BFH Beschluss v. - X S 10/00

Gründe

I. Die Kläger und Antragsteller (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute.

Der Kläger erwarb durch notariellen Kaufvertrag vom ein 1958 errichtetes Zweifamilienhaus für 419 000 DM (Nebenkosten 31 015 DM). Die Wohnung im Erdgeschoss war leer, die Wohnung im Obergeschoss bis vermietet. Nach der Renovierung und dem Umbau zu einem Einfamilienhaus nutzten die Kläger das Gebäude vom an zu eigenen Wohnzwecken.

Im Jahr 1993 wendeten sie für die Umbau- und Renovierungsmaßnahmen 25 221,74 DM auf, im Jahr 1994 71 970,37 DM. Die Kosten fielen an für die Erneuerung der Fenster, der Heizung und der Sanitäreinrichtungen, für die Ausbesserung des Daches sowie für allgemeine Schönheitsreparaturen.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1993 machten die Kläger die Umbauaufwendungen von 25 221,74 DM und Schuldzinsen in Höhe von 3 392 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend (insgesamt einen Verlust in Höhe von 28 614 DM).

Der Beklagte und Antragsgegner (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte in dem —unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der AbgabenordnungAO 1977—) ergangenen— Einkommensteuerbescheid für 1993 den Verlust aus Vermietung und Verpachtung zunächst antragsgemäß. In dem nach § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderten Einkommensteuerbescheid für 1993 ließ das FA nur noch die Schuldzinsen (3 392 DM) zum Abzug als Werbungskosten zu. Es war der Auffassung, die Aufwendungen für Umbau und Modernisierung seien keine sofort abziehbaren Erhaltungsaufwendungen, sondern anschaffungsnaher Herstellungsaufwand.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte aus: Als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung seien die Aufwendungen nicht abziehbar, weil sie weder mit erzielten noch mit künftig zu erzielenden Einnahmen zusammenhingen. Denn die Kläger hätten von vornherein beabsichtigt, das Haus zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen. Ein Abzug als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) komme nicht in Betracht, weil die Aufwendungen als anschaffungsnahe Herstellungskosten zu beurteilen seien. Reparatur- und Modernisierungsaufwendungen, die in zeitlicher Nähe zur Anschaffung —regelmäßig innerhalb von drei Jahren— anfielen und im Verhältnis zum Kaufpreis hoch seien, seien auch nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) Herstellungsaufwand. Denn nach § 255 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs (HGB) seien Aufwendungen als Herstellungskosten zu beurteilen, wenn sie einen Vermögensgegenstand über seinen ursprünglichen Zustand hinaus wesentlich verbesserten.

Hohe Aufwendungen im unmittelbaren Anschluss an die Anschaffung eines Gebäudes zeigten, dass das Gebäude bereits zum Erwerbszeitpunkt instandsetzungs- und modernisierungsbedürftig gewesen sei (, BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632, und IX R 5/93, BFHE 178, 40, BStBl II 1996, 588). Die Anschaffungskosten für das Grundstück in Höhe von rd. 450 000 DM entfielen in Höhe von rd. 98 000 DM auf den Grund und Boden und in Höhe von rd. 351 000 DM auf das Gebäude. Die Modernisierungsaufwendungen in Höhe von rd. 84 000 DM, die rd. 24 v.H. der Anschaffungskosten für das Gebäude ausmachten, seien im Verhältnis zum Kaufpreis hoch und führten deshalb zu einer wesentlichen Verbesserung des Gebäudes.

Die Kläger erhoben gegen das finanzgerichtliche Urteil Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision, mit der sie grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend machten. Der BFH ließ die Revision.

Den Antrag der Kläger, die Vollziehung der nachgeforderten Einkommensteuer und Kirchensteuer sowie der auf die Nachforderung entfallenden Zinsen auszusetzen, lehnte das FA ab. Der Einspruch war erfolglos. Das FG verwies den —daraufhin bei ihm gestellten— Aussetzungsantrag durch Beschluss an den BFH.

