EuGH Urteil v. - C-400/93

Leitsatz

  1. Artikel 119 EWG-Vertrag und die Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen sind auf Stücklohnsysteme anwendbar, bei denen das Entgelt ganz oder in wesentlichem Umfang vom Arbeitsergebnis des einzelnen Arbeitnehmers abhängt.

  2. Der in Artikel 119 EWG-Vertrag und Artikel 1 der Richtlinie 75/117 niedergelegte Grundsatz des gleichen Entgelts ist so auszulegen, daß bei einem Stücklohnsystem allein die Feststellung, daß das durchschnittliche Entgelt einer Gruppe von Arbeitnehmern, die überwiegend aus Frauen besteht, die eine bestimmte Art von Arbeit verrichten, wesentlich niedriger ist als das durchschnittliche Entgelt einer Gruppe von Arbeitnehmern, die überwiegend aus Männern besteht, die eine andersartige, als gleichwertig angesehene Arbeit verrichten, nicht den Schluß auf das Vorliegen einer Diskriminierung beim Entgelt zuläßt. Wenn sich jedoch bei einem Stücklohnsystem, in dem die individuellen Vergütungen aus einem variablen Anteil, der sich aus dem individuellen Arbeitsergebnis jedes Arbeitnehmers ergibt, und einem festen Anteil, der für die einzelnen Gruppen der betroffenen Arbeitnehmer unterschiedlich ist, bestehen, nicht feststellen läßt, welche Faktoren bei der Festsetzung der Stücklohnsätze oder der Maßeinheiten für die Berechnung des variablen Entgeltanteils von Bedeutung gewesen sind, kann von dem Arbeitgeber der Nachweis verlangt werden, daß die festgestellten Unterschiede nicht auf einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beruhen.

  3. Für den zwischen den Durchschnittsentgelten von zwei Gruppen von nach Stückzahl entlohnten Arbeitnehmern vorzunehmenden Vergleich muß sich das nationale Gericht vergewissern, daß die beiden Gruppen jeweils sämtliche Arbeitnehmer umfassen, die unter Berücksichtigung einer Gesamtheit von Faktoren, wie Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen, als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können, und daß die Gruppen eine relativ hohe Zahl von Arbeitnehmern umfassen und damit ausgeschlossen wird, daß die festgestellten Unterschiede rein zufällige oder konjunkturelle Erscheinungen widerspiegeln oder auf Unterschiede in den individuellen Arbeitsergebnissen der betroffenen Arbeitnehmer zurückgehen.

  4. Das nationale Gericht hat bei der Prüfung der Frage, ob der Grundsatz des gleichen Entgelts beachtet ist, festzustellen, ob die beiden Arten von Arbeiten unter Berücksichtigung von Umständen wie erstens des Umstands, daß die von einer der Gruppen der betroffenen Arbeitnehmer verrichtete Arbeit eine maschinengesteuerte Arbeit ist, die insbesondere Anforderungen an die Körperkraft stellt, während die von der anderen Gruppe verrichtete Arbeit eine Handarbeit ist, die insbesondere Geschicklichkeit erfordert, und zweitens des Umstands, daß Unterschiede zwischen der Arbeit der beiden Gruppen hinsichtlich der bezahlten Pausen und der Freiheit der individuellen Arbeitsorganisation sowie der mit der Arbeit verbundenen Belästigungen bestehen, gleichwertig sind oder ob diese Umstände als objektive Faktoren anzusehen sind, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben und mögliche Unterschiede beim Entgelt rechtfertigen können.

  5. Der Grundsatz der Gleichheit des Entgelts für männliche und weibliche Arbeitnehmer gilt auch, wenn die Entgeltbestandteile in Kollektivverhandlungen oder in Verhandlungen auf lokaler Ebene festgesetzt werden. Das nationale Gericht kann diesen Umstand jedoch bei der Beurteilung der Frage berücksichtigen, ob Unterschiede beim durchschnittlichen Entgelt von zwei Gruppen von Arbeitnehmern auf objektive Faktoren zurückgehen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Gründe

1 Das Faglige voldgiftsret (Schiedsgericht in Tarifsachen) hat mit Beschluß vom , beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag vier Fragen nach der Auslegung des Artikels 119 EWG-Vertrag und der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19, nachstehend: die Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Specialarbejderforbundet i Danmark (Gewerkschaft der Facharbeiter in Dänemark; nachstehend: Specialarbejderforbundet) und der Dansk Industri (Vereinigung der dänischen Wirtschaft), handelnd für die Royal Copenhagen A/S (nachstehend: Royal Copenhagen).

3 Royal Copenhagen ist ein Unternehmen, das keramische Erzeugnisse herstellt. Es beschäftigt zur Herstellung dieser Erzeugnisse ungefähr 1 150 Arbeitnehmer, von denen 40 % Männer und 60 % Frauen sind. Diese Arbeitnehmer lassen sich in drei Gruppen aufteilen: Dreher, die mit Hilfe verschiedener Techniken die Porzellanmasse herstellen, Maler, die die Erzeugnisse dekorieren, und schließlich Arbeiter, die mit der Bedienung der Öfen, dem Sortieren, dem Schleifen, dem Transport innerhalb der Fabrik u. ä. beschäftigt sind.

