BVerwG Beschluss v. - 9 B 57/16

Abwägungskontrolle bei der Landabfindung im Flurbereinigungsverfahren

Leitsatz

Bei der Landabfindung findet eine gerichtliche Abwägungskontrolle (vgl. § 44 Abs. 2 Halbs. 1 FlurbG), in deren Rahmen sich die Berücksichtigung der Interessen von Teilnehmern mit bzw. ohne landwirtschaftlichen Betrieb als abwägungsfehlerhaft erweisen könnte, nur bei konkretisierten betrieblichen Entwicklungstendenzen statt, die sich einem Teilnehmer erst durch die Flurbereinigung eröffnen. Das Interesse eines Teilnehmers an der Sicherung seiner bestehenden betrieblichen Möglichkeiten wird hingegen durch das der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegende Gebot wertgleicher Abfindung (§ 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG) gewährleistet.

Gesetze: § 44 Abs 2 Halbs 1 FlurbG, § 44 Abs 1 S 1 FlurbG

Instanzenzug: Hessischer Verwaltungsgerichtshof Az: 23 C 1637/15 Urteil

Gründe

1Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Die Revision ist weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 1.) noch wegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO; 2.) zuzulassen.

21. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom - 9 B 9.06 - NVwZ 2006, 1290 Rn. 5 und vom - 9 B 56.13 - juris Rn. 4). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

3a) Der Kläger hält für klärungsbedürftig,

ob einem gemischt wirtschaftenden Pferdebetrieb in der Flurbereinigung Flächen genommen und neue Flächen dergestalt zugeteilt werden können, dass dieser Betriebszweig mit der Neuzuteilung nicht überlebensfähig und damit die Existenz des Betriebs vollständig infrage gestellt wird, wenn bei Betrachtung der Gesamtzuteilung des Betriebs andere Teile eine Verbesserung erfahren

oder, anders formuliert,

ob die Flurbereinigung dergestalt in die Betriebsstruktur eines gemischt wirtschaftenden Betriebs eingreifen darf, dass ein bis dahin existierender Wirtschaftszweig so nicht fortgeführt werden kann, wenn dies zu einer Verbesserung der beiden anderen Betriebsteile führt.

4Der Sache nach zielen diese Fragen darauf ab, ob eine Abfindung wegen der Erforderlichkeit einer völligen Änderung der Betriebsstruktur der Zustimmung des Teilnehmers nach § 44 Abs. 5 FlurbG bedarf, wenn sie zur Folge hat, dass einer von mehreren Wirtschaftszweigen eines landwirtschaftlichen Betriebs als nicht mehr lebensfähig eingestellt werden muss.

5So verstanden verleihen die vom Kläger aufgeworfenen Fragen der Rechtssache nicht die für die Zulassung der Revision erforderliche grundsätzliche Bedeutung. Sie waren für das Flurbereinigungsgericht nicht entscheidungserheblich. Denn es gelangte auf Grund eines Augenscheins zu der Einschätzung, dass für den kleinen, sieben Pferde umfassenden Zucht- und Pensionspferdebetrieb des Klägers die ihm zugeteilten hofnahen Flächen selbst für eine nach der Zahl der vorhandenen Stallplätze mögliche Erweiterung des Bestands auf zehn Pferde ausreichten. War damit der Betriebszweig Pferdezucht und Pensionspferdehaltung aber nicht in seiner Existenz bedroht, so war für die Entscheidung des Flurbereinigungsgerichts ohne Bedeutung, ob die Abfindung wegen einer durch sie hervorgerufenen Gefährdung der Lebensfähigkeit dieses Betriebszweigs nach § 44 Abs. 5 FlurbG der Zustimmung des Klägers bedurfte.

