BFH Urteil v. - III R 56/97

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt den Reifenhandel, die Reifenreparatur und die Kraftfahrzeugreparatur. Er ist seit 1982 mit dem Handwerk Vulkaniseur in der Handwerksrolle eingetragen.

Bei der Festsetzung der Investitionszulage für das Streitjahr 1993 berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) abweichend von dem Antrag des Klägers nur die Wirtschaftsgüter, die er dem Reparaturhandwerk zurechnete. Dabei ging das FA davon aus, die Montage von Reifen einschließlich des Ventileinbaus sowie das Auswuchten von Reifen beim Neureifenverkauf stellten eine handelsübliche Nebenleistung zum Reifenverkauf dar und könnten nicht dem Vulkaniseurhandwerk zugeordnet werden. Die für diese Arbeiten eingesetzten Wirtschaftsgüter sah das FA daher nicht als zulagenbegünstigt an (z.B. Reifenmontiergerät, Radauswuchtmaschine). Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte im Wesentlichen aus: Die vom Kläger angeschafften Wirtschaftsgüter gehörten zum Anlagevermögen eines in die Handwerksrolle eingetragenen Betriebs. Damit seien die Voraussetzungen für die Gewährung der (erhöhten) Investitionszulage nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1993 gegeben. Das InvZulG 1993 knüpfe ausdrücklich nur an die Eintragung in die Handwerksrolle an. Eine Einschränkung dahin gehend, dass die erhöhte Investitionszulage nur für diejenigen Wirtschaftsgüter zu gewähren sei, die ausschließlich oder überwiegend den in die Handwerksrolle eingetragenen Gewerken dienten, lasse sich dem Gesetz nicht entnehmen. Der Gesetzgeber habe das Abgrenzungsmerkmal der Eintragung deshalb gewählt, um ein einfach zu handhabendes Kriterium für die Zuordnung eines Betriebs zum Handwerk zu schaffen. Die Finanzverwaltung solle so von der Prüfung der Frage freigestellt werden, ob ein Betrieb die Kriterien nach der Handwerksordnung (HWO) für einen eintragungsfähigen Handwerksbetrieb erfülle. Wegen der Sachnähe solle diese Prüfung durch die Handwerkskammer als Fachbehörde erfolgen. Dem würde es widersprechen, wenn bei jeder Investition zu prüfen wäre, ob das betreffende Wirtschaftsgut (überwiegend) im handwerklichen Bereich des Steuerpflichtigen verwendet werde.

Mit der Revision trägt das FA vor: Die Eintragung in die Handwerksrolle habe nicht die Bedeutung, dass ein eingetragenes Unternehmen als Handwerksbetrieb qualifiziert werde. Die Eintragung begründe lediglich das Recht, das eingetragene Handwerk selbständig auszuüben. Sie sage aber nichts darüber aus, ob es sich bei dem Unternehmen um einen Handwerksbetrieb handele und in welchem Umfange das Handwerk ausgeübt werde. Lediglich in den Fällen, in denen im Wesentlichen eine handwerkliche Tätigkeit ausgeübt werde, sei es gerechtfertigt, die Verwaltungsentscheidung der Handwerkskammer für das Investitionszulagenrecht für verbindlich zu erklären. Bei Mischbetrieben, bei denen ein handwerklicher Betrieb mit einer sonstigen gewerblichen Tätigkeit verbunden sei, werde in der Handwerksrolle jedoch lediglich die handwerkliche Betätigung des Investors erfasst, die im Rahmen des Gesamtunternehmens ausgeübt werden dürfe. Der Regelungsgehalt der Eintragung als Erlaubnis lasse sich nicht auf das Gesamtunternehmen übertragen. Die Eintragung in die Handwerksrolle beziehe sich bei Mischbetrieben lediglich auf den handwerklichen Teil des Betriebs. Im Übrigen widerspräche die Begünstigung auch des nichthandwerklichen Teils eines gemischten Unternehmens dem Förderzweck des InvZulG 1993. Nach der Systematik der Wirtschaftszweige 1979 (Systematik 1979) werde ein Mischbetrieb nach dem Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit eingeordnet. Ein Betrieb, dessen Schwerpunkt im Handel liege, sei nur partiell förderungsfähig, soweit er ein Handwerk betreibe.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Das FG hat die noch strittigen Anschaffungen allein deshalb als investitionszulagenbegünstigt angesehen, weil der Kläger in der Handwerksrolle eingetragen war bzw. ist. Bei einem gemischten Betrieb sind Wirtschaftsgüter aber nur dann förderungsfähig, wenn sie dem handwerklichen Bereich zugeordnet werden können und diesem Bereich ausschließlich oder nahezu ausschließlich dienen.

