Unterlassene Gesamtstrafenbildung: Absehen von der Einbeziehung nicht erledigter Geldstrafen; Anforderungen an die Urteilsbegründung bei selbstständiger Verhängung einer Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe
Gesetze: § 53 Abs 2 S 2 StGB, § 55 Abs 1 StGB
Instanzenzug: LG Tübingen Az: 2 KLs 22 Js 6995/13
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und mit besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Von der Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe unter Einbeziehung der Geldstrafen aus einem Urteil und einem Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt hat es gemäß § 55 Abs. 1 StGB i.V.m. § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB abgesehen. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat lediglich in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die erhobenen Verfahrensbeanstandungen dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
32. Zum Schuldspruch, zum Ausspruch über die für die verfahrensgegenständliche Tat verhängte Einzelfreiheitsstrafe und zur Anordnung der Sicherungsverwahrung hat die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4Soweit das Landgericht hinsichtlich der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom von der Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe abgesehen hat, ist das Urteil ebenfalls rechtsfehlerfrei. Denn die Voraussetzungen für die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe sind für diese Strafe nicht gegeben. Ihr liegt eine am begangene Betäubungsmittelstraftat zugrunde, die mit der Freiheitsstrafe für die am verübte verfahrensgegenständliche Tat nicht gesamtstrafenfähig ist, weil ein Berufungsurteil des Zäsurwirkung entfaltet. Die Zäsurwirkung einer auf Geldstrafe lautenden unerledigten Vorverurteilung entfällt nicht, wenn in der neuen oder einer früheren Gesamtstrafenentscheidung gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von der Einbeziehung abgesehen wurde (st. Rspr.; vgl. nur , BGHSt 44, 179, 184; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 55 Rn. 9a).
53. Soweit das Landgericht die Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 55 Abs. 1 StGB mit den Einzelgeldstrafen, die der Gesamtgeldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom zugrunde lagen, nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB abgelehnt hat, hält das Urteil rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Sache ist daher zu neuer rechtsfehlerfreier Ermessensausübung an das Landgericht zurückzuverweisen.
6a) Ob beim Zusammentreffen einer Einzelfreiheitsstrafe mit Einzelgeldstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird oder eine Geldstrafe oder Gesamtgeldstrafe selbstständig neben der Freiheitsstrafe ausgesprochen wird, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (vgl. , BGHR StGB § 53 Abs. 2 Einbeziehung 1; Beschluss vom - 5 StR 504/07, NStZ 2009, 27). Dabei hat das Gericht unter Berücksichtigung der allgemeinen Strafzumessungserwägungen zu prüfen, ob eher eine längere Gesamtfreiheitsstrafe oder eine kürzere Freiheitsstrafe neben einer Geldstrafe den Strafzwecken entspricht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 486/14, NStZ 2015, 334 und vom - 1 StR 142/02, NStZ-RR 2002, 264; SSW-Eschelbach, StGB, 3. Aufl., § 53 Rn. 14). Aus Wortlaut und Systematik des § 53 Abs. 2 StGB ergibt sich, dass die selbstständige Verhängung einer Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe die Ausnahme bildet (vgl. SSW-Eschelbach aaO Rn. 13); sie bedarf daher - anders als der Regelfall der Gesamtstrafenbildung (vgl. , wistra 2011, 19) - regelmäßig besonderer Begründung (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 53 Rn. 5 mwN).