6b) Der Kläger möchte weiter geklärt wissen,

ob die Flurbereinigungsbehörde im Flurbereinigungsverfahren an Rechtsgeschäften mitwirken darf, in deren Folge die für einen Teilnehmer bedeutsamen landwirtschaftlichen Flächen um ein nicht landwirtschaftliches Anwesen herum arrondiert werden, so dass die entsprechenden Flächen zur Bestandserweiterung bzw. zur Bestandserhaltung für einen landwirtschaftlichen Betrieb nicht mehr zur Verfügung stehen.

7Dies hängt nach Ansicht des Klägers von der weiteren Frage ab,

ob die Flurbereinigungsbehörde ihren Abwägungsspielraum dadurch verkürzen darf, dass sie landwirtschaftlich genutzte Flächen Privateigentümern zuteilt, die keine Landwirtschaft betreiben.

8Wie sich aus seinen Erläuterungen ergibt, geht es dem Kläger mit diesen Fragen letztlich darum, klären zu lassen, ob im Rahmen der bei der Landabfindung nach § 44 Abs. 2 FlurbG vorzunehmenden Abwägung die Interessen von Teilnehmern ohne eigenen landwirtschaftlichen Betrieb unberücksichtigt bleiben müssen, soweit es um die Zuteilung landwirtschaftlich genutzter Flächen geht. Dazu bedarf es jedoch nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Die aufgeworfene Frage lässt sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne Weiteres beantworten.

9Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG ist jeder Teilnehmer für seine Grundstücke mit Land von gleichem Wert abzufinden. Das Gebot wertgleicher Abfindung ist oberster Grundsatz des Flurbereinigungsverfahrens ( 10 C 4.05 - BVerwGE 126, 303 Rn. 14 m.w.N.). Seine Einhaltung unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung (BVerwG a.a.O. Rn. 25). Nach § 44 Abs. 2 Halbs. 1 FlurbG sind bei der Landabfindung die betriebswirtschaftlichen Verhältnisse aller Teilnehmer gegeneinander abzuwägen. Danach tritt neben die volle gerichtliche Überprüfung der Beachtung des Gebots wertgleicher Abfindung eine Abwägungskontrolle nach den Grundsätzen, die die Rechtsprechung für die gerichtliche Überprüfung von Planungsentscheidungen entwickelt hat. Diese beschränkt sich jedoch wegen der spezifischen Verknüpfung der planerischen Abwägung nach § 44 Abs. 2 Halbs. 1 FlurbG mit dem Gebot wertgleicher Abfindung auf solche Belange, die nicht die Wertsicherung des Bestands betreffen und deren ordnungsgemäße Berücksichtigung deshalb durch eine wertgleiche Abfindung noch nicht gewährleistet ist. Die Abwägungskontrolle richtet sich deshalb darauf, ob die Abfindungsgestaltung konkretisierte betriebliche Entwicklungstendenzen, die sich dem Teilnehmer erst durch die Flurbereinigung eröffnen und die deshalb für die Frage wertgleicher Abfindung unerheblich sind, abwägungsfehlerfrei berücksichtigt hat ( 10 C 4.05 - BVerwGE 126, 303 Rn. 17, 25, 29 f.).

10Anhand dieser Rechtsprechung ist die vom Kläger aufgeworfene Frage ohne Weiteres zu beantworten. Eine Abwägungskontrolle auf der Grundlage von § 44 Abs. 2 Halbs. 1 FlurbG findet nur bei konkretisierten betrieblichen Entwicklungstendenzen statt, die sich einem Teilnehmer erst durch die Flurbereinigung eröffnen. Geht es wie hier nur um die Sicherung der bestehenden betrieblichen Möglichkeiten, so erfolgt keine Abwägungskontrolle, in deren Rahmen sich die Berücksichtigung der Interessen von Teilnehmern ohne eigenen landwirtschaftlichen Betrieb als abwägungsfehlerhaft erweisen könnte. Die Belange des Landwirtschaftsbetriebs werden in einem solchen Fall bereits durch das Gebot wertgleicher Abfindung gewährleistet. Kein Teilnehmer hat dabei Anspruch auf Zuteilung von Grundstücken mit bestimmten Eigenschaften, geschweige denn auf Zuteilung seines Altbesitzes oder bestimmter Grundstücke ( 10 C 4.05 - BVerwGE 126, 303 Rn. 27 m.w.N.).

112. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.

12a) Das Flurbereinigungsgericht hat nicht gegen seine Pflicht verstoßen, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

13aa) Dies gilt zunächst, soweit es der Frage, wie viele Pferde auf einer dem Kläger als Abfindung zugeteilten Grünlandfläche von 6 779 m² gehalten werden können, nicht durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nachgegangen ist.

14Im Flurbereinigungsrecht ist durch die nach § 139 Abs. 2 und 3 FlurbG vorgeschriebene besondere Besetzung des Flurbereinigungsgerichts eine sachverständige Würdigung der im Rahmen der Flurbereinigung zu beurteilenden Sachverhalte regelmäßig gewährleistet. Ein Flurbereinigungsgericht ist daher nur unter besonderen Umständen gehalten, Sachverständige hinzuzuziehen, etwa in Fällen, die schwierig gelagert sind oder besondere Spezialkenntnisse erfordern ( 9 B 85.09 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 376 Rn. 5). Ein Verstoß des Flurbereinigungsgerichts gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht wegen zu Unrecht angenommener Sachkunde kommt nur dann in Betracht, wenn die Beurteilung agrarwirtschaftlicher Fragen gravierende Mängel aufweist, namentlich wenn sie von unzutreffenden Tatsachen ausgeht, in sich widersprüchlich oder aktenwidrig ist oder ohne die notwendige Kenntnis der örtlichen Verhältnisse vorgenommen wurde, mithin wenn sie schlechterdings unvertretbar ist (BVerwG a.a.O. Rn. 9).

15Nach diesen Maßstäben ist ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht erkennbar. Weder legt der Kläger dar noch ist sonst ersichtlich, warum es sich um einen schwierig gelagerten oder besondere Spezialkenntnisse erfordernden Fall gehandelt haben soll, für den es dem Flurbereinigungsgericht ausnahmsweise an der erforderlichen Sachkunde gefehlt hat. Auch ist die Beurteilung des Flurbereinigungsgerichts, die dem Kläger zugeteilten hofnahen Flächen reichten für die Pferdezucht und den Pensionspferdebetrieb des Klägers einschließlich einer Erweiterung des Bestands von sieben auf zehn Pferde aus, nicht erkennbar in sich widersprüchlich oder aktenwidrig. Schließlich beruht diese Einschätzung auch nicht auf einer mangelnden Kenntnis der örtlichen Verhältnisse, sondern auf einem am in Anwesenheit der Beteiligten eingenommenen Augenschein.

16Im Übrigen hat sich die nach Ansicht des Klägers zu klärende Frage, wie viele Pferde auf der dem Kläger zugeteilten Grünlandfläche von 6 779 m² gehalten werden können, dem Flurbereinigungsgericht so nicht gestellt. Es hat vielmehr seiner Einschätzung, die hofnahen Flächen des Klägers seien ausreichend, neben dieser Grünlandfläche drei weitere Flächen zugrunde gelegt, die zusammen um ein Vielfaches größer sind.

