Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Zum Betriebsvermögen des unter der Firma X-Reederei betriebenen Unternehmens der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gehörte am Bewertungsstichtag ein Seeschiff, das bereits vollständig abgeschrieben war und das die Klägerin in ihrer Vermögensaufstellung auf diesen Stichtag gemäß Tz. 13 der Richtlinien für die Bewertung der Seeschiffe 1989 (Seeschiffs-BewR 1989) vom (BStBl I 1991, 135) mit 30 v.H. der Anschaffungskosten, nämlich mit 131 859 DM, angesetzt hatte. Im Februar 1991 verkaufte die Klägerin das Schiff für 690 000 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) folgte zunächst der Vermögensaufstellung.
Nachdem das FA durch eine Außenprüfung von dem Verkauf erfahren hatte, schätzte es den Teilwert des Schiffes zum streitigen Feststellungszeitpunkt auf 400 000 DM und stellte mit dem nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Bescheid vom den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den auf 3 399 000 DM fest.
Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin vorgetragen hatte, die Seeschiffs-BewR 1989 seien gemäß Abschn. 51 Abs. 5 der Vermögensteuer-Richtlinien (VStR) 1989 für die Steuerbehörden bindend und ein erst nach dem Bewertungsstichtag erfolgter Verkauf dürfe bei der Wertfindung nicht berücksichtigt werden, blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 414 veröffentlichten Urteil die Ansicht, nach den Seeschiffs-BewR 1989 sei der Nachweis eines abweichenden Wertes möglich und dieser Nachweis sei im Streitfall durch den Erlös aus dem zeitnahen Verkauf geführt. Anhaltspunkte, dass es sich bei dem Erlös um einen überhöhten Kaufpreis gehandelt habe oder dass das Schiff zwischen dem Bewertungsstichtag und dem Zeitpunkt des Verkaufs eine Wertsteigerung erfahren habe, seien nicht vorhanden.
Mit der Revision rügt die Klägerin einen Verstoß gegen das Stichtagsprinzip. Das FG nehme zu Unrecht an, der im Februar 1991 erzielte Verkaufserlös entspreche dem Teilwert des Schiffs. Der Kaufpreis sei vielmehr aufgrund ungewöhnlicher Umstände zustande gekommen, weil der Käufer es gerade auf dieses konkrete Schiff abgesehen gehabt habe. Dies zeige ein Vergleich mit den eigenen Anschaffungskosten. Diese hätten sich 1984 auf 300 000 DM belaufen. 1985 seien Kosten für eine Generalüberholung in Höhe von 139 530 DM hinzugekommen. Außerdem sei die Vorentscheidung nicht mit der Tz. 13 der Seeschiffs-BewR 1989 vereinbar. Nach deren letztem Satz sei lediglich eine Abweichung von den Richtlinienwerten nach unten vorgesehen. Im Übrigen stelle eine Grobschätzung wie die des FA nicht den Nachweis eines abweichenden Wertes dar.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Bescheid über die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den vom sowie die Einspruchsentscheidung vom dahin zu ändern, dass der Einheitswert auf 3 131 000 DM festgestellt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen, und trägt vor, die Behauptung, der hohe Verkaufserlös habe auf ungewöhnlichen Umständen beruht, stelle neues tatsächliches Vorbringen dar.
II. Die Revision ist begründet. Der beim Verkauf des Seeschiffs im Februar 1991 erzielte Kaufpreis kann nur dann den Teilwert dieses Wirtschaftsguts zum streitigen Stichtag beeinflussen, wenn er im normalen Geschäftsverkehr zustande gekommen ist. Da Feststellungen hierzu fehlen, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Das gemäß § 95 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der zum streitigen Stichtag geltenden Fassung zum Betriebsvermögen der Klägerin gehörende Schiff ist nach § 109 Abs. 1 i.V.m. § 106 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BewG mit dem Teilwert zum Schluss des Jahres 1990 zu bewerten. Unter dem Teilwert ist gemäß § 10 BewG der Betrag zu verstehen, den ein Erwerber des gesamten Unternehmens, der dies fortzusetzen gedenkt, im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde.
a) Als Sonderregelung zu Abschn. 52 VStR 1989 hat die Finanzverwaltung für bestimmte Wirtschaftsgüter durch ausgewählte Behörden mit besonderer Sachkenntnis auf der Grundlage gesammelter Daten und langjähriger Erfahrung sowie nach Anhörung der betroffenen Wirtschaftsverbände besondere Bewertungsrichtlinien geschaffen. Dazu gehören die Seeschiffs-BewR 1989. Derartige Bewertungsrichtlinien binden zunächst nur die Steuerbehörden (vgl. Abschn. 51 Abs. 5 VStR 1989, sowie , BFHE 150, 291, BStBl II 1987, 703). Aber auch im finanzgerichtlichen Verfahren ist schon wegen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung grundsätzlich an solchen Erfahrungswerten festzuhalten und eine Abweichung nur möglich, wenn schwerwiegende Gründe gegen ihre Richtigkeit sprechen (so , BFHE 140, 306, BStBl II 1984, 193, 196). Diese Einschränkung der Verbindlichkeit, die den besonderen Bewertungsrichtlinien im finanzgerichtlichen Verfahren zukommt, gilt ungeachtet des Abschn. 51 Abs. 5 VStR 1989 und unabhängig davon, ob sie selbst eine abweichende Bewertung im Einzelfall zulassen oder nicht.
