BAG Urteil v. - 6 AZR 284/16

Eingruppierung einer Gesundheitspflegerin nach AVR Diakonie

Gesetze: § 12 Abs 5 DWArbVtrRL, Anl 1 Entgeltgr 8 DWArbVtrRL, DWArbVtrRL ME

Instanzenzug: Az: 10 Ca 2950/14 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 8 Sa 686/15 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.

2Die Beklagte ist eine kirchliche Stiftung des Privatrechts, welche dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche von Westfalen angeschlossen ist. Die Klägerin war bei der Beklagten auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom befristet vom bis zum als „Fachkraft im Pflege- und Betreuungsdienst“ eingestellt.

3Nach § 1 Abs. 3 des Arbeitsvertrags galten für das Arbeitsverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR-DW EKD) in der jeweils geltenden Fassung. Am wurde deren Umbenennung in Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Deutschland (AVR-DD) beschlossen. § 12 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD regelt die Eingruppierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie folgt:

4Die in Bezug genommene Anlage 1 lautet in der bis zum geltenden Fassung auszugsweise:

5Am hat der Schlichtungsausschuss der Arbeitsrechtlichen Kommission des Diakonischen Werkes der EKD unter anderem beschlossen:

6Die Klägerin war vom bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem sog. „Intensiv Betreuten Wohnen“ (IBW) zugeordnet. Hierbei handelt sich um einen Dienst, welcher psychisch kranke Menschen in ihren eigenen Wohnungen im Rahmen einer individuellen Hilfeplanung betreut. Therapeutische oder ärztliche Leistungen gehören nicht zum Umfang der Dienstleistung. Die Hilfeleistung erfolgt regelmäßig im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII. Der Hilfeplan setzt für jeden Betreuten eine bestimmte Anzahl wöchentlicher Fachleistungsstunden - in der Regel 9 bis 12 Stunden - fest. Die Beklagte bietet eine 24-stündige Erreichbarkeit des betreuenden Personals, um unvermittelt eintretenden Betreuungsbedarf zu erfüllen und eine ständige Kriseninterventionsmöglichkeit zu gewährleisten. In Kooperation mit stationären Einrichtungen wird deshalb für die betreuten Menschen ein jederzeit erreichbarer Telefondienst vorgehalten. Falls eine telefonische Hilfestellung nicht ausreicht, wird die Betreuung durch das Personal des IBW sichergestellt. Die Beschäftigten haben deshalb Rufbereitschaftsdienste zu leisten.

7Bezogen auf ihre Tätigkeit beim IBW führt das der Klägerin unter dem ausgestellte Zeugnis ua. Folgendes aus:

8Die Klägerin wurde während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses nach Entgeltgruppe 7 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD vergütet. Nach der erfolglosen Forderung einer Vergütung nach Entgeltgruppe 8 AVR-DW EKD mit Schreiben vom hat die Klägerin mit ihrer Klage bezogen auf den Zeitraum von Januar 2013 bis einschließlich Februar 2014 die Zahlung von 2.788,23 Euro brutto verlangt. Dieser Betrag ergebe sich aus der Differenz zwischen der Vergütung nach den Entgeltgruppen 7 und 8 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD.

9Zur Begründung hat die Klägerin auf die Entscheidung des Vierten Senats des - 4 AZR 438/10 -) verwiesen. Demnach könnten Gesundheitspflegerinnen, welche in einer psychiatrischen Einrichtung beschäftigt sind, nach dem ersten Richtbeispiel unter A der Entgeltgruppe 8 AVR-DW EKD in der bis zum geltenden Fassung eine entsprechende Vergütung beanspruchen. Hiervon erfasst seien auch Beschäftigte in ambulanten Diensten, welche - wie das IBW - psychisch erkrankte Menschen in ihren eigenen Wohnungen psychiatrisch betreuen. Das beim IBW eingesetzte Personal übernehme sowohl die tägliche Unterstützung als auch die - ggf. nächtliche - Krisenintervention. Sie selbst habe Patienten fortlaufend eigenverantwortlich betreut. Folglich habe sie seit Januar 2013 einen Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe 8 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD gehabt. Für die Zeit nach der zum erfolgten Änderung des Richtbeispiels folge der Anspruch aus der vom Schlichtungsausschuss am beschlossenen dynamischen Besitzstandsregelung.

