Beihilfe zur sexuellen Nötigung: Prüfungsreihenfolge bei minder schwerem Fall
Gesetze: § 27 StGB, § 49 Abs 1 StGB, § 177 Abs 5 StGB vom
Instanzenzug: LG Verden Az: 3 KLs 7/15
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freispruch im Übrigen - wegen Beihilfe zur sexuellen Nötigung, Beleidigung und Beihilfe zur Beleidigung in Tateinheit mit Beihilfe zur Sachbeschädigung unter Einbeziehung von früher gegen ihn verhängten Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt auf Antrag des Generalbundesanwalts zur teilweisen Einstellung des Verfahrens und hat darüber hinaus den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verfahrensrüge dringt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
32. Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Senat das Verfahren gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 4 der Urteilsgründe wegen Beihilfe zur Beleidigung in Tateinheit mit Beihilfe zur Sachbeschädigung verurteilt worden ist.
43. Im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 5 der Urteilsgründe wegen Beihilfe zur sexuellen Nötigung kann der Ausspruch über die insoweit verhängte Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten keinen Bestand haben, weil sich die Strafrahmenwahl als rechtsfehlerhaft erweist.
5Das Landgericht hat der Strafzumessung den gemäß § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung zugrunde gelegt. Das Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne des § 177 Abs. 5 StGB aF hat die Strafkammer verneint. Zur Begründung hat sie auf die Erwägungen Bezug genommen, aus denen sie im Hinblick auf den als Täter der sexuellen Nötigung verurteilten Mitangeklagten die Annahme eines minder schweren Falles abgelehnt hat. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6Sieht das Gesetz einen besonderen Strafrahmen für minder schwere Fälle vor und ist - wie hier gemäß § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB - auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, muss bei der Strafrahmenwahl im Rahmen einer Gesamtwürdigung zunächst geprüft werden, ob die allgemeinen Milderungsgründe die Annahme eines minder schweren Falles tragen. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen, so sind zusätzlich die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter die Anwendung des milderen Strafrahmens danach weiterhin nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 567/16, juris Rn. 6; vom - 3 StR 248/16, juris Rn. 5, jeweils mwN).
7Daran fehlt es hier. Die Strafkammer hat nicht geprüft, ob ein minder schwerer Fall anzunehmen ist, weil bei dem Angeklagten - im Gegensatz zu dem Mitangeklagten - der gesetzlich vertypte Strafmilderungsgrund nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB vorliegt.
84. Die Einzelstrafe im Fall II. 5 der Urteilsgründe ist deshalb neu zu bemessen. Hierzu hebt der Senat auch den den Angeklagten an sich nicht beschwerenden Schuldspruch in diesem Fall auf, um der nunmehr zur Entscheidung berufenen Strafkammer eine Strafzumessung aufgrund einer gegebenenfalls abweichend vorzunehmenden rechtlichen Bewertung der Tat zu ermöglichen. Im Einzelnen:
9a) Nach den Feststellungen des Landgerichts verbrachte die in verschiedener Hinsicht psychisch und körperlich beeinträchtigte Nebenklägerin das Wochenende vom 12. bis zum gemeinsam mit dem Angeklagten und dem Mitangeklagten in der Wohnung des Angeklagten. Während dieser Zeit beging der Mitangeklagte insgesamt sieben Straftaten zum Nachteil der Nebenklägerin, im Wesentlichen Beleidigungen sowie die im Fall II. 5 der Urteilsgründe abgeurteilte sexuelle Nötigung.
10Zu der Beteiligung des Angeklagten an den Taten hat die Strafkammer allgemein ausgeführt, dass dieser "zwar nicht bei allen aufzuzeigenden Straftaten in der Weise beteiligt" gewesen sei, dass er dem Mitangeklagten "jeweils im Einzelfall konkrete Anweisungen zu einem entsprechenden Verhalten gegeben" habe. Er habe aber "durch sein Gesamtverhalten" von Anfang an "demonstriert", "dass er das provozierende, demütigende und menschenverachtende Verhalten gegenüber der Nebenklägerin stützte und gleichfalls wollte". Er habe seinen "persönlichen Spaß" an den Aktionen des Mitangeklagten zum Nachteil der Nebenklägerin gehabt und dies "unverhohlen" gezeigt. Dadurch habe er den Mitangeklagten in dessen "ohnehin vorhandenen Tatentschluss" bestärkt.
11Die sexuelle Nötigung des Mitangeklagten zum Nachteil der Nebenklägerin ereignete sich den Feststellungen zufolge, nachdem der Angeklagte und der Mitangeklagte eine Zeitlang mit der Nebenklägerin auf dem Sofa gesessen hatten. Der Angeklagte forderte den Mitangeklagten sodann "unvermittelt" auf, "seinen Penis aus der Hose zu holen" und ihn der Nebenklägerin ins Gesicht zu halten sowie in ihren Mund zu stecken. "Daraufhin" zog der Mitangeklagte "unter dem Einfluss dieser Aufforderung" seine Hose herunter, setzte sich auf die Nebenklägerin und drückte ihr seinen nackten Penis ins Gesicht. Anschließend forderte er "gemäß der an ihn gerichteten Aufforderung" die Nebenklägerin auf, seinen Penis in den Mund zu nehmen.
12b) Aufgrund dieser Feststellungen hätte das Landgericht prüfen müssen, ob der Angeklagte den Mitangeklagten zu der sexuellen Nötigung angestiftet hat. Dies wird nunmehr nachzuholen sein. Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) stünde einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen (vgl. dazu , BGHSt 14, 5, 7; vom - 1 StR 261/79, BGHSt 29, 63, 66), sondern lediglich der Verhängung einer höheren Einzelstrafe.
13Die der Verurteilung des Angeklagten zugrunde liegenden bisherigen Feststellungen bleiben von dem Rechtsfehler indes unberührt und können deshalb gemäß § 353 Abs. 2 StPO bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
145. Die Teileinstellung des Verfahrens sowie die Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 5 der Urteilsgründe entziehen auch dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage. Auch insoweit haben die zugehörigen, rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen indes Bestand.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:040417B3STR516.16.0
Fundstelle(n):
NJW 2017 S. 2778 Nr. 38
QAAAG-56096