1. Nach § 2 Satz 1 InvZulG 1993 sind begünstigte Investitionen die Anschaffung und Herstellung von neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung zum Anlagevermögen eines Betriebs (einer Betriebsstätte) im Fördergebiet gehören, in einer solchen Betriebsstätte verbleiben und in jedem Jahr zu nicht mehr als 10 v.H. privat genutzt werden. Die Investitionszulage beträgt nach § 5 Abs. 1 InvZulG 1993 als sog. Grundzulage 5 v.H. bis 12 v.H. der Bemessungsgrundlage, sofern die Begünstigung nicht nach § 3 Satz 2 InvZulG 1993 ausgeschlossen ist. Sie erhöht sich auf 20 v.H., wenn neben anderen, hier nicht streitigen Voraussetzungen die betreffenden Wirtschaftsgüter zum Anlagevermögen des Betriebs eines Gewerbetreibenden, der in die Handwerksrolle (das Verzeichnis handwerksähnlicher Betriebe) eingetragen ist, oder eines Betriebs des verarbeitenden Gewerbes gehören.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist für die Abgrenzung der nach § 3 Satz 2 InvZulG 1993 von der Förderung ausgenommener Wirtschaftszweige die Systematik 1979 bzw. die Klassifikation der Wirtschaftszweige 1993 als Dokumentation der Verkehrsauffassung heranzuziehen. Werden in einem Betrieb verschiedenartige Tätigkeiten ausgeübt, ist daher die Einordnung nach dem Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit vorzunehmen. Dieser bestimmt sich grundsätzlich nach den auf die einzelnen Tätigkeiten entfallenden Wertschöpfungsanteilen (Senatsurteil vom III R 29/98, BStBl II 2000, 444; , BStBl I 1993, 904, Tz. 11, und vom , BStBl I 1995, 18, Tz. 5).

b) Der Senat hat ferner entschieden, dass bei Vorliegen eines sog. Mischbetriebs, bei dem eine handwerkliche (handwerksähnliche) Tätigkeit mit einer nichthandwerklichen (nicht handwerksähnlichen) Betätigung verbunden ist und bei dessen Beurteilung nach dem Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit an sich eine Investitionszulagenförderung nach § 3 Satz 2 InvZulG 1993 ausgeschlossen wäre, gleichwohl eine Begünstigung (mit der erhöhten Zulage) insoweit in Betracht kommt, als angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgüter überwiegend dem eingetragenen Gewerbe (Gewerk) dienen (, BFHE 188, 169, BStBl II 1999, 837, und vom III R 33/97, BFHE 190, 266, BStBl II 2000, 208). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Eintragung nicht offensichtlich falsch ist. Wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 188, 169, BStBl II 1999, 837 weiter ausgeführt hat, ist das Erfordernis des überwiegenden Dienens im Bereich eines eingetragenen Gewerkes nur dann erfüllt, wenn die betreffenden Wirtschaftsgüter ausschließlich oder nahezu ausschließlich dem eingetragenen Gewerk dienen, wobei eine Verwendung von nicht mehr als 10 v.H. in dem nicht begünstigten bzw. nicht erhöht begünstigten Bereich als unerheblich und damit als nicht zulagenschädlich vernachlässigt werden kann.

2. Die Beteiligten stimmen darin überein, dass die wirtschaftliche Betätigung des Klägers nur in untergeordnetem Umfang auf die reine Reparaturtätigkeit, d.h. die Reparatur von Reifen ohne Reifenverkauf, entfällt. Insoweit handelt es sich um eine handwerkliche Betätigung, wie sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung über das Berufsbild und über die Prüfungsanforderungen im praktischen und fachtheoretischen Teil der Meisterprüfung für das Vulkaniseur-Handwerk (Vulkaniseurmeisterverordnung —VulkMstrV—) vom (BGBl I 1989, 62) ergibt. Das FA hat dem Investitionszulagenantrag des Klägers daher für die diesem Bereich ausschließlich oder nahezu ausschließlich dienenden Wirtschaftsgüter zu Recht stattgegeben.

