Gewerkschaftlicher Unterlassungsanspruch - Nachwirkungszeitraum
Leitsatz
Der gewerkschaftliche Anspruch auf Unterlassung tarifwidriger Regelungsabreden und deren einzelvertragliche Umsetzung nach § 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 9 Abs. 3 GG erfordert eine unmittelbare und zwingende Bindung des in Anspruch genommenen Arbeitgebers nach § 3 Abs. 1 oder Abs. 3 TVG an die maßgebenden Tarifbestimmungen. Nach Beendigung der Tarifgebundenheit kann das Recht auf koalitionsgemäße Betätigung durch vom Tarifvertrag abweichende betriebliche Regelungen als Voraussetzung eines negatorischen Unterlassungsanspruchs nicht mehr beeinträchtigt werden.
Gesetze: § 1004 Abs 1 BGB, § 823 Abs 1 BGB, Art 9 Abs 3 GG, § 3 Abs 1 TVG, § 3 Abs 3 TVG, § 4 Abs 5 TVG
Instanzenzug: ArbG Magdeburg Az: 11 BV 18/13 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Az: 4 TaBV 32/13 Beschluss
Gründe
1A. Die Beteiligten streiten über Unterlassungsansprüche der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft - ver.di.
2Die Arbeitgeberinnen (Beteiligte zu 2. bis 4.) betreiben jeweils eine Klinik. Sie waren Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband Sachsen-Anhalt e.V. (KAV) und wurden vom Geltungsbereich des § 40 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst - Besonderer Teil Krankenhäuser - im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD-BT-K) erfasst. Die Arbeitgeberinnen kündigten ihre Mitgliedschaften im KAV jeweils zum Ablauf des Jahres 2012. Jede von ihnen traf mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat (Beteiligte zu 5. bis 7.) am eine Vereinbarung, die ua. wie folgt lautet:
3Nachdem die Ergebnisse der Regelungsabreden auf Beschäftigtenversammlungen am vorgestellt wurden, unterzeichneten ca. 96 vH der von ihnen erfassten Arbeitnehmer entsprechende Änderungsverträge.
4Mit ihren Anträgen hat die Gewerkschaft, die in allen Kliniken vertreten ist, von den drei Arbeitgeberinnen verlangt, die weitere Anwendung einzelner Bestimmungen der Regelungsabreden und der geschlossenen Änderungsverträge zu unterlassen. Ihre Ansprüche folgten sowohl aus § 23 Abs. 3 BetrVG als auch aus § 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 9 Abs. 3 GG. Die generelle Reduzierung der bisherigen individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit um 12,5 vH, die Vereinbarung über zu erbringende Arbeitsleistungen bei betrieblichen Notwendigkeiten sowie der vereinbarte Verzicht auf ein Leistungsentgelt und auf eine Jahressonderzahlung seien tarifwidrig. Zwar enthielten die hier streitigen Vereinbarungen der Regelungsabrede keinen unmittelbaren und zwingenden Inhalt iSd. § 77 Abs. 4 BetrVG. Etwas anderes gelte aber für die §§ 3, 4 der Regelungsabrede, so dass insgesamt eine Betriebsvereinbarung vorliege. Die Arbeitgeberinnen seien nach ihrem Austritt aus dem KAV jedenfalls nach § 3 Abs. 3 TVG tarifgebunden. Nach dem erfolgte Änderungen des TVöD-BT-K seien für die Nachbindung an dem hier maßgebenden TVöD-AT ohne Auswirkungen.
5Die Gewerkschaft hat beantragt,
6Die zu 2. bis 4. beteiligten Arbeitgeberinnen sowie der zu 5. beteiligte Betriebsrat haben beantragt, die Anträge abzuweisen. Das Urteilsverfahren sei die zutreffende Verfahrensart. Auch fehle der Gewerkschaft die Antragsbefugnis. Es sei nicht erkennbar, dass sie einen erheblichen Teil der Beschäftigten organisiere. Die Änderungsverträge enthielten keine wesentlichen Abweichungen von zwingenden tarifvertraglichen Regelungen. Zudem seien die Regelungsabreden zwischenzeitlich erledigt, weil Anträge auf Abschluss eines Änderungsvertrags nicht mehr abgegeben würden. Schließlich wirkten die Tarifbestimmungen nur noch iSd. § 4 Abs. 5 TVG nach. Die zu 6. und 7. beteiligten Betriebsräte haben gemeint, eine Nachbindung der Arbeitgeberinnen sei nicht beendet worden, weil der TVöD-AT als „Mantelbestandteil“ des „TVöD“ unverändert geblieben sei.
7Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Auf die Beschwerde der Gewerkschaft hat das Landesarbeitsgericht den Anträgen im Wesentlichen stattgegeben. Mit ihren Rechtsbeschwerden verfolgen die Arbeitgeberinnen ebenso wie der zu 5. beteiligte Betriebsrat mit seiner Anschlussrechtsbeschwerde die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
8B. Die Rechtsbeschwerden der Arbeitgeberinnen - an deren Zulassung durch das Landesarbeitsgericht der Senat nach § 92 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 72 Abs. 3 ArbGG gebunden ist, obwohl diese auf den bereits zum außer Kraft getretenen Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer „Rechtssache“ gestützt wurde - sind begründet. Die Anschlussrechtsbeschwerde des zu 5. beteiligten Betriebsrats ist unzulässig.
9I. Die Rechtsmittel der Arbeitgeberinnen sind erfolgreich.
101. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist allerdings nicht bereits deshalb aufzuheben, weil das Arbeitsgericht das Verfahren nicht in das Urteilsverfahren überführt hat. Zwar hat es trotz einer Rüge der Arbeitgeberinnen nicht vorab über die zutreffende Verfahrensart entschieden, so dass der Senat nicht nach § 93 Abs. 2, § 65 ArbGG an die vorliegende Verfahrensart gebunden ist. Das Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG ist aber für den Anspruch einer Gewerkschaft auf die Unterlassung tarifwidriger Betriebsvereinbarungen oder Regelungsabreden, die dazu bestimmt sind, eine tarifliche Ordnung zu verdrängen, die zutreffende Verfahrensart ( - Rn. 14 mwN, BAGE 138, 68). Gleiches gilt, wenn die individualvertragliche Umsetzung vereinbarter Regelungsabreden angegriffen wird. Denn auch insoweit geht die behauptete Rechtsverletzung von einem gemeinsamen Handeln der Betriebsparteien aus ( - zu B I 2 b der Gründe, BAGE 91, 210).
112. Die Anträge sind nach gebotener Auslegung zulässig.
12a) Die Anträge bedürfen der Auslegung.
13aa) Die Gewerkschaft verlangt mit den Anträgen zu I. 1. a., 3. a. und 4. a. von den Arbeitgeberinnen die weitere Durchführung bestimmter von den Betriebsparteien getroffener Vereinbarungen - zeitlich befristet auf den Abschluss von entsprechenden tariflichen Regelungen mit ihr - zu unterlassen. Mit diesem Unterlassungsbegehren werden keine Beseitigungsansprüche geltend gemacht. Vielmehr ist der Antrag darauf gerichtet, dass sich die Arbeitgeberinnen bei ihrem weiteren betrieblichen Handeln - ungeachtet der Rechtsnatur der „Regelungsabreden“ und ihrer Wirksamkeit - nicht auf die von der Gewerkschaft als tarifwidrig angesehenen einzelnen, in den Anträgen näher bezeichneten Abreden stützen.
14bb) Die mit den Anträgen zu I. 1. b., 2., 3. b. und 4. b. begehrte Verpflichtung ist - gleichfalls zeitlich befristet - darauf gerichtet, zukünftig die Nichtanwendung der geschlossenen Änderungsverträge insoweit zu unterlassen, als diese nach Auffassung der Gewerkschaft tarifwidrige Abreden beinhalten. Damit werden die Grenzen des negatorischen Rechtsschutzes gewahrt. Die Beeinträchtigung der kollektiven Koalitionsfreiheit, der hier mit dem Unterlassungsanspruch begegnet werden soll, liegt in der Vereinbarung tarifwidriger betrieblicher Regelungen und deren Umsetzung in den Änderungsverträgen (vgl. - Rn. 42, BAGE 138, 68).
