Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Unternehmensgegenstand der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, war in den Streitjahren 1987 und 1988 der Abschluss, die Abwicklung und die Vermittlung von Leasing–Geschäften. Sie beschäftigte während der Streitjahre durchschnittlich unter 25 Arbeitnehmer. Ab 1984 befanden sich Sitz und Geschäftsleitung in den von ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer N gemieteten Räumen in U. N wohnt in M, einem Ort in der Nähe von U. Durch Gesellschafterbeschluss vom verlegte die Klägerin ihren Sitz nach Berlin. Die Änderung wurde am in das Handelsregister eingetragen.
Am schloss die Klägerin mit der G-GmbH & Co.KG (G) einen Miet– und Geschäftsbesorgungsvertrag. Als Grund hierfür gab sie an, dass sie sich wegen der veränderten Marktlage in der Zukunft zunehmend auf die Verwaltung und Abwicklung des schon vorhandenen Vertragsbestandes beschränken wolle. Danach erhielt die Klägerin für einen Betrag von monatlich netto 400 DM das Recht zur Nutzung eines Büroraumes von 20 qm einschließlich der Einrichtungsgegenstände. Die Klägerin übertrug der G die direkte Sach– und Fachaufsicht über den Vertragsbestand sowie die Befugnis, als Disziplinarvorgesetzte von Verwaltungskräften zu fungieren. Sie installierte hierzu die benötigte EDV–Anlage in dem angemieteten Raum. Es wurde für die Dienstleistung eine monatliche pauschale Vergütung von netto 7 300 DM vereinbart. Nicht zu den Geschäftsbesorgungsleistungen sollten Entscheidungen gehören, die bei Auslaufen der Verträge, zum Beispiel über die Wahrnehmung von Verwertungschancen und über die Konditionen bei etwaigen vorzeitigen Vertragsablösungen, getroffen werden müssen. Hierfür sollte der Geschäftsführer N in Abstimmung mit der Muttergesellschaft der G und deren Geschäftsführer Geschäftsführersitzungen in Berlin anberaumen; um dann die Entscheidung der Geschäftsführung der Klägerin entgegenzunehmen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) versagte nach Durchführung einer Betriebsprüfung für die Streitjahre die Gewährung der sog. Berlinpräferenz nach § 21 Abs. 2 Satz 1 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) und setzte die Körperschaftsteuer entsprechend fest.
Die dagegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging im Ergebnis davon aus, dass N wesentliche Tätigkeiten der Geschäftsführung in Westdeutschland vorgenommen habe, und zwar dort in den Räumlichkeiten von Geschäftspartnern, einer beauftragten Steuerberatungsgesellschaft in U sowie in einer Sparkasse in M. Es sei davon auszugehen, dass N seine jeweiligen Dienstreisen von seiner in M belegenen Wohnung aus angetreten habe. Damit fehle es aber an dem für die Gewährung der Berlinvergünstigung erforderlichen ausschließlichen Ort der Geschäftsleitung in Berlin.
