BFH Urteil v. - II R 38/99

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) —eine Gemeinde— hat auf drei ihr gehörenden Grundstücken jeweils ein Haus errichtet. Die drei Häuser sind weitgehend baugleich. In jedem Gebäude sind je sechs Raumeinheiten vorhanden, die zum Treppenhaus hin jeweils durch eine Tür abgeschlossen sind. Jede Raumeinheit besteht aus vier Zimmern, Küche, Bad und WC. Die Raumeinheiten sind 85 bis 95 qm groß. In den Häusern werden von der Klägerin Asylbewerber untergebracht.

Für die Gebäude beantragte die Klägerin nach deren Fertigstellung Grundsteuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 des Grundsteuergesetzes (GrStG). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) entsprach dem nicht, sondern bewertete die Grundstücke auf den bzw. auf den durch Nachfeststellungsbescheide vom als Mietwohngrundstücke und setzte für diese Einheitswerte in Höhe von 186 700 DM bzw. 196 600 DM fest.

Mit der dagegen gerichteten Klage wurde weiterhin Grundsteuerbefreiung geltend gemacht. Die Klägerin trug vor, dass sie nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz verpflichtet sei, die ihr zugewiesenen ausländischen Flüchtlinge aufzunehmen und unterzubringen. Mit den Asylbewerbern würden keine Mietverträge geschlossen, sondern man weise sie in die Wohnräume ein und dabei jeweils nur in einen Wohnraum. Küche und Toiletten würden als Gemeinschaftsräume benutzt. Es handele sich daher nicht um Wohnungen im herkömmlichen Sinne. Die Gebäude seien bereits für diesen Zweck geplant und errichtet worden. Die Zweckbindung der mit Mitteln des Landes geförderten Bauten sei auf 25 Jahre festgeschrieben. Allein die Widmung der Häuser als Übergangswohnheime spreche gegen die Bewertung der Räume als Wohnungen. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens stellte sich heraus, dass zwei der Gebäude von der Klägerin teilweise zu Bürozwecken genutzt wurden.

Das Finanzgericht (FG) hat mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 725 veröffentlichten Urteil die Klagen im Wesentlichen als unbegründet abgewiesen. Lediglich soweit Wohneinheiten von der Klägerin für Bürozwecke genutzt wurden, setzte das FG die Einheitswerte der beiden davon betroffenen Gebäude herab.

Mit der dagegen gerichteten Revision wird die Verletzung von § 5 GrStG geltend gemacht. Bei den infrage stehenden Grundstücken handele es sich um Geschäftsgrundstücke i.S. von § 75 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG). Die Grundstücke dienten öffentlichen Zwecken einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Es lägen keine Wohnungen vor. Die Einrichtungen dienten nicht Wohnzwecken, sondern der Vermeidung von Obdachlosigkeit. Es läge jeweils kein Aufenthalt auf Dauer vor. Die Art der Unterbringung sei nicht geeignet für eine selbständige Haushaltsführung. Es bestehe eine Bindung an die Belegungsrichtlinien. Es liege eine Unterbringung von Personen vor, die deutlich unterhalb eines für die Bewertung als Wohnung unerlässlichen Mindeststandards läge. Vorsorglich werde im Hinblick auf Art. 3 des Grundgesetzes (GG) eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art. 100 GG angeregt. Im Übrigen werde Abweichung zum Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht —NVwZ— 1999, 583) geltend gemacht.

Die Klägerin beantragt, unter Änderung der Vorentscheidung die angefochtenen Bescheide insgesamt aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Alle drei Wohngebäude dienten zu mehr als 80 % Wohnzwecken und seien deswegen nach § 75 Abs. 2 BewG als Mietwohngrundstück einzuordnen. Die Voraussetzungen für eine Grundsteuerbefreiung lägen nicht vor, da es sich um Wohnungen handele.

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Rechtlich zutreffend hat das FG die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bejaht.

