Unrichtiger Steuerausweis; Umkehr der Steuerschuldnerschaft, Rückwirkung der Rechnungsberichtigung
Leitsatz
1. Der gesonderte Umsatzsteuerausweis des Leistenden begründet eine Steuerschuld nach § 14c Abs. 1 UStG auch dann, wenn tatsächlich der Leistungsempfänger die Steuer schuldet.
2. § 14c UStG enthält abstrakte Gefährdungstatbestände, deren Verwirklichung nicht davon abhängt, dass der Empfänger Unternehmer oder zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.
3. Die Rechnungsberichtigung nach § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG hat keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung.
Gesetze: § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 13b UStG 2005, § 14c Abs 1 UStG 2005, Art 21 Abs 1 Buchst d EWGRL 388/77, Art 203 EGRL 112/2006, UStG VZ 2006, UStG VZ 2007, UStG VZ 2008, UStG VZ 2009
Instanzenzug: Az: 5 K 10/16 Urteil
Gründe
1Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist unbegründet. Die von ihr aufgeworfenen Rechtsfragen haben weder grundsätzliche Bedeutung noch ist ihre Beantwortung zur Fortbildung des Rechts erforderlich.
21. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
3a) Die erste und die --damit im Wesentlichen inhaltsgleiche-- vierte Rechtsfrage, ob die Umsatzsteuer auch dann nach § 14c des Umsatzsteuergesetzes (UStG) geschuldet wird, wenn weder eine konkrete noch eine abstrakte Gefährdung des staatlichen Steueranspruchs gegeben ist, weil die nach § 14c UStG geschuldete Steuer mit einer von den Leistungsempfängern nach § 13b UStG geschuldeten Umsatzsteuer "materiell identisch" ist, vom Leistungsempfänger pünktlich und zeitnah erklärt und abgeführt worden ist, sodass kein Liquiditätsvorteil entstehen konnte und die Leistungsempfänger als Hoheitsträger nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt waren, sind nicht mehr klärungsbedürftig, da sie bereits durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt sind.
4aa) Die in Irland ansässige Klägerin wies für die von ihr gegenüber inländischen Leistungsempfängern erbrachten Werklieferungen und sonstigen Leistungen in Rechnungen Umsatzsteuer gesondert aus und schuldet diese daher nach § 14c Abs. 1 UStG (, BFHE 255, 474 sowie vom V R 41/13, BFHE 248, 406, Rz 16). § 14c UStG beruhte im Streitjahr (2006) unionsrechtlich auf Art. 21 Abs. 1 Buchst. d der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern und in den folgenden Streitjahren (2007 bis 2009) auf Art. 203 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach wird die Mehrwertsteuer von jeder Person geschuldet, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist. Damit soll einer Gefährdung des Steueraufkommens entgegengewirkt werden, die sich aus dem Recht auf Vorsteuerabzug ergeben kann (BFH-Urteile in BFHE 255, 474, Rz 20, m.w.N.; vom XI R 47/13, BFH/NV 2016, 428, Rz 42).
5bb) Die Steuerschuld nach § 14c UStG setzt weder voraus, dass aufgrund der Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis tatsächlich ein Vorsteuerabzug in Anspruch genommen wurde, noch, dass eine konkrete Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, da § 14c UStG abstrakte Gefährdungstatbestände formuliert (, BFHE 243, 77, BStBl II 2014, 1024, Rz 62 sowie vom V R 39/09, BFHE 233, 94, BStBl II 2011, 734, Rz 23; , V R 61/97, BFHE 187, 84, Rz 30 zu § 14 Abs. 3 UStG a.F.; , Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 77; Stadie, Umsatzsteuer, 3. Aufl., § 14c Rz 4), deren Verwirklichung nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nicht einmal davon abhängt, ob der Empfänger überhaupt Unternehmer bzw. zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Im Übrigen ist zu beachten, dass Hoheitsbetriebe als juristische Personen des öffentlichen Rechts im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art gewerblich oder beruflich und damit unternehmerisch tätig sein können (§ 2 Abs. 3 UStG) und insoweit eine Berechtigung zum Vorsteuerabzug besteht.
