BGH Beschluss v. - IX ZB 102/15

Entlassung des Insolvenzverwalters: Verschweigen von Vorbefassung bei seiner Bestellung

Leitsatz

Ein Insolvenzverwalter ist zu entlassen, wenn nachträglich bekannt wird, dass er im Zuge seiner Bestellung vorsätzlich Umstände verschwiegen hat, die geeignet waren, ernsthafte Zweifel an seiner Unabhängigkeit zu begründen, und eine Bestellung zum Verwalter nicht zuließen.

Gesetze: § 59 Abs 1 S 1 InsO

Instanzenzug: LG Freiburg (Breisgau) Az: 3 T 157/15vorgehend AG Freiburg (Breisgau) Az: 8 IN 249/13

Gründe

I.

1Die C.          GmbH (fortan: Schuldnerin) beantragte am die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Auf Vorschlag der Schuldnerin wurde der weitere Beteiligte zu 3 am zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Bei der Ausfüllung des ihm überlassenen Fragebogens zu seiner Unabhängigkeit gab er an, dass die Schuldnerin im Jahr 1997 unter Mitwirkung seines Hauses gegründet worden sei, seither aber zur Schuldnerin sowie deren Gesellschaftern und Organen keine Mandatsverhältnisse mehr bestanden hätten. Am wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zu 3 (fortan auch: Verwalter) zum Insolvenzverwalter bestellt. Zum verkaufte er das Unternehmen der Schuldnerin. Gegen Ende des Jahres 2014 wurde bekannt, dass der Verwalter in den Jahren 1998 bis 2003 aufgrund eines Treuhandvertrags mit dem Geschäftsführer der Schuldnerin für diesen Geschäftsanteile an der Schuldnerin hielt, dass er den Geschäftsführer Ende der 90er Jahre geduzt hatte und dass er bis 2001 für diesen als Steuerberater tätig gewesen war. Der Verwalter versicherte nunmehr an Eides statt, dass - gerechnet ab seiner Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter - seit mehr als zehn Jahren zwischen ihm und der Schuldnerin oder deren Organen kein geschäftlicher oder persönlicher Kontakt mehr bestanden habe.

2Am beantragte die Gläubigerversammlung, den Verwalter zu entlassen. Das Insolvenzgericht hat den Antrag abgelehnt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubigerinnen zu 1 und 2 hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen sie den Entlassungsantrag weiter.

II.

3Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Der weitere Beteiligte zu 3 ist aus seinem Amt als Insolvenzverwalter zu entlassen.

41. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine Entlassung des Verwalters nach § 59 Abs. 1 InsO lägen nicht vor. Es könne nicht festgestellt werden, dass die erforderliche Unabhängigkeit des Verwalters nicht gegeben sei. Er habe zwar seine Pflichten in erheblichem Umfang verletzt, indem er den genauen Umfang seiner Vorbefassung verschwiegen habe. Bei Kenntnis der früheren Tätigkeit des Verwalters für die Schuldnerin, deren ehemaligen Geschäftsführer und dessen Ehefrau wäre er nicht zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Dies führe jedoch nicht automatisch zu seiner Entlassung. Vielmehr ergebe die gebotene Gesamtschau, dass es zum jetzigen Zeitpunkt sachlich vertretbar sei, ihn im Amt zu belassen.

52. Die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 und 2 ist infolge ihrer Zulassung durch das Beschwerdegericht uneingeschränkt statthaft (§§ 6, 59 Abs. 2 Satz 2 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Entgegen der Ansicht des Verwalters hat das Beschwerdegericht die Zulassung nicht beschränkt. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Zulassung erfolge im Hinblick auf die Frage, ob sich die Ermessensausübung im Rahmen des § 59 InsO auf eine Pflicht zur Entlassung des Insolvenzverwalters reduziere, wenn festgestellt werde, dass der Insolvenzverwalter bei Offenbarung von Umständen, die zumindest die Besorgnis seiner fehlenden Unabhängigkeit begründen könnten, nicht bestellt worden wäre. Gleichfalls sei ungeklärt, welche Auswirkungen das Verschweigen offenbarungspflichtiger Umstände habe, wenn dadurch die Entscheidung der Gläubigerversammlung, ob ein anderer Insolvenzverwalter zu wählen sei als der vom Amtsgericht bestimmte (§ 57 Abs. 1 Satz 1 InsO), nicht auf einer ausreichenden Grundlage erfolgen könnte und welche Auswirkungen dies auf das Entlassungsverfahren habe. Mit diesen Ausführungen hat das Beschwerdegericht ersichtlich nur die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache begründen und nicht die Zulassung auf einen Teil des Streitstoffs beschränken wollen.

63. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Vorinstanzen haben den Antrag der Gläubigerversammlung auf Entlassung des Verwalters zu Unrecht abgelehnt.

7a) Das Insolvenzgericht kann den Insolvenzverwalter aus seinem Amt entlassen, wenn hierfür ein wichtiger Grund besteht (§ 59 Abs. 1 Satz 1 InsO).