4 Die Gruppe der Dreher besteht aus etwa 200 Personen und die Gruppe der Maler aus 453 Personen. Diese Gruppen lassen sich wiederum in mehrere Untergruppen aufteilen, darunter innerhalb der ersten Gruppe die der Rollerdreher, die an Maschinen arbeiten, die automatisch keramische Erzeugnisse herstellen, und in der zweiten Gruppe die der Blaumaler, die mit einem Pinsel die Porzellangegenstände dekorieren, und die der Wandtellermaler, die Wandteller, in die schon ein Motiv eingeprägt ist, mit einer Spritzpistole färben und danach die Farbe von Teilen des Motivs mit Hilfe eines Schwammes entfernen.

5 Für alle diese Arbeitnehmer gilt derselbe Tarifvertrag. Nach diesem werden sie grundsätzlich nach Stückzahl bezahlt, d. h., sie erhalten einen Lohn, dessen Höhe ganz oder teilweise vom Arbeitsergebnis abhängt. Sie können jedoch auch eine Entlohnung durch festen Stundenlohn wählen, der für alle Mitarbeitergruppen derselbe ist. Tatsächlich erhalten etwa 70 % der Dreher und 70 % der Maler Stücklohn. Ihr Lohn besteht aus einem festen Anteil, der als Basisstundenlohn gezahlt wird, und aus einem variablen Anteil, der pro produziertem Gegenstand gezahlt wird.

6 Die Gruppe der nach Stückzahl entlohnten Rollerdreher besteht aus 26 Personen, die alle Männer sind, und macht etwa 18 % der gesamten nach Stückzahl entlohnten Drehergruppe aus. Die Gruppe der nach Stückzahl entlohnten Blaumaler besteht aus 156 Personen, 155 Frauen und einem Mann, und macht ungefähr 49 % der gesamten nach Stückzahl entlohnten Malergruppe aus. Die Gruppe der nach Stückzahl entlohnten Wandtellermaler besteht aus 51 Personen, die alle Frauen sind, und macht etwa 16 % der gesamten nach Stückzahl entlohnten Malergruppe aus.

7 Im April 1990 betrug der Durchschnittsstundenlohn der Gruppe der nach Stückzahl bezahlten Rollerdreher 103,93 DKR, wobei der feste Anteil 71,69 DKR betrug; als höchster Lohn wurden 118 DKR pro Stunde, als niedrigster Lohn 86 DKR pro Stunde gezahlt. In demselben Zeitraum betrug der Durchschnittslohn der nach Stückzahl entlohnten Blaumaler 91 DKR pro Stunde, wobei der feste Anteil bei 57 DKR lag und als höchster Lohn 125 DKR pro Stunde, als niedrigster Lohn 72 DKR pro Stunde gezahlt wurden; der Durchschnittslohn der nach Stückzahl entlohnten Wandtellermaler betrug 116,20 DKR pro Stunde, wobei der feste Anteil bei 35,85 DKR lag und als höchster Lohn 159 DKR pro Stunde, als niedrigster Lohn 86 DKR pro Stunde gezahlt wurden.

8 Der Specialarbejderforbundet war der Auffassung, Royal Copenhagen verletze das Erfordernis der Lohngleichheit, da der Durchschnittsakkordlohn der Gruppe der Blaumaler, die mit Ausnahme einer Person ausschließlich aus Frauen bestehe, niedriger sei als der Durchschnittsstücklohn der Gruppe der Rollerdreher, die ausschließlich aus Männern bestehe; er rief das Faglige voldgiftsret Kopenhagen an mit dem Antrag, festzustellen, daß die Royal Copenhagen verpflichtet sei, anzuerkennen, daß die Blaumaler eine Arbeit verrichteten, die der der Rollerdreher gleichwertig sei, und daß das Unternehmen gehalten sei, den Durchschnittsstücklohn der Blaumaler auf das Niveau des Durchschnittslohns der Rollerdreher anzuheben.

9 Das Faglige voldgiftsret war der Auffassung, die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von der Auslegung des Artikels 119 EWG-Vertrag und der Richtlinie ab, und hat beschlossen, den Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens anzurufen. In seinem Vorlagebeschluß führt es aus, die Vorlage betreffe nicht die Frage nach dem Wert der Arbeit der verschiedenen Gruppen von Arbeitnehmern, sondern umfasse eine Reihe von Fragen, die sich daraus ergäben, daß es im Ausgangsverfahren um die Entlohnung nach Stückzahl gehe, und werfe weiter die Frage der vom Specialarbejderforbundet vorgenommenen Auswahl der Vergleichsgruppen auf.

10 Es hat demgemäß dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. 1) Finden Artikel 119 EWG-Vertrag und die Richtlinie 75/117 vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen Anwendung auf Lohnsysteme, bei denen das Entgelt ganz oder in wesentlichem Umfang vom Arbeitsergebnis des einzelnen Arbeitnehmers abhängt (Stücklohnsysteme)?

Falls die Frage 1 bejaht wird, wird außerdem um die Beantwortung folgender Fragen ersucht:

2)

Sind die in Artikel 119 EWG-Vertrag und in der Richtlinie 75/117 vom enthaltenen Vorschriften über gleiches Entgelt für Männer und Frauen bei einem Vergleich zwischen zwei Gruppen von Arbeitnehmern anwendbar, wenn der durchschnittliche Stundenlohn der einen Gruppe von Stücklohnarbeitern, die überwiegend aus Frauen mit einer bestimmten Art von Arbeit besteht, wesentlich niedriger ist als der durchschnittliche Stundenlohn der zweiten Gruppe von Stücklohnarbeitern, die überwiegend aus Männern mit einer anderen Art von Arbeit besteht, unterstellt, die Arbeit der Frauen und die der Männer sind als gleichwertig anzusehen?