15b) Mit diesem Inhalt sind die Anträge hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die begehrten Unterlassungspflichten sind so konkretisiert, dass die Arbeitgeberinnen erkennen können, was von ihnen für welchen Zeitraum verlangt wird. Es ist nicht erforderlich, dass die Gewerkschaft diejenigen Arbeitnehmer namentlich benennt, hinsichtlich derer sie von den Arbeitgeberinnen verlangt, es zu unterlassen, die geänderten vertraglichen Abreden anzuwenden. Anders als in dem der Entscheidung des Vierten Senats vom (- 4 AZR 271/02 - zu II 2 der Gründe, BAGE 105, 275) zu Grunde liegenden Sachverhalt hat die Gewerkschaft die Anträge nicht auf ihre Mitglieder beschränkt (vgl. - Rn. 25, BAGE 138, 68).
163. Die Gewerkschaft ist entgegen der Auffassung der Arbeitgeberinnen antragsbefugt. Sie macht geltend, durch deren Maßnahmen in ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit verletzt worden zu sein. Auf solche Rechtsverletzungen gestützte Unterlassungsbegehren erscheinen nicht von vornherein als aussichtslos (vgl. - Rn. 16 mwN).
174. Neben den Arbeitgeberinnen sind nach § 83 Abs. 3 ArbGG die einzelnen Betriebsräte beteiligt. Durch die begehrte Entscheidung, die sich gegen ihre mit der jeweiligen Arbeitgeberin getroffene Vereinbarung richtet, werden sie in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen.
185. Die Anträge der Gewerkschaft sind entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts im Umfang der erfolgten Stattgabe unbegründet. Hinsichtlich der Unterlassungsanträge zu I. 1. a., 3. a. und 4. a. fehlt es an einer Wiederholungsgefahr (unter b). In Bezug auf die weiteren Anträge zu I. 1. b., 2., 3. b. und 4. b. ist eine fortbestehende Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft aufgrund des Wegfalls der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG jedenfalls am entfallen (unter c). Der als unechter Hilfsantrag gestellte Antrag zu II. fällt daher nicht zur Entscheidung an.
19a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht einer Gewerkschaft bei einer Verletzung ihrer Koalitionsfreiheit durch tarifwidrige Regelungsabreden und deren einzelvertragliche Umsetzung ein Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 1, § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 9 Abs. 3 GG zu.
20aa) Art. 9 Abs. 3 GG schützt eine Koalition in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihren Betätigungen, sofern diese der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen. Der Schutz erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen. Dazu gehören sämtliche Betätigungen, die dem Zweck der Koalitionen dienen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern ( - zu II 2 a der Gründe). Die so geschützte Koalitionsfreiheit wird nicht erst dann beeinträchtigt, wenn eine Koalition daran gehindert wird, Tarifrecht zu schaffen. Eine Einschränkung oder Behinderung dieses Freiheitsrechts liegt nach der Senatsrechtsprechung bereits in Abreden oder Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, die Wirkung des von Koalitionen geschaffenen Tarifrechts zu vereiteln oder leerlaufen zu lassen. Unschädlich ist, ob entsprechende Abreden nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig sind, also die tarifliche Ordnung nicht in rechtlich erzwingbarer Weise ersetzen können. Die Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit liegt bereits in der Eignung solcher Absprachen, aufgrund ihres erklärten Geltungsanspruchs faktisch an die Stelle der tariflichen Regelung zu treten. Darauf zielen tarifwidrige Regelungsabreden und auf deren Grundlage erfolgte arbeitsvertragliche Änderungsregelungen mit einem vom Tarifvertrag abweichenden Inhalt ab. Ihr offenkundiger Zweck ist es, Tarifnormen als kollektive Ordnung zu verdrängen und sie damit ihrer zentralen Funktion zu berauben ( - Rn. 35, BAGE 138, 68).
