BFH Beschluss v. - XI B 125/01

Gründe

I. Die Einkommensteuer 1991 der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller), eines zusammenveranlagten Ehepaares, wurde unter Berücksichtigung eines Verlustrücktrags aus dem Veranlagungszeitraum 1993 bestandskräftig veranlagt. In der Folgezeit wurde der Einkommensteuerbescheid 1991 wiederholt nach § 10d Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geändert. Zuletzt versagte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) den Verlustrücktrag. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Antragsteller war u.a. im Veranlagungszeitraum 1993 Komplementär einer KG. Diesen Gesellschaftsanteil hielt er zu zwei Dritteln als Treuhänder für die Herren B und C. Das für die KG zuständige Betriebsstätten-FA erließ für den Feststellungszeitraum 1993 —den Feststellungserklärungen entsprechend— am einen Gewinnfeststellungsbescheid für die KG, in dem ein Verlust in Höhe von 160 751 DM und ein Verlustanteil des Antragstellers —entsprechend seiner Beteiligung von 80 % an der KG— in Höhe von 124 379 DM festgestellt wurde. Am selben Tag wurde dem FA mitgeteilt, dass der Antragsteller an der KG beteiligt sei und auf ihn ein Verlust in Höhe von 124 379 DM entfalle.

Am erließ das Betriebsstätten-FA einen weiteren Feststellungsbescheid, der als ”Gesellschaft/Gemeinschaft” den Namen des Klägers mit dem Zusatz ”Treuhänder” angab und in dem Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit ./. 124 379 DM festgestellt wurden. Die übliche Anlage zu den Feststellungsbeteiligten befindet sich nicht in den vorgelegten Steuerakten. Nach Aktenlage erging jedoch am selben Tag Mitteilung an das FA, wonach der Antragsteller an der Gesellschaft bürgerlichen Rechts A (=Antragsteller), B und C —Unterbeteiligungsgesellschaft— beteiligt sei und auf ihn nach dem Feststellungsbescheid vom für das Kalenderjahr 1993 ein Verlust in Höhe von 41 460 DM entfalle.

Das beklagte FA berücksichtigte bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte der Antragsteller für 1993 zunächst sowohl den mit Bescheid vom als auch den mit Bescheid vom festgestellten Verlustanteil, insgesamt also einen Verlust in Höhe von 165 839 DM aus der Beteiligung an der KG. Der bei Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte für 1993 nicht ausgeglichene Verlust wurde auf das Streitjahr 1991 zurückgetragen.

Nachdem im Rahmen einer Betriebsprüfung die fehlerhafte Verlusterfassung erkannt worden war, erließ das FA am einen Einkommensteueränderungsbescheid für 1991, mit dem es den Verlustrücktrag aus 1993 in vollem Umfang versagte. Der Einspruch gegen diesen Bescheid hatte keinen Erfolg. Die Klage ist beim Finanzgericht (FG) anhängig.

Am erließ das Betriebsstätten-FA für 1993 eine geänderte Feststellung für die KG, in der unverändert ein Verlust in Höhe von 160 751 DM festgestellt und in Höhe von 124 379 DM dem Antragsteller zugewiesen wurde. Darin wurde er nunmehr ausdrücklich als ”Treuhänder” bezeichnet. Der für die KG zuständige Senat des FG setzte diesen Änderungsbescheid von der Vollziehung aus.

Der beim FG nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des geänderten Einkommensteuerbescheids 1991 blieb erfolglos (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2001, 1258).

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde begehren die Antragsteller, den Beschluss des FG aufzuheben und die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1991 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Einspruch auszusetzen, soweit die festgesetzte Einkommensteuer den Betrag von 59 314 DM übersteigt.

Der angefochtene Bescheid sei von der Vollziehung auszusetzen, weil die Sach- und Rechtslage beispiellos kompliziert und verworren, der Feststellungsänderungsbescheid vom von der Vollziehung ausgesetzt und eine Änderung der Einkommensteuer 1991 nach § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG aufgrund der Bindung an den Feststellungsbescheid vom unzulässig sei. Inhalt und Umfang der Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids richte sich nach dessen Inhalt. Da der Antragsteller im Feststellungsbescheid vom nicht als Treuhänder ausgewiesen worden sei, sei das FA an die dort getroffene Verlustfeststellung gebunden. Dies gelte nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch für § 10d Abs. 1 EStG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ergäben sich ferner aus der Zulassung der Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Aufgrund des Steuergeheimnisses sei es nicht befugt gewesen, im Bescheid vom auf das Bestehen einer Treuhandschaft hinzuweisen.

II. Die Beschwerde ist als unbegründet zurückzuweisen.

1. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 1991 ist nicht gemäß § 69 Abs. 2 Satz 4 FGO als Folgebescheid von der Vollziehung auszusetzen. Aus der Aussetzung der Vollziehung des Feststellungsbescheides vom folgt nur, dass dessen Bindungswirkung nach § 182 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorübergehend aufgehoben ist. Die Aussetzung der Vollziehung eines Feststellungsänderungsbescheides lässt jedoch die Bindungswirkung (§ 182 Abs. 1 AO 1977) vorausgegangener Feststellungsbescheide unberührt. Für die Dauer der Geltung bzw. Vollziehbarkeit des Steueränderungsbescheides verlieren zwar vorangegangene Feststellungsbescheide ihre Rechtswirkungen. Durch die Aussetzung der Vollziehung des Änderungsbescheides werden die Wirkungen der Erstbescheide vorläufig jedoch wieder hergestellt (vgl. z.B. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 69 Rdnr. 55 ”Änderungsbescheide”, m.w.N.; Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Tz. 24 ”Änderungsbescheid”, m.w.N.).

2. Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteueränderungsbescheides 1991 i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sind zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung des Bescheides anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFH/NV 1995, 759). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

a) Bei summarischer Überprüfung des Streitfalles kann von einer Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen nicht ausgegangen werden. Der Sachverhalt ist unter I. dargestellt, ist festgestellt und wird als solcher von den Antragstellern nicht bestritten. Allein die Tatsache, dass er ”kompliziert” ist, rechtfertigt noch keine Aussetzung der Vollziehung.

b) Auch in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen besteht keine Unsicherheit.

aa) Nach summarischer Überprüfung des unstreitigen Sachverhaltes ist Rechtsgrundlage für die Versagung des Verlustrücktrags im Streitjahr § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG. Danach sind die für vorangegangene Veranlagungszeiträume ergangenen Steuerbescheide insoweit zu ändern, als der Verlustabzug (Verlustrücktrag) zu gewähren oder zu berichtigen ist. Das gilt auch dann, wenn die Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind; die Verjährungsfristen enden insoweit nicht, bevor die Verjährungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, in dem Verluste nicht ausgeglichen werden (§ 10d Abs. 1 Satz 3 EStG). Im Streitfall lief die reguläre Verjährungsfrist für das Verlustentstehungsjahr 1993 am ab (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977). Zu ändern ist ein in einem vorangegangenen Veranlagungszeitraum gewährter Verlustrücktrag auch dann, wenn an die Stelle des bisher zurückgetragenen Verlustes ein Gewinn getreten ist (vgl. , BFHE 195, 286, BStBl II 2001, 564).

bb) Bei summarischer Überprüfung bestehen ferner keine ernstlichen Zweifel daran, dass der bei der Veranlagung 1993 zu ermittelnde Gesamtbetrag der Einkünfte positiv ist, weil der mit Bescheid vom festgestellte Verlustanteil des Antragstellers als Komplementär in Höhe von 124 379 DM bei der Veranlagung 1993 nicht zu berücksichtigen ist. Es besteht keine Bindung an diesen Feststellungsbescheid. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH ein Bescheid, in dem gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 ein Verlust festgestellt wird, nicht nur für die Einkommensteuerfestsetzung des Verlustentstehungsjahrs, sondern auch für die Jahre des Verlustrücktrags gemäß § 10d EStG bindend (vgl. z.B. , BFH/NV 2001, 1026, m.w.N.). Danach ist das FA im Streitfall aber nur an den Feststellungsbescheid vom , nicht an den Bescheid vom gebunden.

Nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind Feststellungsbescheide, auch wenn sie noch nicht unanfechtbar sind, für andere Feststellungsbescheide, Steuermessbescheide, Steuerbescheide und für Steueranmeldungen (Folgebescheide) bindend, soweit die in den Feststellungsbescheiden getroffenen Feststellungen für diese Folgebescheide von Bedeutung sind. Der Feststellungsbescheid vom ist ausschließlich für den Feststellungsbescheid vom , nicht aber für die Einkommensteuer 1993 bzw. 1991 von Bedeutung. Dies folgt aus der Zweistufigkeit der Gewinnfeststellungen bei treuhänderischer Mitunternehmerbeteiligung:

Der Antragsteller war 1993 —unstreitig— als Komplementär an der KG beteiligt. Zwei Drittel dieses Gesellschaftsanteils hielt er treuhänderisch für die Herren B und C. Sind an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft mehrere Treugeber über einen Treuhänder beteiligt, so ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus der Gesellschaft grundsätzlich in einem zweistufigen Verfahren durchzuführen. In der ersten Stufe ist gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 der Gewinn oder Verlust der Gesellschaft festzustellen und auf die Gesellschafter (einschließlich des Treuhandgesellschafters) entsprechend dem maßgebenden Verteilungsschlüssel aufzuteilen. In einem zweiten Feststellungsbescheid muss der Gewinnanteil des Treuhänders entsprechend § 179 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 auf die Treugeber und (hier) den Antragsteller aufgeteilt werden (vgl. z.B. , BFHE 189, 309, BStBl II 1999, 747; vom X R 42/96, BFHE 194, 305, BStBl II 2001, 471, jeweils m.w.N.; , BFH/NV 1995, 565). Die Zweistufigkeit des Verfahrens gilt für die offene und verdeckte Treuhandschaft gleichermaßen. Aus der Systematik dieses zweistufigen Feststellungsverfahrens folgt, dass der Feststellungsbescheid erster Stufe ausschließlich für den Feststellungsbescheid zweiter Stufe i.S. des § 182 Abs. 1 AO 1977 von Bedeutung ist. Aus der bloßen Mitteilung des Betriebsstätten-FA an das beklagte FA über die Ergebnisse der Feststellungen auf der ersten Stufe kann sich keine Bindungswirkung ergeben (vgl. , BFHE 188, 548, BStBl II 1999, 545).

3. Entgegen der Auffassung der Antragsteller folgen aus der Zulassung der Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung keine ernstlichen Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO. Wie oben dargelegt, kommt es auf die zwischen Senaten des FG vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zur Notwendigkeit des Ausweises des Treuhandverhältnisses in den Feststellungen erster Stufe nicht an.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1278 Nr. 10
EAAAA-67925