Gründe
I. Sachverhalt
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammenveranlagte Ehegatten und haben ein 1971 geborenes Kind. Der Kläger erzielt als…und…Einkünfte aus selbständiger Arbeit, seine Ehefrau im Rahmen eines Ehegattenarbeitsverhältnisses Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Nach den nicht bestrittenen Angaben der Kläger betrugen im Streitjahr 1987 die Sozialversicherungsbeiträge der Klägerin 4 475 DM, die freiwilligen Rentenversicherungsbeiträge des Klägers 8 000 DM, Lebensversicherungsbeiträge 12 860 DM, Krankenversicherung 3 359 DM und Haftpflichtversicherung 200 DM (insgesamt 28 894 DM). Von dem bei den Klägern vorgenommenen Sonderausgabenabzug in Höhe von 10 672 DM (3 652 DM verbleibender Vorwegabzug + 4 680 DM Grundhöchstbetrag für Ehepaare + 2 340 DM hälftiger Höchstbetrag), verblieb nach Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge der Klägerin noch ein Betrag von 6 197 DM, um den Vorsorgeaufwendungen des Klägers betreffend Krankenversicherung und Erwerbslosigkeit —insbesondere im Alter— Rechnung zu tragen.
Das Finanzgericht (FG) wies die gegen den Einkommensteuerbescheid 1987 erhobene Sprungklage ab und ließ wegen grundsätzlicher Bedeutung im Streitpunkt Vorsorgeaufwendungen die Revision zu.
Mit ihrer Revision machen die Kläger im Wesentlichen nur noch die unzureichende steuerliche Berücksichtigung der Vorsorgeaufwendungen im Rahmen des Sonderausgabenabzugs geltend, wodurch sie in ihren Grundrechten nach Art. 1 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt würden. Im Einzelnen wird vorgetragen:
1. Vorsorgeaufwendungen rechneten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) als Aufwendungen zur Selbsthilfe zum Existenzminimum. Die getätigten Vorsorgeaufwendungen stellten nur eine Mindestdaseinsvorsorge dar. Da die Klägerin lediglich als Teilzeitkraft beschäftigt sei, werde die erworbene Rente später nur eine bescheidenste Lebensführung ermöglichen. Die freiwilligen Beiträge des Klägers zur gesetzlichen Rentenversicherung beliefen sich auf etwa 60 % des gesetzlichen Höchstbeitrags und würden deshalb ebenfalls später nur eine bescheidene Lebensführung zulassen. Berücksichtige man, dass der Kläger mit seiner Rente für den Unterhalt der Klägerin ergänzend aufkommen müsse, so sei der Aufwand für die zusätzliche Lebensversicherung im Rahmen einer Mindestvorsorge notwendig und gerechtfertigt. Die Krankenversicherung des Klägers decke keinen Zahnersatz ab und Krankheitskosten nur, soweit die Selbstbeteiligung von 1 000 DM jährlich überschritten werde; die versicherten Leistungen lägen damit unter dem Standard der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine Krankentagegeldversicherung bestehe nicht. Die Kosten dieser Mindestabsicherung beliefen sich auf 28 694 DM, zuzüglich des steuerfreien Arbeitgeberanteils auf insgesamt 33 169 DM. Steuerlich unbelastet blieben aber nur der Arbeitgeberanteil von 4 475 DM sowie der Sonderausgabenabzug von 10 672 DM, insgesamt also 15 147 DM. Selbst bei Außerachtlassung der Lebensversicherungsbeiträge würden die Aufwendungen für die absolute Minimalvorsorge die steuerfrei belassenen Beträge um 5 162 DM übersteigen (4 475 DM + 8 000 DM + 3 359 DM ./. 10 672 DM).
2. Die Aufwendungen für die vorgenommene Minimalvorsorge seien auch nicht wegen eines eventuell vorhandenen Praxiswertes entbehrlich. Es sei ungewiss, ob bei Beendigung der Berufstätigkeit überhaupt noch ein übergabefähiger Mandantenstamm vorhanden sei. Dieser nehme wegen des Alters der Mandanten kontinuierlich ab und die Gewinnung neuer Mandanten sei bei der Konkurrenzsituation durch viele junge Berater für den Kläger auf Grund seines Alters kaum mehr möglich. Auch die Einrichtung einer berufsständischen Versorgungseinrichtung als Pflichtkasse für beratende Freiberufler beweise, dass der Praxiswert als verlässliche Altersvorsorge ungeeignet sei. Fraglich sei schließlich, ob die derzeit für den Fall einer Aufgabe geltenden steuerlichen Erleichterungen dann noch Bestand hätten. Der Kläger habe daher ein Bedürfnis an traditioneller Altersvorsorge in Form einer Lebens- und Rentenversicherung.
3. Die Vorsorgeaufwendungen der Kläger würden im Vergleich zu den von Arbeitnehmern geleisteten steuerlich benachteiligt. Die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung seien als Maßstab für eine angemessene Grundsicherung anzusehen.