Zur Begründung tragen die Kläger im Wesentlichen vor: Die streitigen Aufwendungen seien als sofort abziehbarer Erhaltungsaufwand zu beurteilen. Denn nach der geänderten Rechtsprechung des BFH sei anschaffungsnaher Herstellungsaufwand nur dann anzunehmen, wenn die Aufwendungen die begrifflichen Merkmale der Herstellungskosten erfüllten. Herstellungskosten lägen nur vor bei Vollverschleiß, bei einer Erweiterung oder bei einer über den ursprünglichen Zustand hinausgehenden Verbesserung (BFH-Urteil in BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632; bestätigt durch , BFHE 187, 431, BStBl II 1999, 282). Die im Streitfall durchgeführten Baumaßnahmen (Erneuerung der Fenster und der Heizung, Dachgaubendämmung und kleinere Renovierungsarbeiten) hätten aber zu keiner wesentlichen Verbesserung im Sinne der Rechtsprechung des BFH geführt. Aufgrund der Höhe der Aufwendungen sei entgegen der Auffassung des FA eine wesentliche Verbesserung nicht offenkundig. Das FG-Urteil weiche eindeutig von der Rechtsprechung des BFH ab. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung seien daher gegeben.

Die Kläger beantragen, die Vollziehung des geänderten Einkommensteuerbescheids für 1993 (Einkommensteuer 10 408 DM, Kirchensteuer 936,70 DM, Zinsen 572 DM) bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen.

Das FA beantragt, den Antrag abzulehnen.

II. 1. Nach Einlegung der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ist der BFH als Gericht der Hauptsache für die Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zuständig geworden (§ 69 Abs. 3 Satz 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—; , BFH/NV 1992, 124).

2. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist begründet.

a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll auf Antrag die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids bestehen. Ernstliche Zweifel nimmt der BFH an, wenn sich bei summarischer Prüfung für und gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gesichtspunkte ergeben, die zu einer Unsicherheit in der Beurteilung der Rechts- und Tatfragen führen. Das ist z.B. der Fall, wenn die Gesetzeslage unklar ist, die streitige Rechtsfrage vom BFH noch nicht entschieden wurde und im Schrifttum bzw. in der Rechtsprechung der FG unterschiedliche Rechtsauffassungen über die Beantwortung von Zweifelsfragen bestehen (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFHE 187, 47, BStBl II 1998, 674, m.w.N.).

b) Im Streitfall ist die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Änderungsbescheids nicht schon aufgrund der Zulassung der Revision ernstlich zweifelhaft. Denn bei der Entscheidung über eine auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Nichtzulassungsbeschwerde sind die Erfolgsaussichten einer künftigen Revision nicht zu berücksichtigen (, BFH/NV 1997, 262). Ernstliche Zweifel ergeben sich aber aus der Unsicherheit, nach welchen Kriterien der anschaffungsnahe Herstellungsaufwand zu bestimmen ist und ob der BFH an diesem von Rechtsprechung und Verwaltung entwickelten Begriff festhalten wird.

Nach der neueren Rechtsprechung des IX. Senats (Urteile in BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632, unter I. 3. a, und in BFHE 178, 40, BStBl II 1996, 588) handelt es sich bei den sog. anschaffungsnahen Aufwendungen um nachträgliche Herstellungskosten. Der anschaffungsnahe Herstellungsaufwand sei danach allein unter die Begriffsmerkmale des —auch für die Begriffsbestimmung der Herstellungskosten im Steuerrecht maßgeblichen— § 255 Abs. 2 HGB zu subsumieren. Nach Variante 3 dieser Vorschrift seien Aufwendungen als Herstellungskosten zu beurteilen, wenn sie einen Vermögensgegenstand über seinen ursprünglichen Zustand hinaus wesentlich verbesserten. Aufwendungen für die Instandsetzung und Modernisierung eines Gebäudes, die im Anschluss an die Anschaffung vorgenommen würden und im Verhältnis zum Kaufpreis hoch seien, zeigten, dass das Gebäude bereits zum Erwerbszeitpunkt instandsetzungs- und modernisierungsbedürftig gewesen sei. Durch die anschließende Instandsetzung und Modernisierung werde das Gebäude über seinen bei der Anschaffung vorhandenen Zustand hinaus wesentlich verbessert. Eine solche wesentliche Verbesserung sei dann aufgrund der Art der Baumaßnahmen und der Höhe des dadurch bedingten Aufwands im Verhältnis zur Höhe des Kaufpreises offenkundig (BFH-Urteile in BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632, und in BFHE 178, 40, BStBl II 1996, 588).