Es liegt nahe, dass der Kläger daneben gelegentlich auch Reifen an- und verkauft, ohne im Zusammenhang damit zusätzliche Dienstleistungen wie Montage und Auswuchten zu erbringen. Insofern liegt eine von der Begünstigung ausgeschlossene (reine) Handelstätigkeit i.S. von § 3 Satz 2 InvZulG 1993 vor.

3. Im Übrigen besteht die Tätigkeit des Klägers im Wesentlichen in dem Erwerb und in der Weiterveräußerung von Reifen mit Montage. Soweit das FA die streitigen Wirtschaftsgüter diesem Bereich zugeordnet hat, ist entscheidungserheblich, ob und in welchem Umfange es sich auch hierbei um eine handwerkliche, von der Eintragung in die Handwerksrolle umfasste Tätigkeit handelt. Entgegen der Rechtsauffassung des FG reicht allein der Umstand der Eintragung des Klägers mit seinem Betrieb in die Handwerksrolle nicht aus.

a) Der Hinweis des FA in der Einspruchsentscheidung, nach der Systematik 1979 bzw. nach der Klassifikation 1993 sei auch der Verkauf von Reifen mit Montage dem Handel zuzuordnen, da es sich insoweit um handelsübliche Dienstleistungen als Nebenleistungen zu einem Verkauf handele, geht fehl. Denn die Einordnung nach der Systematik 1979 bzw. nach der Klassifikation 1993 tritt zurück, soweit die Eintragung in die Handwerksrolle reicht (Senatsurteil in BFHE 188, 169, BStBl II 1999, 837). Ausschlaggebend für die Zuordnung zum handwerklichen Bereich ist daher die Frage, ob die in Zusammenhang mit dem Verkauf erbrachten Montageleistungen den Tätigkeiten zuzurechnen sind, die zu dem eingetragenen Handwerk gehören. Anhaltspunkte dafür ergeben sich aus den Berufsbildern, wie sie in den Rechtsverordnungen auf der Grundlage von § 45 HWO umschrieben sind (, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht —NVwZ— 1992, 547). Nach § 1 Abs. 2 Nr. 26 VulkMstrV gehören zum Berufsbild des Vulkaniseur-Handwerks auch Kenntnisse und Fertigkeiten über das Montieren und Auswuchten von Reifen und Rädern. Diese Tätigkeiten müssen als Arbeitsprobe bei der Meisterprüfung ausgeführt werden (§ 4 VulkMstrV). Sie werden folglich von der handwerklichen Tätigkeit des Vulkaniseurs mit umfasst. Nicht dazu gehört andererseits der Handel mit Reifen, d.h. die Tätigkeiten, die sich auf den Erwerb und die Veräußerung von Reifen beziehen.

b) Die Montagetätigkeit des Klägers wird auch nicht lediglich in der Art eines unselbständigen Hilfsbetriebs i.S. von § 3 Abs. 3 HWO für seinen Reifenhandel als etwaigen Hauptbetrieb erbracht. Es entspricht vielmehr der Lebenserfahrung, dass beim Erwerb von Reifen mit Montage entweder ein Gesamtkaufpreis für die Lieferung einschließlich dieser Nebenleistungen vereinbart oder dass das Entgelt für die Montage gesondert berechnet wird. In beiden Fällen wird insoweit für den Kunden eine selbständige Leistung neben dem Verkauf erbracht. Die für diesen Bereich eingesetzten Wirtschaftsgüter sind damit erhöht investitionszulagenbegünstigt, sofern die Verwendung in dem nicht begünstigten Bereich 10 v.H. nicht überschreitet (Senatsurteil in BFHE 188, 169, BStBl II 1999, 837).

4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat, von seinem abweichenden Standpunkt ausgehend, keine Feststellungen dazu getroffen, in welchem Umfang die noch strittigen Wirtschaftsgüter im Bereich des nicht zulagenbegünstigten Handels und im begünstigten handwerklichen Bereich eingesetzt wurden. Nach der Bezeichnung der Wirtschaftsgüter liegt ein entsprechender Einsatz im handwerklichen Bereich lediglich bei einzelnen Anschaffungen nahe, z.B. bei dem LKW-Reifenmontiergerät und der Radauswuchtmaschine. Das FG wird den Umfang der in den Rahmen des eingetragenen Handwerks fallenden Tätigkeiten sowie die Verwendung der Wirtschaftsgüter im Einzelnen festzustellen haben.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 489 Nr. 4
HAAAA-66965