1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere fehlt ihr nicht etwa deswegen das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Klägerin zugleich Gläubigerin der Grundsteuer ist, die aufgrund der angefochtenen Bescheide zu erheben wäre. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Verwaltungsakte formal beschwert. Auch die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind —soweit die Steuergesetze nicht ausdrücklich etwas Abweichendes bestimmen— wie alle anderen Rechtssubjekte der Steuerrechtsordnung unterworfen. Die Klägerin ist Steuerpflichtige mit der Folge, dass ihr die gleichen Rechte und Pflichten zugestanden werden müssen wie jedem anderen Steuerpflichtigen auch. Der von einem Verwaltungsakt betroffene Fiskus kann deshalb grundsätzlich den Finanzrechtsweg beschreiten (vgl. zur Zulässigkeit eines Insichprozesses betreffend Einheitswertbescheide , BFHE 145, 109, BStBl II 1986, 148).

2. Mit den die angefochtenen Einheitswertbescheide bestätigenden Einspruchsentscheidungen hat das FA der Klägerin die begehrte Grundsteuerbefreiung ausdrücklich versagt. Damit hat das FA die Entscheidung über den Umfang der Grundsteuerpflicht in das Verfahren zur Feststellung des Einheitswerts verlegt. In diesem Fall kann die Klägerin ihr behauptetes Recht auf Grundsteuerbefreiung mit der Anfechtungsklage gegen die Einheitswertbescheide geltend machen (, BFHE 144, 201, BStBl II 1986, 128).

3. Die Klage hätte nur dann Erfolg, wenn die Grundstücke von der Grundsteuer befreit und die Feststellung eines Einheitswerts deswegen für keine Steuer von Bedeutung wäre (§ 19 Abs. 4 BewG). Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine vollständige Befreiung der Grundstücke von der Grundsteuer nach § 3 GrStG ist ausgeschlossen, da die auf den Grundstücken befindlichen Gebäude (auch) Wohnungen enthalten, die nach § 5 Abs. 2 GrStG stets steuerpflichtig sind.

Zu Recht hat das FG angenommen, dass die abgeschlossenen Raumeinheiten in den Gebäuden Wohnungen i.S. von § 5 Abs. 2 GrStG sind. Das GrStG definiert den Begriff der Wohnung ebenso wenig wie das BewG. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH zum Bewertungsrecht ist unter einer Wohnung die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, dass sie die Führung eines selbständigen Haushalts auf Dauer ermöglichen. Dazu ist es u.a. erforderlich, dass die abgeschlossene Wohneinheit eine bestimmte Fläche nicht unterschreitet und die für die Führung eines selbständigen Haushalts notwendigen Einrichtungen wie Küche, Bad bzw. Dusche und Toilette vorhanden sind (vgl. , BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151). Für Bewertungsstichtage ab ist es darüber hinaus erforderlich, dass die als Wohnung in Betracht kommenden Räumlichkeiten eine von anderen Wohnungen oder Räumen baulich getrennte, in sich abgeschlossene Wohneinheit bilden. Diese für den Begriff der Wohnung von der Rechtsprechung entwickelte typologische Umschreibung gilt auch für den Wohnungsbegriff i.S. des § 5 Abs. 2 GrStG (vgl. , BFHE 173, 558, BStBl II 1994, 415, und vom II R 5/97, BFHE 188, 434, BStBl II 1999, 496).

Nach den Feststellungen des FG im Streitfall erfüllen die einzelnen Raumeinheiten jeweils diese Voraussetzungen. Bei den Raumeinheiten handelt es sich um in sich abgeschlossene Einheiten, die in ihrer Gesamtheit objektiv die Führung eines selbständigen Haushalts auf Dauer ermöglichen und tatsächlich auch Wohnzwecken dienen. Jede Raumeinheit ist objektiv groß genug, um als Wohnung angesehen werden zu können. Die zur Führung eines selbständigen Haushalts notwendigen Einrichtungen (Küche, Bad und WC) sind jeweils vorhanden. Objektiv ist jede der Einheiten auch gegenüber den anderen Räumlichkeiten des Gebäudes baulich abgegrenzt und in sich abgeschlossen. Hierzu reicht das Vorhandensein der Türen aus, mit denen die Raumeinheiten zum Treppenhaus abgeschlossen werden können. Die Raumeinheiten dienen (auch) Wohnzwecken, d.h. sie haben den Zweck, Wohnbedürfnisse zu befriedigen. In ihnen finden Menschen Unterkunft.

