Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Maschinenbauunternehmens: Entstehung eines Abrechnungsverhältnisses zur Geltendmachung von Mängelrechten ohne Abnahme
Leitsatz
Allein durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers entsteht kein Abrechnungsverhältnis im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu Mängelrechten ohne Abnahme (, BauR 2017, 875 = NZBau 2017, 216; VII ZR 193/15, BauR 2017, 879 und VII ZR 235/15, BauR 2017, 1024 = NZBau 2017, 211).
Gesetze: § 634 Nr 2 BGB, § 637 Abs 3 BGB
Instanzenzug: Az: VII ZR 116/15 Beschlussvorgehend Az: I-23 U 91/14vorgehend LG Mönchengladbach Az: 7 O 6/11
Tatbestand
1Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der r. e. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin ist ein Maschinenbauer. Die Beklagte erbringt logistische Dienstleistungen aller Art. Mit Vertrag vom bestellte die Beklagte bei der Schuldnerin eine Anlage zur Bearbeitung von Getränkeleergut, Kistenbefüllung und Herstellung von Fertigpaletten zum Versand an Kunden (Crating-Anlage).
2Mit der Klage hat die Schuldnerin die Bezahlung der dritten Abschlagsrechnung vom über 1.134.403,20 € begehrt. Die Beklagte hält diese Forderung für nicht fällig. Sie ist zudem der Auffassung, dass ihr ein Vorschussanspruch nach § 637 Abs. 3 BGB für Nacherfüllungs- und Mängelbeseitigungskosten zustehe. Mit diesem Anspruch erklärt sie hilfsweise die Aufrechnung. Darüber hinaus hat sie mit der Widerklage einen weiteren Kostenvorschuss von 2 Mio. € und die Feststellung begehrt, dass die Schuldnerin verpflichtet ist, ihr die gesamten Nacherfüllungs- und Mängelbeseitigungskosten zu ersetzen. Zudem hat die Beklagte die Zahlung von 158.850 € als Vertragsstrafe sowie die Feststellung begehrt, dass die Schuldnerin verpflichtet sei, ihr den Schaden zu ersetzen, der daraus entstehe, dass die Lieferung, Montage und Inbetriebnahme der Anlage zur Bearbeitung von Getränkeleergut, Kistenbefüllung und Herstellung von Fertigpaletten zum Versand an Kunden nicht seit dem abnahmefähig fertiggestellt sei.
3Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme eines Teils der beantragten Zinsen stattgegeben. Auf die Widerklage hat das Landgericht die Schuldnerin verurteilt, 158.850 € nebst Zinsen zu zahlen und festgestellt, dass sie verpflichtet ist, der Beklagten den Schaden zu ersetzen, der daraus entsteht, dass die von der ihr geschuldeten Leistungen nicht seit dem abnahmefähig fertiggestellt sind. Im Übrigen hat das Landgericht die Widerklage abgewiesen.
4Gegen das landgerichtliche Urteil haben die Schuldnerin und die Beklagte Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Schuldnerin die Beklagte zu weitergehenden Zinszahlungen verurteilt und die Widerklage vollständig abgewiesen. Die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen.
5Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen. Der Senat hat durch Beschluss vom entschieden, dass die Revision nur insoweit zugelassen ist, als die Beklagte einen Kostenvorschussanspruch geltend macht. Dies betrifft die Hilfsaufrechnung der Beklagten zur Klageforderung und die den Kostenvorschussanspruch umfassenden Widerklageanträge. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Übrigen hat der Senat zurückgewiesen, die insoweit ebenfalls eingelegte Revision hat er als unzulässig verworfen.
6Nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ist aufgrund Antrags der Schuldnerin über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
7Die Beklagte beantragt in der Revisionsinstanz noch, unter Aufhebung des Berufungsurteils die Klage abzuweisen und einen Kostenvorschussanspruch in Höhe von 2 Mio. € nebst Zinsen zur Insolvenztabelle festzustellen.
Gründe
A.
8Die von dem Kläger und der Beklagten erklärte Aufnahme des durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin unterbrochenen Rechtsstreits ist sowohl hinsichtlich der Klage als auch der Widerklage wirksam.
91. Werden in einem Verfahren durch Klage und Widerklage wechselseitig Ansprüche geltend gemacht, ist das Aufnahmerecht für Klage und Widerklage getrennt zu prüfen (RGZ 122, 51, 53; HK-InsO/Kayser, 8. Aufl., § 85 Rn. 48; MünchKommInsO/Schumacher, 3. Aufl., § 85 Rn. 4).
102. Aktivprozesse des Schuldners kann nach § 85 InsO grundsätzlich nur der Insolvenzverwalter aufnehmen. Gegen den Schuldner gerichtete Prozesse (Passivprozesse), kann der Prozessgegner aufnehmen, was für Insolvenzforderungen - wie hier - aus §§ 87, 180 Abs. 2 InsO folgt.
