BAG Urteil v. - 7 AZR 41/15

Befristung - Sachgrund der Vertretung - institutioneller Rechtsmissbrauch

Gesetze: § 14 Abs 1 S 2 Nr 3 TzBfG, § 14 Abs 1 S 2 Nr 1 TzBfG

Instanzenzug: ArbG Magdeburg Az: 3 Ca 2799/12 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Az: 3 Sa 277/13 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses zum .

2Die Klägerin war bei der Beklagten in den drei Zeiträumen vom bis zum , vom bis zum sowie vom bis zum aufgrund von insgesamt acht befristeten Arbeitsverträgen als Briefzustellerin beschäftigt. In dem zuletzt am geschlossenen Arbeitsvertrag haben die Parteien vereinbart, das Arbeitsverhältnis sei zweckbefristet für folgenden Zweck:

3Die Briefzustellerin H wurde von der Beklagten im Bereich des Zustellstützpunkts M im Zustellbezirk 11806 beschäftigt. Im Zeitpunkt des Abschlusses des letzten befristeten Arbeitsvertrags der Parteien war sie seit mehreren Monaten arbeitsunfähig erkrankt. Frau H informierte die Beklagte im März 2012 darüber, dass sie voraussichtlich im Juni 2012 mit einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in das Erwerbsleben beginnen könne. Im Juni 2012 teilte sie mit, dass sich ihre Genesung um mehrere Wochen verzögere und zusätzliche Behandlungen erforderlich seien.

4Während der Dauer ihres letzten Arbeitsvertrags wurde die Klägerin als Vertreterin für Frau H im Zustellbezirk 11806 sowie als Urlaubsvertreterin für die Briefzustellerin C im Zustellbezirk 11803 eingesetzt. In dem Zustellstützpunkt, zu dem diese Zustellbezirke gehören, besteht ein ständiger Vertretungsbedarf für vorübergehend abwesende Briefzusteller. Die Vakanzen werden teilweise durch eine Personalreserve und teilweise durch befristet eingestellte Arbeitnehmer ausgeglichen.

5Mit der am beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am zugestellten Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, die Befristung des letzten Arbeitsvertrags sei unwirksam. Die Befristung sei nicht nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG durch die Vertretung der bei Abschluss des Vertrags erkrankten Arbeitnehmerin H sachlich gerechtfertigt. Im Zustellstützpunkt M bestehe ein dauerhafter Vertretungsbedarf. Die Beklagte halte dort keine ausreichende und klar definierte Personalreserve zB für Krankheit, Urlaub und Fortbildung vor. Deshalb sei sie - die Klägerin - nicht nur zur Krankheitsvertretung für Frau H eingesetzt worden, sondern habe zwischenzeitlich die Vertretung der urlaubsbedingt abwesenden Arbeitnehmerin C in deren Zustellbezirk wahrnehmen müssen. Außerdem könne sich die Beklagte nicht auf den Sachgrund der Vertretung berufen, weil sie die Gestaltungsmöglichkeiten des Teilzeit- und Befristungsgesetzes rechtsmissbräuchlich ausgenutzt habe.

6Die Klägerin hat zuletzt beantragt

7Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gründe

9Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.

10A. Der als Befristungskontrollantrag nach § 17 Satz 1 TzBfG zu verstehende Antrag auf Feststellung, „dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den hinaus unbefristet fortbesteht“, ist zulässig.

11I. Das Landesarbeitsgericht hat diesen Antrag zutreffend als Befristungskontrollantrag nach § 17 Satz 1 TzBfG ausgelegt, der sich ausschließlich gegen die im Arbeitsvertrag vom vereinbarte Befristung zum richtet. Dem Antragswortlaut kommt darüber hinaus keine eigenständige Bedeutung im Sinne einer allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO zu. Andere Beendigungstatbestände befinden sich nicht im Streit.

12II. Mit diesem Inhalt ist der Antrag zulässig. Er ist hinreichend bestimmt nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die angegriffene Befristung ist konkret bezeichnet. Eines besonderen Feststellungsinteresses für den Befristungskontrollantrag bedarf es nicht. Dieses ergibt sich aus der Regelung in § 17 Satz 1 TzBfG, wonach die Unwirksamkeit der Befristung innerhalb einer dreiwöchigen Klagefrist durch Erhebung einer Feststellungsklage geltend zu machen ist ( - Rn. 12; - 7 AZR 451/11 - Rn. 10).