Ihre Revision stützt die Klägerin auf Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Sie beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Körperschaftsteuer 1987 und 1988 unter Berücksichtigung der Berlinvergünstigung niedriger festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zu anderweitigen Steuerfestsetzungen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Nach § 21 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG ermäßigt sich bei Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die ihre Geschäftsleitung und ihren Sitz ausschließlich in Berlin (West) haben, vorbehaltlich des Satzes 2 die tarifliche Körperschaftsteuer i.S. des § 23 Abs. 1 bis 4, § 26 Abs. 6 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) für die Streitjahre 1987 und 1988 um die im Gesetz genannten Vomhundertsätze, soweit sie auf Einkünfte aus Berlin i.S. des § 23 BerlinFG entfällt. Nach § 21 Abs. 2 Satz 2 BerlinFG ermäßigt sich die tarifliche Körperschaftsteuer um die im Gesetz genannten Vomhundertsätze, soweit sie Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aus Anteilen an Körperschaften oder Personenvereinigungen enthält, die unbeschränkt steuerpflichtig sind. Nach § 10 der Abgabenordnung (AO 1977) ist der Ausdruck ”Geschäftsleitung” als der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung zu verstehen. Die Definition gilt auch für die Auslegung des § 21 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG (vgl. Senatsurteil vom I R 76/95, BFH/NV 1998, 434; Senatsbeschluss vom I B 37/93, BFH/NV 1994, 363). Nach § 12 Satz 2 Nr. 1 AO 1977 ist die Stätte der Geschäftsleitung zugleich eine Betriebsstätte der Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse. So gesehen setzt die Existenz einer Geschäftsleitung ausschließlich in Berlin (West) voraus, dass die Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse während des jeweiligen Veranlagungszeitraums einerseits in Berlin (West) einen Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung hat und andererseits außerhalb von Berlin (West) keinen (weiteren) Mittelpunkt (Betriebsstätte) unterhält, von der aus auch Geschäftsleitungsmaßnahmen durchgeführt werden. Letzteres ist vom FG im Streitfall aufgrund der von der Betriebsprüfung des FA getroffenen Feststellungen und aufgrund eigener Mutmaßungen verneint worden. Dem ist jedoch nicht zu folgen.
2. In seinem Urteil vom I K 1/93 (BFHE 176, 253, BStBl II 1995, 175) hat der Senat entschieden, dass unter der ”geschäftlichen Oberleitung” einer Kapitalgesellschaft i.S. des § 10 AO 1977 ihre Geschäftsführung im engeren Sinne zu verstehen ist (vgl. auch Bundesfinanzhof —BFH—, Urteil vom IV R 58/95, BFHE 184, 185, BStBl II 1998, 86; Senatsurteile in BFH/NV 1998, 434; vom I R 138/97, BFHE 188, 251, BStBl II 1999, 437, 439; Senatsbeschluss vom I B 134/97, BFH/NV 1999, 372). Das ist die sog. laufende Geschäftsführung. Zu ihr gehören die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt, und solche organisatorischen Maßnahmen, die zur gewöhnlichen Verwaltung der Gesellschaft gehören (”Tagesgeschäfte”). Jedes Unternehmen hat mindestens einen Ort der geschäftlichen Oberleitung. Letztlich bestimmt sich nach den im Einzelfall von der Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten, welche von ihnen der Geschäftsleitung zuzuordnen sind und auf welche bei der Bestimmung des Ortes bzw. der Orte der Geschäftsleitung abzustellen ist. Dies schließt nicht aus, dass ein Unternehmen mehrere Orte der Geschäftsleitung haben kann und dass einzelne Geschäftsleitungstätigkeiten verschiedenen Mittelpunkten (Betriebsstätten) zuzuordnen sein können (Senatsurteile in BFH/NV 1998, 434; in BFHE 188, 251, BStBl II 1999, 437, 439; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 10 AO Tz. 9; a.A. Buciek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 10 AO Rz. 29).
Allerdings fordert § 21 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG, dass sämtliche Geschäftsleitungstätigkeiten ”ausschließlich” dem in Berlin (West) bestehenden Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung zuzurechnen sind. Besteht deshalb außerhalb von Berlin (West) ein weiterer Mittelpunkt (Betriebsstätte), dem Tätigkeiten zuzurechnen sind, die den Geschäftsleitungsbereich betreffen, so schließt dies die Gewährung der Steuerermäßigung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG aus. Vor diesem Hintergrund ist es nicht rechtsfehlerhaft, wenn das FG die Vertragsverhandlungen und Vertragsabschlüsse sowie die Erörterungen mit der Steuerberatungsgesellschaft und der Sparkasse im Streitfall dem Bereich der geschäftlichen Oberleitung zugeordnet hat. Das FG hat jedoch keine Feststellungen darüber getroffen, dass die genannten Geschäftsleitungstätigkeiten einem außerhalb von Berlin (West) gelegenen Mittelpunkt (Betriebsstätte) der Klägerin zuzurechnen sind.
