BGH Beschluss v. - V ZB 41/14

Zwangsversteigerungsverfahren: Öffentliche Lasten des Grundstücks als dingliche Rechte im Sinne der Europäischen Insolvenzverordnung

Leitsatz

Öffentliche Lasten des Grundstücks (hier: Grundsteuerforderungen) sind als dingliche Rechte im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Europäischen Insolvenzverordnung anzusehen (Vergleiche Senior Home, C-195/15, EU:C:2016:804).

Gesetze: Art 5 Abs 1 EGV 1346/2000, § 10 Abs 1 Nr 3 ZVG, § 12 GrStG

Instanzenzug: Az: C-195/15 Urteilvorgehend Az: V ZB 41/14 EuGH-Vorlagevorgehend Az: 4 T 52/13vorgehend AG Burgwedel Az: 6 K 16/33

Gründe

I.

1Die Schuldnerin, eine Société Civile Immobilière nach französischem Recht, ist Eigentümerin des im Rubrum genannten Grundstücks in W.     , Deutschland. Mit Urteil vom ordnete der Tribunal de Grande Instance de Mulhouse, Frankreich, das Betriebssanierungsverfahren („procédure de redressement judiciaire“) für die Schuldnerin an und beauftragte einen gerichtlich bestellten Verwalter mit deren Betreuung („administrateur judiciaire avec mission d‘assistance“). Am beantragte die Gemeinde W.    wegen rückständiger Grundsteuern für die Zeit vom bis zum in Höhe von 7.471,19 € die Zwangsversteigerung des Grundstücks und bescheinigte die Vollstreckbarkeit der Forderungen.

2Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht die Zwangsversteigerung angeordnet. Der dagegen gerichteten Erinnerung der Schuldnerin hat es nicht abgeholfen. Das Landgericht hat ihre sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will die Schuldnerin erreichen, dass die Anordnung der Zwangsversteigerung aufgehoben und der Zwangsversteigerungsvermerk im Grundbuch gelöscht wird. Mit Beschluss vom (veröffentlicht u.a. in WM 2015, 1768 ff.) hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob der Begriff des dinglichen Rechts gemäß Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. EG 2000 Nr. L 160 S. 1; Europäische Insolvenzverordnung, nachfolgend EuInsVO) eine nationale Regelung erfasst, wonach Grundsteuerforderungen kraft Gesetzes als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhen und der Eigentümer insoweit die Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz dulden muss. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat über die Vorlagefrage mit Urteil vom (C-195/15, EU:C:2016:804, veröffentlicht u.a. in ZIP 2016, 2175 ff.) entschieden.

II.

3Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist die Zwangsversteigerung zu Recht angeordnet worden. Die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens wirke sich insoweit nicht aus. Da die rückständigen Grundsteuern gemäß § 12 GrStG als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhten, stehe der Gläubigerin gemäß § 49 InsO i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG ein Recht auf abgesonderte Befriedigung zu. Dieses Recht werde gemäß § 351 InsO durch die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens nicht berührt.

4Eine Umschreibung des Titels auf den Insolvenzverwalter und eine Zustellung an diesen sei nicht erforderlich, da die Zwangsversteigerung aufgrund eines auf § 58 NVwVG gestützten behördlichen Ersuchens erfolgt sei.

III.

5Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

61. Ob sich das ausländische Insolvenzverfahren auf die Anordnung der Zwangsversteigerung auswirkt, bestimmt sich allerdings nicht nach § 351 InsO. Maßgeblich ist vielmehr die Europäische Insolvenzverordnung, die in ihrem Anwendungsbereich den Vorschriften des in §§ 335 ff. InsO geregelten deutschen Internationalen Insolvenzrechts vorgeht (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 Rn. 11 mwN). Der Anwendungsbereich der Europäischen Insolvenzverordnung ist eröffnet, da es sich bei dem Verfahren des "redressement judiciaire" um eines der in Art. 2 Buchstabe a EuInsVO i.V.m. Anhang A der Verordnung genannten Insolvenzverfahren handelt und der für die Schuldnerin auftretende "administrateur judiciaire" zu den in Art. 2 Buchstabe b EuInsVO i.V.m. Anhang C der Verordnung bezeichneten Verwaltern gehört.

72. Nach der Europäischen Insolvenzverordnung unterliegt das Insolvenzverfahren zwar dem französischen Recht (Art. 4 Abs. 1 EuInsVO). Gemäß Art. 5 Abs. 1 EuInsVO bleiben aber dingliche Rechte eines Gläubigers an unbeweglichen Gegenständen, die sich im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats befinden, von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt. Die Grundsteuerforderungen, die zu der Anordnung der Zwangsversteigerung geführt haben, sind als dingliches Recht im Sinne dieser Norm anzusehen, da sie als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhen (§ 12 GrStG). Das infolgedessen maßgebliche deutsche Insolvenzrecht gewährt gemäß § 49 InsO ein Recht auf abgesonderte Befriedigung.