10Die Klägerin hat daher beantragt,

11Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag mit der Nichterfüllung der Voraussetzungen für eine Vergütung nach Entgeltgruppe 8 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD begründet. Die Klägerin sei nicht „in der Psychiatrie“ tätig gewesen. Bei dem IBW handle es sich um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe. Die dort eingesetzten Beschäftigten würden die Betreuten zB in Form von Hausbesuchen, Gesprächen, Begleitungen außerhalb der Wohnung oder telefonischen Kontakten unterstützen, die individuelle Basisversorgung sichern und Hilfen zur Erlangung bzw. zum Erhalt von Arbeit geben. Leistungen einer Psychiatrie würden nicht erbracht. Dementsprechend sei keine besondere psychiatrische Qualifikation des Personals Voraussetzung für diese Tätigkeit. Bestehe in den Nachtstunden Betreuungsbedarf, so riefen die Klienten in der Nachtwache einer stationären Einrichtung an. Die meisten Anliegen könnten dann direkt am Telefon geklärt werden. Es sei lediglich in durchschnittlich drei Fällen pro Jahr notwendig, dass die sich in Rufbereitschaft befindlichen Beschäftigten die Klienten in ihrer Wohnung aufsuchen müssen.

12Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dieses Urteil auf die Berufung der Klägerin abgeändert und der Klage in vollem Umfang stattgegeben.

13Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Zur Begründung führt sie an, das Angebot IBW sei keine psychiatrische Einrichtung und die Klägerin habe keine Pflegetätigkeit ausgeübt, die auf die besonderen Bedürfnisse von Patienten in der Psychiatrie ausgerichtet gewesen sei und die Gesamttätigkeit geprägt habe. Die Klägerin, welche unstreitig keine Fachpflegekraft in der Psychiatrie sei, habe lediglich Grundaufgaben von Pflege und Betreuung erfüllt.

14Die Klägerin verteidigt mit ihrer Revisionserwiderung das Berufungsurteil. Ihre Tätigkeit im Bereich IBW sei, wie es im Arbeitszeugnis zum Ausdruck komme, auf die Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse von Patienten in der Psychiatrie ausgerichtet gewesen und habe ein erhöhtes Verständnis vom Umgang mit psychisch kranken Menschen vorausgesetzt. Die ihr übertragenen Aufgaben seien mit denen einer Fachpflegekraft in der Psychiatrie vergleichbar gewesen. Sie habe eine individualisierte Unterstützung psychisch Erkrankter vorgenommen.

Gründe

15Die Revision ist begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann ein Anspruch der Klägerin auf Vergütung nach Entgeltgruppe 8 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD nicht damit begründet werden, dass die Klägerin seit dem im Betreuungsdienst IBW eingesetzt war und es sich bei diesem um eine psychiatrische Einrichtung handelt. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Klägerin dort Aufgaben verrichtet hat, die denen von Fachpflegekräften in der Psychiatrie mit entsprechender Tätigkeit vergleichbar sind. Soweit das Landesarbeitsgericht dies als Zweitbegründung bejaht hat, lassen seine bisherigen Feststellungen zur Tätigkeit der Klägerin die zutreffende Eingruppierung nicht hinreichend erkennen. Hieraus folgt die Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

