BAG Urteil v. - 4 AZR 566/14

Instanzenzug: Az: 43 Ca 1618/14 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 9 Sa 339/14 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin auf eine weitere Abfindung und ein höheres Transferentgelt.

2Die Klägerin war seit 2000 bei der Beklagten zu 2. und deren Rechtsvorgängerin im Betrieb St.-Martin-Straße in München gegen ein Bruttomonatsentgelt von zuletzt 2.100,00 Euro beschäftigt. Eine von der Beklagten zu 2. geplante Betriebsschließung konnte durch Verhandlungen mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat und der zuständigen Industriegewerkschaft Metall (IG Metall), deren Mitglied die Klägerin zu keinem Zeitpunkt geworden ist, teilweise abgewendet werden. In diesem Zusammenhang schlossen die Beklagte zu 2. und die IG Metall am einen Transfer- und Sozialtarifvertrag (nachfolgend TS-TV), der ua. die Einrichtung der Beklagten zu 1. sowie die Zahlung einer Abfindung und eines Transferentgelts (BeE-Monatsentgelts) bzw. bei einem vorzeitigen Ausscheiden aus der Beklagten zu 1. als weiteren Bestandteil der Abfindung eine „Sprinterprämie“ vorsah. Am gleichen Tag vereinbarten die Beklagte zu 2. und der Betriebsrat für den Betrieb St.-Martin-Straße einen „Interessenausgleich“, in dem ua. die Regelungen zur Milderung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen des TS-TV „für alle betroffenen Beschäftigten abschließend“ übernommen wurden. Schließlich schlossen die Tarifvertragsparteien des TS-TV am gleichen Tag einen Ergänzungstransfer- und Sozialtarifvertrag (ETS-TV), der zusätzliche Leistungen unter bestimmten Voraussetzungen regelte; über den Wortlaut dieser Kollektivvereinbarungen, die auszugsweise in den Urteilen des Senats vom (- 4 AZR 796/13 - Rn. 5 ff., BAGE 151, 235) und (- 4 AZR 966/13 - Rn. 3 ff.) wiedergegeben sind, besteht zwischen den Parteien kein Streit.

3Mit Schreiben vom erhielt die Klägerin von den Beklagten einen „Dreiseitigen Vertrag“ (nachfolgend DV; zu dessen allgemeinen und auch im Streitfall verwendeten Formulierungen vgl. die Auszüge in den Urteilen des Senats vom - 4 AZR 796/13 - Rn. 8, BAGE 151, 235 und - 4 AZR 966/13 - Rn. 6), den sie fristgemäß unterzeichnete. Sie erhielt mit dem BeE-Monatsentgelt für den Monat Mai 2012 eine Abfindung. Das BeE-Monatsentgelt berechnete die Beklagte zu 1. als Nettoentgelt auf der Basis von 70 % des letzten Bruttomonatseinkommens der Klägerin (errechnet aus dem 13,5-fachen Monatsbetrag) unter Heranziehung der persönlichen Sozialversicherungs- und Steuermerkmale. Von diesem Nettoentgelt wurde das Transferkurzarbeitergeld der Klägerin abgezogen, die Differenz zahlte die Beklagte zu 1. als Aufstockungsleistung.

4Mit ihrer Klage hat die Klägerin auf der Basis des ETS-TV eine weitere Abfindungszahlung und ein höheres Transferentgelt begehrt und hierzu die Auffassung vertreten, dass die Beschränkung im Geltungsbereich des ETS-TV unwirksam sei. Die im DV in Bezug genommene tarifliche Regelung verstoße gegen die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) und gegen die Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG). Ihr stünden deshalb die weiteren Leistungen des ETS-TV zu. Sie sei aus Gleichbehandlungsgründen so zu behandeln, wie ein bereits zum tariflich vorgesehenen Stichtag eingetretenes Mitglied der IG Metall. Der „Interessenausgleich“ vom , bei dem es sich um einen wirksam zustande gekommenen Sozialplan handele, missachte § 75 BetrVG- Rechtsfolge sei eine „Anpassung nach oben“. Im Übrigen sei das Monatsentgelt von der Beklagten zu 1. unrichtig berechnet worden.

5Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

6Die Beklagten haben zur Begründung ihrer Klageabweisungsanträge ausgeführt, aus dem DV ergebe sich kein Anspruch der Klägerin auf höhere Leistungen. Sie unterfalle nicht dem persönlichen Geltungsbereich des ETS-TV. Die Differenzierung anhand des Stichtags sei zulässig. Auch sei der geleistete Zuschuss zum Transferkurzarbeitergeld zutreffend berechnet; geschuldet sei eine Vergütung gemäß § 5 Abs. 3 TS-TV, der von einem „BeE-Monatsentgelt“ handele.

7Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Gründe

8Die zulässige Revision hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zu Recht zurückgewiesen.

9A. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist allerdings insoweit rechtsfehlerhaft und wegen eines von Amts wegen zu beachtenden Verstoßes gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu korrigieren, als es einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG) abgelehnt hat.