11Die Frage, ob ein Aktiv- oder ein Passivprozess vorliegt, ist nicht nach der formellen Parteirolle zu beantworten, sondern danach, ob in dem anhängigen Rechtsstreit über die Pflicht zu einer Leistung gestritten wird, die in die Masse zu gelangen hat (, NZBau 2005, 399, juris Rn. 9; Urteil vom - II ZR 140/93, NJW 1995, 1750, juris Rn. 5). Diese Beurteilung richtet sich nach dem aktuellen Stand des Rechtsstreits, nicht nach dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit (vgl. , aaO).
123. Auf dieser Grundlage hat der Kläger den Rechtsstreit wirksam aufgenommen, soweit die Beklagte begehrt, unter Aufhebung des Berufungsurteils die Klage abzuweisen. Denn insoweit streiten die Parteien über eine Zahlungspflicht der Beklagten zugunsten der Masse. Dass im Revisionsverfahren noch allein zu prüfen ist, ob durch die Hilfsaufrechnung der Beklagten die Klageforderung erloschen ist, ändert an dieser Beurteilung nichts. Die Verteidigungsmittel der Beklagten sind für die Einordnung als Aktiv- oder Passivprozess nicht wesentlich (MünchKommInsO/Schumacher, 3. Aufl., § 85 Rn. 5).
134. Hinsichtlich des zum Kostenvorschuss noch anhängigen Widerklageantrags hat die Beklagte den Rechtsstreit wirksam aufgenommen.
14Für die ursprünglich auf Zahlung von 2 Mio. € gerichteten Widerklage liegen die Voraussetzungen der §§ 87, 179 Abs. 1, § 180 Abs. 2, § 181 InsO vor. Nach diesen Vorschriften kann ein anhängiger Rechtsstreit gegen den Insolvenzverwalter nur und insoweit aufgenommen werden, als die streitgegenständliche Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet, geprüft und vom Insolvenzverwalter bestritten wurde (, NJW-RR 2005, 241, juris Rn. 4). Dieses Verfahren ist durchgeführt worden.
B.
15Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
I.
16Das Berufungsgericht hat - soweit für die Revision von Bedeutung - ausgeführt:
17Es könne dahinstehen, ob es sich bei dem zwischen der Schuldnerin und der Beklagten geschlossenen Vertrag um einen Werkvertrag handele. Selbst wenn das Vertragsverhältnis als Werkvertrag einzuordnen sei, stehe der Beklagten der Kostenvorschussanspruch aus § 637 Abs. 3 BGB bereits deshalb nicht zu, weil sich der Vertrag noch im Erfüllungsstadium befinde. Für eine eigene Mangelbeseitigung durch den Besteller, für den er Vorschuss fordern könne, sei in diesem Stadium grundsätzlich kein Raum.
18Das Erfüllungsstadium des vorliegenden Vertragsverhältnisses sei erst mit der vereinbarten Endabnahme abgeschlossen. Diese habe nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien noch nicht stattgefunden. Beide Parteien gingen übereinstimmend davon aus, dass das Erfüllungsstadium nicht abgeschlossen sei. Die Klageforderung beziehe sich lediglich auf eine Abschlagszahlung.
19Ein Fall, in dem ausnahmsweise bereits das Mangelrecht des Vorschusses im Erfüllungsstadium zur Anwendung kommen könne, liege nicht vor. Das Vertragsverhältnis sei von keiner der Parteien vorzeitig beendet worden. Schließlich werde vorliegend nicht die Beseitigung von Mängeln eines aus Sicht des Unternehmers fertiggestellten Werkes endgültig verweigert, was nach obergerichtlichen Entscheidungen ausnahmsweise zur Anwendbarkeit der §§ 634 ff. BGB vor Abnahme führen könne.
20Mangels Kostenvorschussanspruches sei die Klageforderung nicht durch die Hilfsaufrechnung der Beklagten erloschen. Zudem seien die sich auf den Kostenvorschuss beziehenden Widerklageanträge der Beklagten unbegründet.
II.
21Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
221. Nach der Verkündung des Berufungsurteils und der Einlegung der Revision durch die Beklagte hat der Senat entschieden, dass der Besteller die Mängelrechte aus § 634 BGB grundsätzlich erst nach Abnahme des Werks mit Erfolg geltend machen kann (, BauR 2017, 875 Rn. 31 ff. = NZBau 2017, 216; VII ZR 193/15, BauR 2017, 879 Rn. 25 ff.; VII ZR 235/15, BauR 2017, 1024 Rn. 32 ff. = NZBau 2017, 211).
23Die Revision der Beklagten enthält keine Argumente, die der Senat nicht bereits in den genannten Entscheidungen berücksichtigt hätte.