Hinsichtlich der Lebensversicherungsbeiträge sei der Kläger mit Arbeitnehmern vergleichbar, die seinerzeit eine sog. befreiende Lebensversicherung abgeschlossen hätten; deren Beiträge seien nach § 3 Nr. 62 Sätze 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im selben Umfang steuerfrei wie bei pflichtversicherten Arbeitnehmern. Die freiwilligen Beiträge von 8 000 DM habe der Kläger leisten müssen, um seine durch ca. 120 Pflichtbeiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anwartschaftsrechte fortzuführen. Die verfassungswidrige Benachteiligung der Kläger gegenüber Arbeitnehmern mit von der Sozialversicherungspflicht befreiender Lebensversicherung werde unter dem Gesichtspunkt der freiwillig fortgeführten gesetzlichen Rentenversicherung besonders augenfällig. Die Ungleichbehandlung lasse sich, wie § 3 Nr. 62 Sätze 2 und 3 EStG zeige, nicht mit einem anders gearteten Versorgungssystem der Arbeitnehmer rechtfertigen. Sie widerspreche der Rechtsprechung des BVerfG. Im (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1998, 397) sei es um die Vorsorgeaufwendungen eines Angestellten und nicht eines Selbständigen gegangen, er betreffe daher einen anderen Sachverhalt.
4. Die Ungleichbehandlung belaufe sich gegenüber einem Doppelverdiener-Arbeitnehmer-Ehepaar auf 14 017 DM. Bei den Klägern blieben lediglich 15 147 DM steuerfrei statt 29 164 DM (2 x Arbeitgeber-Anteil von 11 077 DM + Grundhöchstbetrag für Ehepaare von 4 680 DM + hälftiger Höchstbetrag von 2 340 DM). Für den Vergleich dürfe dabei nicht auf das tatsächlich erzielte Einkommen der Ehefrau in Höhe von 23 470 DM abgestellt werden. Denn der Umstand, dass sie ihr Familienleben so eingerichtet hätten, dass sich die Klägerin in erster Linie um Haushalt und Kindererziehung gekümmert und nur etwa die Hälfte ihrer Arbeitskraft für den Broterwerb eingesetzt habe, dürfe nach dem (BVerfGE 99, 216 [232]) nicht zum Nachteil der Kläger gereichen. Danach stünden Ehe und Familie unter besonderem Schutz, für die auch ein besonderer Gleichheitssatz gelte, der jede an die Existenz der Ehe anknüpfende, belastende Differenzierung verbiete. Es liege im grundrechtlich geschützten Bereich, wie Ehepaare die Aufgaben der Haushaltsführung, Erziehung und des Broterwerbs nach ihrer freien Entscheidung angemessen unter sich aufteilten. Der Gesetzgeber dürfe an diese von den Eltern zu treffende Entscheidung keine unterschiedlichen Rechtsfolgen knüpfen. Da das Einkommen der Kläger zusammen über der doppelten Beitragsbemessungsgrenze der Sozialversicherung gelegen habe, dürften sie sich mit einem Arbeitnehmer-Ehepaar vergleichen, bei dem beide mit ihren Einkünften die Beitragsbemessungsgrenze überschritten haben.
5. Zu dem Hinweis des FG auf die laufend angepassten Beträge des Vorwegabzugs tragen die Kläger vor, der Vorwegabzug sei von 1982 bis 1987 unverändert bei 6 000 DM geblieben, während gleichzeitig die steuerfreien Arbeitgeberanteile bei Doppelverdiener-Arbeitnehmern von 17 484 DM auf 21 888 DM angestiegen seien.
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer 1987 auf der Grundlage eines um 14 017 DM verringerten zu versteuernden Einkommens festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Der Gesetzgeber habe vorliegend einen großen Gestaltungsspielraum, auch wenn es im Einzelfall und unter besonderen Umständen zu Härten kommen könne.
II. Rechtliche Erwägungen
Für das Klageverfahren ist entscheidungserheblich, ob die Vorschrift des § 10 Abs. 3 EStG in der für das Streitjahr 1987 geltenden Fassung mit dem GG vereinbar ist. Kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass dies nicht der Fall ist, hat er nach Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des BVerfG einzuholen.
1. Zur Frage einer Mindestvorsorge
Das BVerfG hat in dem Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG in HFR 1998, 397 u.a. ausgeführt, es sei in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen muss, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird. Aus dem Beschluss ergibt sich weiter, dass aus den Entscheidungen des BVerfG die Verpflichtung des Gesetzgebers abzuleiten sei, nicht nur den gegenwärtigen Grundbedarf des Steuerpflichtigen von der Besteuerung abzuschirmen, sondern auch die Aufwendungen, die erforderlich sind, um dem Steuerpflichtigen im Falle der Erwerbslosigkeit —insbesondere im Alter— eine das Existenzminimum sichernde Rente zu gewährleisten. Bei der Prüfung, ob die Abzugsbeträge in § 10 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 EStG den genannten Anforderungen genügen, stellen sich insbesondere die folgenden Fragen:
a) Inwieweit handelt es sich bei den von den Klägern für das Streitjahr geltend gemachten Aufwendungen um solche, die für eine Mindestvorsorge, insbesondere eine Existenzsicherung in der Zukunft, zwangsläufig sind und die daher die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kläger vermindern? Welche Beträge sind für eine realitätsgerechte Mindestvorsorge der Familie (ein Kind) des selbständig tätigen Klägers und der nichtselbständigen Klägerin im Streitjahr anzusetzen? Im ”Bericht zur Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen” des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) an den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, September 1996 (Finanzausschuss-Drucks. Nr. 13/228, veröffentlicht in Schriftenreihe des BMF, Heft 62) sind hierzu keine näheren Angaben enthalten.
