Gründe
Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) erhob am Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1992 vom . Zur Begründung verwies er auf seinen Einspruch vom , der vom Beklagten (Finanzamt —FA—) unter dem zurückgewiesen worden sei.
Am teilte das FA mit, über den Einspruch des Klägers sei noch nicht abschließend entschieden worden. Das vom Kläger erwähnte Schreiben enthalte die Aufforderung zur Einspruchsbegründung. Tatsächlich enthielt das Schreiben vom Ausführungen dazu, warum dem Einspruch nicht stattgegeben werden könne, sowie die Aufforderung, bis zum mitzuteilen, ob der Einspruch aufrecht erhalten werden solle.
Der Berichterstatter im finanzgerichtlichen Verfahren, Richter am Finanzgericht X, ließ den Schriftsatz an den Kläger übersenden mit der Bitte um Gegenäußerung bis zum . Nachdem am Tag des Fristablaufs keine Gegenäußerung vorlag, erließ der Berichterstatter noch am gleichen Tag einen Gerichtsbescheid gemäß § 79a Abs. 2 und 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO), mit dem die Klage als unzulässig abgewiesen wurde. Es fehle an der Sachurteilsvoraussetzung des § 44 Abs. 1 FGO, weil das Vorverfahren noch nicht abgeschlossen worden sei. Das Schreiben vom habe keine Einspruchsentscheidung enthalten, wie sich aus der Aufforderung zur Stellungnahme unzweifelhaft ergeben habe.
Mit Schriftsatz vom beantragte der Kläger mündliche Verhandlung, begründete seine Klage und lehnte den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Hierzu führte er aus, der Erlass des Gerichtsbescheids mache deutlich, dass der Berichterstatter der Gegenseite besonders verbunden sei. Zwar habe bei Klageerhebung die Einspruchsentscheidung gefehlt. Die Klage sei deshalb aber lediglich eine verfrühte Untätigkeitsklage. In solchen Fällen sei das Verfahren auszusetzen. In der Praxis erfolge keine Aussetzung, weil die Bearbeitung der Klagen nach der Reihenfolge des Eingangs ohnehin dazu führe, dass eine Entscheidung nicht in sechs Monaten anstehe. Bei demselben Senat seien Klagen von ihm, dem Kläger, anhängig, die nicht bearbeitet würden. Die hiesige Klage sei allein deshalb vorgezogen worden, um ihn, den Kläger, zu benachteiligen. Dabei habe der Berichterstatter einen ”Verstoß gegen das Gesetz in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)” in Kauf genommen und gegen einfachste Regeln der Prozessökonomie verstoßen. Das sei nur damit zu erklären, dass er die nötige Unparteilichkeit gegenüber den Verfahrensbeteiligten nicht habe.
Der Berichterstatter gab dazu eine dienstliche Erklärung ab, die aus dem einen Satz besteht, er halte sich nicht für befangen.
Das Befangenheitsgesuch hatte keinen Erfolg. Der Senat des Finanzgerichts (FG) lehnte das Gesuch durch Beschluss vom , an dem Richter am Finanzgericht X nicht mitwirkte, als unbegründet ab. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen:
1. Der Senat sei nicht im Hinblick auf die dienstliche Äußerung an einer Entscheidung gehindert. Der Umfang der dienstlichen Äußerung sei in das Ermessen des abgelehnten Richters gestellt. Seine Äußerung sei nur zu streitigen Tatsachenfragen erforderlich (, BFH/NV 1997, 780).
2. Es seien keine Gründe vorgetragen, die die Besorgnis der Befangenheit begründen würden. Aus Verfahrensverstößen des abgelehnten Richters ergebe sich —selbst wenn sie vorlägen— kein Ablehnungsgrund. Eine Ausnahme davon gelte nur, wenn Gründe dargetan seien, die dafür sprächen, dass die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem Beteiligten oder auf Willkür beruhe. Ein solcher Sachverhalt sei nicht feststellbar.
Die Klageabweisung durch Gerichtsbescheid sei verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden gewesen. Da der Kläger auf den zutreffenden Hinweis des FA, über den Einspruch sei noch nicht entschieden, nicht reagiert habe, habe der Berichterstatter zu Recht davon ausgehen können, dass der nach Ausbildung und Beruf rechtskundige Kläger gleichwohl an dem in der Klageschrift geäußerten Begehren habe festhalten wollen. Dieses Begehren habe sich als Anfechtungsbegehren und nicht als Untätigkeitsklage dargestellt. Selbst wenn der Kläger Untätigkeitsklage hätte erheben wollen, wäre die Klage bei Erlass des Gerichtsbescheids unzulässig gewesen. Ein Unterlassen der Aussetzung des Verfahrens wäre schon im Hinblick auf den dazu herrschenden Meinungsstreit kein gravierender oder auf Willkür deutender Verfahrensverstoß.
Auch der Zeitpunkt der Entscheidung gebe nichts für eine unsachliche Einstellung des abgelehnten Richters her. Es sei die Konzentrationsmaxime beachtet und die Sache bei Eintritt der Entscheidungsreife, die nicht zwingend mit der Reihenfolge des Klageeingangs korrespondiere, zügig bearbeitet worden.