21bb) Geltendes Tarifrecht wird allerdings nur dann verdrängt, wenn der betreffende Tarifvertrag im Anwendungsbereich der fraglichen betrieblichen Regelung normativ gilt, sei es nach § 3 Abs. 1 TVG oder § 3 Abs. 3 TVG. Soweit es daran fehlt, besteht kein Geltungsanspruch des Tarifvertrags und der Arbeitgeber ist frei, mit seinen Arbeitnehmern untertarifliche Arbeitsbedingungen zu vereinbaren (vgl. - zu B II 2 b bb und B III 2 der Gründe, BAGE 91, 210). Dies ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bereits dann der Fall, wenn der Tarifvertrag lediglich nachwirkt. Inhalt des Koalitionsschutzes ist die Sicherung der Wirkung von Tarifverträgen. Im Nachwirkungszeitraum kommt den Tarifvertragsparteien keine ausschließliche Regelungsmacht mehr zu (DKKW-Berg BetrVG 15. Aufl. § 77 Rn. 210; Berg/Platow DB 1999, 2362, 2365; Fitting BetrVG 28. Aufl. § 77 Rn. 236 mwN; Däubler TVG/Ahrendt 4. Aufl. § 1 Rn. 1259; Kreutz GK-BetrVG 10. Aufl. § 77 Rn. 463; Rieble ZTR 1999, 483, 485; aA Stein in: Kempen/Zachert/Stein TVG 5. Aufl. § 4 Rn. 253). Die Tarifnormen „gelten“ nach § 4 Abs. 5 TVG im Nachwirkungszeitraum zwar weiter. Sie wirken damit kraft Gesetzes für die bisher tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse nach wie vor unmittelbar, sie sind aber nicht mehr zwingend (st. Rspr., etwa - Rn. 19). Nach Beendigung der Tarifgebundenheit kann das Recht auf koalitionsgemäße Betätigung durch von den tariflichen Inhalten abweichende betriebliche Regelungen nicht mehr beeinträchtigt werden. Es fehlen zwingende Tarifregelungen. Dann entfällt zugleich die Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit als Voraussetzung eines negatorischen Unterlassungsanspruchs, der auf die Abwehr zukünftiger Störungen gerichtet ist.
22b) Die gegen die weitere Durchführung der in § 2 Abs. 1 Spiegelstrich 1 und 2 der Regelungsabrede gerichteten Unterlassungsanträge zu I. 1. a., 3. a. und 4. a. sind mangels einer Wiederholungsgefahr unbegründet.
23aa) Dabei kann es vorliegend dahinstehen, ob sich die Gewerkschaft für ihr Begehren neben § 1004 Abs. 1 Satz 1, § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 9 Abs. 3 GG auch auf einen Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 iVm. § 77 Abs. 3 BetrVG stützen kann. Der Senat muss nicht darüber befinden, ob die Auffassung der Gewerkschaft, die jeweiligen Betriebsparteien hätten am namentlich im Hinblick auf § 2 Abs. 3 der Vereinbarungen nicht nur eine Regelungsabrede, sondern eine Betriebsvereinbarung iSd. § 77 Abs. 3 BetrVG geschlossen, zutreffend ist. Dies unterstellt, ist auch nicht zu entscheiden, ob § 77 Abs. 3 BetrVG Grundnorm der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung ist, die einen gewerkschaftlichen Unterlassungsanspruch gegen tarifwidrige Betriebsvereinbarungen trägt (vgl. - zu C I 2 a der Gründe, BAGE 97, 167). Für einen auf § 23 Abs. 3 iVm. § 77 Abs. 3 BetrVG gestützten Unterlassungsanspruch fehlt es an einer Wiederholungsgefahr.
24bb) Die Besorgnis weiterer Beeinträchtigungen (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB) ist Tatbestandsmerkmal des auf §§ 1004, 823 BGB iVm. Art. 9 Abs. 3 GG gestützten Unterlassungsanspruchs und damit materielle Anspruchsvoraussetzung ( - Rn. 82 mwN, BAGE 143, 354). Künftige Beeinträchtigungen eines geschützten Rechts sind grundsätzlich zu besorgen, wenn sie auf einer Verletzungshandlung beruhen (Wiederholungsgefahr) oder eine solche ernsthaft zu befürchten ist (Erstbegehungsgefahr). Wiederholungsgefahr ist die objektive Gefahr der erneuten Begehung einer konkreten Verletzungshandlung. Sie ist nicht auf die identische Verletzungsform beschränkt, sondern umfasst alle im Kern gleichartigen Verletzungsformen ( - Rn. 39 mwN, BAGE 150, 50). Für sie besteht eine tatsächliche Vermutung, wenn es bereits zu einer Verletzung des geschützten Rechts gekommen ist. Auch bei einem Unterlassungsbegehren nach § 23 Abs. 3 iVm. § 77 Abs. 3 BetrVG indiziert bereits eine grobe Pflichtverletzung die erforderliche Wiederholungsgefahr ( - Rn. 15 mwN). Diese ist im Rahmen beider Anspruchsgrundlagen allerdings dann ausgeschlossen, wenn aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen keine erneute Verletzungshandlung zu erwarten ist (zu § 23 Abs. 3 BetrVG - Rn. 15; zu § 1004 BGB - Rn. 32, BAGE 146, 189).
