Unwirksamer Bebauungsplan keine "lex posterior"; Überleitung als Bebauungsplan; Verhältnis von Art. 297 Abs. 1 StGBEG und Bauplanungsrecht
Gesetze: § 9 Abs 1 Nr 1 BauGB, § 9a Nr 1 Buchst a BauGB, § 10 BauGB, § 173 Abs 3 S 1 BBauG, § 1 Abs 5 BauNVO, § 1 Abs 8 BauNVO, Art 297 Abs 1 StGBEG, Art 14 Abs 1 GG, § 1 Abs 9 BauNVO
Instanzenzug: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Az: 8 S 205/14 Urteilvorgehend Az: 13 K 556/12
Gründe
1Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
2Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, so bereits 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>). Daran fehlt es hier.
31. Die Frage,
ob der bundesrechtliche Rechtsgrundsatz "Iex posterior derogat legi priori" in Bezug auf Bebauungspläne auch dann anzuwenden ist, wenn ein Bebauungsplan in Bezug auf ein einzelnes Grundstück obsolet und damit in Bezug auf das einzelne Grundstück rechtsunwirksam geworden ist und gleichzeitig im Bebauungsplan folgende Bestimmung enthalten ist: "Mit Inkrafttreten dieses Bebauungsplans treten im Geltungsbereich alle bisherigen Vorschriften außer Kraft; dies gilt insbesondere für die bisherigen Bebauungspläne ...",
führt nicht zur Zulassung der Revision. Die Beschwerde verfehlt insoweit bereits die Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Anwendung und Auslegung von Landesrecht erhoben, so ist näher darzulegen, inwiefern die gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführte bundesrechtliche Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom - 4 B 266.94 - NVwZ 1995, 601 = juris Rn. 6, vom - 6 B 42.97 - Buchholz 406.39 Denkmalschutzrecht Nr. 8 = juris Rn. 8 m.w.N., vom - 4 B 35.03 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 26 = juris Rn. 4 und vom - 4 B 9.15 - juris Rn. 2). Hieran fehlt es. Die Beschwerde legt nicht dar, inwiefern der bundesrechtliche Grundsatz "Iex posterior derogat legi priori" weiterer Klärung bedarf, sondern wendet sich im Ergebnis gegen die Auslegung des dem nicht revisiblen Landesrecht angehörenden Bebauungsplans "Neckar-Hauffstraße" durch das Berufungsgericht.
4Die Frage würde sich in einem Revisionsverfahren zudem nicht stellen. Wie der Senat bereits entschieden hat ( 4 C 3.90 - BVerwGE 85, 289 <292>), verliert ein alter Bebauungsplan seine frühere rechtliche Wirkung, wenn eine Gemeinde diese Bauleitplanung ändert, insbesondere einen Bebauungsplan durch einen neuen ersetzt. Das folgt über § 10 BauGB aus dem gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtssatz, dass die spätere Norm die frühere verdrängt (siehe auch BVerwG, Beschlüsse vom - 4 CN 2.09 - juris Rn. 3 und vom - 4 VR 2.09 - juris Rn. 2). Entfällt wegen der Unwirksamkeit der späteren Norm die Möglichkeit der Normenkollision, dann gilt die alte Rechtsnorm unverändert fort ( 4 C 3.90 - BVerwGE 85, 289 <292 f.>). Möchte die Gemeinde diese Rechtsfolge vermeiden, sollen mithin die Festsetzungen des früheren Bebauungsplans auf jeden Fall - und sei es bei Unwirksamkeit der Festsetzungen des neuen Bebauungsplans auch ersatzlos - beseitigt werden, muss sie einen - im textlichen Teil des Plans zum Ausdruck zu bringenden - Aufhebungsbeschluss fassen (vgl. auch 4 C 16.07 - BVerwGE 133, 98 Rn. 31). Ein solcher selbständiger Aufhebungsbeschluss muss erkennen lassen, dass er auch dann Bestand haben soll, wenn die neuen Festsetzungen unwirksam sein sollten ( 4 C 3.90 - BVerwGE 85, 289 <293>). Dass die Beklagte mit dem Erlass des Bebauungsplans "Neckar-Hauffstraße" einen diesen Anforderungen entsprechenden ausdrücklichen Aufhebungsbeschluss in Bezug auf die Ortsbausatzung vom gefasst hätte, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt. Seine Annahme, die Teilunwirksamkeit des Bebauungsplans "Neckar-Hauffstraße" führe dazu, dass frühere, ihrerseits wirksame, planungsrechtliche Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung für das Baugrundstück wieder aufleben, obwohl die Beklagte mit dem Inkrafttreten des Bebauungsplans "Neckar-Hauffstraße" alle für deren Geltungsbereich bisherig geltenden Bebauungspläne außer Kraft setzen wollte (UA S. 14), lässt sich mit Blick auf das von ihm selbst zitierte 4 C 3.90 - (BVerwGE 85, 289) nur so deuten, dass ein ausdrücklicher Aufhebungsbeschluss von der Beklagten gerade nicht gefasst worden ist.
5Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang auch eine Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) vom 4 C 3.90 - (BVerwGE 85, 289) geltend macht, verfehlt sie ebenfalls die Darlegungserfordernisse. Die Kläger stellen schon keine divergierenden Rechtssätze einander gegenüber. Der Sache nach machen sie eine unzutreffende Rechtsanwendung geltend, auf die eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aber nicht gestützt werden kann (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom - 9 B 38.04 - NVwZ 2005, 447 <448> = juris Rn. 16 und vom - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).
62. Auch die Frage,
ob festgestellte städtebauliche Pläne i.S.d. § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG nur solche Pläne sein können, die nachweislich aufgrund eines rechtsstaatlichen Verfahrens zustande gekommen sind, die den Mindestanforderungen nach Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 GG entsprechen, und ob es eine Vermutung dafür gibt, dass Satzungen, die unter der Federführung eines nationalsozialistisch geprägten Leitungsorganes zustande gekommen sind, nicht den rechtsstaatlichen Überleitungsanforderungen des § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG entsprechen,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Die Voraussetzungen, unter denen städtebauliche Pläne nach § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG übergeleitet werden können, sind in der Rechtsprechung des Senats geklärt ( 4 C 2.15 - ZfBR 2017, 151 Rn. 13 unter Verweis auf 4 C 64.69 - Buchholz 406.11 § 173 BBauG Nr. 8 und vom - 4 C 14.71 - BVerwGE 41, 67 <68>): Die Überleitung setzte - wie das Wort "bestehende" nahelegt, aber auch nach dem Sinnzusammenhang nicht zweifelhaft sein kann - zum einen voraus, dass die Vorschriften und Pläne - gemessen an dem im Zeitpunkt ihres Erlasses geltenden Recht - bei Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes 1960 gültig waren. Zum anderen hat der Senat ( 4 C 14.71 - BVerwGE 41, 67 <68>) dem Umstand, dass der Gesetzgeber die Überleitung "als Bebauungspläne" angeordnet hatte, entnommen, dass die Vorschriften und Pläne - auch über den ausdrücklich in Bezug genommenen § 9 BBauG 1960 hinaus - ganz allgemein einen Inhalt haben mussten, der nach neuem Recht Inhalt eines Bebauungsplans sein konnte. Die Überleitungsfähigkeit hing deshalb auch davon ab, ob das Abwägungsergebnis im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesbaugesetzes 1960 am "bebauungsplangemäß" war. Eine Vorschrift oder ein Plan, deren Inhalt als Abwägungsergebnis nicht durch Bebauungsplan hätte geschaffen werden können, wurde vom Bundesbaugesetz 1960 nicht "als Bebauungsplan" übergeleitet. Das gilt auch für Satzungen, die während des nationalsozialistischen Regimes (vgl. allgemein zur Gültigkeit von zu dieser Zeit entstandenen Normen: - BVerfGE 54, 53 = juris Rn. 49 m.w.N.) erlassen worden sind. Von einer Vermutung des Inhalts, dass Vorschriften und Pläne, die unter der Federführung eines nationalsozialistisch geprägten Leitungsorgans zustande gekommen sind, nicht den rechtsstaatlichen Überleitungsanforderungen des § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG entsprechen, ist der Senat nicht ausgegangen. Er hat es allerdings als nicht ausgeschlossen angesehen, für den Fall eines "non liquet" nach Beweislastgrundsätzen davon auszugehen, dass eine Festsetzung im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesbaugesetzes 1960 eine unverhältnismäßige, nicht im Einklang mit Art. 14 Abs. 1 GG stehende Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums dargestellt habe (vgl. zusammenfassend 4 C 2.15 - ZfBR 2017, 151). Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
73. Nicht klärungsbedürftig ist ferner,
ob Art. 297 EGStGB Festsetzungen des Verbotes von Bordellen oder bordellähnlichen Betrieben über weite Bereiche einer Kommune oder Stadt im Rahmen des § 1 Abs. 9 BauNVO ausschließt.