Mit der Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, macht der Kläger geltend, dem abgelehnten Richter sei klar gewesen, dass gegen den Gerichtsbescheid Rechtsbehelfe eingelegt werden würden, der Bescheid prozessökonomisch sinnlos gewesen sei und nur Zustellkosten und Arbeit verursacht habe. Der Erlass des Gerichtsbescheids sei sachlich nicht mehr nachvollziehbar und nur durch Befangenheit zu erklären.
Die Anfechtungsklage sei erhoben worden, bevor das Vorverfahren abgeschlossen und ohne dass die Frist für die Erhebung der Untätigkeitsklage abgelaufen gewesen sei. Es entspreche allgemeiner Ansicht und der Rechtsprechung des BFH, dass eine solche Klage in die Zulässigkeit hineinwachsen könne (BFH-Entscheidungen vom V R 57/74, BFHE 124, 2, BStBl II 1978, 154; vom I R 89/80, BFHE 134, 245, BStBl II 1982, 150; vom III R 213/82, BFHE 143, 509, BStBl II 1985, 521). Ebenso entspreche es der Rechtsprechung des BFH, der darin dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) folge, dass bei verfrühter Klage das Verfahren auszusetzen sei. In der Praxis erfolge keine Aussetzung, sondern die Gerichte ließen die Klagen durch Untätigkeit in die Zulässigkeit hineinwachsen, da die allgemeinen und besonderen Verwaltungsgerichte über zulässige Klagen nicht einmal binnen Jahresfrist entschieden. So seien beim FG zwei Klagen von ihm, dem Kläger, seit über vier Jahren anhängig, ohne dass eine gerichtliche Tätigkeit feststellbar sei. Seit Mitteilung des Aktenzeichens nach Zuständigkeitsänderung am habe er nichts mehr davon gehört.
Beim FG sei es ständige Praxis, dass Verfahren nicht nach Entscheidungsreife entschieden würden. Dies zeige auch das Ablehnungsverfahren, das seit zwei Jahren entscheidungsreif gewesen sei. Hinzu komme, dass er, der Kläger, an einer raschen verfahrensmäßigen Klärung offenkundig kein Interesse gehabt habe. Denn er habe natürlich gewusst, dass die Klage unzulässig gewesen sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Besorgnis der Befangenheit von Richter am Finanzgericht X festzustellen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Es bezieht sich auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Ablehnungsgesuch ist zu Recht zurückgewiesen worden.
Nach § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Misstrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden wird. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflusst ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabs Anlass hat, Voreingenommenheit zu befürchten (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, und vom IV B 104/93, BFH/NV 1995, 629). Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters bilden —selbst wenn sie vorliegen— grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund. Anders verhält es sich nur, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1997, 780, und in BFH/NV 1995, 629, jeweils m.w.N.).
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall führt zu dem Ergebnis, dass bei objektiver Betrachtung vom Standpunkt des Klägers aus kein Anlass zu Misstrauen in die Unvoreingenommenheit des Berichterstatters besteht. Es kann dahinstehen, ob in der Entscheidung über die Klage vor Ergehen einer Einspruchsentscheidung bzw. vor Ablauf der Frist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO ein Verfahrensfehler zu sehen ist. Denn selbst wenn dies zuträfe, lässt der Erlass des Gerichtsbescheids keinen Anhaltspunkt dafür erkennen, dass der Berichterstatter aufgrund einer unsachlichen Einstellung oder gar willkürlich gehandelt haben könnte.
Die Frage, ob eine verfrühte Untätigkeitsklage durch Prozessurteil abgewiesen werden darf oder das Verfahren zwingend auszusetzen ist, ist für den Finanzprozess streitig. Das Fachschrifttum sowie die Rechtsprechung der FG vertreten unterschiedliche Rechtsauffassungen (vgl. etwa Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 46 FGO Rz. 81, m.w.N.). Der BFH hat in seinem Urteil in BFHE 124, 2, BStBl II 1978, 154 zwar eine Sachentscheidung, nicht aber ein Prozessurteil vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist für unzulässig gehalten. Die für den allgemeinen Verwaltungsprozess geltende Rechtslage unterscheidet sich von derjenigen im Finanzprozess im Hinblick auf die unterschiedlichen Fassungen von § 75 der Verwaltungsgerichtsordnung und § 46 FGO.
Bei dieser Sachlage konnte der Berichterstatter im Streitfall ohne weiteres zu dem Ergebnis kommen, dass der Erlass eines Gerichtsbescheids, mit dem die Klage als unzulässig verworfen wird, sachgerecht war. Hinweise auf eine Voreingenommenheit gegenüber dem Kläger ergeben sich insoweit nicht.
Nichts anderes gilt im Hinblick darauf, dass ältere Verfahren bei dem Senat des FG anhängig waren. Daraus folgt nicht, dass vorgezogene Entscheidungen über unzulässige Klagen i.S. des § 46 Abs. 1 FGO generell unvertretbar sind (mit Bedenken insoweit allerdings Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 46 FGO Tz. 9). Bei Vorliegen der Entscheidungsreife erscheint der Erlass der Entscheidung eher nicht unvertretbar. Doch muss der Senat —wie oben aufgezeigt— auch diese Frage nicht abschließend entscheiden.
Fundstelle(n):
FAAAA-65612