BFH Beschluss v. - VII B 254/99

Gründe

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hat den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) als alleinigen Geschäftsführer für nicht abgeführte Lohnsteuerbeträge, Säumniszuschläge und Verspätungszuschläge einer GmbH in Haftung genommen. Einspruch und Klage gegen den Haftungsbescheid blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG), das im Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung und im Urteil als Antrag des Klägers aufgenommen hat: ”... den Haftungsbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben”, wies die Klage mit der Begründung ab, der Kläger habe schuldhaft seine Geschäftsführerpflichten verletzt, indem er die Löhne für Juni und Juli 1991 in voller Höhe ausbezahlt, die Lohnsteuer für diese Monate jedoch nicht an das FA abgeführt habe.

Der vom Klägervertreter gestellte Antrag auf Berichtigung der Sitzungsniederschrift dahingehend, ”dass der Sachantrag des Klägers (und des Beklagten) weder in vollständiger Form verlesen wurde, noch dass auf vorbereitete Anträge in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen wurde”, wurde vom abgewiesen.

Gegen das die Klage abweisende Urteil des FG richtet sich die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision, die der Kläger im Wesentlichen auf Verfahrensverstöße stützt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Gleichzeitig hat der Kläger einen Antrag auf Berichtigung des Urteilstatbestandes mit dem Begehren gestellt, dass die Anträge der Parteien ersatzlos gestrichen werden und auf Seite 10 des Urteils folgender Satz ergänzt werde: ”Das damals zuständige Finanzamt…erließ unter dem (gemeint 1991) einen Bescheid gemäß § 47 KStG zum , der ein EK 56 von 33 613 DM auswies.” Das FG wies auch diesen Antrag mit Beschluss ab. Hinsichtlich der von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträge verwies es auf den Beschluss zur Berichtigung des Sitzungsprotokolls und die Ergänzung der Feststellung nach § 47 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) hielt es für nicht zulässig, weil der Kläger damit nicht eine Änderung des Urteilstatbestandes i.S. des § 108 FGO, sondern eine Änderung der Entscheidungsgründe begehrt habe. Unabhängig davon ergebe sich die vom Kläger zusätzlich begehrte Feststellung aus den dem Gericht vorliegenden Steuerakten.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Soweit der Kläger rügt, das Urteil des FG verstoße gegen die Bindung an die Parteianträge, kann dahinstehen, ob das Vorbringen, der Einzelrichter habe in der mündlichen Verhandlung Anträge erwähnt, die der Kläger nach seinem Klageschriftsatz eventuell sinngemäß gestellt habe, die jedoch von ihm nicht in der protokollierten Form formuliert worden seien, den nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO zu stellenden Anforderungen an eine formgerechte Rüge entspricht (vgl. , BFHE 148, 494, BStBl II 1987, 344). Der beanstandete Verfahrensmangel liegt jedenfalls nicht vor.

Der Kläger macht mit seinem Vortrag einen Verstoß gegen den Grundsatz der Bindung des Gerichts an das Klagebegehren geltend, der für das finanzgerichtliche Verfahren in § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO zum Ausdruck kommt. Dieser Grundsatz berührt die Grundordnung des Verfahrens. Spricht das FG mehr oder anderes zu, als der Kläger beantragt, oder entscheidet es über etwas anderes, als der Kläger durch seinen Antrag begehrt, so liegt in dieser Verletzung des Grundsatzes der Bindung an das Klagebegehren ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 1995, 697, m.w.N.).

Gegen dieses Gebot hat das FG in seinem Urteil auch unter Berücksichtigung seiner Verpflichtung, entsprechend der Auslegungsregel des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches, das wahre Prozessziel zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks eines klägerischen Antrags zu haften (vgl. , BFH/NV 1988, 158, m.w.N.), nicht verstoßen. Das FG hat bereits mit seinen Schreiben zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vom und vom eine ausführliche Darstellung seiner Sicht der Rechtslage gegeben und den Kläger aufgefordert, sachdienliche Ausführungen zur Liquidität, d.h. zu den Zahlungen der GmbH in dem Zeitraum vom 10. Juli bis unter Vorlage entsprechender Unterlagen zu machen, sowie die Erfolgsaussichten der Klage unter diesem Gesichtspunkt zu überprüfen (vgl. §§ 65 Abs. 2, 76 Abs. 2 FGO), ohne dass der —mittlerweile sachkundig vertretene— Kläger in seinem Erwiderungsschriftsatz das in der Klageschrift eindeutig erklärte Begehren, den Haftungsbescheid in vollem Umfang aufzuheben, eingeschränkt hätte.