8a) Maßgeblich für die Einstufung als dingliches Recht ist zunächst das deutsche Recht als Recht des Belegenheitsorts (vgl. Senior Home, C-195/15, EU:C:2016:804 Rn. 20). Danach sind öffentliche Lasten als dingliche Verwertungsrechte anzusehen, weil der Eigentümer gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AO die Zwangsvollstreckung in das Grundstück dulden muss; funktionell entsprechen öffentliche Lasten einem Grundpfandrecht. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vorlagebeschluss des Senats vom in dieser Sache Bezug genommen (WM 2015, 1768 Rn. 6 ff.).

9b) Wie der Gerichtshof der Europäischen Union auf die Vorlage des Senats entschieden hat, ist Art. 5 Nr. 1 EuInsVO dahingehend auszulegen, dass auch solche dinglich ausgestalteten öffentlichen Lasten unter den Begriff des dinglichen Rechts fallen (vgl. Senior Home, C-195/15, EU:C:2016:804). Weder die steuerrechtliche Natur der Forderungen noch deren Entstehung ipso iure (vgl. hierzu auch Lutz, C-557/13, EU:C:2015:227 Rn. 27 f.) stehen dieser Einordnung entgegen.

10c) Die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO sind auch im Übrigen gegeben. Insbesondere entstand die öffentliche Last jedenfalls überwiegend vor der Eröffnung des „redressement judiciaire“ (vgl. zu dieser Voraussetzung Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht zu dem EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren, 1996, Nr. 96, abgedruckt u.a. in Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren). Denn die Steuer entsteht gemäß § 9 Abs. 2 GrStG zu Beginn des Jahres; selbst wenn die auf die Zeit nach der Verfahrenseröffnung entfallenden Steuern kein dingliches Recht mehr begründen sollten, wären die Forderungen aus der Zeit vom bis zum vor Verfahrenseröffnung entstanden.

113. Ohne Erfolg rügt die Schuldnerin, der Antrag auf Anordnung der Zwangsversteigerung sei dem französischen Insolvenzverwalter nicht bekanntgegeben worden. Ob eine solche Bekanntgabe erforderlich ist, richtet sich nach deutschem Verfahrensrecht als der lex fori. Hiernach ist die Bekanntgabe des Antrags der Finanzbehörde an den Schuldner bzw. an den Insolvenzverwalter kein Vollstreckungserfordernis und daher ohne Bedeutung für eine wirksame Anordnung der Zwangsversteigerung (vgl. Stöber, ZVG, 21. Aufl., § 15 Rn. 34.4 a.E.; BFHE 158, 310, hierzu BVerfG, KKZ 1991, 90).

124. Ob im Übrigen die Voraussetzungen für den Beginn der Zwangsvollstreckung vorliegen, hat das Vollstreckungsgericht bei der Beitreibung von Steuerschulden (anders als bei der Vollstreckung von Urteilen) nicht zu prüfen. Dies ist vielmehr Aufgabe der Finanzbehörde (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 4/51, BGHZ 3, 140, 144 f.). Zuständige Behörde ist nach dem niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz (NVwVG) die Gemeinde (§ 6 Abs. 1 NVwVG). Bestätigt diese - wie hier - in ihrem Antrag, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen, sind die Gerichte daran gebunden (§ 58 Abs. 3 Satz 2 und 3 NVwVG). Insbesondere darf das Vollstreckungsgericht nicht prüfen, ob ein Duldungsbescheid gegen den ausländischen Insolvenzverwalter erforderlich und ob dieser ergangen ist (dazu MüKo-InsO/Ganter, 3. Aufl., § 49 Rn. 53). Die Schuldnerin (bzw. der Insolvenzverwalter) kann insoweit Rechtsbehelfe vor den Finanzgerichten ergreifen (vgl. BFHE 152, 53; 158, 310).

135. Schließlich ist es unerheblich, dass die Anordnung nach Eröffnung des „redressement judiciaire“ der Schuldnerin und nicht dem Insolvenzverwalter zugestellt worden ist. Selbst wenn die Zustellung an den Insolvenzverwalter erforderlich sein sollte, stellt dies jedenfalls keinen Grund für eine Aufhebung der Anordnung dar.

IV.

14Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Diese Vorschrift ist hier anwendbar, weil sich die Parteien bei dem Streit um die Anordnung der Zwangsversteigerung wie in einem kontradiktorischen Verfahren gegenüberstehen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378 Rn. 8).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:081216BVZB41.14.0

Fundstelle(n):
DB 2017 S. 7 Nr. 9
NJW-RR 2017 S. 299 Nr. 5
RIW 2017 S. 233 Nr. 4
WM 2017 S. 437 Nr. 9
ZIP 2017 S. 17 Nr. 9
ZIP 2017 S. 535 Nr. 11
XAAAG-39519