BGH Urteil v. - IV ZR 499/14

Kapitallebensversicherung nach altem Recht: Verwirkung des über die Jahresfrist hinaus fortbestehenden Widerspruchsrechts durch zwischenzeitliche Erkundigung des Versicherungsnehmers nach der Reichweite des Versicherungsschutzes

Gesetze: § 5a Abs 2 S 4 VVG vom , § 242 BGB

Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 11 U 185/11vorgehend Az: 2 O 299/10nachgehend Brandenburgisches Az: 11 U 185/11 Urteil

Tatbestand

1I. Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung.

2Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN, der zum Beruf unter anderem den Hinweis "Soldat auf Zeit" enthielt, mit Vertragsbeginn zum nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Im November 2007 kündigte d. VN den Vertrag und der Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom erklärte d. VN unter anderem den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.

3Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts (insgesamt 5.970,04 €).

4Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Gründe

6Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7I. Dieses hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Es könne dahinstehen, ob d. VN ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden sei. Jedenfalls sei der Vertrag gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.

8II. Die Revision ist begründet.

91. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.

10a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag ist infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

11Der Versicherer belehrte d. VN - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Sowohl die maßgebliche Belehrung im Versicherungsschein als auch die in § 3 der dem Vertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kapitallebensversicherung ist drucktechnisch nicht im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. hervorgehoben. Auf die Belehrung in dem Versicherungsantrag kommt es - anders als die Revisionserwiderung meint - nach ständiger Senatsrechtsprechung nicht an (vgl. , juris Rn. 11; vom - IV ZR 489/14, juris Rn. 12; vom - IV ZR 132/13, juris Rn. 12 m.w.N.). Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.

12Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

13b) Die Ausübung des Widerspruchsrechts mehr als zehn Jahre nach Vertragsbeginn ist hier - entgegen der Revisionserwiderung - nicht ausnahmsweise deshalb verwirkt, weil sich d. VN im März 2005 telefonisch und nachfolgend nochmals schriftlich beim Versicherer erkundigt hatte, ob er auch für einen anstehenden Auslandseinsatz als Personenschützer Versicherungsschutz genieße. Mangels ordnungsgemäßer Belehrung konnte der Versicherer nicht davon ausgehen, dass d. VN wusste, dass er sich vom Vertrag auch hätte lösen können. Der Versicherer konnte daher die Anfragen d. VN nicht als eine Bestätigung seines Interesses am Fortbestand des Versicherungsvertrages verstehen sondern wegen seiner Unkenntnis von dem Widerspruchsrecht nur als reine Bitte um Information.

14c) Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, steht auch die Kündigung dem späteren Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 37 m.w.N.).

152. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom aaO Rn. 45 m.w.N.).

16Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 46) und dabei auch die Vorgaben der , VersR 2015, 1101 Rn. 36 ff.; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 34 ff.) sowie vom (IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 32 ff.) zu beachten haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:170517UIVZR499.14.0

Fundstelle(n):
RAAAG-57072