Das FG hat zu den Anträgen der Beteiligten in dem die vom Klägervertreter beantragte Protokollberichtigung ablehnenden Beschluss ausgeführt, der Antrag des Klägers, der sinngemäß seinem bisherigen Vorbringen entnommen worden sei, sei verlesen worden. Auf Befragen, ob die Anträge zutreffend seien, sei keine negative Äußerung erfolgt. Es ergibt sich auch sonst kein Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger sein Begehren, den Haftungsbescheid in voller Höhe aufzuheben, eingeschränkt oder zurückgenommen hätte. Danach konnte das Gericht bei seiner Entscheidung nur davon ausgehen, dass das in der Klageschrift beschriebene Prozessziel des Klägers, die Aufhebung des gesamten Haftungsbescheides in Gestalt der Einspruchsentscheidung zu erreichen, auch weiterhin verfolgt werde. Dem hat die nicht beanstandete Antragsformulierung durch den Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung entsprochen. Eine Bindung an die Fassung der Anträge schreibt § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht vor. Der Kläger hat im Übrigen auch in der Beschwerdeschrift nicht dargetan, welchen genauen Klageantrag er hätte stellen wollen. Er führt hierzu lediglich aus, nach der vom Einzelrichter geäußerten Rechtsauffassung zur Haftung für den Monat Juli 1991 hätte für den in der mündlichen Verhandlung anwesenden Prozessvertreter des Klägers durchaus Anlass bestanden, den Klageantrag auf die Haftung für den Monat Juli 1999 (gemeint ist Juli 1991) eventuell mit anderen Maßgaben zu beschränken. Da im Übrigen gegen die Ablehnung der Protokollberichtigung kein Rechtsmittel gegeben ist (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 94 FGO Tz. 12, m.w.N.), kann die angeblich fehlerhafte Protokollierung des Klageantrags auch im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht mit Erfolg gerügt werden.

Die Nichtzulassungsbeschwerde wird weiter auf den Verfahrensmangel eines Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten gestützt. Das Gericht habe nicht berücksichtigt, dass für die Gesellschaft, für deren Schulden gehaftet werden soll, zum 31. Dezember 1989 ein mit Bescheid vom festgestelltes EK 56 in Höhe von 33 613 DM bei der Organmutter vorhanden gewesen sei. Die damit erhobene Rüge, das Gericht habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt, weil es eine nach Aktenlage klar feststehende Tatsache nicht verwertet habe bzw. vom Nichtvorliegen dieser Tatsache ausgegangen sei (vgl. dazu , BFH/NV 1997, 36), geht schon deshalb fehl, weil es nach dem hierfür maßgeblichen materiell-rechtlichen Standpunkt des Gerichts (dazu siehe Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 24) darauf, ob steuerlich verwertbare Verlustrückträge aus der Organschaft bestanden haben, nicht ankam. Das FG führt dazu aus, ein Ermessensfehler sei insbesondere nicht darin zu sehen, dass die GmbH, für deren Verpflichtungen der Kläger als Haftender in Anspruch genommen worden sei, ihrerseits Organgesellschaft der X-GmbH gewesen sei, weil die rechtliche Selbständigkeit der GmbH und die Verpflichtungen ihres Geschäftsführers dadurch nicht berührt würden. Selbst wenn diese Holding Verluste erlitten haben sollte, die zu Verlustrückträgen führen würden, bestünde keine Verpflichtung für den Beklagten, vorrangig den Organträger in Haftung zu nehmen. Damit ist es auch ohne Bedeutung, ob das FG im Urteil zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass ein Bescheid nach § 47 KStG mit dem Ausweis eines positiven EK 56 zum Zeitpunkt der Abgabe der Lohnsteueranmeldungen für Juni und Juli 1991 noch nicht vorgelegen habe.

Schließlich rügt der Kläger die Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO), weil das Gericht —ohne dies in der mündlichen Verhandlung zu erörtern— im Urteil eine ihn überraschende Auslegung des § 79b Abs. 3 FGO dahin vorgenommen habe, dass die Benennung von Beweismitteln nach Ablauf der nach § 79b Abs. 3 FGO gesetzten Frist möglicherweise verspätet sei. Diese Rüge ist nicht schlüssig. Sofern in diesem Vortrag überhaupt ein Verfahrensverstoß gesehen werden könnte, fehlt es an der Darlegung, inwiefern das angefochtene Urteil auf diesem beruhen kann. Der Hinweis des Klägers, er sei davon ausgegangen, dass er wegen der ihn zur Frage der Liquidität der GmbH im Haftungszeitraum treffenden Beweislast die Möglichkeit habe, weiterhin sachlich vorzutragen und zu überlegen, welche Beweismittel er noch hätte in das Verfahren einführen können, ist als Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ebenfalls nicht schlüssig, weil er nicht dargelegt hat, was er an Entscheidungserheblichem noch hätte vortragen wollen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 157, 255, BStBl II 1989, 677).

Im Übrigen ergeht die Entscheidung gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Begründung.

Fundstelle(n):
KAAAA-66014