13B. Die Befristungskontrollklage ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat aufgrund der im Arbeitsvertrag vom vereinbarten Befristung am geendet.

14I. Die Befristung des Arbeitsverhältnisses zum erweist sich nicht bereits nach § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG als wirksam. Die Klägerin hat mit der beim Arbeitsgericht am eingegangenen und der Beklagten am zugestellten Klage die Rechtsunwirksamkeit der Befristung innerhalb der Frist des § 17 Satz 1 TzBfG geltend gemacht.

15II. Die im Arbeitsvertrag vom vereinbarte Befristung ist wirksam, da sie durch den Sachgrund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt und die Beklagte nicht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs gehindert ist, sich auf den Sachgrund der Vertretung zu berufen.

161. Die Befristung ist durch den Sachgrund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt.

17a) Nach § 14 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 TzBfG liegt ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrags vor, wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird. Der Grund für die Befristung liegt in Vertretungsfällen darin, dass der Arbeitgeber bereits zu einem vorübergehend ausfallenden Mitarbeiter in einem Rechtsverhältnis steht und mit der Rückkehr dieses Mitarbeiters rechnet. Damit besteht für die Wahrnehmung der an sich dem ausfallenden Mitarbeiter obliegenden Arbeitsaufgaben durch eine Vertretungskraft von vornherein nur ein zeitlich begrenztes Bedürfnis (st. Rspr., vgl. etwa  - Rn. 15; - 7 AZR 661/11 - Rn. 13, BAGE 144, 193).

18aa) Teil des Sachgrunds ist eine Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs nach Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters. Entsteht der Vertretungsbedarf für den Arbeitgeber „fremdbestimmt“, weil der Ausfall der Stammkraft - zB durch Krankheit, Urlaub oder Freistellung - nicht in erster Linie auf seiner Entscheidung beruht, kann der Arbeitgeber regelmäßig damit rechnen, dass der Vertretene seine arbeitsvertraglichen Pflichten wieder erfüllen wird. Die Stammkraft hat einen arbeitsvertraglichen Anspruch darauf, nach Wegfall des Verhinderungsgrunds die vertraglich vereinbarte Tätigkeit wieder aufzunehmen. Der Arbeitgeber muss daher davon ausgehen, dass der Vertretene diesen Anspruch nach Beendigung der Krankheit, Beurlaubung oder Freistellung geltend machen wird. In diesen Fällen sind besondere Ausführungen dazu, dass mit der Rückkehr des Vertretenen zu rechnen ist, regelmäßig nicht veranlasst. Nur wenn der Arbeitgeber aufgrund ihm vorliegender Informationen erhebliche Zweifel daran haben muss, dass der zu vertretende Arbeitnehmer überhaupt wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren wird, kann dies dafür sprechen, dass der Sachgrund der Vertretung nur vorgeschoben ist. Dann kann die Befristung unwirksam sein. Dies setzt in der Regel voraus, dass der zu vertretende Arbeitnehmer dem Arbeitgeber bereits vor dem Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags mit dem Vertreter verbindlich erklärt hat, er werde die Arbeit nicht wieder aufnehmen ( - Rn. 16 mwN).

19bb) Der Sachgrund der Vertretung setzt des Weiteren einen Kausalzusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall des Vertretenen und der Einstellung der Vertretungskraft voraus. Es muss sichergestellt sein, dass die Vertretungskraft gerade wegen des durch den zeitweiligen Ausfall des zu vertretenden Mitarbeiters entstandenen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs eingestellt worden ist. Es ist deshalb aufgrund der Umstände bei Vertragsschluss zu beurteilen, ob der Bedarf für die Beschäftigung des Vertreters auf die Abwesenheit des zeitweilig ausgefallenen Arbeitnehmers zurückzuführen ist. Die Anforderungen an die Darlegung des Kausalzusammenhangs durch den Arbeitgeber richten sich dabei nach der Form der Vertretung ( - Rn. 17; - 7 AZR 96/12 - Rn. 21; - 7 AZR 462/11 - Rn. 16; - 7 AZR 397/09 - Rn. 20 mwN, BAGE 136, 17; - 7 AZR 402/03 - zu III 2 der Gründe, BAGE 110, 38).