25cc) Indem die Gewerkschaft ihre Unterlassungsbegehren auf konkrete Vereinbarungen der Regelungsabreden beschränkt, legt sie zugleich den Bezugspunkt für die Wiederholungsgefahr fest. Eine Auslegung der Unterlassungsanträge auf eine von den konkreten Vereinbarungen in den Regelungsabreden abstrahierte Verletzungsform ist angesichts des gesamten Vorbringens der Gewerkschaft, sie wolle die „Unterlassung der weiteren Durchführung“ der geschlossenen Regelungsabreden erreichen, ohne Verstoß gegen § 308 ZPO nicht möglich. Daher besteht keine Wiederholungsgefahr, die Arbeitgeberinnen würden sich bei ihrem weiteren betrieblichen Handeln auf die in den Anträgen genannten Vereinbarungen in den Regelungsabreden beziehen. Diese sind - jedenfalls in Bezug auf die in den Anträgen genannten Regelungsgegenstände - auf den Abschluss von Änderungsverträgen „bis zum “ ausgerichtet. In dem anliegenden Muster für die Änderungsverträge ist für deren Wirksamkeit eine Annahmefrist für das Vertragsangebot bis gleichfalls zu diesem Datum vorgesehen. Zukünftige Vertragsangebote gemäß § 2 Abs. 1 der Regelungsabreden kommen schon nach dem Inhalt der Regelungsabreden nicht mehr in Betracht. Auch die Arbeitgeberinnen haben im Verfahren unwidersprochen vorgebracht, die Regelungsabreden hätten sich zwischenzeitlich erledigt, weil Änderungsverträge nicht mehr angeboten würden.
26c) Die Gewerkschaft kann sich für ihr Begehren nach den Anträgen zu I. 1. b., 2., 3. b. und 4. b. nicht auf §§ 1004, 823 BGB iVm. Art. 9 Abs. 3 GG stützen. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass die Arbeitgeberinnen schon zum Zeitpunkt der Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht nicht mehr an den TVöD-AT und den TVöD-BT-K nach § 3 Abs. 3 TVG gebunden waren. Der TVöD-AT und der TVöD-BT-K befanden sich ab dem in der Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG. Bereits aus diesem Grund scheiden zukunftsbezogene Unterlassungsansprüche aus.
27aa) Es bedarf deshalb vorliegend keiner Entscheidung, ob neben dem in den Änderungsverträgen vereinbarten Verzicht auf eine Jahressonderzahlung (§ 20 TVöD-AT) und das Leistungsentgelt (§ 18 TVöD-AT) die weiteren angegriffenen Regelungen über eine Reduzierung der bisherigen individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit um 12,5 vH und die Verpflichtung zu weiteren Arbeitsleistungen im Rahmen betrieblicher Notwendigkeiten, die § 6 Abs. 5 TVöD-K entspricht, einen tarifwidrigen Inhalt haben. Soweit die Arbeitgeberinnen meinen, der Verzicht auf die Leistungen nach §§ 18, 20 TVöD-AT sei unter Berücksichtigung der befristeten Regelungen in Nr. 2.2 der Änderungsverträge und § 2 Abs. 2 der Regelungsabreden günstiger, trifft dies nicht zu. Bei einem Günstigkeitsvergleich können nur diejenigen Regelungen miteinander verglichen werden, die in einem sachlichen Zusammenhang stehen („Sachgruppenvergleich“). Arbeitsentgeltbestandteile einerseits sowie eine befristete Beschäftigungssicherung durch den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und „freie Tage“ andererseits (Nr. 2.2 der Änderungsvertragsmuster) sind unterschiedlich geartete Regelungsgegenstände, für deren Bewertung es keinen gemeinsamen Maßstab gibt (st. Rspr. - Rn. 24 mwN, BAGE 124, 323).
28bb) Eine (etwaige) Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft durch tarifwidrige Abreden in den geschlossenen Änderungsverträgen hat mit Eintritt der Nachwirkung des TVöD-BT-K bei den Arbeitgeberinnen ab dem geendet.