Auf diese Rechtsprechung hat das FG seine Entscheidung gestützt. Auch der erkennende Senat ging bisher —wie das FG— aufgrund der Entscheidungen in BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632 und in BFHE 178, 40, BStBl II 1996, 588 davon aus, dass die Höhe der Aufwendungen im Verhältnis zum Kaufpreis und die zeitliche Nähe zur Anschaffung eine wesentliche Verbesserung indizieren (Senatsbeschluss vom X B 271/96, BFH/NV 1998, 314; Senatsurteil vom X R 89/95, BFH/NV 1999, 776). Die von den Klägern zitierten Urteile des IX. Senats in BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632 und in BFHE 187, 431, BStBl II 1999, 282 betreffen keine Fälle von anschaffungsnahem Aufwand, da Anschaffung und Renovierung jeweils 6 Jahre auseinander lagen.

In dem bei Ergehen der Senatsentscheidung in BFH/NV 1998, 314 noch nicht veröffentlichten Aussetzungsbeschluss vom IX B 61/98 (BFH/NV 1999, 32) hat der IX. Senat dagegen ausgeführt, selbst wenn nach den oben genannten Entscheidungen eine Vermutung dafür bestehen sollte, dass hohe anschaffungsnahe Aufwendungen regelmäßig zu einer wesentlichen Verbesserung des Gebäudes i.S. des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB führten, sei im Streitfall (Erwerb eines bebauten Grundstücks für 6 235 047 DM, Instandhaltungs- und Modernisierungsaufwendungen in Höhe von 3 022 380 DM) im Hinblick auf das —mit entsprechenden Beweisangeboten versehene— Vorbringen der Antragstellerin durch eine Beweiserhebung festzustellen, ob die streitigen Aufwendungen eine wesentliche Verbesserung des Gebäudes bewirkt hätten. Aufgrund dieses Beschlusses hat der X. Senat in der Folgezeit mehrere Revisionen wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Es sei zu prüfen und zu entscheiden, ob allein die Höhe der Aufwendungen im Verhältnis zum Kaufpreis und die zeitliche Nähe zur Anschaffung Herstellungsaufwand indizierten oder ob die Art der Baumaßnahmen geprüft werden müsse und wenn ja, welche Baumaßnahmen zu einer offenkundig wesentlichen Verbesserung führten.

Der IX. Senat des BFH hat nunmehr in mehreren —anschaffungsnahen Herstellungsaufwand betreffenden— Verfahren das Bundesministerium der Finanzen zum Beitritt aufgefordert (vgl. Beschluss vom IX R 39/97, BFH/NV 2001, 264), weil er bei einer Aufgabe des Begriffs des anschaffungsnahen Herstellungsaufwands von einer langjährigen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis abweichen würde.

3. Aufgrund dieser unsicheren Rechtslage bei der Beurteilung von anschaffungsnahen Aufwendungen ist die Vollziehung des geänderten Einkommensteuerbescheids für 1993 antragsgemäß auszusetzen. Die Aussetzung umfasst nicht nur die nachgeforderte Einkommensteuer, sondern auch die nachgeforderte Kirchensteuer und die festgesetzten Zinsen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 4 FGO; z.B. BFH-Entscheidung vom XI B 108/97, BFH/NV 1998, 1082, m.w.N.).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 780 Nr. 6
PAAAA-66504