24Des Weiteren hat der Senat entschieden, dass der Besteller berechtigt sein kann, Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 BGB ohne Abnahme geltend zu machen, wenn er nicht mehr die (Nach-)Erfüllung des Vertrags verlangen kann und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist. Allein das Verlangen eines Vorschusses für die Beseitigung eines Mangels im Wege der Selbstvornahme genügt dafür nicht. In diesem Fall entsteht ein Abrechnungsverhältnis ausnahmsweise, wenn der Besteller ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck bringt, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer, der ihm das Werk als fertiggestellt zur Abnahme angeboten hat, zusammenarbeiten zu wollen, also ernsthaft und endgültig eine (Nach-)Erfüllung durch ihn ablehnt, selbst für den Fall, dass die Selbstvornahme nicht zu einer mangelfreien Herstellung des Werks führt (, BauR 2017, 875 Rn. 44 ff. = NZBau 2017, 216; VII ZR 193/15, BauR 2017, 879 Rn. 38 ff.).
252. Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, nach § 637 Abs. 3 BGB einen Kostenvorschuss für die Mängelbeseitigung zu verlangen.
26Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist das Vertragsverhältnis von keiner Vertragspartei beendet worden. Zudem hat die Beklagte weder ausdrücklich noch konkludent zum Ausdruck gebracht, unter keinen Umständen mehr mit der Schuldnerin zusammenarbeiten zu wollen.
273. Soweit die Revision geltend macht, nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht seien Umstände eingetreten, die zu einem Abrechnungsverhältnis und damit zur Begründetheit eines Kostenvorschussanspruches nach § 637 Abs. 3 BGB führen würden, verhilft das der Revision nicht zum Erfolg.
28a) Nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat die Schuldnerin selbst beantragt, über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Die Revision meint deshalb, die Schuldnerin habe durch ihren Eigeninsolvenzantrag einen wichtigen Grund für eine Kündigung gesetzt, der sich im Ergebnis als Vertragsverletzung darstelle. Deshalb stehe Treu und Glauben der Annahme entgegen, dass es für die Geltendmachung von Mängelrechten noch einer Abnahme bedürfe.
29Diese Erwägungen führen nicht zu einem Abrechnungsverhältnis. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes der Eigen-insolvenzantrag des Unternehmers einen wichtigen Grund zur Kündigung durch den Besteller darstellen (Urteil vom - VII ZR 56/15, BGHZ 210, 1 Rn. 40 f.). Ob die Voraussetzungen entsprechend § 314 BGB vorliegend gegeben sind, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls fehlt es nach dem revisionsrechtlich zu beurteilenden Sachverhalt an einer Kündigung der Beklagten.
30b) Des Weiteren behauptet die Beklagte, der Kläger könne beziehungsweise wolle ohnehin nicht mehr nachbessern, so dass auch aus diesem Grund ein Abrechnungsverhältnis anzunehmen sei. Das ist revisionsrechtlich unbeachtlich.
31Nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO unterliegt der Beurteilung des Revisionsgerichtes nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll der Berufungsinstanz ersichtlich ist. Diese Norm ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes einschränkend dahin auszulegen, dass in der Revisionsinstanz auch nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz eingetretene, im Hinblick auf die materielle Rechtslage relevante Tatsachen berücksichtigt werden können, wenn die Tatsachen unstreitig sind und schützenswerte Belange der Gegenpartei nicht entgegenstehen (, BauR 2017, 875 Rn. 20 = NZBau 2017, 216).
32Auf dieser Grundlage kann der Vortrag der Beklagten, der Kläger könne oder wolle nicht mehr nachbessern, nicht berücksichtigt werden, da dieser Vortrag nicht unstreitig ist.
334. Soweit schließlich die Revision meint, das Berufungsgericht habe gegen den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG, verstoßen, so dass deshalb das Berufungsurteil aufzuheben sei, ist dies ebenfalls unberechtigt. Das Berufungsgericht war nicht, wie die Revision meint, dazu verpflichtet, die Beklagte darauf hinzuweisen, dass statt eines Kostenvorschusses Schadensersatz geltend gemacht oder die Abnahme erklärt werden könnte. Wie die Revision selbst ausführt, war die Rechtsfrage, ob ein Vorschussanspruch vor Abnahme besteht, Gegenstand der gegenseitigen Schriftsätze in der Berufungsinstanz. Die Beklagte bedurfte deshalb keines gesonderten Hinweises darauf, dass ein Kostenvorschussanspruch gegebenenfalls nicht bestehen könnte.
III.
34Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:091117UVIIZR116.15.0
Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 697 Nr. 10
WM 2017 S. 2397 Nr. 50
ZIP 2017 S. 2414 Nr. 50
TAAAG-64062