161. Die Vergütung der Klägerin richtet sich unstreitig nach den vertraglich in Bezug genommenen Regelungen der AVR des Diakonischen Werkes der EKD bzw. der Diakonie Deutschland. Bezüglich des von ihr in Anspruch genommenen ersten Richtbeispiels unter A der Entgeltgruppe 8 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD hat der Senat nach Verkündung der hier angefochtenen Entscheidung mit Urteil vom - 6 AZR 284/15 - entschieden, dass das Merkmal „in der Psychiatrie“ in der bis zum geltenden Fassung des Richtbeispiels tätigkeitsbezogen zu verstehen ist. Demnach waren Gesundheits- und Krankenpflegerinnen bereits vor der Änderung des Richtbeispiels nur dann in die Entgeltgruppe 8 AVR-DW EKD eingruppiert, wenn ihnen vergleichbare Aufgaben wie Fachpflegekräften in der Psychiatrie mit entsprechender Tätigkeit übertragen worden sind. Die Neufassung brachte keine inhaltliche Veränderung des Richtbeispiels. Gefordert ist nach wie vor die Übertragung fachspezifischer Tätigkeiten ( - Rn. 33). Soweit der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts in der von der Klägerin angeführten Entscheidung vom (- 4 AZR 438/10 -) bezogen auf die vergleichbaren Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs e. V. (AVR DWM) angenommen hatte, das Richtbeispiel knüpfe in seiner bis zum geltenden Fassung an die Einrichtung an, in welcher die Gesundheitspflegerin tätig ist, hat der nunmehr allein zuständige erkennende Senat an diesem Begriffsverständnis ausdrücklich nicht festgehalten ( - Rn. 23; kritisch Roßbruch PflR 2016, 776, 783 ff.). Die Klägerin ist dieser Rechtsprechungsänderung im Revisionsverfahren nicht entgegengetreten.

172. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts kann der Klage nicht stattgegeben werden.

18a) Soweit das Landesarbeitsgericht eine Zuordnung der von der Klägerin im IBW verrichteten Tätigkeit zum ersten Richtbeispiel unter A der Entgeltgruppe 8 AVR-DW EKD in der bis zum geltenden Fassung bejaht hat, weil es sich bei dem IBW wegen dessen Leistungsspektrum und Organisation um eine Einrichtung der Psychiatrie handle, ist dies nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats unzutreffend. Wie dargelegt, kommt es nicht darauf an, ob der Dienst IBW als psychiatrische Einrichtung angesehen werden kann.

19b) Auf die seit dem geltende Besitzstandsregelung kann sich die Klägerin nicht berufen, weil sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht nach Entgeltgruppe 8 AVR-DW EKD vergütet wurde ( - Rn. 36, 40).

20c) Die tätigkeitsbezogene Zweitbegründung des Landesarbeitsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht stand.

21aa) Das Landesarbeitsgericht hat bezogen auf die konkrete Tätigkeit der Klägerin keine Feststellungen getroffen, sondern nur bezüglich des Leistungsangebots und der Organisation des IBW. Hiervon ausgehend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Klägerin unterfalle dem fraglichen Richtbeispiel, weil evident sei, dass der Klägerin als Gesundheits- und Krankenpflegerin die Pflege und Betreuung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und/oder geistig-seelischen Behinderungen in der häuslichen Pflege oblag und dies ihre Tätigkeit prägte.

22bb) Diese Begründung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Die Pflege und Betreuung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und/oder geistig-seelischen Behinderungen kann Inhalt jeder Tätigkeit eines Gesundheits- und Krankenpflegers sein. Für die Eingruppierung ist hier jedoch entscheidend, welches fachliche Niveau die Tätigkeit aufweist. Damit hat sich das Landesarbeitsgericht nicht auseinandergesetzt.

