BFH Beschluss v. - VII B 202/99

Instanzenzug: BVerfG 1 BvR 965/00

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Gründe

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) bewirtschaftet zum Zwecke der Milcherzeugung landwirtschaftliche Flächen, die ihm von Frau S übertragen worden sind, welche ihrerseits den Hof von ihrem Ehemann übernommen hat. Diesem war als ehemaligem SLOM-Erzeuger eine spezifische Referenzmenge vorläufig zugeteilt worden, welche beliefert worden ist und 1991 endgültig für S festgesetzt wurde. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt —HZA—) hat die Festsetzung jedoch durch Bescheid vom rückwirkend aufgehoben, weil weder S noch ihr Ehemann Milcherzeuger gewesen seien. Gegen diesen Bescheid hat S Einspruch, jedoch keine Klage erhoben.

Das für den Kläger zuständige HZA hat im März 1996 dessen Referenzmenge neu berechnet und dabei die gegenüber S zurückgenommene Referenzmenge abgezogen. Der Kläger hat dagegen Einspruch erhoben, über den noch nicht entschieden ist. Der Kläger hat außerdem wegen der Rücknahme der Referenzmenge gegenüber S bei dem beklagten HZA Einspruch erhoben. Dieser Einspruch ist als unbegründet zurückgewiesen worden. Hiergegen richtet sich die Klage, die das Finanzgericht (FG) abgewiesen hat. Es urteilte, dem Kläger fehle die Klagebefugnis. Der angefochtene Bescheid richte sich allein an S. Er berühre Rechte des Klägers nicht unmittelbar. Die Verminderung der Referenzmenge des Klägers sei nur die mittelbare Folge des gegen S ergangenen Rücknahmebescheides. Die unzutreffende Zurückweisung des Einspruchs des Klägers als unbegründet —statt als unzulässig— ändere hieran nichts.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des Klägers, mit der ein Verfahrensmangel gerügt wird. Das FG habe die Klage nicht als unzulässig abweisen dürfen. Der Kläger sei vom HZA nach § 13 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) zu dem Verfahren der S hinzugezogen worden, und zwar durch die Übersendung des Aufhebungsbescheides gegen S, jedenfalls durch Anhörung und Gewährung von Akteneinsicht. Es handle sich um eine einfache Beiladung, die rechtmäßig sei und nicht aufgehoben werden könne. Der Kläger sei Verfahrensbeteiligter geworden und berechtigt, Rechtsmittel gegen die Entscheidung des HZA einzulegen. Eine Verletzung seiner eigenen Rechte sei dafür nicht erforderlich. Das FG habe folglich durch Sachurteil darüber entscheiden müssen, ob der angefochtene Rücknahmebescheid den ”Hauptadressaten”, nämlich S, in seinen Rechten verletzt. Der Kläger sei zudem als Adressat der Einspruchsentscheidung aufgeführt und auch deshalb klagebefugt. Allerdings habe er richtigerweise als Beigeladener bezeichnet werden müssen; aufgrund der Aufführung als Adressat sei jedoch davon auszugehen, dass ihn das HZA als Beteiligten am fremden Verfahren gesehen habe.

Überdies, so meint die Beschwerde, sei es mit Treu und Glauben unvereinbar, wenn die Behörde durch ihre Rechtsmittelbelehrung suggeriere, dass Rechtskraft des Rücknahmebescheides nicht eintrete, wenn S oder der Kläger das Verfahren fortsetze, dann jedoch das FG den Rechtsweg verneine. Zumindest habe das FG prüfen müssen, ob durch seine Entscheidung nicht eine Bindungswirkung auch gegen den Kläger eintrete und dieser dadurch in seinen eigenen Rechten verletzt sei. Da das FG die Erteilung eines Bescheides an den Kläger für fehlerhaft halte, habe es den angefochtenen Bescheid mit der sich daraus ergebenden Bindungswirkung aufheben müssen.

Das HZA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Der angefochtene Bescheid sei dem Kläger nur im Hinblick auf die bevorstehende Neufestsetzung seiner Referenzmenge zur Kenntnisnahme übersandt worden. Es beruhe auf einem Irrtum des HZA, dass dem Kläger im Einspruchsverfahren Gelegenheit zur Akteneinsicht und zur mündlichen Erörterung der Angelegenheit gegeben und dass über seinen Einspruch zur Sache entschieden worden sei. Dass der Kläger zu dem Verfahren der S habe beigezogen werden sollen, habe dieser selbst weder im Einspruchs- noch im Klageverfahren vorgebracht.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Urteil des FG beruht nicht auf einem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat vielmehr zu Recht entschieden, dass dem Kläger die Klagebefugnis (§ 40 Abs. 2 FGO) fehlt.

Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt der Beschwerde, dass ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vorliegt, wenn das FG objektiv fehlerhaft durch Prozess- statt durch Sachurteil entscheidet (vgl. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs —BFH— vom VIII R 7/93, BFH/NV 1994, 891; vom IV B 168/90, BFH/NV 1992, 613, und vom IX R 47/83, BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268). Denn zu den Vorschriften, deren fehlerhafte Handhabung im Revisionsverfahren mit Verfahrensrügen geltend gemacht werden kann, gehören auch diejenigen Vorschriften des Prozessrechts, die die Frage regeln, unter welchen Voraussetzungen das Gericht in einem anhängig gemachten Prozess zur Sache entscheiden muss (vgl. die BFH-Entscheidungen vom II B 183/87, BFHE 153, 509, BStBl II 1988, 897, und in BFH/NV 1994, 891).

Das FG hat jedoch zu Recht entschieden, dass der Kläger nicht klagebefugt ist. Nach § 40 Abs. 2 FGO ist eine Anfechtungsklage, um die es sich hier handelt, nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Durch den angefochtenen Bescheid ist die zu Gunsten von S festgesetzte Referenzmenge zurückgenommen worden. Dementsprechend ist der Rücknahmebescheid von dem HZA an S gerichtet worden. In die Rechte des Klägers hat der angefochtene Bescheid nicht eingegriffen; er hat eine zu Gunsten des Klägers festgesetzte Referenzmenge nicht zurückgenommen. Dass er auch dem Kläger übersandt worden ist, ändert daran nichts, zumal den Feststellungen des FG nicht zu entnehmen ist, dass der Bescheid den Kläger als Adressaten seiner Regelung benennt. Der angefochtene Bescheid betrifft den Kläger also nur insofern, als der Kläger die zu Gunsten von S festgesetzte (später zurückgenommene) Referenzmenge auf sich hat übertragen lassen. Die den Kläger berührenden Wirkungen des angefochtenen Bescheides rühren nicht von einer diesem (unmittelbar) dem Kläger gegenüber beizumessenden Bindungswirkung her, sondern von der rechtsgestaltenden Wirkung, die dieser Bescheid gegenüber S entfaltet, von deren Rechtsstellung der Kläger sein Recht zur abgabenfreien Produktion von Milch herleiten will. Dass der Kläger aufgrund aus dem Produktionsrecht der S abgeleiteten Rechts Milch abgabenfrei produzieren will, verschafft ihm indes gegenüber dem HZA kein eigenes Recht dahin, dass er die Rechtsstellung des Dritten, von dem er seine Rechte herleitet (hier: der S), verteidigen und gegenüber dem HZA die Rechtswidrigkeit eines Bescheides geltend machen könnte, durch den diese Rechtsstellung beseitigt worden ist (vgl. auch Beschluss des Senats vom VII B 133/99, zur Veröffentlichung in BFH/NV bestimmt, betreffend die Beiladung eines Milcherzeugers, auf den die Referenzmenge eines Dritten aufgrund eines Pachtverhältnisses übergegangen ist).

Anders als die Beschwerde meint, ist der Kläger auch nicht deshalb i.S. des § 40 Abs. 2 FGO klagebefugt, weil er zu dem Verwaltungsverfahren der S wegen der Rücknahme der zu ihren Gunsten festgesetzten Referenzmenge hinzugezogen oder ”beigeladen” worden wäre. Die Rechtsstellung desjenigen, der zu einem Einspruchsverfahren nach der Abgabenordnung (AO 1977) hinzugezogen worden ist —nur darum kann es sich hier handeln, da das VwVfG wegen § 12 Abs. 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisation im Streitfall insoweit nicht anwendbar ist—, ergibt sich aus § 360 Abs. 4 AO 1977. Wer zu dem Verfahren hinzugezogen worden ist, kann danach dieselben Rechte geltend machen wie derjenige, der den Einspruch eingelegt hat. Eine solche gleiche Rechtsstellung wie dem Rechtsbehelfsführer kommt dem Hinzugezogenen freilich nur innerhalb des Verfahrens zu, d.h. innerhalb des Einspruchsverfahrens, zu dem er hinzugezogen worden ist (vgl. z.B. Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 6. Aufl. 1998, § 360 Anm. 5 a). Gegen die Rechtsbehelfsentscheidung (Einspruchsentscheidung) kann auch ein Hinzugezogener nur dann Klage erheben, wenn er die dafür in der FGO aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, insbesondere eigene Rechte gemäß § 40 Abs. 2 FGO geltend machen kann (BFH-Entscheidungen vom I R 174/85, BFHE 154, 495, BStBl II 1989, 87, und vom IX B 12/91, BFH/NV 1992, 157; vgl. auch IV C 29.73, BVerwGE 47, 19, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1975, 551; ebenso Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 360 AO 1977 Rdnr. 63; Szymczak in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl. 1996, § 360 Rdnr. 19; zustimmend offenbar auch Kühn/Hofmann, Abgabenordnung, 17. Aufl. 1995, § 360 Anm. 4; zu § 13 Abs. 2 VwVfG gleicher Ansicht Riedl in Obermayer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl. 1999, § 13 Rdnr. 66, sowie offenbar auch Clausen in Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), Kommentar, 6. Aufl. 1998, § 13 Rdnr. 4.3; anderer Ansicht nur Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnr. 2215, sowie, jedoch ohne Auseinandersetzung mit § 40 Abs. 2 FGO, Dumke in Schwarz, Abgabenordnung, § 360 Rdnr. 27). Eigene Rechte des Klägers werden jedoch, wie ausgeführt, durch den gegen S gerichteten Rücknahmebescheid und folglich auch durch die Einspruchsentscheidung des HZA gegenüber S nicht betroffen.

