Säumnis des Prozessbevollmächtigten im Anwaltsprozess: Umfang der Mitteilungspflicht eines Rechtsanwalts bei Ausbleiben wegen unverschuldeter Autopanne
Gesetze: § 522 Abs 1 ZPO
Instanzenzug: Az: 6 U 8/16 Beschlussvorgehend Az: 7 O 260/12
Gründe
1I. Der Kläger wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil.
2Das Landgericht hat die Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen. Den hiergegen eingelegten Einspruch des Klägers hat das Landgericht durch zweites Versäumnisurteil verworfen, da der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Termin nicht erschienen war. Der Kläger hat rechtzeitig gegen das zweite Versäumnisurteil Berufung eingelegt und diese begründet. Er hat geltend gemacht, sein Prozessbevollmächtigter sei auf der Fahrt zu dem Verhandlungstermin aufgrund eines Motorschadens mit seinem Fahrzeug liegen geblieben. Er habe wiederholt vergeblich versucht, über sein Mobilfunktelefon die Geschäftsstelle der zuständigen Zivilkammer und die Telefonzentrale des Landgerichts zu erreichen.
3Das Kammergericht hat die Berufung als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe eine unverschuldete Säumnis nicht schlüssig vorgetragen, selbst wenn man zu seinen Gunsten unterstelle, dass sein Prozessbevollmächtigter ohne Verschulden aufgrund einer unabwendbaren Autopanne verhindert gewesen sei, den Termin vor dem Landgericht wahrzunehmen. Der Versuch des Prozessbevollmächtigten des Klägers, die Geschäftsstelle der zuständigen Zivilkammer des Landgerichts von seiner Verhinderung zu unterrichten, sei schon deshalb ungeeignet gewesen, weil er eine falsche Rufnummer gewählt habe. Dies rechtfertige den Vorwurf fahrlässigen Verhaltens, weil die Durchwahlnummer der Geschäftsstelle auf den gerichtlichen Schreiben einfach erfassbar wiedergegeben sei. Der Versuch einer telefonischen Kontaktaufnahme über die Zentrale des Landgerichts könne nicht zu einer abweichenden Beurteilung führen, auch wenn dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht zum Vorwurf gemacht werden könne, dass diese Anrufe erfolglos geblieben seien. Eine verschuldete Säumnis sei jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, wenn andere mögliche und zumutbare Maßnahmen zur Abwendung der Säumnis - wie ein Direktanruf bei der zuständigen Geschäftsstelle - in vorwerfbarer Weise unterblieben seien.
4Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
5II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist im Übrigen nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist insbesondere nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.
61. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger nicht in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das zweite Versäumnisurteil des Landgerichts ohne Rechts- und Verfahrensfehler als unzulässig verworfen, weil der Kläger eine unverschuldete Säumnis nicht schlüssig vorgetragen hat.
7a) Nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO unterliegt ein Versäumnisurteil, gegen das - wie hier gemäß § 345 ZPO - der Einspruch an sich nicht statthaft ist, der Berufung insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass ein Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Das trifft unter anderem zu, wenn der Termin zur mündlichen Verhandlung, auf die das zweite Versäumnisurteil erging, von der betroffenen Partei unverschuldet versäumt wurde. Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, muss vollständig in der Rechtsmittelbegründung vorgetragen werden, wobei die Schlüssigkeit des Sachvortrags zum mangelnden Verschulden bereits Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels ist (, NJW 2009, 687 Rn. 6 m.w.N.). Die Frage des Verschuldens ist im Falle der Versäumung eines Termins grundsätzlich nach den gleichen Maßstäben zu beurteilen wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ( aaO Rn. 11; vom - IX ZR 100/06, NJW 2007, 2047 Rn. 6; jeweils m.w.N.). Die Beweislast für die Voraussetzungen einer unverschuldeten Säumnis liegt beim Berufungskläger ( aaO). Eine - der Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbare - schuldhafte Säumnis im Sinne von § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegt auch dann vor, wenn der Prozessbevollmächtigte, der kurzfristig und nicht vorhersehbar an der Wahrnehmung des Termins gehindert ist, nicht das ihm Mögliche und Zumutbare unternimmt, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen ( aaO Rn. 11; vom aaO Rn. 17; vom - I ZR 53/05, NJW 2006, 448 Rn. 4; jeweils m.w.N.). Dieser Mitteilungspflicht genügt der Prozessbevollmächtigte nicht, wenn er bei dem Versuch, das Gericht von seiner Verhinderung zu unterrichten, eine falsche Rufnummer wählt ( aaO Rn. 15).
