BFH Urteil v. - III R 100/96

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt in der Rechtsform einer GmbH einen Brandschutzservice. Seit 1991 unterhält sie auch Betriebstätten in Sachsen und Thüringen.

Die für das Streitjahr 1993 fristgerecht beantragte Investitionszulage gewährte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) zunächst antragsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Im Anschluss an eine Außenprüfung änderte das FA den Investitionszulagenbescheid gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) und setzte die Investitionszulage für 1993 endgültig auf 0 DM fest. Das FA folgte damit den Feststellungen der Betriebsprüfung, wonach der Betrieb der Klägerin einen Mischbetrieb aus Handel und Dienstleistung darstelle, wobei auf den Handel eine Wertschöpfung von mehr als 70 v.H. und auf den Bereich der Dienstleistung nur ein Anteil von weniger als 30 v.H. entfalle. Eine Investitionszulage sei mithin nach § 3 Satz 2 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1993 nicht zu gewähren. Bezüglich einiger Wirtschaftsgüter sei zudem die Verbleibensvoraussetzung nicht erfüllt.

Das Finanzgericht (FG) wies die Sprungklage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 430 veröffentlichtem Urteil als unbegründet ab und führte im Wesentlichen zur Begründung aus:

Der klägerische Betrieb sei als Handelsbetrieb von der Gewährung der Grundzulage nach § 3 Satz 2 InvZulG 1993 ausgeschlossen. Als Handelsbetriebe seien nicht nur solche Unternehmen einzustufen, die sich ausschließlich auf diesem Gebiet betätigten, sondern auch solche, deren wirtschaftliche Tätigkeit überwiegend darin bestehe, bewegliche Sachen zu beziehen und ohne eine mehr als handelsübliche Be- und Verarbeitung weiterzuveräußern und/oder zwischen Verkäufern und Käufern von Waren zu vermitteln (vgl. , BStBl I 1993, 904, Rz. 5; allgemeine Vorbemerkung zu Abt. 4 ”Handel” der Systematik der Wirtschaftszweige, Ausgabe 1979 —Systematik 1979—).

Die klägerischen Betriebstätten seien entsprechend der nach der Rechtsprechung anhand der Systematik 1979 vorzunehmenden Abgrenzung dem Handel zuzuordnen. Nach den unbestrittenen Feststellungen des FA entfielen mehr als 70 v.H. der Wertschöpfung auf den Handel. Maßgebend seien die auf die in den einzelnen Betriebstätten entfalteten Tätigkeiten entfallenden Wertschöpfungsanteile (vgl. Blümich/Selder, Investitionszulagengesetz 1996, § 3 Rz. 26). Zutreffend habe das FA die Wertschöpfung nach dem im Schreiben des BMF in BStBl I 1993, 904, Rz. 3 wiedergegebenen Schema ermittelt. Hingegen könne dem Begehren der Klägerin nicht gefolgt werden, ein Überwiegen des Handwerks- bzw. Dienstleistungsbereiches sei aufgrund der wesentlich höheren Investitionen und des größeren Arbeitseinsatzes anzunehmen.

Die neuere Rechtsprechung habe die Zuordnung zunehmend in Anlehnung an die Systematik 1979 vorgenommen, welche aber derartigen —noch im (BFHE 119, 549, BStBl II 1976, 705) aufgeführten— Abgrenzungsmerkmalen keine Bedeutung mehr zumesse (vgl. Blümich/Selder, a.a.O., § 3 Rz. 28). Die Rechtsauffassung des FA entspreche damit sowohl der Rechtsprechung als auch den für die Finanzverwaltung verbindlichen Vorgaben des BMF, die ihrerseits die Vorstellungen des Gesetzgebers zutreffend interpretierten.

Mit der —vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage nach den maßgeblichen Abgrenzungsmerkmalen bei Mischbetrieben zugelassenen— Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 3 Satz 2 InvZulG 1993).