233. Mangels hinreichender Feststellungen zur konkreten Tätigkeit der Klägerin im IBW ab dem kann der Senat nicht selbst gemäß § 563 Abs. 3 ZPO abschließend entscheiden, ob der Klägerin seit Beginn des Monats der Übertragung dieser Tätigkeit (§ 12 Abs. 5 AVR-DW EKD) ein Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe 8 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD zustand. Zudem ist den Parteien zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens vor dem Hintergrund der während des Revisionsverfahrens erfolgten Rechtsprechungsänderung Gelegenheit zu weiterem Tatsachenvortrag bezüglich dieser Tätigkeit der Klägerin zu geben. Die Parteien durften im Berufungsverfahren noch von einem einrichtungsbezogenen Verständnis des ersten Richtbeispiels unter A der Entgeltgruppe 8 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD in der bis zum geltenden Fassung („Gesundheitspflegerin in der Psychiatrie“) ausgehen und ihren Sachvortrag darauf abstellen. Das Vorbringen der Parteien im Revisionsverfahren zeigt, dass mit Blick auf die Rechtsprechungsänderung neuer Sachvortrag erbracht werden soll. Dies ist nur im Rahmen eines erneuten Berufungsverfahrens möglich (§ 559 ZPO).

244. Im weiteren Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht zunächst zu prüfen haben, ob der Klägerin, die unstreitig keine Fachpflegekraft ist, Tätigkeiten übertragen wurden, die den Aufgaben einer Fachpflegekraft in der Psychiatrie mit entsprechender Tätigkeit vergleichbar sind und damit die Voraussetzungen des ersten Richtbeispiels unter A der Entgeltgruppe 8 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD erfüllt wurden.

25a) Das setzt Vortrag der Klägerin dazu voraus, welche Aufgaben ihr kon-kret übertragen worden waren und welche fachspezifischen Tätigkeiten sie vergleichbar einer Fachpflegekraft verrichtet hat. Der bloße Verweis auf die Unterstützung psychisch Kranker und die schlagwortartige Wiedergabe des Aufgabenspektrums im Arbeitszeugnis vom reichen hierfür nicht. Das Landesarbeitsgericht wird nach Erwiderung der Beklagten ggf. aufzuklären haben, welche Aufgaben die Klägerin über die Unterstützung der Betreuten in alltäglichen Angelegenheiten hinaus zu erfüllen hatte, zB im Zusammenhang mit der Erstellung der Hilfepläne und der Krisenintervention.

26b) Auf dieser Grundlage ist sodann zu prüfen, ob die Erfüllung der fachspezifischen Aufgaben die Tätigkeit der Klägerin iSd. § 12 Abs. 2 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD geprägt hat, dh. ein unverzichtbarer Bestandteil ihres Arbeitsauftrags war. Die Voraussetzungen für die Eingruppierung in eine Entgeltgruppe der Anlage 1 zu den AVR-DW EKD bzw. AVR-DD sind erfüllt, wenn die Gesamttätigkeit der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters die Merkmale eines Richtbeispiels dieser Entgeltgruppe erfüllt (vgl. KGH.EKD - I-0124/R51-09 - Rn. 23; zur Bedeutung der Richtbeispiele  - Rn. 25). Nach den zum modifizierten Eingruppierungsgrundsätzen des § 12 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD erfolgt keine Aufspaltung der Gesamttätigkeit in einzelne Arbeitsvorgänge (vgl. Scheffer/Mayer AVR-Kommentar 5. Aufl. Teil A Stand Januar 2011 § 12 Erläuterung 5). Tätigkeiten, die nur einen geringen Anteil der Gesamttätigkeit ausmachen, sind jedoch außer Acht zu lassen (vgl. KGH.EKD - I-0124/R45-09 - Rn. 28; Scheffer/Mayer aaO; vgl. zur Bewertung inhaltlich gemischter, gleichwertiger Tätigkeiten KGH.EKD - I-0124/R56-09 - Rn. 35).

275. Sollte das Landesarbeitsgericht feststellen, dass die Tätigkeit der Klägerin vom ersten Richtbeispiel unter A der Entgeltgruppe 8 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD nicht erfasst war, wird es die Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen der Entgeltgruppe 8 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD prüfen müssen, soweit der Tatsachenvortrag der Klägerin dazu Anlass gibt (vgl.  - Rn. 41; KGH.EKD - II-0124/W42-14 - Rn. 16).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:270417.U.6AZR284.16.0

Fundstelle(n):
EAAAG-47608