BFH Urteil v. - XI R 68/00

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt (—FA—) berechtigt war, den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid 1995 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern.

Der im Juni 1940 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bei der Fa. X-GmbH & Co. KG beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde im Streitjahr 1995 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 78 003 DM aufgelöst. Entsprechend der Einkommensteuererklärung behandelte das FA 36 000 DM gemäß § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als steuerfrei und besteuerte den Rest von 42 003 DM gemäß § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt. Bei einer Lohnsteueraußenprüfung wurde festgestellt, dass nur ein Betrag in Höhe von 30 000 DM als steuerfrei gemäß § 3 Nr. 9 EStG hätte behandelt werden dürfen. Das FA folgte dieser Beurteilung und erhöhte den ermäßigt zu besteuernden Betrag auf 48 003 DM. Es änderte den ursprünglichen Bescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 durch den Bescheid vom . Der Einspruch der Kläger wurde durch Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab; die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1291 veröffentlicht.

Mit der Revision machen die Kläger geltend: Das FG habe in seinem Urteil die Verletzung der Ermittlungspflicht durch das FA verkannt. Eine Änderung sei ausgeschlossen, da das FA die ihm obliegende Ermittlungspflicht verletzt habe, die Steuerpflichtigen hingegen ihrer Mitwirkungspflicht vollständig genügt hätten. Es seien sämtliche geforderten Angaben vollständig und richtig gemacht worden.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil sowie den Bescheid vom in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei dem FA bei der ursprünglichen Veranlagung nicht bekannt gewesen.

Eine Verletzung der Ermittlungspflicht liege nicht vor. Die Kläger hätten bereits bei Abgabe der Steuererklärung erkennen müssen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung des erhöhten Freibetrags nicht gegeben seien.

II. Die Revision ist unbegründet; sie ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zutreffend entschieden, dass das FA berechtigt war, den bereits bestandskräftig gewordenen Bescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu ändern.

1. Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 können Steuerbescheide geändert werden, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Die Änderung eines Bescheides ist nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn dem FA die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das FA es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (, BFH/NV 1997, 757; vom IV R 18/98, BFHE 187, 250, BStBl II 1999, 286, und vom II R 79/97, BFH/NV 1999, 1301; , BFH/NV 2000, 1445).

Das FA braucht eindeutigen Steuererklärungen nicht mit Misstrauen zu begegnen; es kann regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen (Kruse/Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., Stand Juli 2001, § 173 AO 1977 Tz. 65); nur wenn sich Unklarheiten oder Zweifelsfragen aufdrängen ist das FA zum Tun verpflichtet (, BFH/NV 1989, 726, und in BFH/NV 1997, 757).

2. Im Streitfall ist dem FA erst nachträglich bekannt geworden, dass der Kläger im Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Hinsichtlich dieses Umstandes, der zur Folge hatte, dass nur ein Betrag von 30 000 DM nach § 3 Nr. 9 EStG steuerfrei war, hat das FA seine Ermittlungspflichten nicht verletzt. Die Erklärung des von einem Steuerberater vertretenen Klägers, wie sie sich aus der Einkommensteuererklärung ergibt, eine Entschädigung in Höhe von 42 003 DM erhalten zu haben, war eindeutig auch im Hinblick darauf, dass die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit eines Betrags von 36 000 DM gegeben waren. Für das FA bestand bei seinem damaligen Kenntnisstand keine Veranlassung, von sich aus weitere Ermittlungen anzustellen, insbesondere sich alle Verträge vorlegen zu lassen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
IAAAA-68015