3)

Kann man unter der Voraussetzung, daß die eine Gruppe überwiegend aus Frauen und die andere überwiegend aus Männern besteht, Anforderungen an die Zusammensetzung der Gruppe stellen, z. B. hinsichtlich der Anzahl der Personen in der Gruppe oder des Anteils an sämtlichen Mitarbeitern des Unternehmens?

Kann die Richtlinie gegebenenfalls angewandt werden, um zwei Gruppen von z. B. weiblichen Arbeitnehmern durch einen Vergleich mit einer Gruppe männlicher Arbeitnehmer den gleichen Lohn zu verschaffen?

Die Fragestellung kann unter anderem wie folgt erläutert werden:

Eine Gruppe von überwiegend männlichen Arbeitern (Gruppe A) und zwei Gruppen von überwiegend weiblichen Arbeitern (Gruppe B und Gruppe C) verrichten eine gleichwertige Arbeit. Der Durchschnittsverdienst in einem Stücklohnsystem ist am höchsten in der Gruppe C, am nächsthöchsten in der Gruppe A und am niedrigsten in der Gruppe B. Kann sich die Gruppe B mit der Gruppe A vergleichen und verlangen, daß der Lohn auf das Niveau der Gruppe A angehoben wird, kann sodann die Gruppe A verlangen, daß der Lohn auf das Niveau der Gruppe C angehoben wird, und kann schließlich die Gruppe B verlangen, daß der Lohn auf das neue Niveau der Gruppe A, also das Niveau der Gruppe C, angehoben wird?

4)

Ist es für die Beurteilung der Frage, ob der Grundsatz des gleichen Entgelts verletzt ist, erheblich,

  1. daß in der einen Gruppe eine überwiegend maschinengesteuerte Produktion stattfindet, während in der anderen Gruppe reine Handarbeit verrichtet wird,

  2. daß die Stücklohnsätze in Verhandlungen zwischen den jeweiligen Organisationen oder in Verhandlungen auf lokaler Ebene festgesetzt werden,

  3. daß ein Unterschied bei der Wahl des Arbeitstempos durch die Arbeitnehmer nachgewiesen werden kann. Wer trägt gegebenenfalls die Beweislast für das Vorliegen eines solchen Unterschieds?

  4. daß innerhalb einer oder beider verglichenen Gruppen erhebliche Lohnunterschiede bestehen,

  5. daß der feste Anteil des Stücklohns für die verglichenen Gruppen verschieden ist,

  6. daß hinsichtlich bezahlter Pausen und der Freiheit der individuellen Arbeitsorganisation Unterschiede bestehen,

  7. daß sich nicht feststellen läßt, welche Faktoren für die Festsetzung der Höhe der Stücklohnsätze von Bedeutung gewesen sind,

  8. daß in der einen der verglichenen Gruppen besondere Anforderungen an die Körperkraft, in der anderen besondere Anforderungen an die Geschicklichkeit gestellt werden,

  9. daß nachweislich Unterschiede im Hinblick auf Arbeitsbeeinträchtigungen durch Lärm, Hitze, einseitige, repetitive oder monotone Arbeit bestehen?

Zur ersten Frage

11 Die erste Frage des nationalen Gerichts geht dahin, ob Artikel 119 EWG-Vertrag und die Richtlinie auf Stücklohnsysteme anwendbar sind, bei denen das Entgelt ganz oder im wesentlichen vom individuellen Arbeitsergebnis des einzelnen Arbeitnehmers abhängt.

12 Indem Artikel 119 in Absatz 3 Buchstabe a ausdrücklich bestimmt, daß Gleichheit des Arbeitsentgelts ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bedeutet, daß das Entgelt für eine gleiche nach Akkord bezahlte Arbeit aufgrund der gleichen Maßeinheit festgesetzt wird, sieht er selbst vor, daß der Grundsatz des gleichen Entgelts auf Ergebnis- oder Stücklohnsysteme anwendbar ist.

13 Außerdem hat der Gerichtshof schon festgestellt, daß Artikel 119 jede das Entgelt betreffende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ohne Rücksicht darauf verbietet, woraus sich diese Ungleichbehandlung ergibt (, Barber, Slg. 1990, I-1889, Randnr. 32).

14 Diese Schlußfolgerung wird durch Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie bestätigt, wonach der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen die Beseitigung jeder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts „in bezug auf sämtliche Entgeltbestandteile und -bedingungen” bedeutet.

15 Die erste Vorlagefrage ist also so zu beantworten, daß Artikel 119 EWG-Vertrag und die Richtlinie auf Stücklohnsysteme anwendbar sind, bei denen das Entgelt ganz oder in wesentlichem Umfang vom Arbeitsergebnis des einzelnen Arbeitnehmers abhängt.

Einleitende Bemerkungen zu den übrigen Fragen

16 Vor Untersuchung der übrigen Fragen ist darauf hinzuweisen, daß sich die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeitsentgelte nicht ausschließlich aus dem individuellen Arbeitsergebnis jedes Arbeitnehmers ergeben, sondern einen festen Anteil enthalten, der einem Basisstundenlohn entspricht und der für die verschiedenen Arbeitnehmergruppen unterschiedlich ist.