b) Dass im Einzelfall schwerwiegende Gründe gegen die Richtigkeit des nach den Seeschiffs-BewR 1989 ermittelten Teilwerts sprechen und damit bei noch nicht bestandskräftiger Feststellung des Einheitswerts für das Betriebsvermögen der Ansatz eines abweichenden Werts möglich ist, kann sich auch aus einem stichtagsnahen Verkauf des zu bewertenden Wirtschaftsguts zu einem wesentlich höheren Preis als dem Erfahrungswert nach den Richtlinien ergeben. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es keine Verletzung des im Bewertungsrecht geltenden Stichtagsprinzips (§ 21 Abs. 2 Satz 1, § 22 Abs. 4 Satz 2, § 23 Abs. 2 Satz 1 BewG) darstellt, wenn ausnahmsweise aus nach dem Stichtag liegenden Ereignissen auf die Wertverhältnisse am Stichtag zurückgeschlossen wird, sofern die Ereignisse nicht allzu lange nach dem Stichtag liegen (so , BFHE 62, 165, BStBl III 1956, 62; vom III 416/60 U, BFHE 78, 377, BStBl III 1964, 145, sowie vom III 209/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1966, 4) und die bereits am Bewertungsstichtag vorhandenen Verhältnisse (lediglich) erhellen (vgl. , BFH/NV 1992, 449, 452). Derartige stichtagsnahe Verkäufe können aber nur dann die Verhältnisse am Stichtag erhellen, wenn sie entsprechend den Anforderungen, die in § 9 Abs. 2 und 3 BewG für die Ableitung des gemeinen Werts aus Verkaufspreisen niedergelegt sind, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen sind und nicht auf persönlichen Verhältnissen beruhen (, BFHE 171, 334, BStBl II 1993, 587). Die Entscheidung des (BFHE 124, 548, BStBl II 1978, 366) steht der Berücksichtigung solcher stichtagsnaher Verkäufe nicht entgegen. Sie betrifft einen Sachverhalt, bei dem nicht die unveränderten Verhältnisse vom Stichtag nachträglich erhellt wurden, sondern bei dem nachträglich eine Wertveränderung eingetreten war.
2. Gemäß diesen Grundsätzen kommt im Streitfall der Ansatz eines höheren Teilwerts für das Schiff als der Restwert, der sich nach den Seeschiffs-BewR 1989 ergibt, in Betracht. Lässt sich der im Februar 1991 erzielte Kaufpreis auf den (§ 106 Abs. 2 BewG) zurückbeziehen, sprechen wegen der Höhe der Wertdifferenz schwerwiegende Gründe gegen die Richtigkeit des sich nach den Seeschiffs-BewR 1989 ergebenden Restwerts. Auch ein einziger Verkauf kann eine genügende Grundlage für die Feststellung des im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielbaren Preises bilden (vgl. , BFHE 146, 460, BStBl II 1986, 591); dies gilt besonders dann, wenn für das zu bewertende Wirtschaftsgut selbst ein Verkaufspreis vorliegt und dieser Kaufpreis nach dem Urteil eines mit den Marktverhältnissen Vertrauten dem gemeinen Wert entspricht (vgl. , BFHE 94, 498, BStBl II 1969, 226). Dass vorliegend nicht der gemeine Wert des Schiffs, sondern der Teilwert zu ermitteln ist, verleiht der Wertdifferenz in ihrer Funktion als Indiz für die offenbare Unrichtigkeit des Richtlinien-Werts noch zusätzliches Gewicht (vgl. zum Verhältnis beider Werte III 133 u. 134/55 S, BFHE 61, 207, BStBl III 1955, 278). Die erforderliche zeitliche Nähe zum maßgeblichen Stichtag ist bei dem Verkauf des Schiffs im Februar 1991 gegeben.
Gleichwohl ist die Sache nicht spruchreif, weil Feststellungen darüber fehlen, ob der Verkauf im gewöhnlichen Geschäftsverkehr stattgefunden hat. Darüber ist ggf. Sachverständigenbeweis zu erheben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird gemäß § 143 Abs. 2 FGO dem FG übertragen. Der Senat hat gemäß § 121 i.V.m. § 90a Abs. 1 FGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1281 Nr. 10
ZAAAA-68206