BFH Urteil v. - I R 107/99

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist belgischer Staatsangehöriger. Er wohnte im Streitjahr 1994 in Belgien, war aber in nichtselbständiger Funktion im Inland tätig. Sein Bruttoarbeitslohn belief sich auf 45 230 DM. Daneben erzielte er ausweislich eines Bescheides der belgischen Steuerbehörde in Belgien ein Einkommen von 449 101 Bfr = 22 459 DM. Auf Antrag war ihm vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) eine Bescheinigung für den Steuerabzug als beschränkt Steuerpflichtigen gemäß § 39d des Einkommensteuergesetzes 1990 (EStG 1990) ausgestellt worden.

Der Kläger beantragte am unter Beifügung seiner Steuererklärung für das Streitjahr die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung. Das FA lehnte dies ab, weil der diesbezügliche Antrag zu spät, nämlich mehr als zwei Jahre nach Ablauf des Streitjahres gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG 1990 gestellt worden sei (vgl. Tz. 2.2 des , BStBl I 1996, 1506).

Dagegen wandte der Kläger sich unter Berufung auf § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 EStG 1990 i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996) vom (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) —EStG 1996— i.V.m. § 52 Abs. 31 EStG 1997. Außerdem beantragte er, die nach § 39d Abs. 1 EStG 1990 erteilte Bescheinigung unter Zugrundelegung von § 39d Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG 1990 i.d.F. des Grenzpendlergesetzes (GrenzPG) vom (BGBl I 1994, 1395, BStBl I 1994, 440) —EStG 1994— zu berechnen und ihn gemäß § 50 Abs. 4 und Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 Buchst. b i.V.m. § 52 Abs. 30 a EStG 1994 zu veranlagen, was das FA ihm ebenfalls verwehrte.

Die gegen beide Ablehnungsbescheide erhobenen Klagen, mit denen der Kläger —nach Verbindung gemäß § 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO)— in erster Linie die Veranlagung gemäß § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 EStG 1996 i.V.m. § 52 Abs. 31 EStG 1997 und hilfsweise die Anwendung von § 39d Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 50 Abs. 4 und Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 Buchst. b i.V.m. § 52 Abs. 30 a EStG 1994 begehrte, hatten keinen Erfolg; das Finanzgericht (FG) wies sie mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 1999, 1019 wiedergegebenen Gründen ab.

Seine Revision begründet der Kläger mit Verletzung materiellen Rechts.

Er beantragt, das FG-Urteil und den Bescheid des FA vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Einkommensteuer 1994 zu veranlagen, hilfsweise, das FG-Urteil und den Bescheid des FA vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und das FA zu verpflichten, die nach § 39d Abs. 1 EStG 1994 für das Streitjahr erteilte Bescheinigung unter Zugrundelegung des § 39d Abs. 2 Nr. 2 EStG 1994 zu berechnen und die Einkommensteuer nach § 50 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 Buchst. b EStG 1994 zu veranlagen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klagestattgabe.

Rechtsgrundlage für die Veranlagung ist im Streitfall § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 EStG 1996. Nach Satz 1 dieser Vorschrift gilt die Einkommensteuer u.a. für Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterliegen, abweichend von § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG 1996 ausnahmsweise nicht durch den Steuerabzug (§ 41a i.V.m. § 39d EStG 1990/1996) als abgegolten, wenn ein beschränkt steuerpflichtiger Arbeitnehmer, der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S. von § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1990/1996 bezieht und Staatsangehöriger u.a. eines Mitgliedstaats der EU ist und im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, eine Veranlagung zur Einkommensteuer beantragt. Für die erstmalige Anwendung dieser Regelung gilt gemäß § 52 Abs. 31 Satz 1 EStG 1997 dessen Abs. 2 entsprechend. § 52 Abs. 2 EStG 1996/1997 wiederum bestimmt in seinem Halbsatz 1, dass § 1a Abs. 1 EStG 1996 nicht, wie in § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG 1996/1997 vorgesehen, erstmals für den Veranlagungszeitraum 1996, sondern auf Antrag bereits rückwirkend auch für Veranlagungszeiträume vor 1996 anzuwenden ist, ”soweit Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind”.