3. Nach § 10 AO 1977 setzt die Annahme einer Geschäftsleitung einen Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung voraus. Nach § 12 Satz 2 Nr. 1 AO 1977 bildet die Stätte der Geschäftsleitung eine Betriebsstätte. Daraus folgt, dass das Innehaben der Geschäftsleitung ausschließlich in Berlin (West) nicht nur tätigkeits-, sondern auch ortsbezogen verstanden werden muss. Befindet sich ein Geschäftsführer auf einer mehrtägigen Dienstreise und trifft er während derselben wichtige Geschäftsleitungsentscheidungen, so bildet der jeweilige Ort der Entscheidung noch keinen Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung des vertretenen Unternehmens. Es fehlt an einer ortsbezogenen Einrichtung außerhalb der Geschäftsleitungsbetriebsstätte, der die Tätigkeit zuzuordnen ist. Eine solche befindet sich nicht zwangsläufig am jeweiligen Aufenthaltsort des Geschäftsleiters. Die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG sind deshalb nur dann nicht erfüllt, wenn sich entweder die Geschäftsleitungsbetriebsstätte der Klägerin außerhalb von Berlin (West) befand oder wenn außerhalb der (insoweit unterstellten) Geschäftsleitungsbetriebsstätte der Klägerin in Berlin (West) eine weitere Einrichtung existierte, der Geschäftsleitungstätigkeiten der Klägerin zuzuordnen sind. Letzteres setzt eine Einrichtung voraus, an der sich der Geschäftsführer mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufhält und der Maßnahmen der Geschäftsführung zuzuordnen sind, weil sie entweder dort getroffen werden oder weil der Geschäftsführer mit einer gewissen Regelmäßigkeit von dort aus agiert.
Die vom FG getroffene Feststellung, dass N Verhandlungen mit wechselnden Auftraggebern und Auftragnehmern, der Steuerberatungsgesellschaft sowie der Sparkasse in Westdeutschland führte, reicht sonach nicht aus, um dort eine weitere Einrichtung der Klägerin anzunehmen. Die Geschäftseinrichtungen von Geschäftspartnern bilden in der Regel keine Einrichtung (Betriebsstätte). Entscheidend ist, ob einem Geschäftsführer der Klägerin außerhalb Berlin (West) Wohn- oder Geschäftsräume zur Verfügung standen, die er mit einer gewissen Regelmäßigkeit nutzte und denen die in Westdeutschland ausgeübte Geschäftsleitungstätigkeit zuzuordnen ist. Dafür ist im Streitfall nichts dargetan. Dass in der unmittelbaren Übergangszeit nach der Verlegung der Geschäftsleitung nach Berlin im Oktober 1986 noch die eine oder die andere —möglicherweise auch geschäftsleitende— Tätigkeit von U aus vorgenommen sein mag, trägt die gegenteilige Schlussfolgerung jedenfalls ebenso wenig wie der bloße Umstand, dass N in Westdeutschland wohnte und von dort —zumindest gelegentlich— seine Dienstreisen zu westdeutschen Geschäftspartnern aufnahm. Zwar ist es vorstellbar, dass sich in der Wohnung des Geschäftsführers einer GmbH eine Betriebsstätte der GmbH befand, z.B. in einem häuslichen Arbeitszimmer, ggf. auch in den Wohnräumen selbst, vorausgesetzt, die GmbH hatte darüber eine gewisse Verfügungsmacht (vgl. , BFHE 170, 224, BStBl II 1993, 577, 579; in BFHE 188, 251, BStBl II 1999, 437, 439; Senatsbeschluss in BFH/NV 1999, 372; Buciek in Beermann, a.a.O., § 10 AO Rz. 22, m.w.N.). Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin fehlt es daran jedoch. Es ist auch nichts dafür ersichtlich oder geltend gemacht, das eine solche Annahme rechtfertigen könnte.
4. Da die Vorinstanz eine abweichende Auffassung vertreten hat, war ihr Urteil aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Die angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide sind antragsgemäß zu ändern. Die Berechnung der festzusetzenden Körperschaftsteuer wird dem FA nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1128 Nr. 9
HAAAA-68105