20(1) Der Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn der befristet zur Vertretung eingestellte Mitarbeiter die vorübergehend ausfallende Stammkraft unmittelbar vertritt und die von ihr bislang ausgeübten Tätigkeiten erledigt (unmittelbare Vertretung). Der Kausalzusammenhang kann auch gegeben sein, wenn der Vertreter nicht unmittelbar die Aufgaben des vertretenen Mitarbeiters übernimmt. Die befristete Beschäftigung zur Vertretung lässt die Versetzungs- und Umsetzungsbefugnisse des Arbeitgebers unberührt. Wird die Tätigkeit des zeitweise ausgefallenen Mitarbeiters nicht von dem Vertreter, sondern von einem anderen Arbeitnehmer oder von mehreren anderen Arbeitnehmern ausgeübt (mittelbare Vertretung) und deren Tätigkeit dem Vertreter übertragen, hat der Arbeitgeber zur Darstellung des Kausalzusammenhangs grundsätzlich die Vertretungskette zwischen dem Vertretenen und dem Vertreter darzulegen ( - Rn. 19 mwN).

21(2) Werden dem befristet beschäftigten Arbeitnehmer Aufgaben übertragen, die der vertretene Mitarbeiter nie ausgeübt hat, besteht der erforderliche Kausalzusammenhang nicht nur, wenn eine mittelbare Vertretung erfolgt, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber rechtlich und tatsächlich in der Lage wäre, dem vorübergehend abwesenden Arbeitnehmer im Falle seiner Anwesenheit die dem Vertreter zugewiesenen Aufgaben zu übertragen. In diesem Fall ist allerdings zur Gewährleistung des Kausalzusammenhangs zwischen der zeitweiligen Arbeitsverhinderung der Stammkraft und der Einstellung der Vertretungskraft erforderlich, dass der Arbeitgeber bei Vertragsschluss mit dem Vertreter dessen Aufgaben einem oder mehreren vorübergehend abwesenden Beschäftigten nach außen erkennbar gedanklich zuordnet. Dies kann insbesondere durch eine entsprechende Angabe im Arbeitsvertrag geschehen. Nur dann ist gewährleistet, dass die Einstellung des Vertreters auf der Abwesenheit des zu vertretenden Arbeitnehmers beruht ( - Rn. 20 mwN).

22Bei einer auf gedanklicher Zuordnung beruhenden Vertretung spielt es keine Rolle, ob der Arbeitgeber Aufgaben umverteilt. Entgegen der Erwägungen der Vorinstanzen ist es daher unerheblich, ob eine Not- oder Eilsituation eine Umverteilung der Aufgaben erfordert. Der Arbeitgeber ist bei der Vertretung im Wege der gedanklichen Zuordnung nicht gehindert, der Vertretungskraft einen anderen Arbeitsplatz und andere als von der abwesenden Stammkraft verrichtete Arbeitsaufgaben zuzuweisen. Darauf, ob und ggf. wie die bisherigen Aufgaben der vorübergehend abwesenden Stammkraft wahrgenommen werden, kommt es grundsätzlich nicht an. Der Arbeitgeber hat sich durch die gedankliche Zuordnung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses festgelegt und kann folglich den Ausfall der Stammkraft nicht mehr zur Begründung einer unmittelbaren oder mittelbaren Vertretung durch einen anderen Arbeitnehmer heranziehen ( - Rn. 21 mwN).

23b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, dass die im Arbeitsvertrag vom vereinbarte Befristung durch den Sachgrund der Vertretung gerechtfertigt ist.