17 Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, inwieweit dieser Umstand bei der Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits berücksichtigt werden muß.

18 Die vom nationalen Gericht zur Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits vorzunehmende Beurteilung der Frage, ob eine gegen Artikel 119 EG-Vertrag und Artikel 1 der Richtlinie verstoßende Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliegt, muß im übrigen umfassend sein und alle nachstehenden Erwägungen im Rahmen der Beantwortung der zweiten, der dritten und der vierten Frage berücksichtigen.

Zur zweiten Frage und zur vierten Frage zu c, d, e und g

19 Die zweite Frage und die vierte Frage zu c, d, e und g des nationalen Gerichts, die zusammen zu untersuchen sind, gehen dahin, ob erstens der in Artikel 119 EWG-Vertrag und Artikel 1 der Richtlinie niedergelegte Grundsatz des gleichen Entgelts anwendbar ist, wenn in einem Stücklohnsystem das durchschnittliche Entgelt einer Gruppe von Arbeitnehmern, die überwiegend aus Frauen besteht, die eine bestimmte Art von Arbeit verrichten, wesentlich niedriger ist als das durchschnittliche Entgelt einer Gruppe von Arbeitnehmern, die überwiegend aus Männern besteht, die eine andere Art von Arbeit verrichten, die als gleichwertig angesehen wird, und zweitens, welche Bedeutung hierbei Umständen wie den in der vierten Frage zu c, d, e und g genannten zukommt.

20 Wie schon in Randnummer 12 des vorliegenden Urteils festgestellt, verlangt der Grundsatz des gleichen Entgelts im Rahmen eines Ergebnis- oder Stücklohnsystems, daß das Arbeitsentgelt von zwei Gruppen von Arbeitnehmern, von denen die eine überwiegend aus Männern und die andere überwiegend aus Frauen besteht, aufgrund der gleichen Maßeinheit festgesetzt wird.

21 In dem Fall, daß die Maßeinheit für zwei Gruppen von Arbeitnehmern, die dieselbe Arbeit ausführen, die gleiche oder objektiv geeignet ist, den Arbeitnehmern der beiden Gruppen ein insgesamt gleiches individuelles Entgelt für Arbeiten zu gewährleisten, die, obwohl sie unterschiedlich sind, als gleichwertig angesehen werden, verbietet es der Grundsatz des gleichen Entgelts nicht, daß Arbeitnehmer, die der einen oder der anderen Gruppe angehören, unterschiedliche Gesamtvergütungen erhalten, wenn diese auf Unterschieden zwischen den individuellen Arbeitsergebnissen der Arbeitnehmer dieser beiden Gruppen beruhen.

22 Hieraus folgt, daß bei einem Stücklohnsystem allein die Feststellung eines Unterschieds zwischen den durchschnittlichen Verdiensten von zwei Gruppen von Arbeitnehmern, berechnet aufgrund der individuellen Gesamtverdienste aller der jeweiligen Gruppe angehörenden Arbeitnehmer, nicht den Schluß zuläßt, daß eine Diskriminierung hinsichtlich des Entgelts besteht.

23 Es ist Sache des nationalen Gerichts, das allein zur Beurteilung des Sachverhalts zuständig ist, festzustellen, ob die auf die von den beiden Gruppen von Arbeitnehmern verrichteten Arbeiten anwendbare Maßeinheit die gleiche ist oder ob – falls die beiden Gruppen unterschiedliche Arbeiten verrichten, die jedoch als gleichwertig angesehen werden – die Maßeinheit objektiv geeignet ist, ihnen gleich hohe Gesamtvergütungen zu gewährleisten. Es hat ebenfalls zu prüfen, ob ein Unterschied beim Entgelt, auf den sich ein Arbeitnehmer, der einer überwiegend aus Frauen bestehenden Gruppe angehört, beruft, um das Vorliegen einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu seinem Nachteil im Verhältnis zu einem Arbeitnehmer, der einer überwiegend aus Männern bestehenden Gruppe angehört, darzutun, auf einen Unterschied zwischen den auf die jeweilige Gruppe anwendbaren Maßeinheiten oder auf einen Unterschied zwischen den individuellen Arbeitsergebnissen zurückzuführen ist.

24 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes (, Enderby, Slg. 1993, I-5535, Randnrn. 13 und 14) ergibt sich jedoch, daß sich die Beweislast, die grundsätzlich den Arbeitnehmer trifft, der sich diskriminiert glaubt und deshalb gegen seinen Arbeitgeber Klage auf Beseitigung dieser Diskriminierung erhebt, umkehren kann, wenn Arbeitnehmer, die dem ersten Anschein nach diskriminiert sind, sonst kein wirksames Mittel hätten, um die Einhaltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts durchzusetzen. So obliegt insbesondere dann, wenn in einem Unternehmen ein Entlohnungssystem angewandt wird, dem jede Durchschaubarkeit fehlt, dem Arbeitgeber der Nachweis, daß seine Lohnpolitik nicht diskriminierend ist, sofern ein weiblicher Arbeitnehmer auf der Grundlage einer relativen großen Zahl von Arbeitnehmern belegt, daß das durchschnittliche Entgelt der weiblichen Arbeitnehmer niedriger ist als das der männlichen Arbeitnehmer (Urteil vom in der Rechtssache 109/89, „Danfoss”-Urteil, Handels- og Kontorfunktionærernes Forbund i Danmark, Slg. 1989, I-3199, Randnr. 16). Ebenso hat der Arbeitgeber, wenn aussagekräftige Statistiken einen merklichen Unterschied im Entgelt zweier gleichwertiger Tätigkeiten erkennen lassen, von denen die eine fast ausschließlich von Frauen und die andere hauptsächlich von Männern ausgeübt wird, so daß der erste Anschein für eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts spricht, kraft Artikel 119 EWG-Vertrag den Nachweis zu erbringen, daß dieser Unterschied durch Faktoren sachlich gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (Urteil Enderby, a. a. O., Randnrn. 16 und 19).