29(1) Mit dem Austritt der Arbeitgeberinnen aus dem KAV zum Ende des Jahres 2012 endete deren unmittelbare Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG. Das bedingt den Eintritt der Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG ab dem .
30(2) Bereits nachfolgende Änderungen des TVöD-BT-K wie der von den Arbeitgeberinnen angeführte Änderungsvertrag Nr. 6 zum TVöD-BT-K, der zum § 42 Abs. 2 Satz 2 (Einsatzzuschlag), § 51 (Funktionszulagen für Ärztinnen und Ärzte) sowie der Anlage C und G (Tabellenentgelte) änderte, führten zur Beendigung der Nachbindung iSd. § 3 Abs. 3 TVG sowohl an den TVöD-BT-K als auch an den TVöD-AT. Weitere Änderungen erfolgten zudem durch die nachfolgenden Änderungstarifverträge Nr. 7 und Nr. 8 zum TVöD-BT-K vom .
31(a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts führt jede Änderung eines Tarifvertrags zu dessen Ende iSd. § 3 Abs. 3 TVG. Das ergibt sich aus der für die geänderten Tarifregelungen nunmehr fehlenden mitgliedschaftlichen Legitimation des Verbandshandelns für das ehemalige Mitglied. Ein Arbeitgeber, der aus dem tarifschließenden Arbeitgeberverband ausgetreten ist, kann nicht mehr zwingend an Tarifregelungen gebunden sein, die für die mit ihm konkurrierenden, im Verband verbliebenen Arbeitgeber nicht mehr mit dem gleichen Inhalt gelten ( - Rn. 39 f. mwN). Dafür kommt es nicht darauf an, ob die nicht geänderten Teile eines Tarifvertrags noch eine sinnvolle Ordnung ergeben. Es trifft weiterhin nicht zu, wenn die Gewerkschaft vorbringt, die „bloße Anpassung von Zahlenwerten“ sei in gesonderten Entgelttarifverträgen erfolgt. Die Änderung von Entgelttabellen ist in den genannten Änderungstarifverträgen zum TVöD-BT-K geregelt.
32(b) Entgegen der Auffassung der Gewerkschaft und der zu 6. und zu 7. beteiligten Betriebsräte führt zudem jede Änderung des TVöD-BT-K zu einer Beendigung der Nachbindung in Bezug auf die Regelungen des TVöD-AT im Geltungsbereich des TVöD-BT-K. Das folgt aus der Regelungstechnik des allgemeinen Teils und der besonderen Teile des TVöD. Der TVöD setzt sich in seinem jeweiligen Geltungsbereich nach dem ausdrücklichen Willen der Tarifvertragsparteien aus zwei tarifvertraglichen Regelungen zusammen und bildet insoweit eine Einheit. Der TVöD-AT mit seinen Reglungen in den §§ 1 bis 39 gilt für alle Bereiche. Die einzelnen besonderen Teile, die nur für den jeweiligen fachlichen Geltungsbereich eine unmittelbare und zwingende Geltung beanspruchen, enthalten sowohl Vorschriften, die von den Regelungen des allgemeinen Teils abweichen und deshalb als speziellere Normen den Regelungen des TVöD-AT vorgehen. Daher bilden nach Nr. 1 der Vorbemerkungen zu den besonderen Teilen „Der TVöD - Allgemeiner Teil - und der jeweilige Besondere Teil … Krankenhäuser (BT-K) … im Zusammenhang das Tarifrecht für den jeweiligen Dienstleistungsbereich“, auch wenn sie rechtlich selbstständige Tarifverträge blieben (Nr. 4 der Vorbemerkungen). Dementsprechend haben die Tarifvertragsparteien nach der Vorbemerkung Nr. 2 „Zur besseren Übersicht und Lesbarkeit … aus dem Allgemeinen Teil des TVöD und dem jeweiligen Besonderen Teil … durchgeschriebene Fassungen für die sechs Dienstleistungsbereiche erstellt.“
33(c) Darüber hinaus wurden durch die Änderungstarifverträge Nr. 10 (vom ) sowie Nr. 11 und Nr. 12 (jeweils vom ) zum TVöD-AT tarifliche Regelungen des TVöD-AT im Geltungsbereich des TVöD-BT-K geändert.
