BFH Urteil v. - I R 119/97

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhob am beim Finanzgericht (FG) Klage gegen den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) wegen Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer 1992 sowie wegen der Feststellungen des verwendbaren Eigenkapitals (vEK) und des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer auf den . In der Klageschrift beantragte sie, die angefochtenen —auf Schätzungen beruhenden— Bescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Steuerfestsetzungen bzw. Feststellungen entsprechend den eingereichten Steuererklärungen zu ändern. Im Zeitpunkt der Klageerhebung hatte die Klägerin die Steuererklärungen noch nicht abgegeben. Diese reichte sie erst am beim FA ein. Weder die Klägerin noch das FA informierte das FG zunächst über die Abgabe der Erklärungen.

Mit Schreiben vom ließ der Vorsitzende des zuständigen Senats des FG dem FA eine Durchschrift der Klageschrift zustellen und bat das FA, dem FG Ablichtungen der angefochtenen Bescheide und der Einspruchsentscheidungen zu übersenden. Durch Schreiben vom gleichen Tag forderte er gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf, innerhalb von vier Wochen nach Zustellung des Schreibens den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Das Schreiben wurde der Prozessbevollmächtigten am zugestellt. Da die Klägerin auf die Aufforderung nicht reagierte, machte das FG die Klägerin am auf den Fristablauf aufmerksam. Die Klägerin teilte daraufhin dem FG mit: Der Gegenstand ihres Klagebegehrens ergebe sich schon aus dem in der Klageschrift gestellten Antrag. Die Steuererklärungen habe sie bereits am beim FA eingereicht. Mit Schriftsatz vom übersandte das FA dem FG die Rechtsbehelfsakte. Sie enthielt die angefochtenen Bescheide, den Einspruch der Klägerin und die Einspruchsentscheidung, nicht jedoch die Steuererklärungen.

Das FG wies die Klage mit Urteil vom als unzulässig ab. Es vertrat die Auffassung: Die Klägerin habe den Gegenstand des Klagebegehrens nicht innerhalb der ihr gesetzten Ausschlussfrist ausreichend bezeichnet. Die Bezugnahme auf Steuererklärungen reiche zur Bezeichnung des Klagebegehrens nur dann aus, wenn die Erklärungen dem Gericht vorlägen.

Die Steuererklärungen legte das FA dem FG erst am zur Streitwertfestsetzung vor.

Mit der vom erkennenden Senat durch Beschluss vom I B 115/96 (BFH/NV 1998, 66) zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 65 FGO.

Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die angefochtenen Bescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung entsprechend den Angaben in den Steuererklärungen zu ändern.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Das FG-Urteil ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Die Entscheidung des FG verletzt § 65 FGO.

1. Gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muss die Klage u.a. den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Fehlt diese Bezeichnung, kann der Vorsitzende des zuständigen Senats des FG oder ein von ihm bestimmter Richter dem Kläger für die Ergänzung der Klage eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen (§ 65 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 FGO). Versäumt der Kläger die Ausschlussfrist, ist die Klage —wenn keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (§ 56 FGO)— unzulässig (s. Senatsurteil vom I R 23/97, BFHE 186, 309, BStBl II 1998, 628).

2. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass die Klägerin den Gegenstand ihres Klagebegehrens im Zeitpunkt der Erhebung der Klage noch nicht ausreichend bezeichnet hatte.

Der in der Klageschrift enthaltene Antrag, die angefochtenen Bescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben, entsprach —wie der zugleich gestellte Antrag auf Änderung der Bescheide entsprechend den Steuererklärungen zeigt—, nicht dem tatsächlichen Klagebegehren. Er ließ daher den Gegenstand des Klagebegehrens nicht erkennen (s. Senatsurteil in BFHE 186, 309, BStBl II 1998, 628). Auch der Antrag, die Bescheide entsprechend den Angaben in den eingereichten Steuererklärungen zu ändern, reichte zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht aus. Die Klägerin hatte die Steuererklärungen —entgegen der Angabe in der Klageschrift— zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgegeben. Das FG konnte daher —auch wenn ihm zeitgleich mit der Klageerhebung die den Streitfall betreffenden Steuerakten übersandt worden wären— noch nicht erkennen, inwieweit die Klägerin die Bescheide für rechtswidrig hielt und ihre Änderung begehrte.