25 In einem Stücklohnsystem spricht der erste Anschein zwar nicht allein deshalb für eine solche Diskriminierung, weil aussagekräftige Statistiken einen merklichen Unterschied im durchschnittlichen Entgelt zweier Gruppen von Arbeitnehmern erkennen lassen, da diese Unterschiede auf Unterschieden zwischen den individuellen Arbeitsergebnissen der Arbeitnehmer dieser beiden Gruppen beruhen können.

26 Wenn sich jedoch bei einem System wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem die individuellen Entgelte, die bei der Berechnung des durchschnittlichen Entgelts der beiden Gruppen von Arbeitnehmern zugrunde gelegt werden, aus einem variablen Anteil, der sich aus dem individuellen Arbeitsergebnis jedes Arbeitnehmers ergibt, und einem festen Anteil, der für die verschiedenen Gruppen der betroffenen Arbeitnehmer unterschiedlich ist, bestehen (Frage 4 zu e), nicht feststellen läßt, welche Faktoren für die Festsetzung der Stücklohnsätze oder der für die Berechnung des variablen Teils des Entgelts zugrunde gelegten Maßeinheiten von Bedeutung gewesen sind (Frage 4 zu g), kann es erforderlich sein, dem Arbeitgeber die Beweislast dafür aufzuerlegen, daß die festgestellten Unterschiede nicht auf einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beruhen, wenn die Arbeitnehmer sonst kein wirksames Mittel hätten, um die Einhaltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts durchzusetzen.

27 Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob insbesondere unter Berücksichtigung dieser Faktoren und des Ausmaßes der Unterschiede im durchschnittlichen Entgelt von zwei Gruppen von Arbeitnehmern die Voraussetzungen für eine solche Umkehr der Beweislast im Ausgangsrechtsstreit erfüllt sind. Ist dies der Fall, so kann der Arbeitgeber z. B. nachweisen, daß sich der Unterschied beim Entgelt aus der Wahl des Arbeitstempos durch die betroffenen Arbeitnehmer ergibt (Frage 4 zu c), und dartun, daß erhebliche Unterschiede zwischen den individuellen Gesamtvergütungen innerhalb jeder der beiden Gruppen bestehen (Frage 4 zu d).

28 Auf die zweite Frage in Verbindung mit der vierten Frage zu c, d, e und g ist demgemäß zu antworten, daß der in Artikel 119 EWG-Vertrag und Artikel 1 der Richtlinie niedergelegte Grundsatz des gleichen Entgelts so auszulegen ist, daß bei einem Stücklohnsystem allein die Feststellung, daß das durchschnittliche Entgelt einer Gruppe von Arbeitnehmern, die überwiegend aus Frauen besteht, die eine bestimmte Art von Arbeit verrichten, wesentlich niedriger ist als das durchschnittliche Entgelt einer Gruppe von Arbeitnehmern, die überwiegend aus Männern besteht, die eine andersartige, als gleichwertig angesehene Arbeit verrichten, nicht den Schluß auf das Vorliegen einer Diskriminierung beim Entgelt zuläßt. Wenn sich jedoch bei einem Stücklohnsystem, in dem die individuellen Vergütungen aus einem variablen Anteil, der sich aus dem individuellen Arbeitsergebnis jedes Arbeitnehmers ergibt, und einem festen Anteil, der für die einzelnen Gruppen der betroffenen Arbeitnehmer unterschiedlich ist, bestehen, nicht feststellen läßt, welche Faktoren bei der Festsetzung der Stücklohnsätze oder der Maßeinheiten für die Berechnung des variablen Entgeltanteils von Bedeutung gewesen sind, kann von dem Arbeitgeber der Nachweis verlangt werden, daß die festgestellten Unterschiede nicht auf einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beruhen.