Zu Unrecht habe das FA die klägerischen Betriebstätten der Abteilung 5 —gemeint ist Abteilung 4 ”Handel"— der Systematik 1979 zugeordnet. Unstreitig übten die Betriebstätten begünstigte und nicht begünstigte Tätigkeiten aus. In den vom BFH bisher entschiedenen Fällen handle es sich nicht um sog. Mischbetriebe. Dafür sei entgegen der Verwaltungsauffassung und der Rechtsansicht des FG die bisherige Rechtsprechung des BFH zum Berlinförderungsgesetz (BerlinFG) heranzuziehen (BFH-Urteile in BFHE 119, 549, BStBl II 1976, 705; vom III R 177/81, BFHE 139, 333, BStBl II 1983, 778; ferner Schreiben des Bundesministers der Finanzen —BdF— vom , BStBl I 1987, 51, Rz. 194).

Im Gesetzgebungsverfahren (BTDrucks 12/3893, S. 154) sei deutlich geworden, dass die Abgrenzung entsprechend der zum BerlinFG entwickelten Praxis vorgenommen werden sollte, so nunmehr auch das (BStBl II 2000, 444). Dementsprechend sei nicht nur die sog. Wertschöpfung maßgebend, sondern eine Kombination aus Wertschöpfung, Investitionen und Arbeitslöhnen. Das BMF-Schreiben in BStBl I 1993, 904 stehe deshalb im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung.

Mit der Investitionszulage sollten Investitionen angeregt und Arbeitsplätze geschaffen werden. Werde z.B. durch ein einziges Geschäft eine hohe Wertschöpfung erzielt, müsste der Betrieb danach eingeordnet werden, ohne dass Arbeitsplätze geschaffen und Investitionen getätigt würden. Die umfassende Prüfung der Abgrenzungsmerkmale entspreche mithin eindeutig dem gesetzgeberischen Zweck.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das sowie den Änderungsbescheid vom aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das FA erwidert, zutreffend sei das FG bei der Abgrenzung des klägerischen Mischbetriebes von den Wertschöpfungsanteilen der einzelnen Tätigkeiten ausgegangen. Nach dem klaren Wortlaut des § 3 Satz 2 InvZulG 1993 sei ausschließlich auf die von den jeweiligen Unternehmen ausgeübte Tätigkeit abzustellen. Die Zuordnung könne nur nach dem auf die verschiedenen Tätigkeiten entfallenden wirtschaftlichen Erfolg vorgenommen werden. Ohne Bedeutung sei die Höhe der Investitionen im Sinne des Umfangs des Anlagevermögens. Dies zeige sich, wenn ein Unternehmen zunächst im angemieteten und anschließend auf eigenem Grundbesitz tätig werde; denn dann müsste dieses plötzlich einem anderen Wirtschaftszweig zugeordnet werden, obwohl sich die Aktivitäten in keiner Weise geändert hätten. Ebenso wenig könne die Höhe der Arbeitslöhne als zusätzliches Kriterium herangezogen werden. Das Gesetz stelle bei gemischten Tätigkeiten darauf ab, welche Tätigkeit wirtschaftlich überwiege.

Die Klägerin berufe sich zu Unrecht auf den in der BTDrucks 12/3893, S. 154 enthaltenen Hinweis auf die zum BerlinFG entwickelte Verwaltungspraxis; denn dieser Hinweis beziehe sich erkennbar auf die im Streitfall nicht berührte Zuordnung eines Betriebes zum verarbeitenden Gewerbe. Für diese Zuordnung sollte die Eingruppierung in Abteilung 2 der Systematik 1979 maßgebend sein, die grundsätzlich auf die auf die einzelnen Tätigkeiten entfallenden Wertschöpfungen abstelle.

Die Klägerin hat sich mit Schriftsatz vom mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Mit Schriftsatz vom hat sie ihre Zustimmung zurückgenommen, nachdem das FA ebenfalls einen solchen Verzicht erklärt hatte (Schriftsatz des FA vom ).

