BGH Beschluss v. - 1 StR 45/17

Strafzumessung: Bedeutung einer langen Verfahrensdauer als Strafmilderungsgrund

Gesetze: § 46 StGB, Art 6 S 1 MRK

Instanzenzug: LG München II Az: W5 KLs 68 Js 33993/14

Gründe

I.

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in vier tatmehrheitlichen Fällen sowie wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die in dieser Sache in Ungarn in der Zeit vom bis zum erlittene Auslieferungshaft hat die Kammer im Verhältnis 1:1 auf die ausgeurteilte Freiheitsstrafe angerechnet.

2Die hiergegen gerichtete und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Auf die eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung betreffende Verfahrensrüge kommt es nicht an.

II.

3Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Rechtsfolgenausspruch kann hingegen nicht bestehen bleiben, weil die Strafzumessung durchgreifende Rechtsfehler enthält.

41. Die vom Landgericht festgesetzten Einzelstrafen in den Fällen III. 3. (G.         GmbH) und III. 4. (K.     GmbH) der Urteilsgründe haben keinen Bestand. Das Landgericht hat insoweit - in Fall III. 3. der Urteilsgründe neben dem Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO - jeweils das Regelbeispiel der bandenmäßigen Begehung nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO bejaht und die Strafe dem Strafrahmen des § 370 Abs. 3 Satz 1 AO entnommen. Die Feststellungen des Landgerichts tragen hingegen die Annahme einer bandenmäßigen Begehung nicht.

5Eine Bande setzt im Fall des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich zur fortgesetzten Begehung einer noch unbestimmten Vielzahl von Taten nach § 370 Abs. 1 AO verbunden haben. Erforderlich ist eine Bandenabrede, bei der das einzelne Mitglied den Willen hat, sich mit mindestens zwei anderen Personen zur Begehung solcher Straftaten in der Zukunft für eine gewisse Dauer zusammenzutun. Als Bandenmitglied ist danach anzusehen, wer in die Organisation der Bande eingebunden ist, die dort geltenden Regeln akzeptiert, zum Fortbestand der Bande beiträgt und sich an den Straftaten als Täter oder Teilnehmer beteiligt (vgl. , wistra 2010, S. 347 f.). Dagegen ist ein „gefestigter Bandenwille” oder ein „Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse” nicht erforderlich (, BGHSt 46, 321, 325).

6Den Feststellungen des Landgerichts, die sich jeweils in der Beschreibung der Mitwirkung weiterer Personen an dem den Gegenstand der Verurteilung bildenden Fall der Steuerhinterziehung bezogen auf die G.         GmbH (Fall III. 3. der Urteilsgründe) bzw. die K.    GmbH (Fall III. 4. der Urteilsgründe) erschöpfen, lässt sich nicht hinreichend entnehmen, dass der Angeklagte, der gesondert Verurteilte Dr. F.  und die weiteren genannten Personen sich jeweils mit dem Willen verbunden haben, zukünftig und für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im Einzelnen noch ungewisse Steuerhinterziehungen zu begehen. In beiden Fällen fehlt es überdies an ausreichend konkreten Feststellungen zu der Art der zukünftigen Tatbeteiligung der weiteren Personen.

72. Unabhängig von dem zuvor Ausgeführten, haben alle festgesetzten Einzelstrafen auch bereits deshalb keinen Bestand, weil die Ausführungen des Landgerichts besorgen lassen, dass es bei der für die Bemessung der Strafen erforderlichen Gesamtwürdigung aller für die Wertung der Taten und des Täters in Betracht kommender Umstände einen wesentlichen mildernden Gesichtspunkt nicht berücksichtigt hat.

8Die Strafkammer hatte - freilich rechtsfehlerhaft erst bei Bemessung der Gesamtstrafe - zwar im Blick, dass zwischen den abgeurteilten Taten und dem Urteil fünf bzw. sechs Jahre vergangen sind („Taten ... bereits längere Zeit zurückliegen“, UA S. 99) und dass eine solch lange Zeitspanne zwischen Begehung der Tat und ihrer Aburteilung einen wesentlichen Strafmilderungsgrund darstellt (vgl. , BGHR StGB § 46 Abs. 2 Zeitablauf 1 mwN und vom - 2 StR 128/15, NStZ-RR 2016, 7). Daneben hätte das Tatgericht bei der Bemessung aller Einzelstrafen hier zu bedenken gehabt, dass auch einer überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer eine eigenständige strafmildernde Bedeutung zukommt, wenn sie für den Angeklagten mit besonderen Belastungen verbunden ist (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 173/09, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 20; vom - 2 StR 128/15, NStZ-RR 2016, 7 und vom - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 142).

9Die Nichterwähnung in den Urteilsgründen legt nahe, dass das Tatgericht diesen bestimmenden Milderungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in seiner Bedeutung verkannt hat (vgl. , NStZ-RR 2011, 171). Dies gilt besonders vor dem Hintergrund, dass die Kammer die Verfahrensdauer vorliegend gar nicht - auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer möglichen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) - in den Blick genommen hat.

10Damit sind auch der Gesamtstrafenausspruch, die im vorliegenden Fall damit zusammenhängende Entscheidung über das Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung und die - für sich genommen nicht zu beanstandende - Anrechnungsentscheidung sowie die dem Rechtsfolgenausspruch zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben. Dem neuen Tatgericht wird so die Möglichkeit gegeben, über den Rechtsfolgenausspruch insgesamt neu zu befinden.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:090617B1STR45.17.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2018 S. 19 Nr. 1
BFH/NV 2017 S. 1406 Nr. 10
PAAAG-54903