Zur dritten Frage

29 Dem Vorlagebeschluß zufolge ergibt sich die dritte, aus zwei Teilen bestehende Frage aus dem Umstand, daß die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens beanstandete Diskriminierung beim Entgelt die Gruppe der Rollerdreher und die Gruppe der Porzellan-Blaumaler betrifft, die in Wirklichkeit nur Untergruppen von zwei größeren Gruppen sind, der der Dreher und der der Maler. Die Klägerin rechtfertigt ihre Auswahl dieser beiden relativ kleinen Gruppen mit der Notwendigkeit, im Hinblick auf den beim Entgelt durchzuführenden Vergleich homogene Gruppen zu bilden, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Ausbildung der diesen angehörenden Arbeitnehmer. Sie hält es auch für gerechtfertigt, innerhalb der Gruppe der Maler zwischen den Blaumalern, deren Ausbildung eineinhalb Jahre dauert, und der der Wandtellermaler, die in drei Monaten angelernt werden, zu unterscheiden. Sie macht weiter geltend, da die Blaumaler höheren Anforderungen bezüglich ihrer Ausbildung unterlägen als die Rollerdreher, die im Gegensatz zu den anderen Drehern je nach den Gegenständen, die sie herzustellen hätten, nur ein bis vier Monate angelernt würden, müßten erstere, wenn man von der Gleichwertigkeit ihrer Arbeit ausgehe, einen höheren Lohn erhalten als letztere. Schließlich führt sie aus, der Umstand, daß die Arbeitsbedingungen der Blaumaler andere seien als die der Rollerdreher, könne nichts an dem diskriminierenden Charakter des festgestellten Unterschieds beim Entgelt ändern, da die an die Rollerdreher gestellten körperlichen Anforderungen durch die Anforderungen aufgewogen würden, die an die Geschicklichkeit der Blaumaler gestellt würden, und die Belastung ersterer durch Lärm und hohe Temperaturen bilde das Gegenstück zu den ergonomischen Problemen, die die sitzende, gleichförmige Tätigkeit letzterer mit sich bringe.

30 Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich auch, daß die Gruppe der nach Stückzahl entlohnten Rollerdreher zwar nur aus 26 Personen besteht, die alle Männer sind, daß jedoch die Gruppe der nach Stückzahl entlohnten Dreher, die 143 Personen umfaßt, zu 70 % aus Männern und zu 30 % aus Frauen besteht. Weiter besteht die Gruppe der nach Stückzahl entlohnten Blaumaler aus 155 Frauen und einem Mann und die der nach Stückzahl entlohnten Wandtellermaler aus 51 Frauen; die Gruppe der nach Stückzahl entlohnten Maler umfaßt 317 Personen, zu 95 % Frauen und zu 5 % Männer. Schließlich ist zwar der Durchschnittslohn der Gruppe der nach Stückzahl entlohnten Rollerdreher, die ausschließlich aus Männern besteht, höher als der der Gruppe der nach Stückzahl entlohnten Blaumaler, die mit einer Ausnahme ausschließlich aus Frauen besteht, er ist jedoch niedriger als der der Gruppe der nach Stückzahl entlohnten Wandtellermaler, die ausschließlich aus Frauen besteht.

31 Unter diesen Voraussetzungen möchte das nationale Gericht mit seiner dritten Frage insgesamt wissen, ob in einem Stücklohnsystem die Gruppen von Arbeitnehmern, deren Durchschnittsentgelt zu vergleichen ist, um festzustellen, ob eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliegt, unter Berücksichtigung bestimmter Kriterien zusammengesetzt sein müssen, die insbesondere die Zahl der ihnen angehörenden Arbeitnehmer und deren Anteil an der Gesamtzahl der Arbeitnehmer betreffen, oder ob sie anhand willkürlich gewählter Kriterien so zusammengesetzt sein können, daß sie ausschließlich Frauen oder Männer umfassen und es gegebenenfalls ermöglichen, mittels eines Vergleichs zwischen zwei Gruppen von Arbeitnehmern, von den die eine aus Männern und die andere aus Frauen besteht, zwei Gruppen von aus Frauen bestehenden Arbeitnehmern, von denen die eine ein niedrigeres und die andere ein höheres Durchschnittsentgelt erzielt als die aus Männern bestehende Gruppe, das gleiche Entgelt zu verschaffen.

32 Die Prüfung der Frage, ob der Grundsatz des gleichen Entgelts beachtet ist, erfordert einen Vergleich zwischen dem den Arbeitnehmern unterschiedlichen Geschlechts für eine gleiche Arbeit oder für als gleichwertig angesehene Arbeiten gezahlten Entgelt.

33 Wenn ein solcher Vergleich des Durchschnittsentgelts zwei nach Stückzahl entlohnte Gruppen von Arbeitnehmern betrifft, muß er sich, um aussagekräftig zu sein, auf Gruppen beziehen, die jeweils sämtliche Arbeitnehmer umfassen, die unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren, wie Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen, als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können.

34 Der Vergleich muß sich außerdem auf eine relativ große Zahl von Arbeitnehmern beziehen, um auszuschließen, daß die festgestellten Unterschiede rein zufällige oder konjunkturelle Erscheinungen widerspiegeln oder auf Unterschiede in den individuellen Arbeitsergebnissen der betroffenen Arbeitnehmer zurückgehen.

35 Es ist Sache des nationalen Gerichts, die erforderlichen Würdigungen des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens im Hinblick auf die genannten Kriterien vorzunehmen.

36 Aus dem Vorstehenden ergibt sich jedoch, daß ein Vergleich nicht aussagekräftig ist, wenn er sich auf Gruppen bezieht, die willkürlich so zusammengestellt sind, daß die eine überwiegend Frauen und die andere überwiegend Männer umfaßt, um dann durch weitere Vergleiche zu erreichen, daß das Entgelt der überwiegend aus Frauen bestehenden Gruppe dem einer anderen Gruppe angeglichen wird, die ebenfalls willkürlich so zusammengesetzt ist, daß sie überwiegend Frauen umfaßt.