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Das FG ist bei der Zuordnung der im Fördergebiet liegenden klägerischen Betriebstätten zum —von der Investitionsförderung gemäß § 3 Satz 2 InvZulG 1993 ausgeschlossenen— Handel allein von den auf die einzelnen Tätigkeitsbereiche entfallenden Wertschöpfungsanteilen ausgegangen. Das FG hat —vor Ergehen des klarstellenden Urteils des erkennenden Senats vom III R 33/97 (BFHE 190, 266, BStBl II 2000, 208)— die Anwendbarkeit weiterer, individueller Abgrenzungsmerkmale entsprechend dem Urteil des erkennenden Senats in BFHE 119, 549, BStBl II 1976, 705 zu Unrecht verneint.

1. a) Nach § 3 Satz 1 Nr. 3 lit.a InvZulG 1993 sind Investitionen —neben weiteren Voraussetzungen— begünstigt, wenn sie u.a. der Anspruchsberechtigte nach dem und vor dem begonnen sowie vor dem abgeschlossen hat. Nr. 3 gilt allerdings bei Investitionen in Betriebstätten des Handels nicht (§ 3 Satz 2 InvZulG 1993).

b) Für die —individuelle— Abgrenzung der nach § 3 Satz 2 InvZulG 1993 von der Förderung ausgenommenen Wirtschaftszweige ist die Systematik 1979 bzw. die Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 1993 (Klassifikation 1993) als Dokumentation der Verkehrsauffassung heranzuziehen. Zur gegenseitigen Abgrenzung der Betriebe mit einer einzigen Tätigkeit hat der BFH danach stets auf die Einordnung nach den vorgenannten Dokumentationen abgestellt. Dabei hat er sich von der Erwägung leiten lassen, dass darin die Vorstellungen der Wirtschaft in hohem Maße berücksichtigt worden sind. Dies gilt in gleicher Weise für die Vorbemerkungen zu den beiden Verzeichnissen. Insofern ist es folgerichtig, wenn auch für die individuelle Abgrenzung von Betrieben mit mehreren Tätigkeiten gleichermaßen diese Dokumentationen zugrunde gelegt werden. Im Urteil in BFHE 119, 549, BStBl II 1976, 705 hat er für die Ermittlung der überwiegenden Tätigkeit von Mischbetrieben eine Reihe von Kriterien als geeignet für eine Abgrenzung beurteilt. Nach den Vorbemerkungen zur Klassifikation 1993 kann gleichfalls auf mehrere dieser Kriterien noch hilfsweise zurückgegriffen werden. Werden somit in einem Betrieb verschiedenartige Tätigkeiten ausgeübt, ist die Einordnung nach dem Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit vorzunehmen (allgemeine Vorbemerkungen zur Systematik 1979, Abschn. 4.2; Vorbemerkungen zur Klassifikation 1993, Abschn. 3.1 und 3.3; BMF-Schreiben in BStBl I 1993, 904, Tz. 3). Danach sind zwar in erster Linie die auf die einzelnen Tätigkeiten entfallenden Wertschöpfungsanteile entscheidend. Hilfsweise können jedoch die von der Klassifikation 1993 fortgeführten Kriterien angewendet werden (vgl. BFH-Urteile in BStBl II 2000, 208, unter Abschn. II. A. 3. a, aa, mit zustimmender Anmerkung o.V. in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2000, 206, unter Ziff. 2.; in BStBl II 2000, 444, unter Ziff. II. 2. a der Gründe).