8aa) Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn feststeht, dass ein Verbleiben des Verwalters im Amt unter Berücksichtigung seiner schutzwürdigen Interessen die Belange der Gläubigergesamtheit und die Rechtmäßigkeit der Verfahrensabwicklung objektiv nachhaltig beeinträchtigen würde. Die Ausübung des Insolvenzverwalteramtes ist durch Art. 12 GG geschützt. Eingriffe sind nur zulässig, soweit sie durch höherwertige Interessen des gemeinen Wohls gerechtfertigt sind, nicht weiter gehen, als es erforderlich ist, und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren (, WM 2006, 440, 441). Hat der Verwalter eine ihm obliegende Pflicht verletzt, ist er zu entlassen, wenn es in Anbetracht der Erheblichkeit der Pflichtverletzung, insbesondere ihrer Auswirkungen auf den Verfahrensablauf und die berechtigten Belange der Beteiligten, sachlich nicht mehr vertretbar erscheint, ihn in seinem Amt zu belassen. Die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vom Tatrichter zu treffen; ihm steht dabei ein Beurteilungsspielraum zu ( aaO; vom - IX ZB 35/09, NZI 2009, 604 Rn. 9; vom - IX ZB 192/10, NZI 2011, 282 Rn. 18; vom - IX ZB 25/11, NZI 2012, 247 Rn. 8; vom - IX ZB 11/14, NZI 2015, 20 Rn. 8).

9bb) Besteht ein wichtiger Grund, muss dies gleichwohl nicht stets zur Entlassung des Insolvenzverwalters führen. Die Entscheidung über die Entlassung steht im Ermessen des Insolvenzgerichts. Die Ausübung des Ermessens kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur darauf überprüft werden, ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und rechtsfehlerfrei gewürdigt worden sind und von dem Ermessen gemäß dem Gesetzeszweck unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Gebrauch gemacht worden ist (vgl. , BGHZ 209, 105 Rn. 22; Beschluss vom - XII ZB 490/15, NJW-RR 2016, 967 Rn. 6; vom - I ZB 118/15, WM 2017, 236 Rn. 16).

10b) Einer Überprüfung nach diesen Maßstäben halten die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht stand. Nach den getroffenen Feststellungen liegt ein wichtiger, die Entlassung des Verwalters rechtfertigender Grund vor. Das dem Tatrichter bei seiner Entscheidung über den Entlassungsantrag der Gläubigerversammlung eingeräumte Ermessen konnte ohne Rechtsfehler nur dahin ausgeübt werden, dass die Entlassung angeordnet wurde.

11aa) Der weitere Beteiligte zu 3 hätte nicht zum Insolvenzverwalter bestellt werden dürfen, wenn bereits damals seine nachträglich aufgedeckten früheren Verbindungen zur Schuldnerin und ihrem Geschäftsführer bekannt gewesen wären. Dies übersieht das Beschwerdegericht, wenn es meint, der weitere Beteiligte zu 3 wäre dann - lediglich - im Rahmen der nach § 56 InsO zu treffenden Ermessensentscheidung nicht zum Zuge gekommen. Zum Insolvenzverwalter darf nach § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO nur eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person bestellt werden. Die vorausgesetzte Unabhängigkeit fehlt nicht erst dann, wenn eine Abhängigkeit der zu bestellenden Person von Beteiligteninteressen positiv feststeht. Wegen der überragenden Bedeutung der Person des Insolvenzverwalters für die ordnungsgemäße Abwicklung des Insolvenzverfahrens und seiner den Interessen sowohl der Gläubiger wie auch des Schuldners verpflichteten Stellung ist eine Bestellung bereits dann ausgeschlossen, wenn objektive Umstände feststehen, die aus der Sicht eines vernünftigen Gläubigers oder Schuldners berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit oder Unparteilichkeit der in Aussicht genommenen Person begründen (Graf-Schlicker, InsO, 4. Aufl., §§ 56, 56a Rn. 67; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 14. Aufl., § 56 Rn. 42 mwN). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der künftige Verwalter an der Schuldnerin beteiligt (vgl. , BGHZ 113, 262, 277; Beschluss vom - IX AR (VZ) 7/15, NZI 2016, 913 Rn. 23) oder wenn er mit ihr unmittelbar oder mittelbar durch Mandatsverhältnisse verbunden war oder ist (vgl. Uhlenbruck/Zipperer, aaO Rn. 44 mwN; IX AR (VZ) 1/15, NZI 2016, 508 Rn. 26 f; vom , aaO). Solche Umstände lagen hier vor. Der weitere Beteiligte zu 3 hatte nicht nur an der Gründung der Schuldnerin im Jahr 1997 als Berater mitgewirkt. Er hielt darüber hinaus in den Jahren 1998 bis 2003, als der Geschäftsführer der Schuldnerin zeitweise eine Freiheitsstrafe wegen Abgabenhinterziehung verbüßte, als Treuhänder für diesen Gesellschaftsanteile und war noch im Jahr 2001 für diesen als Steuerberater tätig.