37 Einen Hinweis auf eine solche willkürliche Zusammenstellung der Vergleichsgruppen kann der Umstand darstellen, daß innerhalb einer größeren, überwiegend aus Frauen bestehenden Gruppe aufgrund unterschiedlicher Ausbildungsanforderungen zwischen zwei Untergruppen unterschieden wird und daß anschließend bei dem mit dem Entgelt einer überwiegend aus Männern bestehenden Gruppe anzustellenden Vergleich diejenige der überwiegend aus Frauen bestehenden Untergruppen nicht berücksichtigt wird, die hinsichtlich der Ausbildungsanforderungen die größere Ähnlichkeit mit der überwiegend aus Männern bestehenden Gruppe aufweist.

38 Die dritte Frage ist demgemäß so zu beantworten, daß sich das nationale Gericht für den zwischen den Durchschnittsentgelten von zwei Gruppen von nach Stückzahl entlohnten Arbeitnehmern vorzunehmenden Vergleich vergewissern muß, daß die beiden Gruppen jeweils sämtliche Arbeitnehmer umfassen, die unter Berücksichtigung einer Gesamtheit von Faktoren, wie Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen, als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können, und daß die Gruppen eine relativ hohe Zahl von Arbeitnehmern umfassen und damit ausgeschlossen wird, daß die festgestellten Unterschiede rein zufällige oder konjunkturelle Erscheinungen widerspiegeln oder auf Unterschiede in den individuellen Arbeitsergebnissen der betroffenen Arbeitnehmer zurückgehen.

Zur vierten Frage zu a, f, h und i

39 Mit seiner vierten Frage zu a, f, h und i möchte das nationale Gericht wissen, welche Bedeutung bei der Prüfung der Frage, ob der Grundsatz des gleichen Entgelts beachtet ist, Gesichtspunkten zukommt wie erstens dem Umstand, daß es sich bei der von einer der betreffenden Gruppen von Arbeitnehmern verrichteten Arbeit um eine maschinengesteuerte Arbeit handelt, die insbesondere Anforderungen an die Körperkraft stellt, während es sich bei der Arbeit der anderen Gruppe um Handarbeit handelt, bei der besondere Anforderungen an die Geschicklichkeit gestellt werden, und zweitens dem Umstand, daß hinsichtlich bezahlter Pausen und der Freiheit der individuellen Arbeitsorganisation sowie der mit der Arbeit verbundenen Belästigungen Unterschiede zwischen der Arbeit der beiden Gruppen bestehen.

40 Zunächst kann eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zwischen zwei Gruppen von Arbeitnehmern nur vorliegen, wenn die beiden Gruppen, wenn schon nicht die gleiche Arbeit, so doch wenigstens eine als gleichwertig betrachtete Arbeit verrichten.

41 Des weiteren stellt ein zwischen zwei Gruppen von Arbeitnehmern bestehender Unterschied beim Entgelt keine gegen Artikel 119 EWG-Vertrag und die Richtlinie verstoßende Diskriminierung dar, wenn er auf Faktoren beruht, die objektiv gerechtfertigt sind und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (vgl. insbesondere das Urteil vom in der Rechtssache 170/84, Bilka, Slg. 1986, 1607, Randnr. 30).

42 Das nationale Gericht, das allein zur Würdigung des Sachverhalts zuständig ist, muß folglich feststellen, ob unter Berücksichtigung tatsächlicher Umstände betreffend die Art der verrichteten Arbeiten und die Voraussetzungen, unter denen sie verrichtet werden, diese Arbeiten als gleichwertig anzusehen sind oder ob diese Umstände als objektive Faktoren angesehen werden können, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben und mögliche Unterschiede beim Entgelt rechtfertigen können.

43 Die vierte Frage zu a, f, h und i ist demgemäß so zu beantworten, daß das nationale Gericht bei der Prüfung der Frage, ob der Grundsatz des gleichen Entgelts beachtet ist, festzustellen hat, ob die beiden Arten von Arbeiten unter Berücksichtigung von Umständen wie erstens des Umstands, daß die von einer der Gruppen der betroffenen Arbeitnehmer verrichtete Arbeit eine maschinengesteuerte Arbeit ist, die insbesondere Anforderungen an die Körperkraft stellt, während die von der anderen Gruppe verrichtete Arbeit eine Handarbeit ist, die insbesondere Geschicklichkeit erfordert, und zweitens des Umstands, daß Unterschiede zwischen der Arbeit der beiden Gruppen hinsichtlich der bezahlten Pausen und der Freiheit der individuellen Arbeitsorganisation sowie der mit der Arbeit verbundenen Belästigungen bestehen, gleichwertig sind oder ob diese Umstände als objektive Faktoren anzusehen sind, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben und mögliche Unterschiede beim Entgelt rechtfertigen können.

Zur vierten Frage zu b

44 Mit seiner vierten Frage zu b möchte das nationale Gericht wissen, welche Bedeutung auf dem Gebiet der Gleichheit des Entgelts für männliche und weibliche Arbeitnehmer der Tatsache zukommt, daß die Entgeltbestandteile in Verhandlungen zwischen den Kollektivorganisationen oder in Verhandlungen auf lokaler Ebene festgesetzt werden.

45 Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 119 zwingenden Charakter hat und daß deshalb das Verbot von Diskriminierungen zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern nicht nur für die Behörden verbindlich ist, sondern sich auch auf alle, die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regelnden Tarifverträge und alle Verträge zwischen Privatpersonen erstreckt (vgl. insbesondere das Urteil vom in der Rechtssache 43/75, Defrenne, Slg. 1976, 455, Randnr. 39).

