Verlängerung der Frist zur Nacherhebung von Antidumpingzöllen auf die Einfuhr von Fernsehgeräten aus Thailand mit Bildröhren
malaysischen bzw. koreanischen Ursprungs aufgrund einer Steuerhinterziehung
Kriterien für die Beurteilung eines bedingten Vorsatzes
Leitsatz
1. Mit Eintritt der Verjährung einer Zollschuld darf weder buchmäßige Erfassung noch eine Mitteilung der Zollschuld erfolgen.
Die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt der Zollschuldentstehung und nicht mit demjenigen, der für einzelne Bemessungsgrundlagen
maßgeblich ist, wobei sich der Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld aus den Artikeln 201 ff. ZK ergibt.
2. Die Verlängerung der Verjährungsfrist aufgrund einer „strafbaren Handlung” nach Art. 221 Abs. 4 ZK richtet sich nach einzelstaatlichem
Recht; da das Unionsrecht keine gemeinsamen Regeln vorsieht, hat jeder Mitgliedstaat die Verjährung von Zollschulden, die
aufgrund einer strafbaren Handlung nicht innerhalb der regulären Verjährungsfrist festgestellt werden konnten, selbst zu regeln.
Die in Deutschland (nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO) auf fünf Jahre bei leichtfertiger Steuerverkürzung sowie auf 10 Jahre bei Steuerhinterziehung
verlängerte Festsetzungsfrist gilt auch bei strafbaren Handlungen Dritter und nicht nur des Abgabenschuldners.
3. Die objektive Beweislast für das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung als Voraussetzung für eine
verlängerte Verjährungsfrist nach Art. 221 Abs. 4 ZK zur Nacherhebung von Einfuhrabgaben hat die Zollbehörde zu tragen. Insoweit
ist zwar weder die Einleitung eines Strafverfahrens noch eine Verurteilung erforderlich; der bezogen auf den objektiven Tatbestand
der Steuerhinterziehung aber erforderliche zumindest bedingte Vorsatz setzt voraus, dass der Täter weiß oder zumindest damit
rechnet, durch unvollständige Angaben Steuern zu verkürzen. Dazu muss er den Steueranspruch nach Grund und Höhe für möglich
halten; ein Irrtum in dieser Hinsicht schließt ein vorsätzliches Handeln aus.
4. Im Streitfall zur Nacherhebung von Antidumpingzöllen auf aus Thailand eingeführte Fernseher mit Bildröhren malaysischen
bzw. koreanischen Ursprungs nach der VO (EG) Nr. 710/95, wobei es trotz umfangreicher Ermittlungsmaßnahmen zu keiner Anklageerhebung
bzw. Verurteilung wegen Steuerhinterziehung der handelnden Personen gekommen ist: unter besonderer Berücksichtigung des gerade
im Rahmen von Wirtschaftsstraftaten bei der Feststellung eines bedingten Vorsatzes besonders gewichtigen voluntativen Element
des Vorsatzes keine Überzeugungsbildung des Gerichts von einem zumindest bedingten Vorsatz als Voraussetzung für eine Steuerhinterziehung
(umfangreiche Rechtsprechungsnachweise zum „bedingten Vorsatz”, zur Abgrenzung von der groben Fahrlässigkeit und zu den insoweit
maßgeblichen Abgrenzungskriterien wie z. B. der objektiven Gefährlichkeit der Handlung für das Rechtsgut, dem Vermeidungs-
bzw. Gefahrverminderungsverhalten, dem Nachtatverhalten, dem Vorliegen oder Fehlen eines einleuchtenden Motivs).
Fundstelle(n): PAAAF-89257
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