12bb) Der weitere Beteiligte zu 3 hat einen wesentlichen Teil dieser Umstände vorsätzlich gegenüber dem Insolvenzgericht verschwiegen. Während des Eröffnungsverfahrens übersandte ihm das Insolvenzgericht den Fragebogen des Bundesarbeitskreises Insolvenzgerichte (BAKinso) zur Unabhängigkeit des Verwalters und machte ihm dabei die Bedeutung auch von Umständen, die lediglich die Besorgnis der Unparteilichkeit begründeten, deutlich. Dennoch gab der weitere Beteiligte zu 3 bei der Rückgabe des Fragebogens lediglich an, dass die Schuldnerin im Jahr 1997 unter seiner Mitwirkung gegründet und in diesem Zusammenhang eine Vergütung bezahlt worden sei. Seither hätten zur Schuldnerin, ihren Gesellschaftern und Organen keinerlei mittelbare oder unmittelbare Mandatsverhältnisse mehr bestanden. Die weiteren Verbindungen räumte er erst ein, als sie von der weiteren Beteiligten zu 1 nach seiner Bestellung zum Insolvenzverwalter aufgedeckt worden waren.

13cc) Damit steht fest, dass der weitere Beteiligte zu 3 das Insolvenzgericht vorsätzlich über Umstände getäuscht hat, die seine Bestellung zum Insolvenzverwalter ausschlossen. Dadurch hat er seine Bestellung in einem Insolvenzverfahren erschlichen, das eine hohe Vergütung versprach. Allein für die Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren ist zugunsten des weiteren Beteiligten zu 3 eine Vergütung einschließlich Auslagen und Umsatzsteuer in Höhe von 234.044,52 € festgesetzt worden, nachdem er zeitweise für diesen Verfahrensabschnitt eine Vergütung von mehr als 2,8 Mio. € beantragt hatte.

14Dieses Verhalten erfüllt die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes im Sinne von § 59 Abs. 1 InsO und führt, auch unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Schutzes des Insolvenzverwalteramtes durch Art. 12 GG, zwingend zur Entlassung des weiteren Beteiligten zu 3 aus seinem Amt. Zwar ist grundsätzlich bei der Ermessensentscheidung über eine Entlassung auch die Tätigkeit des Verwalters im weiteren Verlauf des Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen. Ob und in welchem Umfang ein Verbleib des Verwalters im Amt die weitere ordnungsgemäße Abwicklung des Verfahrens und die berechtigten Belange der Gläubiger gefährden würde, kann im Lichte des bisherigen Verfahrensverlaufs anders zu beurteilen sein als zum Zeitpunkt der Bestellung des Verwalters. Deshalb kann auch von Bedeutung sein, ob während des bisherigen Insolvenzverfahrens Handlungen des Verwalters festzustellen sind, die als Anzeichen einer tatsächlich bestehenden Abhängigkeit gewertet werden könnten. Unter den gegebenen Umständen kann aber auch bei pflichtgemäßer Amtsführung des Insolvenzverwalters ermessensfehlerfrei nur auf seine Entlassung erkannt werden. Zu den persönlichen Anforderungen an den Insolvenzverwalter gehören neben der fachlichen Qualifikation auch seine persönliche Integrität, insbesondere seine Ehrlichkeit (, BGHZ 159, 122, 129; vom - IX ZB 192/10, NZI 2011, 282 Rn. 20; vom - IX ZB 248/09, ZIP 2011, 1526 Rn. 6; vom - IX ZB 52/15, NZI 2016, 892 Rn. 8). Wer, wie der weitere Beteiligte zu 3, das Insolvenzgericht und die Verfahrensbeteiligten vorsätzlich über Umstände täuscht, die von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung der Unparteilichkeit und deshalb auch für seine Bestellung zum Insolvenzverwalter sind, und damit im eigenen wirtschaftlichen Interesse eine Gefährdung der erfolgreichen Abwicklung des Insolvenzverfahrens in Kauf nimmt, erweist sich in einem solchen Maß als ungeeignet, dass es sachlich nicht mehr vertretbar ist, ihn nach der Aufdeckung der Verbindungen in seinem Amt zu belassen.

154. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts war danach aufzuheben. Da weitere Feststellungen nicht erforderlich sind und die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat selbst entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO). Er überträgt die Anordnung der gebotenen Entlassung des weiteren Beteiligten zu 3 gemäß § 572 Abs. 3 ZPO dem Insolvenzgericht, weil es sachgerecht ist, sogleich mit der Entlassung des bisherigen Verwalters einen neuen Insolvenzverwalter zu bestellen.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:040517BIXZB102.15.0

Fundstelle(n):
BB 2017 S. 1427 Nr. 25
DB 2017 S. 1380 Nr. 24
NJW 2017 S. 8 Nr. 26
NJW-RR 2017 S. 1132 Nr. 18
NWB-Eilnachricht Nr. 41/2017 S. 3120
StuB-Bilanzreport Nr. 22/2017 S. 878
WM 2017 S. 1166 Nr. 24
ZIP 2017 S. 1230 Nr. 25
ZIP 2017 S. 47 Nr. 24
RAAAG-47070