46 Dennoch kann die Tatsache, daß die Entgeltbestandteile in Verhandlungen zwischen den Kollektivorganisationen oder in Verhandlungen auf lokaler Ebene festgesetzt wurden, vom nationalen Gericht als ein Gesichtspunkt bei der Beurteilung der Frage berücksichtigt werden, ob Unterschiede beim durchschnittlichen Entgelt von zwei Gruppen von Arbeitnehmern auf objektive Faktoren zurückgehen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

47 Die vierte Frage zu b ist demgemäß so zu beantworten, daß der Grundsatz der Gleichheit des Entgelts für männliche und weibliche Arbeitnehmer auch gilt, wenn die Entgeltbestandteile in Kollektivverhandlungen oder in Verhandlungen auf lokaler Ebene festgesetzt werden, daß das nationale Gericht diesen Umstand jedoch bei der Beurteilung der Frage berücksichtigen kann, ob Unterschiede beim durchschnittlichen Entgelt von zwei Gruppen von Arbeitnehmern auf objektive Faktoren zurückgehen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

Kosten

48 Die Auslagen der deutschen Regierung, der portugiesischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Faglige voldgiftsret mit Beschluß vom vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

  1. Artikel 119 EWG-Vertrag und die Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen sind auf Stücklohnsysteme anwendbar, bei denen das Entgelt ganz oder in wesentlichem Umfang vom Arbeitsergebnis des einzelnen Arbeitnehmers abhängt.

  2. Der in Artikel 119 EWG-Vertrag und Artikel 1 der Richtlinie 75/117 niedergelegte Grundsatz des gleichen Entgelts ist so auszulegen, daß bei einem Stücklohnsystem allein die Feststellung, daß das durchschnittliche Entgelt einer Gruppe von Arbeitnehmern, die überwiegend aus Frauen besteht, die eine bestimmte Art von Arbeit verrichten, wesentlich niedriger ist als das durchschnittliche Entgelt einer Gruppe von Arbeitnehmern, die überwiegend aus Männern besteht, die eine andersartige, als gleichwertig angesehene Arbeit verrichten, nicht den Schluß auf das Vorliegen einer Diskriminierung beim Entgelt zuläßt. Wenn sich jedoch bei einem Stücklohnsystem, in dem die individuellen Vergütungen aus einem variablen Anteil, der sich aus dem individuellen Arbeitsergebnis jedes Arbeitnehmers ergibt, und einem festen Anteil, der für die einzelnen Gruppen der betroffenen Arbeitnehmer unterschiedlich ist, bestehen, nicht feststellen läßt, welche Faktoren bei der Festsetzung der Stücklohnsätze oder der Maßeinheiten für die Berechnung des variablen Entgeltanteils von Bedeutung gewesen sind, kann von dem Arbeitgeber der Nachweis verlangt werden, daß die festgestellten Unterschiede nicht auf einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beruhen.

  3. Für den zwischen den Durchschnittsentgelten von zwei Gruppen von nach Stückzahl entlohnten Arbeitnehmern vorzunehmenden Vergleich muß sich das nationale Gericht vergewissern, daß die beiden Gruppen jeweils sämtliche Arbeitnehmer umfassen, die unter Berücksichtigung einer Gesamtheit von Faktoren, wie Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen, als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können, und daß die Gruppen eine relativ hohe Zahl von Arbeitnehmern umfassen und damit ausgeschlossen wird, daß die festgestellten Unterschiede rein zufällige oder konjunkturelle Erscheinungen widerspiegeln oder auf Unterschiede in den individuellen Arbeitsergebnissen der betroffenen Arbeitnehmer zurückgehen.

  4. Das nationale Gericht hat bei der Prüfung der Frage, ob der Grundsatz des gleichen Entgelts beachtet ist, festzustellen, ob die beiden Arten von Arbeiten unter Berücksichtigung von Umständen wie erstens des Umstands, daß die von einer der Gruppen der betroffenen Arbeitnehmer verrichtete Arbeit eine maschinengesteuerte Arbeit ist, die insbesondere Anforderungen an die Körperkraft stellt, während die von der anderen Gruppe verrichtete Arbeit eine Handarbeit ist, die insbesondere Geschicklichkeit erfordert, und zweitens des Umstands, daß Unterschiede zwischen der Arbeit der beiden Gruppen hinsichtlich der bezahlten Pausen und der Freiheit der individuellen Arbeitsorganisation sowie der mit der Arbeit verbundenen Belästigungen bestehen, gleichwertig sind oder ob diese Umstände als objektive Faktoren anzusehen sind, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben und mögliche Unterschiede beim Entgelt rechtfertigen können.

  5. Der Grundsatz der Gleichheit des Entgelts für männliche und weibliche Arbeitnehmer gilt auch, wenn die Entgeltbestandteile in Kollektivverhandlungen oder in Verhandlungen auf lokaler Ebene festgesetzt werden. Das nationale Gericht kann diesen Umstand jedoch bei der Beurteilung der Frage berücksichtigen, ob Unterschiede beim durchschnittlichen Entgelt von zwei Gruppen von Arbeitnehmern auf objektive Faktoren zurückgehen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:1995:155

Fundstelle(n):
FAAAG-57397