10I. Der Antragsgrundsatz nach § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist nicht nur dann verletzt, wenn einer Partei etwas zugesprochen wird, ohne dass sie dies beantragt hat, sondern auch, wenn ihr ein Anspruch aberkannt wird, den sie nicht zur Entscheidung gestellt hat ( - Rn. 21 mwN, BAGE 151, 235).

11II. Die Klägerin hat in den Tatsacheninstanzen ihren Anspruch gegen die Beklagten nicht auf eine beiderseitige Tarifgebundenheit gestützt. Sie hat nicht behauptet, iSd. § 3 Abs. 1 TVG tarifgebunden zu sein. Bereits in der Klageschrift hat sie Ansprüche nur „als sogenannter Außenseiter“ geltend gemacht. Indem das Landesarbeitsgericht einen möglichen Anspruch der Klägerin aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit aberkannt hat, hat es gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßen.

12III. Das Urteil ist daher - ohne dass es eines förmlichen Entscheidungsausspruchs bedurfte - zu berichtigen, um eine sonst eintretende Rechtskraft ( - Rn. 23 mwN, BAGE 151, 235) auszuschließen.

13B. Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Klage ist hinsichtlich des Antrags zu 22. bereits unzulässig, im Übrigen ist sie unbegründet.

14I. Der Antrag, festzustellen, dass die Beklagte zu 1. während der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses verpflichtet ist, der Klägerin ein monatliches BeE Gehalt iHv. 1.890,00 Euro brutto zu bezahlen, ist unzulässig. Dabei kann offenbleiben, ob sich der Antrag überhaupt auf ein Rechtsverhältnis iSd. § 256 Abs. 1 ZPO bezieht. Jedenfalls besteht kein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung.

151. Das Feststellungsinteresse ist nur dann gegeben, wenn durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag der Streit insgesamt beseitigt wird und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann. Es fehlt, wenn durch die Entscheidung kein Rechtsfrieden geschaffen wird, weil nur einzelne Elemente eines Rechtsverhältnisses zur Entscheidung des Gerichts gestellt werden. Die Rechtskraft der Entscheidung muss weitere gerichtliche Auseinandersetzungen über die zwischen den Parteien strittigen Fragen um denselben Fragenkomplex ausschließen. Das ist bei einem auf Feststellung einer Zahlungsverpflichtung gerichteten Antrag in der hier gewählten Form dann der Fall, wenn insbesondere über weitere Faktoren, die die Zahlungshöhe bestimmen, kein Streit besteht und die konkrete Bezifferung dann lediglich eine einfache Rechenaufgabe ist, die von den Parteien in einem unstreitigen Verfahren ebenso selbst umgesetzt werden können wie die weiteren Zahlungsmodalitäten. Anderenfalls müssen auch die weiteren Berechnungskriterien zum Gegenstand des Feststellungsantrags gemacht werden, damit nicht lediglich eine Vorfrage geklärt wird, die die Rechtsgrundlagen für den Entgeltanspruch nicht abschließend klärt (st. Rspr.,  - Rn. 21 mwN).

162. Hiervon ausgehend ist der Feststellungsantrag zu 22. unzulässig. Er ist auch keiner Auslegung zugänglich, die eine Sachentscheidung ermöglichen würde, für die das erforderliche Rechtsschutzinteresse vorliegt. Im Falle der Stattgabe des Antrags bliebe ungeklärt, wie die Anrechnung der Zahlungen der Agentur für Arbeit erfolgen soll. Auch hierüber besteht zwischen den Parteien ein Streit, der durch die begehrte Entscheidung nicht gelöst würde. Dieses weitere in B 4. DV vorgesehene Berechnungskriterium für die monatliche Vergütung hätte ebenfalls zum Gegenstand des Feststellungsantrags gemacht werden müssen. Dies ist nicht erfolgt.

17II. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf eine weitere Abfindungszahlung iHv. 10.000,00 Euro brutto. Weiterhin besteht gegen die Beklagte zu 1. weder ein Anspruch auf ein BeE-Monatsentgelt von 80 % des Bruttomonatseinkommens noch ein Anspruch auf eine andere Berechnung von 70 % des vormaligen, nach § 5 Abs. 3 Satz 2 TS-TV berechneten Bruttomonatseinkommens.

18Der Senat hat sich mit der zugrunde liegenden Konstellation in mehreren Entscheidungen, von denen auch die hier beteiligten Prozessbevollmächtigten betroffen waren, intensiv auseinandergesetzt (vgl.  -; - 4 AZR 830/13 -; sh. auch - 4 AZR 796/13 - BAGE 151, 235). An den dort dargelegten Rechtsauffassungen hält der Senat auch nach nochmaliger Überprüfung fest. Im Einzelnen:

191. Die Klägerin kann auf Grundlage der Regelung in A 2.1. Abs. 2 DV iVm. § 3 ETS-TV keine weitere Abfindung iHv. 10.000,00 Euro verlangen. Sie wird nicht vom „Geltungsbereich des Ergänzungstransfer- und Sozialtarifvertrags“ gemäß A 2.1. Abs. 2 DV erfasst. Die Voraussetzungen nach § 1 Nr. 2 ETS-TV sind nicht erfüllt. Sie war zum Zeitpunkt des tariflich wirksam geregelten Stichtags nicht Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft.