8Auf diese Frage lässt sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres antworten (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom - 4 B 91.97 - NVwZ 1998, 172 und vom - 4 B 79.02 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 114). Nach Art. 297 Abs. 1 EGStGB kann die Landesregierung oder nach Abs. 2 eine von ihr bestimmte Behörde zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstands durch Rechtsverordnung verbieten, dass in Gemeinde(teile)n der Prostitution nachgegangen wird. Der Erlass einer solchen Verordnung dient dem Schutz ordnungsrechtlicher Belange ( 6 C 28.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:171214U6C28.13.0] - Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 105 Rn. 12 und 15). Im Unterschied hierzu handelt es sich bei § 1 Abs. 9 BauNVO um eine Norm des Bauplanungsrechts, die der Gemeinde im Falle der Bebauungsplanung über § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 9a Nr. 1 Buchst. a BauGB und § 1 Abs. 5 und 8 BauNVO hinaus Festsetzungsmöglichkeiten zur Feinsteuerung der Bodennutzung eröffnet. Die Norm trägt damit städtebaulichen Belangen Rechnung (vgl. auch § 1 Abs. 1 BauGB). Hieraus folgt, dass sich die Anwendungsbereiche von Art. 297 EGStGB und § 1 Abs. 9 BauNVO nicht überschneiden, weil sie unterschiedlichen Zwecken dienen. Sie stehen nicht in einem Ausschlussverhältnis. Eine Verordnung nach Art. 297 EGStGB lässt daher die Befugnis der Gemeinde, Bordelle oder bordellähnliche Betriebe nach § 1 Abs. 9 BauNVO in einem Bebauungsplan auszuschließen, unberührt.
94. Die Frage,
ob bei der Beurteilung, ob die Grundzüge der Planung berührt sind, die Teilunwirksamkeit eines Bebauungsplans, die sich ausschließlich auf ein einzelnes Grundstück auswirkt, in die Überlegungen einzubeziehen ist, und ob hierbei zu berücksichtigen ist, dass von der Befreiung von Festsetzungen nur ein einzelnes Grundstück betroffen ist,
würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Der Verwaltungsgerichtshof ist davon ausgegangen, dass eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von den dem Vorhaben entgegenstehenden Festsetzungen des Bebauungsplans "Vergnügungsstätten" nicht erteilt werden könne, da hierdurch die Grundzüge der Planung berührt würden (UA S. 17). Die von den Klägern formulierte Frage bezieht sich demgegenüber auf den vom Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf das klägerische Grundstück insgesamt als teilunwirksam (UA S. 10 und 12) angesehenen Bebauungsplan "Neckar-Hauffstraße". Dass der Bebauungsplan "Vergnügungsstätten" teilunwirksam ist, hat das Berufungsgericht nicht angenommen.
10Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts stützt sich auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2017:160517B4B24.16.0
Fundstelle(n):
JAAAG-57938