Wie der erkennende Senat in der von ihm bestätigten Entscheidung in BFHE 119, 549, BStBl II 1976, 705 ausgeführt hat, kann die Frage, nach welchen Abgrenzungsmerkmalen das Überwiegen eines Betriebsbereichs bei gemischten Betrieben zu beurteilen ist, nicht allgemein beantwortet werden. Die Struktur derartiger Mischbetriebe ist nämlich zu uneinheitlich und die jedem Gewerbezweig anhaftenden Besonderheiten sind zu groß. Deshalb kann die Frage nur anhand des einzelnen Falles entschieden werden. Als Abgrenzungsmaßstäbe können die Umsätze, das investierte Kapital oder die Arbeitslöhne in Betracht kommen. Auch eine Kombination dieser Merkmale ist denkbar. Um den richtigen Aufteilungsmaßstab zu finden, müssen die Besonderheiten des jeweiligen Betriebes herausgefunden und berücksichtigt werden. Dies hat das FG als Tatsacheninstanz anhand der Verhältnisse und unter Würdigung aller Umstände zu ermitteln (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO).

2. Das FG hat entsprechend seiner abweichenden Rechtsauffassung allein eine Abgrenzung anhand der auf die Tätigkeitsbereiche entfallenden Wertschöpfungsquoten vorgenommen. Die Beteiligten haben zwar gegen die auf dieser Grundlage ermittelten Quoten keine konkreten Einwendungen erhoben. Der Senat kann aber bereits dieses Ergebnis weder anhand der Feststellungen des FG noch mit Hilfe sonstiger ihm vorliegender Unterlagen, vornehmlich des Betriebsprüfungsberichtes nachvollziehen. Das FG hat schließlich ebenso wenig die von der Klägerin in ihren im Fördergebiet liegenden Betriebstätten ausgeübten Tätigkeiten im Einzelnen festgestellt. Auch insoweit lassen sich konkrete Anhaltspunkte den vorliegenden Akten nicht entnehmen.

Der Senat hat schon aus diesem Grund keine Anhaltspunkte dafür, ob im Streitfall nach der Eigenart der klägerischen Betriebstätten überhaupt eine Einordnung des nach der übereinstimmenden Auffassung der Beteiligten jedenfalls vorliegenden Mischbetriebes nur anhand der auf die einzelnen Tätigkeitsbereiche entfallenden Wertschöpfungsanteile oder auch aufgrund der —wie der Senat nunmehr klargestellt hat— weiterhin anwendbaren zusätzlichen Abgrenzungsmerkmale in Betracht kommt.

Das FG wird nunmehr im zweiten Rechtsgang diese Feststellungen nachzuholen haben.

Das angefochtene Urteil war, da der Senat nicht selber durcherkennen kann, aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

3. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO).

Der Prozessvertreter der Klägerin hat ausdrücklich, klar und vorbehaltlos und damit wirksam sein Einverständnis erklärt (, BFH/NV 1990, 793). Die Einverständniserklärung ist eine einseitige, gestaltende Prozesshandlung, die grundsätzlich im Interesse einer eindeutigen und klaren prozessrechtlichen Lage nicht frei widerrufen werden kann (vgl. , BFH/NV 1995, 129, m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 90 Rz. 13). Der Senat kann offen lassen, ob die Erklärung ausnahmsweise analog § 128 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozeßordnung i.V.m. § 155 FGO bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerrufen werden könnte (vgl. dazu , BFHE 166, 145, BStBl II 1992, 425, unter Ziff. II. 2. der Gründe, m.umf.N.; Gräber/Koch, a.a.O., § 90 Rz. 14, m.umf.N.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 90 FGO Tz. 13, m.w.N.). Eine derartige wesentliche Änderung der Prozesslage ist hier ersichtlich nicht gegeben. Der Senat ist zwar nicht an den Verzicht gebunden (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 129). Nachdem der Senat jedoch wegen fehlender, nach seiner in jüngster Zeit mehrfach bestätigten Rechtsauffassung aber entscheidungserheblichen Feststellungen nicht durcherkennen könnte, ist eine Entscheidung durch Urteil sachgerecht.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 487 Nr. 4
DStRE 2001 S. 417 Nr. 8
PAAAA-66945