wie von der Klägerin angeboten, durch Zeugenbeweis geführt werden. Auch formell ordnungsgemäße Belege reichten für die Anerkennung einer Ausfuhrlieferung nicht in jedem Fall aus. Sie seien zwar materiell-rechtliche Voraussetzungen, schlössen aber die sachliche Prüfung auf ihre inhaltliche Richtigkeit der Angaben und Erklärungen nicht aus (Hinweis auf , BFHE 176, 494, BStBl II 1995, 515). Der Belegnachweis bezwecke nur, der Finanzverwaltung die Prüfung der Voraussetzungen für die Befreiung zu vereinfachen.

Tatsächlich seien die streitigen Lieferungen nicht ins Ausland erfolgt, denn ein bei der Gütereinfuhr tätiger Zollbeamter habe lediglich die Ausfuhrbelege abgestempelt und mit Phantasieunterschriften versehen. Andere Belege zum Nachweis der Ausfuhr könne die Klägerin, wie sie selbst vorträgt, nicht erbringen; insoweit sei deshalb unerheblich, ob die Finanzbehörde auch Ersatzbelege anerkennen dürfe.

Auch die Grundsätze von Treu und Glauben hinderten das FA nicht an der Geltendmachung der Steueransprüche. Anhaltspunkte für eine treuwidrige Verletzung der Hinweis- oder Aufklärungspflichten durch das FA bestünden nicht; das FA habe erst später als die Klägerin, die in die Ermittlung der Zollfahndung eingebunden gewesen sei, von den Vorgängen erfahren.

Den am Ende der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag der Klägerin, ihrem Prozessbevollmächtigten Akteneinsicht zu gewähren, lehnte das FG ab. Die Klägerin habe nicht vorgetragen, zu welchem Streitstoff sie noch Akteneinsicht benötige und welche das finanzgerichtliche Verfahren betreffenden Umstände sich aus den Akten ergeben könnten. Für die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche sei eine verfahrensverzögernde Akteneinsicht nicht gerechtfertigt.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und wegen Verletzung rechtlichen Gehörs durch Versagung der Akteneinsicht.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Anwendbar ist die Finanzgerichtsordnung (FGO) i.d.F. vor In-Kraft-Treten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom (BGBl I 2000, 1757, BStBl I 2000, 1567), weil die angefochtene Entscheidung des FG vor dem verkündet worden ist (Art. 4 2.FGOÄndG).

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache muss gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. in der Beschwerdeschrift dargelegt werden.

Der Senat lässt offen, ob die Klägerin —wie erforderlich— gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hinreichend dargelegt hat, denn hierzu hätte sie eine oder mehrere konkrete Rechtsfragen herausarbeiten und erläutern sollen, welche über den Streitfall hinausgehende Bedeutung eine Entscheidung über die nicht nur an den Besonderheiten des konkreten Streitfalls orientierte Rechtsfrage hat (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VII B 44/94, BFH/NV 1994, 812; vom VIII B 77/99, BFH/NV 2000, 71). Fragen von grundsätzlicher Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F. stellen sich im Streitfall jedenfalls nicht.

a) Zu § 6 Abs. 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1991/1993 (UStG) hat der BFH bereits mehrfach entschieden, dass eine steuerfreie Ausfuhrlieferung nur dann vorliegt, wenn feststeht, dass der Abnehmer ein ausländischer Abnehmer ist (vgl. dazu z.B. Urteil in BFHE 176, 494, BStBl II 1995, 515; , BFH/NV 2000, 1370).

Ein ausländischer Abnehmer ist ein Abnehmer, der seinen Wohnort oder Sitz im Ausland hat (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 UStG). Die Voraussetzungen dafür, dass es sich um einen ausländischen Abnehmer handelt, muss der Unternehmer nach § 6 Abs. 4 UStG nachweisen. Gelingt es dem Steuerpflichtigen nicht, etwaige Zweifel auszuräumen, trägt er —neben der formellen— auch die materielle Beweislast. Sind die Tatsachen, die zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des ausländischen Abnehmers erforderlich sind, nicht erweisbar oder reichen die nachgewiesenen Tatsachen nicht aus, trägt der Unternehmer das Risiko der nicht gelungenen Aufklärung; die Steuerfreiheit kommt nicht in Betracht (BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 1370). Beleg- und Buchnachweis sind nach § 6 Abs. 4 UStG materiell-rechtliche Voraussetzungen für die Steuerbefreiung einer Ausfuhrlieferung (§ 6 Abs. 1 UStG). Die Steuerbefreiung darf nach ständiger Rechtsprechung (z.B. BFH in BFH/NV 2000, 1370, m.w.N.) aber nur bei inhaltlich zutreffendem Nachweis gewährt werden.

b) Klärungsbedarf besteht auch nicht hinsichtlich der Frage zur Berechtigung des FA, bestandskräftige Bescheide zu ändern.

Nach ständiger Rechtsprechung kommt es zu einer Verdrängung des gesetzten Rechts durch den Grundsatz von Treu und Glauben nur in besonders gelagerten Fällen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten müssen (vgl. z.B. , BFHE 192, 559, BStBl II 2000, 676, m.w.N.). Dies kommt nur dann in Betracht, wenn dem Steuerpflichtigen eine bestimmte steuerrechtliche Behandlung zugesagt worden ist oder wenn die Finanzbehörde durch ihr früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (vgl. , BFHE 184, 406, BStBl II 1998, 771). Weder die Umsatzsteuersonderprüfung noch die unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerbescheide schaffen insoweit einen Vertrauenstatbestand, da es sich bei beiden Maßnahmen lediglich um vorläufige Beurteilungen der Finanzverwaltung handelt, die einer späteren abweichenden Beurteilung nicht entgegenstehen.

Nach den nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen und deshalb bindenden Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) hat das FA von den unrichtigen oder gefälschten Ausfuhrbestätigungen erst später als die Klägerin erfahren und bestanden keine Anhaltspunkte dafür, dass das FA treuwidrig Hinweis- oder Aufklärungspflichten verletzt haben könnte. Auch insoweit fehlt es schon an einem Anknüpfungspunkt für einen Vertrauenstatbestand.

2. Als Verfahrensfehler rügt die Klägerin, ihrem Prozessbevollmächtigten sei zu Unrecht die Einsicht in die Akten versagt worden.

Die Zulassung wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) erfordert den substantiierten Vortrag von Tatsachen, die

den Mangel ergeben sollen sowie die Darlegung, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Mangel beruhen kann (z.B. , BFH/NV 1999, 510). Bezieht sich die behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs —wie hier— auf einzelne Feststellungen, so setzt die schlüssige Rüge dieses Verfahrensverstoßes voraus, dass der Rechtsmittelführer substantiiert darlegt, wozu er sich nicht habe äußern können und was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (, Betriebs-Berater 2001, 2459, unter C. III. 1. a, m.w.N.).

Die Klägerin trägt lediglich vor, sie habe dem Gericht vorliegende ”Akten bzw. Unterlagen” zu den pflichtwidrig von dem Zollbediensteten verwendeten Stempeln nicht gekannt. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bzw. deren Prozessbevollmächtigter keine Möglichkeit hatte, sich zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde durch Akteneinsicht Kenntnis vom Inhalt der Schriftsätze und Anlagen zu verschaffen und darzulegen, was sie bei Kenntnis dieser Unterlagen noch Entscheidungserhebliches vorgetragen hätte, sind nicht ersichtlich und hat die Klägerin auch nicht vorgetragen.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 551 Nr. 4
TAAAA-68487