Für den Wohnungsbegriff i.S. von § 5 Abs. 2 GrStG ist es nicht erforderlich, dass die betreffenden Raumeinheiten nicht nur Wohnzwecken dienen, sondern auch tatsächlich als Wohnung genutzt werden (BFH in BFHE 188, 434, BStBl II 1999, 496). Das Vorliegen von Wohnungen wird im Streitfall also nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Führung eines selbständigen Haushalts in den Einheiten zwar objektiv möglich wäre, sie tatsächlich aber durch einzelne Personen/Personengruppen genutzt werden, die gerade keinen gemeinsamen Haushalt führen. Die Eigenschaft als Wohnung geht auch nicht dadurch verloren, dass die Wohnungen zwar objektiv baulich einen Abschluss nach außen aufweisen, eine faktische Abgeschlossenheit aber aufgrund der konkreten tatsächlichen Nutzung nicht besteht.

Der Einordnung als Wohnung steht es insbesondere nicht entgegen, dass die Überlassung der Räume zu Wohnzwecken in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe der Klägerin, d.h. zur Vermeidung von Obdachlosigkeit der untergebrachten Personen erfolgt. Dies ergibt sich aus der Entscheidung des Gesetzgebers. Nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 Buchst. a GrStG ist Grundbesitz von inländischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, für einen öffentlichen Dienst oder Gebrauch bzw. für mildtätige oder gemeinnützige Zwecke von der Grundsteuer befreit. Diese Befreiung nach § 3 GrStG wird durch § 5 Abs. 1 GrStG für Grundbesitz, der zugleich Wohnzwecken dient, eingeschränkt. Für Wohnungen ordnet § 5 Abs. 2 GrStG dann einen vollständigen Ausschluss der Steuerbefreiung an. Daraus folgt, dass Wohnungen auch dann von der Steuerbefreiung ausgenommen sein sollen, wenn ihre Überlassung in Erfüllung öffentlicher, mildtätiger oder gemeinnütziger Zwecke erfolgt. Der Gesetzgeber hat damit entschieden, dass bei einer Mehrheit von Räumen, die den Begriff der Wohnung erfüllt, stets das Überwiegen des Wohnzwecks anzunehmen und Grundsteuerpflicht gegeben ist. Diese Regelung verbietet es, Körperschaften des öffentlichen Rechts eine Grundsteuerbefreiung dann und insoweit zu gewähren, als sie Wohnungen in Verfolgung und in Verwirklichung eines öffentlichen Zwecks Dritten überlassen (so für gemeinnützige Körperschaften BFH in BFHE 188, 434, BStBl II 1999, 496). Angesichts dieser eindeutigen gesetzlichen Anordnung kann es auch nicht darauf ankommen, wie das Rechtsverhältnis zwischen Grundstückseigentümer und den Personen, denen die Räume zu Wohnzwecken überlassen werden, geregelt ist. Die Tatsache, dass die Überlassung der Räume zu Wohnzwecken im Streitfall dem öffentlichen Recht unterliegt, schließt das Vorliegen von Wohnungen nicht aus. Ob eine Grundsteuerbefreiung in diesen Fällen sozial- oder finanzpolitisch wünschenswert wäre, unterliegt nicht der Beurteilung durch den Senat.

Die Entscheidung des Gesetzgebers, wonach der Wohnzweck kein steuerbegünstigter Zweck i.S. des GrStG ist, verstößt auch nicht gegen das GG (, 1357, 1348/83, Steuerrechtsprechung in Karteiform —StRK—, Grundsteuergesetz, § 5, Rechtsspruch 2).

Die Auffassung des Senats steht nicht im Widerspruch zum Urteil des BVerwG in NVwZ 1999, 583. Diese Entscheidung erging zu einem anderen Rechtsgebiet und einer anderen Rechtsfrage.

4. Da keine Grundsteuerbefreiung gegeben ist, musste das FA nicht nach § 19 Abs. 4 BewG von der Feststellung eines Einheitswerts absehen. Die Artfeststellung Mietwohngrundstück ist zutreffend (§ 75 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 BewG), da die Grundstücke zu mehr als 80 % Wohnzwecken dienen.

Die vom FG ausgesprochenen teilweisen Änderungen der angefochtenen Bescheide sind nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens. Insoweit ist die Rechtmäßigkeit des FG-Urteils vom Senat im Revisionsverfahren nicht zu überprüfen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 1449 Nr. 11
JAAAA-66827