34(3) Mit dem Eintritt der Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG ist die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft nicht mehr betroffen ( - Rn. 37, BAGE 138, 68, sh. auch oben B I 5 a bb). Der Umstand, dass es sich bei den bereits im Januar 2013 geschlossenen Änderungsverträgen nicht um andere Abmachungen iSd. § 4 Abs. 5 TVG handelt, führt zu keinem anderen Ergebnis.
35(a) Nach § 4 Abs. 5 TVG gelten nach Ablauf eines Tarifvertrags seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden, die denselben Regelungsbereich erfasst. Für die Annahme einer solchen Abmachung zur Ablösung eines nachwirkenden Tarifvertrags ist es zwar nicht erforderlich, dass diese erst nach Eintritt der Nachwirkung geschlossen wird. Die Abrede muss aber vom Regelungswillen der Parteien darauf gerichtet sein, eine bestimmte bestehende Tarifregelung in Anbetracht ihrer absehbar bevorstehenden Beendigung und des darauffolgenden Eintritts der Nachwirkung abzuändern (ausf. - Rn. 61 ff. mwN, BAGE 131, 176).
36(b) Danach handelt es sich bei den Änderungsverträgen nach dem Muster in den Regelungsabreden nicht um andere Abmachungen iSd. § 4 Abs. 5 TVG. Die Abreden sind von ihrem Regelungsgehalt nicht darauf gerichtet, eine bestimmte bestehende Tarifregelung in Anbetracht ihrer bevorstehenden Beendigung und des darauffolgenden Eintritts abzuändern. Vielmehr sollte - jedenfalls bezogen auf §§ 18, 20 TVöD-AT - unmittelbar und nicht erst zum Zeitpunkt des Eintritts einer Nachwirkung eine von tariflichen Bestimmungen abweichende vertragliche Regelung geschaffen werden.
37(c) Für die Begründetheit der Unterlassungsanträge der Gewerkschaft kommt es vorliegend nicht darauf an, wann etwaige untertarifliche individuelle Absprachen getroffen wurden und ob sie als einen nachwirkenden Tarifvertrag ersetzende andere Abmachungen iSd. § 4 Abs. 5 TVG anzusehen sind. Der gewerkschaftliche Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 1, § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 9 GG dient dem Schutz der kollektiven Koalitionsfreiheit. Er soll die zwingende und unmittelbare Geltung des von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Tarifrechts sichern. Die koalitionsmäßige Betätigung der Gewerkschaft wird aber ab dem Ende der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers nicht mehr beeinträchtigt. Die Gewerkschaft kann daher nicht die fehlende Ablösung nachwirkenden Tarifrechts aufgrund unzureichender individualrechtlicher Vereinbarungen geltend machen. Hierzu fehlt ihr die Legitimation. Dies wird bestätigt durch Sinn und Zweck der Nachwirkung. Sie soll eine Überbrückungsregelung schaffen, die eine zwischenzeitliche Bestimmung der bisher tarifvertraglich geregelten Arbeitsbedingungen nach anderen Regelungen entbehrlich macht ( - Rn. 27, BAGE 128, 175).
38II. Die Anschlussrechtsbeschwerde des zu 5. beteiligten Betriebsrats ist unzulässig.
391. Eine Anschlussrechtsbeschwerde muss nach § 92 Abs. 2 Satz 1, § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Rechtsbeschwerdebegründung erklärt werden. Sie kann - anders als eine Anschlussbeschwerde, weil § 90 ArbGG keine Frist für die Beschwerdeerwiderung kennt - nicht bis zum Anhörungstermin eingelegt werden. Maßgebend sind nach § 92 Abs. 2 Satz 1, § 72 Abs. 5 ArbGG die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Revision und damit die Frist von einem Monat nach § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO.
402. Danach ist die Anschlussrechtsbeschwerde nicht innerhalb der gesetzlichen Frist eingelegt worden. Die Rechtsbeschwerdebegründung der Beteiligten zu 1. bis 3. wurde dem zu 5. beteiligten Betriebsrat am zugestellt; die Anschlussrechtsbeschwerdeschrift ging erst am und damit nach Ablauf der Monatsfrist beim Bundesarbeitsgericht ein.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:070617.B.1ABR32.15.0
Fundstelle(n):
BB 2017 S. 2483 Nr. 42
DB 2017 S. 7 Nr. 41
NJW 2017 S. 10 Nr. 24
EAAAG-59029