17bb) Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO dadurch, dass das Flurbereinigungsgericht davon abgesehen hat, durch Einvernahme der in der Klagebegründung benannten Zeugen zu klären, ob sich die wirtschaftliche Situation des Klägers nach der vorläufigen Besitzeinweisung bezüglich der Pensionspferdehaltung durch die Kündigung von Einstellverträgen verschlechtert hat, ist nicht den Anforderungen von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt. Der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, warum sich dem Flurbereinigungsgericht mangels eines entsprechenden Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung die Erforderlichkeit einer Zeugeneinvernahme hätte aufdrängen müssen (vgl. 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f.). Die Entscheidungserheblichkeit der Entwicklung der Pensionspferdehaltung nach der vorläufigen Besitzeinweisung war nicht ohne Weiteres ersichtlich. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Wertgleichheit der Abfindung nach § 44 Abs. 1 Satz 4 FlurbG ist der Zeitpunkt, in dem die vorzeitige Besitzeinweisung wirksam geworden ist ( 9 B 45.15 - Buchholz 424.02 § 64 LwAnpG Nr. 15 Rn. 15). Die Tatsachen, über die das Gericht nach Ansicht des Klägers hätte Beweis erheben müssen, konnten aber nach dessen eigenem Vortrag erst nach diesem Zeitpunkt eingetreten sein. Davon abgesehen hat das Flurbereinigungsgericht festgestellt, dass der Kläger weitere hofnahe Flächen als Pferdeweide nutzen könnte, aber tatsächlich nicht nutzt; damit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander.

18cc) Aus diesem Grund stellt das Absehen von der Zeugeneinvernahme auch keinen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO dar. Ein solcher Verstoß kommt in Betracht, wenn das Gericht Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen ( 9 B 39.14 - NVwZ-RR 2014, 877 Rn. 9). Das Flurbereinigungsgericht hat jedoch die möglichen Auswirkungen der Lage der dem Kläger zugeteilten Weideflächen auf dessen Pensionspferdehaltung nicht unberücksichtigt gelassen. Es hat sich vielmehr mit dem Vortrag des Klägers auseinandergesetzt, die Einsteller von Pensionspferden würden gezwungen, mit ihren Tieren weit entfernte Weiden anzusteuern, was insbesondere für Kinder nicht gern gesehen werde. In diesem Zusammenhang hat es nicht nur festgestellt, dass auch die mit 350 Meter am weitesten vom Hofgrundstück des Klägers entfernt liegende Fläche selbst von Jugendlichen über ein wenig befahrenes Feldwegenetz gefahrlos zu erreichen sei, sondern auch, dass dem Kläger noch ein anderes, hofnäheres Grundstück als Weide zur Verfügung stände.

19b) Darüber hinaus hat das Flurbereinigungsgericht nicht dadurch gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen, dass es den vom Kläger befürchteten Verlust seiner Einkommensquelle Pferdezucht und Pensionspferdehaltung übergangen hätte. Es hat sich vielmehr eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob die zugeteilten hofnahen Flächen für den Erhalt des Pferdebetriebs des Klägers ausreichen. Es ist dabei auf der Grundlage einer Inaugenscheinnahme aller in Hofnähe gelegenen Weideflächen zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Flächen die Fortführung von Pferdezucht und Pensionspferdehaltung zuließen und dem Kläger sogar eine Erweiterung dieses Betriebszweigs um drei auf zehn Pferde ermöglichten.

20c) Schließlich hat das Flurbereinigungsgericht auch nicht das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt. Eine gegen dieses Recht verstoßende Überraschungsentscheidung liegt nur vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten ( 6 B 72.09 - NVwZ 2010, 845 Rn. 14). Daran fehlt es hier.

21Das Flurbereinigungsgericht hat die Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er wende sich "nicht wirklich" gegen die Zuteilung einer ursprünglich ihm gehörenden Dreiecksfläche von 2 m² an seinen Nachbarn, um diesem die Erschließung seines Grundstücks zu ermöglichen, nicht als Einverständnis mit der Zuteilung gewertet, ohne den Beteiligten zuvor Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Erst recht hat es ein solches Einverständnis nicht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Es hat diese vielmehr darauf gestützt, dass der Entzug der betreffenden, vom Kläger nicht sinnvoll zu nutzenden Fläche die Rechtmäßigkeit der dem Kläger gewährten Abfindung nicht in Frage stelle, weil diese seinen Belangen objektiv gerecht werde und für seinen Betrieb ausgesprochen vorteilhaft sei.

22Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

23Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2017:080317B9B57.16.0

Fundstelle(n):
CAAAG-53422