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FG Berlin-Brandenburg Urteil v. - 9 K 9151/15 EFG 2017 S. 1633 Nr. 20

Gesetze: AO § 34 Abs. 1, AO § 69 S. 1, AO § 69 S. 2, AO § 191 Abs. 1 S. 1, AO § 5, FGO § 102 S. 1, UStG § 12 Abs. 1, UStG § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c, InsO § 17 Abs. 2

Haftungsinanspruchnahme des ehemaligen Geschäftsführers für wegen unzutreffender Nichtanwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes bei objektiv zu hohen Umsatzsteuerverbindlichkeiten der GmbH ohne Begründung zur Ermessensausübung bezüglich der Inanspruchnahme für die objektiv zu hohe Umsatzsteuerschuld ermessensfehlerhaft

Haftung des GmbH-Geschäftsführers bei unzureichender Überwachung des beauftragten Bevollmächtigten und trotz schwerer Erkrankung eines nahen Angehörigen

nur noch 50 %ige Haftung für von der GmbH verwirkte Säumniszuschläge ab Eintritt der Insolvenzreife der GmbH

Leitsatz

1. Um eine fehlerfreie Ermessensentscheidung treffen zu können, ist es seitens der Finanzbehörde erforderlich, den Sachverhalt umfassend und einwandfrei zu ermitteln. Mangelt es an Sachverhaltsermittlungen, die den Beitrag eines Haftungsschuldners zur eingetretenen Steuerverkürzung betreffen und die deshalb bei der Ermessenswürdigung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht fehlen, so ist der Haftungsbescheid ermessensfehlerhaft.

2. Wird der frühere Geschäftsführer für Umsatzsteuerverbindlichkeiten einer nunmehr insolventen GmbH in Anspruch genommen, die unstreitig wegen unrichtiger Anwendung des Regelsteuersatzes anstelle des ermäßigten Umsatzsteuersatzes objektiv zu hoch sind, und hat die GmbH bereits vor der Bekanntgabe des Haftungsbescheids sowie der dazugehörigen Einspruchsentscheidung durch berichtigte Rechnungen gegenüber ihren – nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Kunden – nunmehr den zu niedrigeren Umsatzsteuerschulden führenden ermäßigten Steuersatz angewendet, so ist der Haftungsbescheid ermessensfehlerhaft und aufzuheben, wenn er sich nicht mit der Frage auseinandersetzt, ob es ermessensgerecht ist, den ehemaligen Geschäftsführer nach § 69 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO persönlich wegen rückständiger Umsatzsteuer in Haftung zu nehmen, obwohl unstreitig ist, dass die GmbH für jene Besteuerungszeiträume objektiv zu hohe Umsatzsteuerbeträge erklärt hat.

3. Auch wenn eine GmbH eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit der Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten beauftragt, hat der GmbH-Geschäftsführer zumindest seine Überwachungspflichten nicht erfüllt, wenn häufig Umsatzsteuererklärungen bzw. -voranmeldungen nicht, verspätet und unrichtig abgegeben worden sind und die geschuldeten Steuerbeträge nicht zumindest im Umfang der erforderlichen Tilgungsquote geleistet worden sind. Sofern ein schwerer Unfall eines nahen Angehörigen den Geschäftsführer von der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Pflichten abgehalten hat, hätte dieser zur Vermeidung einer Haftungsinanspruchnahme nach § 69 AO das Geschäftsführeramt niederlegen müssen.

4. Ab dem Zeitpunkt der sog. Insolvenzreife der GmbH i. S. v. § 17 Abs. 2 InsO haftet ein GmbH-Geschäftsführer nach der BFH-Rspr. nur für 50 % der ab diesem Zeitpunkt entstehenden Säumniszuschläge.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
DStZ 2017 S. 864 Nr. 23
EFG 2017 S. 1633 Nr. 20
GmbH-StB 2018 S. 26 Nr. 1
HAAAG-59657

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