Im Übrigen hat das HZA zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass der Kläger irrt, wenn er meint, zu dem Einspruchsverfahren der S hinzugezogen worden zu sein. Die Übersendung eines an einen anderen gerichteten Verwaltungsakts an einen Dritten, dessen Interessen (nicht dessen Rechte) dieser Verwaltungsakt berührt, ist kein Akt der Hinzuziehung des Dritten zu einem künftigen Einspruchsverfahren des Adressaten i.S. des § 360 Abs. 1 Satz 1 AO 1977. Auch in einer Anhörung des Dritten im Einspruchsverfahren oder in der Gewährung von Akteneinsicht liegt in der Regel keine solche Hinzuziehung. Sie liegt darin zumal dann nicht, wenn der Dritte —wie hier— selbst Einspruch eingelegt (und nicht lediglich die Hinzuziehung zum Einspruchsverfahren eines anderen beantragt) hat. Anhörung und Gewährung von Akteneinsicht setzen voraus, dass der Dritte bereits anderweit hinzugezogen ist oder aufgrund seiner eigenen Beschwer einen zulässigen Einspruch gegen den betreffenden Verwaltungsakt eingelegt hat. Davon ist das HZA hier offensichtlich ausgegangen; denn sonst hätte es den Kläger in der Einspruchsentscheidung nicht als Einspruchsführer, sondern als Hinzugezogenen bezeichnet.

Auch die vom HZA an den Kläger gerichtete Einspruchsentscheidung hat nicht zur Folge, dass der Kläger in seinen Rechten verletzt ist. Gegenstand der vom Kläger erhobenen Anfechtungsklage ist nach § 44 Abs. 2 FGO der gegen S gerichtete Rücknahmebescheid, an dessen Rechtswirkungen die vom HZA gegen den Kläger erlassene Einspruchsentscheidung nichts ändern will und nichts zu ändern vermag, der also nicht etwa wegen der Zurückweisung des Einspruchs des Klägers als unbegründet dessen Rechte berührt. Auch die Voraussetzungen, unter denen unbeschadet des § 44 Abs. 2 FGO ausnahmsweise eine Einspruchsentscheidung selbständiger Gegenstand einer Anfechtungsklage sein kann (vgl. dazu von Beckerath in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 44 FGO Rdnr. 118 ff., mit zahlreichen Nachweisen), liegen nicht vor. Die im Ergebnis zutreffende Zurückweisung des Einspruchs des Klägers beschwert diesen insbesondere nicht etwa deshalb, weil sein Einspruch vom HZA als unbegründet zurückgewiesen worden ist, statt dass er mangels Beschwer (§ 350 AO 1977) des Klägers als unzulässig verworfen worden ist.

Endlich lässt sich für die Zulässigkeit der vom Kläger erhobenen Klage gegen den an S gerichteten Rücknahmebescheid auch nichts daraus herleiten, dass der Kläger möglicherweise (zu Unrecht) angenommen hat, er sei an dem Rücknahmeverfahren beteiligt und infolgedessen oder aufgrund eigenen Rechts in der Lage, die Rechtswidrigkeit des Rücknahmebescheides vor dem FG geltend zu machen. Ein solcher Irrtum könnte eine mangels rechtlicher Betroffenheit unzulässige Klage selbst dann nicht zulässig machen, wenn das HZA ihn —was hier nicht der Fall ist— hervorgerufen hätte. Dass das Festhalten des HZA an der Bestandskraft seines Rücknahmebescheides gegen Treu und Glauben verstoße, weil das HZA für jenen Rechtsirrtum verantwortlich sei, wie die Beschwerde offenbar meint, könnte zudem allenfalls von S, deren Rechte allein betroffen sind, im Rahmen eines von ihr angestrengten Klageverfahrens geltend gemacht werden.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2000 S. 960 Nr. 8
GAAAA-65989