BFH Beschluss v. - III R 14/01

Gründe

I. Das Finanzgericht (FG) wies die vom Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhobene Klage wegen einer übermäßigen Einkommensteuerbelastung in den Streitjahren 1997 und 1998 unter Fortführung des (BFHE 189, 413, BStBl II 1999, 771) als unbegründet ab und ließ die Revision zu. Nach der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung war u.a. die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem BFH schriftlich einzulegen. Am Schluss der Rechtsmittelbelehrung wird sowohl die Postanschrift des BFH als auch der Telefax-Anschluss mitgeteilt.

Das Urteil des FG ist ausweislich der Postzustellungsurkunde den Prozessvertretern am zugestellt worden.

Die Prozessvertreter legten namens des Klägers mit am (15.25 Uhr) beim FG München eingegangenen Telefax Revision ein und beantragten, die Frist zur Begründung bis zum zu verlängern. Das FG München übermittelte die Revisionsschrift per Telefax am (11.31 Uhr) an den BFH.

Auf den Hinweis des Vorsitzenden des erkennenden Senats mit Schreiben vom auf die verspätete Einlegung der Revision beantragten die Prozessvertreter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist. Zur Begründung trugen sie vor, für die Fristversäumnis sei das Vertrauen auf die seit Jahrzehnten geltende Regelung des § 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) a.F. auslösend gewesen. Die Revision sei deshalb beim FG in München und nicht unmittelbar bei dem erst neuerdings zuständigen BFH eingelegt worden. Dem Kläger könne dieser Rechtsirrtum seiner Prozessbevollmächtigten nicht vorgeworfen werden. Insbesondere sei die einem Steuerberater mögliche und zumutbare Sorgfalt nicht bereits deshalb außer Acht gelassen, dass im Vertrauen auf die seit Jahrzehnten geltende Gesetzeslage die Zuständigkeit bei Einlegung der Revision nicht erneut überprüft worden sei. Auch ein fachkundiger Steuerberater müsse sich grundsätzlich auf die Fortgeltung verfahrensrechtlicher Vorschriften, insbesondere von Zuständigkeitsregelungen, verlassen dürfen. Verfahrensrecht sei —im Gegensatz zum materiellen Recht— immer auf eine gewisse Kontinuität hin angelegt. Deshalb bestehe auch ein besonderes Vertrauen in dessen Fortgeltung.

Dies erfordere es, Anpassungsprobleme an die seit dem geänderte Zuständigkeit für eine gewisse Übergangszeit im Rahmen des Verschuldens angemessen entlastend auch zu Gunsten steuerberatender Berufe zu berücksichtigen. Dies gelte umso mehr, als bisher die FGO die Zuständigkeit abweichend von allen anderen Prozessordnungen, insbesondere der Zivilprozeßordnung (ZPO) und der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), geregelt gehabt habe.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) beantragt, den Antrag auf Wiedereinsetzung abzulehnen.

II. Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§§ 124 Abs. 1, 126 Abs. 1 FGO).

1. Nach der gemäß Art. 6 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom (veröffentlicht am in BGBl I 2000, 1757) geänderten Fassung des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO, ist die gemäß § 115 Abs. 1 FGO vom FG zugelassene Revision bei dem BFH innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen.

Die Revision gegen das am den Prozessvertretern des Klägers mit Postzustellungsurkunde ordnungsgemäß zugestellte vollständige Urteil des FG ist dem BFH verspätet, nämlich erst per Telefax durch das FG München am Mittwoch, den , zugegangen (vgl. § 121 Satz 1, § 54 Abs. 2 FGO, § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen GesetzbuchsBGB—).

2. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der einmonatigen Revisionsfrist kann nicht entsprochen werden. Die Prozessvertreter waren nicht ohne ihr Verschulden gehindert, die gesetzlich geregelte Monatsfrist zur Einlegung der Revision einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO).

Der Kläger muss sich das Verschulden seiner Prozessvertreter gemäß § 85 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 FGO zurechnen lassen (vgl. , BFHE 157, 305, BStBl II 1989, 848, 850).

Ein Verschulden i.S. des § 56 Abs. 1 FGO ist, jedenfalls wenn es sich um die Fristversäumnis eines Steuerberaters oder Rechtsanwalts handelt, nur dann zu verneinen, wenn die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet worden ist (vgl. , BFH/NV 1994, 384, 385). Diese Sorgfaltsanforderungen haben die Prozessbevollmächtigten bei der Einlegung der Revision gegen das FG-Urteil nicht gewahrt.

Von Angehörigen der steuerberatenden Berufe, die als Prozessbevollmächtigte ein Rechtsmittel einlegen, muss erwartet werden, dass sie die Voraussetzungen und die Anforderungen für dieses Rechtsmittel kennen oder sich zumindest davon Kenntnis verschaffen (vgl. BFH-Beschlüsse vom III B 76/92, BFH/NV 1994, 105; vom VII B 222/97, BFH/NV 1998, 616). Insbesondere aber mussten die Prozessbevollmächtigten des Klägers die der geänderten Gesetzeslage entsprechende, dem angefochtenen Urteil beigefügte ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung des FG beachten, nach der unmissverständlich die zugelassene Revision beim BFH einzulegen war. Die Rechtsmittelbelehrung enthielt zudem ausschließlich Angaben zur Postanschrift des BFH und dessen Telefaxnummer.

Die Prozessbevollmächtigten mussten auf jeden Fall diese eindeutige Rechtsmittelbelehrung beachten (vgl. BFH-Beschlüsse vom II B 69/95, BFH/NV 1996, 336, 337, m.w.N.; vom IV B 111/85, BFH/NV 1988, 29, 30, und vom IV B 2/86, BFH/NV 1987, 782, 783). Unter diesen Umständen besteht hier auch kein Anlass zu entscheiden, ob grundsätzlich im Hinblick auf die Änderung der zuständigen Empfangsbehörde im Wege eines Vertrauensschutzes für eine gewisse Übergangszeit das Verschuldensmaß gemildert werden könnte, zumal eine solche Frist keinesfalls bis Ende März 2001 erstreckt werden könnte (vgl. zum Vertrauensschutz bei einer geänderten Rechtsprechung , BFHE 179, 569, BStBl II 1996, 319, unter 3. der Gründe; Beschluss vom IV B 128/96, BFH/NV 1997, 876).

Schließlich hat das FG die Revisionsschrift unverzüglich sogar per Telefax bereits am Vormittag des an den BFH weitergeleitet, so dass eine Mitverantwortung des FG für die verspätete Einlegung des Rechtsmittels nicht in Betracht kommt (vgl. dazu , BFH/NV 1997, 492; Urteil vom IV R 123-124/91, BFHE 169, 132, BStBl II 1993, 125, 126; , BVerfGE 93, 99; ferner , BFHE 123, 14, BStBl II 1977, 769; , Neue Juristische Wochenschrift 1978, 1486 zur Beachtung von Gesetzesänderungen).

3. Da die Revision danach verworfen werden muss und der Rechtsstreit zur Entscheidung reif ist, kommt eine Vorabentscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist nicht in Betracht (vgl. , BFHE 159, 573, BStBl II 1990, 546, unter II. 1. der Gründe).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 48 Nr. 1
DStRE 2001 S. 1379 Nr. 24
AAAAA-66950