Wie der erkennende Senat durch sein Urteil vom I R 30/99 (BFHE 191, 102) zu dieser Anwendungsregelung in § 52 Abs. 2 Halbsatz 1 EStG 1996 entschieden hat, setzt die darin enthaltene Einschränkung weder voraus, dass bereits ein Steuerbescheid vorliegt, noch dass bereits ein entsprechendes Verfahren eingeleitet worden ist. Der erforderliche Antrag auf Durchführung einer Veranlagung kann vielmehr vom In-Kraft-Treten der Neuregelung in § 1a Abs. 1 EStG 1996 an noch bis zum Ablauf der Zwei-Jahres-Frist in § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG 1990/1996 und der allgemeinen Festsetzungsfristen gestellt werden.

Nach den Grundsätzen dieses Urteils, auf dessen Begründung, um Wiederholungen zu vermeiden, verwiesen wird, gilt für die in § 52 Abs. 31 Satz 1 EStG 1997 angeordnete entsprechende Anwendung von § 52 Abs. 2 EStG 1996/1997 i.V.m. § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 EStG 1996 Gleiches. Auch hier kommt es nicht auf das Vorliegen eines Steuerbescheides an. Ebenso beginnt der Lauf der Zwei-Jahres-Frist gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG 1990/1996 und der Lauf der allgemeinen Festsetzungsfristen erst mit In-Kraft-Treten der Neuregelung in § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 EStG 1996, nicht jedoch bereits rückwirkend mit Ablauf des auf den jeweiligen Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres. Dass beschränkt Steuerpflichtigen nach § 50 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 Buchst. a i.V.m. Abs. 4 EStG 1994 auch bereits vor der Neuregelung in § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 EStG 1996 die Möglichkeit offen stand, der Abgeltungswirkung des Steuerabzugs nach § 50 Abs. 1 EStG 1990/1994/1996 mittels einer Antragsveranlagung zu entgehen, steht dem nicht entgegen. Denn die Veranlagung nach Maßgabe der früheren Regelungen war eine solche eigener und anderer Art, da diese Voraussetzungen beinhalteten, die mit jenen in dem nunmehrigen § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 EStG 1996 nicht übereinstimmten; sie schränkten das Antragsrecht vielmehr erheblich ein und entsprachen in weiten Bereichen, insbesondere hinsichtlich der Einkunftsgrenzen, denen, wie sie seitdem in § 1 Abs. 3 EStG 1996 für die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht enthalten sind. Infolgedessen ist es unbeachtlich, dass der Kläger vom FA —auf der Grundlage der seinerzeitigen Rechtslage— bei Erteilung der Bescheinigung für den Steuerabzug als beschränkt Steuerpflichtiger gemäß § 39d EStG auf die Antragsfrist für die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG 1990/1996 hingewiesen worden ist.

Für den Streitfall bedeutet dies, dass die vom Kläger beantragte Steuerveranlagung für 1994 durchzuführen ist: Er erfüllt, wie unter den Beteiligten einvernehmlich und wovon auch das FG ausgegangen ist, die erwähnten persönlichen und sachlichen Voraussetzungen des § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 EStG 1996. Er hat den Antrag auf Durchführung der Veranlagung beim FA am und damit —ausgehend vom Ablauf des Jahres 1996 an— rechtzeitig innerhalb von zwei Jahren gestellt.

Da die Vorinstanz eine hiervon abweichende Auffassung vertreten hat, war ihr Urteil aufzuheben. Das FA wird verpflichtet, die beantragte Veranlagung für das Streitjahr durchzuführen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2000 S. 1454 Nr. 12
AAAAA-65349