6cc) Einer Inanspruchnahme der Klägerin steht auch nicht entgegen, dass die nach § 14c UStG geschuldete Steuer mit einer von den Leistungsempfängern nach § 13b UStG geschuldeten Umsatzsteuer "materiell identisch" ist. Aus der gesetzlichen Regelung in § 14c UStG folgt, dass es sich hierbei um einen zusätzlichen Steueranspruch des Fiskus handelt, der erst mit einer wirksamen Berichtigung (§ 14c Abs. 1 Satz 2 UStG), aber nicht mit der Begleichung der Umsatzsteuer durch den Empfänger erlischt.
7b) Von grundsätzlicher Bedeutung ist auch nicht die Rechtsfrage, ob die Argumentation des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in der Entscheidung Senatex vom C-518/14 () zur Rückwirkung bei Rechnungsberechtigungen auf die Konstellation einer Umsatzsteuerschuld nach § 14c UStG übertragen werden kann. Denn es ist höchstrichterlich bereits entschieden, dass einer Rechnungsberichtigung i.S. des § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung zukommt (BFH-Urteil in BFHE 255, 474, Leitsatz 3). Wie sich aus der Verweisung in § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG auf § 17 Abs. 1 UStG ergibt, wirkt die Rechnungsberichtigung erst für den Besteuerungszeitraum der Berichtigung ohne Rückwirkung auf den Besteuerungszeitraum der Rechnungserteilung; jede andere Auslegung wäre mit dem Normzweck des § 14c UStG und des Art. 203 MwStSystRL, einer Gefährdung des Steueraufkommens durch einen unzutreffenden Steuerausweis in Rechnungen entgegenzuwirken, nicht zu vereinbaren. Das Unionsrecht steht einer solchen nationalen Regelung grundsätzlich nicht entgegen (vgl. EuGH-Urteile Stadeco vom C-566/07, EU:C:2009:380, BFH/NV 2009, 1371, Rz 39, 41 f., 47, 51; Rusedespred vom C-138/12, EU:C:2013:233, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2013, 432, Rz 28 und 31). Der Umstand, dass nach der Rechtsprechung des EuGH einer Rechnungsberichtigung beim Vorsteuerabzug unter bestimmten Voraussetzungen Rückwirkung zukommen kann (vgl. EuGH-Urteile Senatex, EU:C:2016:691, UR 2016, 800; Barlis 06 - Investimentos Imobiliarios e Turisticos vom C-516/14, EU:C:2016:690, UR 2016, 795) führt deshalb in Bezug auf § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG zu keiner anderen Beurteilung.
8c) Nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist auch die dritte Rechtsfrage, ob die Rechtsprechung des Senats (Urteil vom V R 35/03, BFHE 208, 398, BStBl II 2005, 460) zum maßgeblichen Zeitpunkt für Entscheidungen im Billigkeitsverfahren (Rechtslage zur Zeit der Steuerfestsetzung) auch in Fällen einer Ermessensreduktion auf Null anzuwenden ist. Diese Rechtsfrage stellt sich im Streitfall nicht, weil Anhaltspunkte für die Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null weder vom FG festgestellt wurden (FG-Urteil S. 16) noch für den Senat ersichtlich sind.
92. Die Revision ist wegen der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen auch nicht zur Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund stellt einen Spezialfall der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar und setzt daher ebenfalls die Darlegung und das Vorliegen einer klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage voraus (vgl. , juris, Rz 19). Hieran fehlt es aus den unter 1. genannten Gründen.
103. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
114. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2017:B.310517.VB5.17.0
Fundstelle(n):
BFH/NV 2017 S. 1202 Nr. 9
RAAAG-51392