b) Wie lässt sich die Begrenzung des im Veranlagungsverfahren der Kläger vorgenommenen Sonderausgabenabzugs auf 10 672 DM rechtfertigen? Nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge der Klägerin, die als Geringverdienerin 2/3 eines Durchschnittsverdienstes erzielte (vgl. BMF-Bericht, a.a.O., Tabelle 5.3.), sowie der Beiträge zur Krankenversicherung verblieben 2 838 DM für eine Altersvorsorge des freiberuflichen Klägers.
c) Sind seitens des Klägers geringere Aufwendungen für eine Alterssicherung notwendig, weil er später den Wert seiner von ihm allein betriebenen Praxis zur Alterssicherung einsetzen kann? Gibt es Erfahrungswerte, die für eine solche Praxis typisierend angesetzt werden können?
d) Reicht es für die Berücksichtigung eines Mindestbedarfes aus, wenn dieser im Streitjahr gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 3 EStG zum Teil nur zur Hälfte zum Abzug kommt und damit ein Teil steuerlich belastet bleibt (vgl. , BVerfGE 99, 246 [264])?
2. Zur Frage der Gleichbehandlung
Da die Steuerfreiheit der Arbeitgeberleistungen nach § 3 Nr. 62 EStG einer steuerlichen Abziehbarkeit der Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 3 EStG gleichzustellen ist (vgl. BMF-Bericht, a.a.O., unter 6. mit Verweis auf BVerfGE 69, 272 [302]), will der Gesetzgeber mit der Regelung des Vorwegabzugs einen Ausgleich zwischen Selbständigen und versicherungspflichtigen Arbeitnehmern schaffen und den bei Selbständigen erhöhten Vorsorgebedarf berücksichtigen (vgl. Beschluss des Vorprüfungsausschusses des , 1 BvR 1473/84, HFR 1985, 337).
a) Wie ist es zu rechtfertigen, dass dem Vorsorgebedürfnis des Klägers für sich und sein Kind nur mit einem Vorwegabzug von 3 652 DM steuerlich Rechnung getragen wird im Vergleich zu Arbeitnehmern, bei denen der steuerfreie Arbeitgeberbeitrag —und damit steuerfreie Arbeitslohn— im Jahre 1987 bis zu 11 098 DM betragen hat (vgl. BMF-Schriftenreihe, a.a.O., Tabelle 7.1.)?
b) Hat der Kläger vor dem Hintergrund der Unterschiede der Sicherungssysteme (bspw. private Lebens- und Krankenversicherungen einerseits und gesetzliche Sozialversicherung andererseits) als Selbständiger mit höherem Einkommen für eine angemessene Zukunftsvorsorge geringere Aufwendungen zu tätigen als Arbeitnehmer mit gleich hohem Einkommen für eine gleichwertige Vorsorge? Wodurch unterscheiden sich die der Fortführung seiner Rentenanwartschaft dienenden freiwilligen Beiträge des Klägers zur gesetzlichen Rentenversicherung und die zu seiner Lebensversicherung von entsprechenden Ausgaben bzw. Zuschüssen von Arbeitgebern, die nach § 3 Nr. 62 Satz 1 bzw. nach § 3 Nr. 62 Satz 2 Buchst. a und b EStG steuerbefreit sind?
c) Im Beschluss des Vorprüfungsausschusses vom 1 BvR 136/78 (HFR 1978, 293) hat das BVerfG u.a. darauf abgehoben, dass sich aus § 3 Nr. 62 EStG nur dann eine dem Arbeitnehmer verbleibende Vergünstigung ergebe, wenn der Arbeitgeberanteil den Kürzungsbetrag beim Vorwegabzug überschreite. In etwa wie vielen Fällen war dies im Streitjahr der Fall und wie hoch war die verbleibende Vergünstigung für Bezieher durchschnittlicher Arbeitseinkommen?
d) Können die Kläger geltend machen, der Kläger habe im Hinblick auf die von den Eheleuten getroffene und grundrechtlich geschützte Aufgabenverteilung Anspruch auf die Möglichkeit, eine höhere steuerlich geförderte Alterssicherung in dem Maße vorzunehmen, in dem seine Ehefrau, die nur halbtags gearbeitet hat, nur eine geringere steuerlich geförderte Alterssicherung aufbauen konnte (vgl. BVerfGE 99, 216 [232])?
III. Der Senat fordert das BMF gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung auf, dem Revisionsverfahren beizutreten und Stellung zu nehmen. Es wird gebeten, bis eine Erklärung über den Beitritt abzugeben und —wenn möglich— Stellung zu nehmen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 770 Nr. 6
JAAAA-66600