7b) Die Erwägungen des Landgerichts im Rahmen der Ermessensausübung zu §§ 55, 53 Abs. 2 Satz 2 StGB halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8Das Landgericht geht bereits von einem falschen rechtlichen Ausgangspunkt aus, indem es die im Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom verhängte Geldstrafe für einbeziehungsfähig hält, obwohl insoweit im Hinblick auf eine Zäsur die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 StGB für eine Gesamtstrafenbildung nicht gegeben sind. Im Hinblick auf alle rechtskräftigen Geldstrafen aus früheren Verurteilungen hält es zudem für angemessen, deshalb eine (Gesamt-)Geldstrafe neben der Freiheitsstrafe von acht Jahren gesondert zu belassen, weil in den mit Geldstrafe geahndeten Verfehlungen, die jeweils während der Strafhaft begangen wurden, die fehlende Bereitschaft des Angeklagten zum Ausdruck komme, sich an Regeln zu halten oder die Ehre anderer Personen zu respektieren (UA S. 45 f.). Hierbei übersieht das Landgericht, dass auch die verfahrensgegenständliche Tat während der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) und damit ebenfalls während einer Verwahrung des Angeklagten in einer Anstalt aufgrund strafgerichtlicher Anordnung begangen worden ist. Das Ziel, den Angeklagten - gegen den es neben der Verhängung einer Freiheitsstrafe von acht Jahren auch noch die Sicherungsverwahrung angeordnet hat - auch am Vermögen zu strafen, verfolgt das Landgericht im Rahmen seiner Ermessensausübung ersichtlich nicht. Vielmehr führt es an, dass für die nicht einbezogenen Geldstrafen die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen (§ 43 StGB) geplant sei (UA S. 22). Im Ergebnis geht das Landgericht, indem es die Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe (§ 55 StGB) ablehnt, davon aus, dass sich durch die Nichteinbeziehung der Geldstrafen in eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB die Gesamtverbüßungsdauer gegenüber einer nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe erhöht, weil die Geldstrafen nicht eingebracht werden können. Eine nachvollziehbare, unter Berücksichtigung der allgemeinen Strafzumessungserwägungen an den Strafzwecken ausgerichtete Begründung der Ermessensentscheidung, unter Anwendung von § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von der Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe abzusehen, liegt darin nicht. Der Senat kann angesichts der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls nicht ausschließen, dass der Angeklagte hierdurch ausnahmsweise beschwert ist (vgl. auch , wistra 2015, 187). Die Sache ist daher zu neuer Ermessensausübung, ob gemäß §§ 55, 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung unter Einbeziehung der bereits rechtskräftigen Einzelgeldstrafen abgesehen wird, an das Landgericht zurückzuverweisen.
9c) Das Verschlechterungsverbot steht dem hier nicht entgegen.
10aa) Allerdings kann im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO die Entscheidung des Tatrichters, gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB eine Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe gesondert zu belassen, grundsätzlich nicht mehr korrigiert werden, wenn - wie hier - nur der Angeklagte Rechtsmittel eingelegt hat. Denn die Freiheitsstrafe ist im Verhältnis zur Geldstrafe als das schwerere Übel anzusehen. Durch die mit einer Erhöhung der Freiheitsstrafe verbundene Einbeziehung einer Geldstrafe erleidet ein Angeklagter regelmäßig gegenüber dem Rechtszustand im Zeitpunkt des ersten Urteils eine Verschlechterung (, BGHSt 35, 208, 212; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 700/94; vom - 3 StR 310/89, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Geldstrafe 3 und vom - 2 StR 420/76 bei Holtz MDR 1977, 109; NStZ 2003, 207).
11bb) Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles, in denen bereits zum Urteilszeitpunkt die Vollstreckung der nicht einbezogenen Geldstrafen als Ersatzfreiheitsstrafen (§ 43 StGB) geplant ist (zu den Möglichkeiten, im Rahmen der Strafvollstreckung von der Vollstreckung einer Geldstrafe oder Ersatzfreiheitsstrafe abzusehen, vgl. §§ 459d, 459f StPO), verstieße indes die nachträgliche Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe unter Einbeziehung der Einzelgeldstrafen gemäß § 55 Abs. 1 StGB ausnahmsweise nicht gegen das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO. Der Senat ist daher nicht gehindert, das Urteil aufzuheben, soweit das Landgericht gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von der Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe abgesehen hat, und die Sache zu neuer rechtsfehlerfreier Ausübung des Ermessens an das Landgericht zurückzuverweisen.
12cc) Die Feststellungen haben Bestand; sie sind von dem hier allein vorliegenden Rechtsfehler bei der Ermessensausübung nicht betroffen. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:071216B1STR358.16.0
Fundstelle(n):
WAAAG-39285