20a) Mit der Regelung über den persönlichen Geltungsbereich in § 1 Nr. 2 ETS-TV werden nicht nur „deklaratorisch“ die Voraussetzungen für eine normative Wirkung des Tarifvertrags nach § 4 Abs. 1 TVG wiederholt, sondern es wird vielmehr eine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung festgelegt. Anders als § 7 Abs. 1 TS-TV setzt ein Anspruch nach § 3 Satz 1 ETS-TV nicht nur eine Mitgliedschaft in der IG Metall im Sinne einer Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG voraus, sondern verlangt für den ergänzenden Abfindungsanspruch nach § 3 ETS-TV eine zum vorgesehenen Stichtag bestehende Gewerkschaftsmitgliedschaft (st. Rspr. vgl. iE  - Rn. 22; - 4 AZR 830/13 - Rn. 15; ausf. - 4 AZR 796/13 - Rn. 26, BAGE 151, 235).

21b) Die von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Gruppenbildung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern orientiert sich an einem Stichtag, der im Rahmen der vorliegenden Tarifverträge mit sozialplanähnlichen Inhalten wirksam ist. Die Regelung des ETS-TV verletzt weder die negative Koalitionsfreiheit noch verstößt sie gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (st. Rspr. vgl. iE  - Rn. 26; - 4 AZR 830/13 - Rn. 19).

22c) Die differenzierende vertragliche Regelung in A 2.1. Abs. 2 DV verstößt im Übrigen weder gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz noch ist sie überraschend oder intransparent (im Einzelnen zu diesen Aspekten vgl.  - Rn. 31 ff. mwN).

232. Weiterhin kann sich die Klägerin nicht auf den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 BetrVG stützen. Die Betriebsparteien haben gerade davon abgesehen, die Bestimmungen des ETS-TV - mit denen zwischen bestimmten Mitgliedern der IG Metall differenziert wird - zu übernehmen. Damit haben sie den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, der darauf abzielt, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen, beachtet (ausf.  - Rn. 35 f.; - 4 AZR 796/13 - Rn. 59 bis 68, BAGE 151, 235).

243. Die weiteren Klageanträge sind ebenfalls ohne Erfolg.

25a) Aus der arbeitsvertraglichen Verweisungsregelung in B 4. Abs. 2 DV folgt kein Anspruch auf eine Ergänzung der monatlichen Zahlungen zu den Mindestbedingungen ihres Transferarbeitsverhältnisses nach § 2 Satz 1 ETS-TV („monatlich 80 Prozent ihres Bruttomonatseinkommens“). Die Tarifvertragsparteien haben in § 1 Nr. 2 ETS-TV eine wirksame Geltungsbereichsbestimmung vereinbart, die die Klägerin nicht erfasst. Weiterhin kann sie sich auch insoweit weder auf den arbeitsrechtlichen noch auf den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 BetrVG stützen ( - Rn. 38; ausf. - 4 AZR 796/13 - Rn. 72 bis 77, BAGE 151, 235).

26b) Die Klägerin kann auch nicht die Zahlung der monatlichen Vergütung nach B 4. Abs. 1 DV auf der Basis ihres (bisherigen) Bruttomonatseinkommens iHv. 70 % unter Heranziehung des Berechnungsfaktors in § 5 Abs. 3 Satz 2 TS-TV („13,5-fache des bisherigen Bruttomonatsgehaltes dividiert durch zwölf“) beanspruchen, auf das erst dann etwaige Nettoleistungen der Agentur für Arbeit anzurechnen sind. Entgegen der Ansicht der Revision haben die Parteien in B 4. Abs. 1 Satz 1 DV nicht lediglich ein Bruttomonatseinkommen iHv. 70 % der nach Satz 2 maßgebenden Bezugsgröße vereinbart. Die ausdrückliche Bezugnahme auf § 5 Abs. 3 TS-TV bringt vielmehr hinreichend klar zum Ausdruck, dass die dort von den Tarifvertragsparteien getroffene Regelung maßgebend sein soll. Damit wird zur Berechnung der Höhe des monatlichen Entgelts ein „Referenz“-Bruttoeinkommen benannt, welches sich aus den Entgeltzahlungen der Arbeitgeberin und - sofern eine Zahlung erfolgt - aus den netto gewährten Leistungen der Agentur für Arbeit nach Maßgabe des § 5 Abs. 3 TS-TV zusammensetzt (dazu bereits ausf.  - Rn. 78 bis 82, BAGE 151, 235 sowie weiterhin ausf. - 5 AZR 567/14 - Rn. 14 ff. mwN, BAGE 154, 8).

274. Schließlich bedurfte es auch keiner Vorlage gemäß § 45 ArbGG an den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts, worauf der erkennende Senat bereits mehrfach in vergleichbaren Entscheidungsfällen hingewiesen hat (sh. näher  - Rn. 40 ff.; - 4 AZR 830/13 - Rn. 30; - 4 AZR 796/13 - Rn. 70, BAGE 151, 235).

28C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:250117.U.4AZR566.14.0

Fundstelle(n):
SAAAG-47985