3. Der erkennende Senat teilt jedoch nicht die Auffassung des FG, die Klägerin habe dem FG gegenüber den Gegenstand des Klagebegehrens auch nicht später und vor Ablauf der gesetzten Ausschlussfrist bezeichnet.

a) Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann bei Klagen, die Schätzungsbescheide betreffen, der Gegenstand des Klagebegehrens (früher: Streitgegenstand) grundsätzlich durch Hinweis auf nach Erlass der angefochtenen Bescheide eingereichte Steuererklärungen bezeichnet werden (s. , BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895; vom III R 93/95, BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483; vom I R 82/96; 27-28/97, BFH/NV 1998, 175; vom XI R 31-32/97, BFH/NV 1998, 1245; vom X R 20/98, BFH/NV 1999, 1603). Allerdings muss dies gegenüber dem FG geschehen. Eine Konkretisierung des Klagebegehrens gegenüber dem Beklagten allein reicht nicht aus (s. BFH-Entscheidungen in BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895; vom V B 63/94, BFH/NV 1995, 896; in BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483; in BFH/NV 1998, 1245; vom V B 168/98, BFH/NV 1999, 1501).

b) Dazu hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass die Klägerin bereits vor der Fristsetzung gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO die Steuererklärungen beim FA eingereicht und dem FG gegenüber —in der Klageschrift— hinreichend deutlich zu erkennen gegeben hatte, sie begehre die Änderung der angefochtenen Bescheide entsprechend ihren Angaben in den Steuererklärungen. Dies reichte zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens dem FG gegenüber aus (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1998, 175). Die Klägerin musste dem FG zur Fristwahrung weder Kopien der beim FA eingereichten Steuererklärungen vorlegen noch das FG vor Ablauf der Ausschlussfrist von der Abgabe der Steuererklärungen informieren.

Gemäß § 71 Abs. 2 FGO war das FA verpflichtet, nach Empfang der Klageschrift die den Streitfall betreffenden Akten dem Gericht zu übersenden. Zum Inhalt der dem Gericht vorzulegenden Akten gehörten auch die beim FA eingereichten Steuererklärungen. Diese waren bereits am und damit zu einem Zeitpunkt, in dem die Klageschrift dem FA noch nicht zugestellt worden war, beim FA eingereicht worden und betrafen, wie das FA unschwer der Klageschrift entnehmen konnte, den Streitfall. Die Klägerin durfte aufgrund der zeitlichen Abfolge von Klageerhebung (), Einreichung der Steuererklärungen beim FA () und Eingangsbestätigung des FG () davon ausgehen, dass das FA die Steuererklärungen als Bestandteil der dem Gericht vorzulegenden Akten noch vor Ablauf der Ausschlussfrist dem FG übersenden würde und das FG dadurch in die Lage versetzt werden würde, den Gegenstand des Klagebegehrens zu ermitteln. Sie musste weder mit einer vom FA verzögerten Aktenübersendung rechnen noch gar damit, dass das FG —abweichend von § 71 Abs. 2 FGO— das FA ausdrücklich nur zur Vorlage von Ablichtungen der angefochtenen Bescheide und der Einspruchsentscheidung auffordern würde. Eine Fristsetzung gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO entbindet das FG nicht von der Pflicht, auf die alsbaldige Übersendung der gesamten den Streitfall betreffenden Akten hinzuwirken und deren Inhalt bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Das FG kann nach dieser Vorschrift auch nicht verlangen, dass ihm eine ohne Hinzuziehung der Steuerakten aus sich heraus verständliche Darstellung des Gegenstands des Klagebegehrens vorgelegt wird (s. BFH-Urteil in BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483).

4. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen. Aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG lässt sich nicht entscheiden, ob dem Klagebegehren zu entsprechen ist.

Da die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet haben und auch der erkennende Senat eine mündliche Verhandlung nicht für geboten erachtet, hat er ohne sie durch Urteil entschieden (§ 90 Abs. 2 FGO).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2000 S. 972 Nr. 8
FAAAA-65356