8b) Gemessen daran hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, die Säumnis des Klägers sei nicht unverschuldet, selbst wenn sein Prozessbevollmächtigter wegen einer unabwendbaren Autopanne verhindert gewesen sei, den Termin vor dem Landgericht wahrzunehmen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um den Erlass eines zweiten Versäumnisurteils abzuwenden, indem er nach dem Vortrag des Klägers von seinem Mobiltelefon mehrmals vergeblich versuchte, das Gericht über seine Autopanne zu unterrichten. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers dabei nicht die richtige Durchwahlnummer der Geschäftsstelle der zuständigen Zivilkammer gewählt habe. Dagegen erinnert die Rechtsbeschwerde nichts. Sie wendet ohne Erfolg ein, für den Prozessbevollmächtigten des Klägers sei nicht deutlich genug erkennbar gewesen, dass die von ihm gewählte Telefonnummer auf den Schreiben des Landgerichts nur für den internen Telefonverkehr und nicht für Telefonanrufe von außen vorgesehen gewesen sei. Indes war, wie das Berufungsgericht festgestellt hat und aus den bei den Akten befindlichen Schreiben des Landgerichts ersichtlich ist, die richtige Durchwahlnummer der Geschäftsstelle der zuständigen Zivilkammer des Landgerichts deutlich und einfach erfassbar wiedergegeben. Hingegen war die von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gewählte, nur für interne Telefonanrufe vorgesehene Rufnummer auf dem Briefkopf entsprechend gekennzeichnet. Den weiteren Versuch des Prozessbevollmächtigten des Klägers, über die Telefonzentrale des Landgerichts die zuständige Geschäftsstelle zu erreichen, hat das Berufungsgericht zu Recht nicht ausreichen lassen, weil der Direktanruf bei der zuständigen Geschäftsstelle in vorwerfbarer Weise unterblieben war.
92. Das Berufungsgericht hat nicht, wie die Rechtsbeschwerde rügt, den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs dadurch verletzt, dass es ihn nicht auf die beabsichtigte Verwerfung der Berufung hingewiesen hat.
10a) § 522 Abs. 1 ZPO sieht eine Anhörung des Berufungsklägers vor der Verwerfung der Berufung nicht ausdrücklich vor. Die Pflicht zur Anhörung folgt indessen unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG, der dem Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf gibt, dass er Gelegenheit erhält, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern (, VersR 1982, 246 m.w.N.).
11b) Diesem Verfahrensgrundrecht des Klägers ist im Berufungsverfahren Genüge getan worden. Er hat in seiner Berufungsbegründung zu dem für die Beurteilung seiner Säumnis maßgeblichen Sachverhalt umfassend vorgetragen. Damit hat sich das Berufungsgericht befasst. Es hat zudem eine Auskunft des Präsidenten des Landgerichts dazu eingeholt, ob sich der von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers behauptete Anruf unter der von ihm angegebenen Telefonnummer nachprüfen lasse. Hierzu hat der Präsident des Landgerichts darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um die Rufnummer der zuständigen Geschäftsstelle, sondern um die Durchwahlnummer handele, unter der das Landgericht im behördeninternen Telefonverkehr zu erreichen sei. Diese Auskunft hat das Berufungsgericht auch dem Prozessbevollmächtigten des Klägers überlassen. Daraus war für ihn ersichtlich, dass es darauf ankam, ob er die richtige Rufnummer des Landgerichts gewählt hatte. Zu einem weitergehenden Hinweis auf die beabsichtigte Verwerfung der Berufung als unzulässig war das Berufungsgericht nicht gehalten.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:220217BIVZB8.16.0
Fundstelle(n):
TAAAG-48024