24aa) Die Klägerin wurde zur Vertretung der Briefzustellerin H eingestellt und vertrat diese nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zeitweise unmittelbar in deren Zustellbezirk 11806. Soweit die Klägerin daneben innerhalb desselben Zustellstützpunkts im Zustellbezirk 11803 als Urlaubsvertretung für die Briefzustellerin C eingesetzt wurde, steht dies dem Sachgrund der Vertretung nicht entgegen. Der hierfür erforderliche Kausalzusammenhang ist dadurch hergestellt, dass die Beklagte die Aufgaben der als Vertretungskraft eingestellten Klägerin gedanklich der wegen Krankheit abwesenden Briefzustellerin H zugeordnet und dies durch eine entsprechende Angabe im Arbeitsvertrag deutlich gemacht hat. Danach ist das Arbeitsverhältnis „zweckbefristet“ zur „Vertretung wegen vorübergehender Abwesenheit des Mitarbeiters H“. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hätte die Beklagte die Zustelltätigkeit im Zustellbezirk 11803 rechtlich und tatsächlich auch Frau H zuweisen können. Frau H wäre in der Lage gewesen, die Urlaubsvertretung für Frau C wahrzunehmen, wenn sie im Dienst gewesen wäre. Durch die gedankliche Zuordnung ist die Beklagte gehindert, die Befristung des Arbeitsvertrags mit einem anderen Arbeitnehmer, der die bisherigen Aufgaben von Frau H erledigen soll, ebenfalls auf den Sachgrund der Vertretung zu stützen. Weder aus den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch aus dem Vortrag der Parteien ergibt sich ein Anhaltspunkt für die Annahme, dass die Beklagte die Befristung des Arbeitsvertrags mit einer weiteren Vertretungskraft mit der vorübergehenden Abwesenheit von Frau H begründet hat.

25bb) Die Beklagte konnte bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags am auch davon ausgehen, dass Frau H nach dem ihre Tätigkeit wieder aufnehmen würde. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hatte Frau H die Beklagte im März 2012 darüber informiert, dass sie vermutlich im Juni 2012 mit einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in das Erwerbsleben beginnen könne und im Juni 2012 mitgeteilt, dass sich ihre Genesung um mehrere Wochen verzögere und zusätzliche Behandlungen erforderlich seien. Danach konnte die Beklagte prognostizieren, dass der Vertretungsbedarf für Frau H bis Ende August 2012 bestand.

26cc) Dem Sachgrund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte über keine ausreichende Personalreserve für Fälle von Krankheit, Urlaub und Freistellung verfügte, um das Arbeitspensum der Zustellungen im Zustellstützpunkt M mit dem unbefristet beschäftigten Stammpersonal zu bewältigen. Die Beklagte ist grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, eine Personalreserve vorzuhalten. Darauf, ob ein ständiger Vertretungsbedarf besteht, den der Arbeitgeber ebenso durch eine Personalreserve von unbefristet eingestellten Arbeitnehmern abdecken könnte, kommt es für das Vorliegen des Sachgrunds der Vertretung nicht an ( - Rn. 33; - 7 AZR 443/09 - Rn. 15, BAGE 142, 308). Selbst einem branchentypisch wiederkehrenden, unplanbaren Vertretungsbedarf muss der Arbeitgeber nicht durch eine Personalreserve begegnen ( - Rn. 15). Für den Sachgrund der Vertretung ist es auch unerheblich, ob die Beklagte über ausreichendes Personal verfügt, um die ihr obliegenden Daueraufgaben zu erledigen. Anders als beim Sachgrund des nur vorübergehenden betrieblichen Bedarfs an der Arbeitsleistung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG muss im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht mit hinreichender Sicherheit zu erwarten sein, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers kein dauerhafter betrieblicher Bedarf mehr besteht. Für den Sachgrund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG kommt es nur auf den Wegfall des durch die Abwesenheit der Stammkraft verursachten vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs an.

272. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die Beklagte auch nicht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs gehindert ist, sich auf den Sachgrund der Vertretung zu berufen.

28a) Die Gerichte dürfen sich bei der Befristungskontrolle nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds beschränken. Sie sind vielmehr aus unionsrechtlichen Gründen verpflichtet, durch Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen ( - [Mascolo ua.] Rn. 102 ff.; - C-586/10 - [Kücük] Rn. 40). Diese zusätzliche Prüfung ist im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorzunehmen (vgl.  - Rn. 14; - 7 AZR 310/13 - Rn. 24; - 7 AZR 891/12 - Rn. 27, BAGE 150, 8; grundlegend  - Rn. 38, BAGE 142, 308 und - 7 AZR 783/10 - Rn. 33).

29aa) Die Prüfung, ob der Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgegriffen hat, verlangt eine Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (vgl.  - [Mascolo ua.] Rn. 102; - C-586/10 - [Kücük] Rn. 40, 43, 51, 55; st. Rspr. seit  - Rn. 40, BAGE 142, 308). Von besonderer Bedeutung sind die Gesamtdauer der befristeten Verträge sowie die Anzahl der Vertragsverlängerungen. Ferner ist der Umstand zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer stets auf demselben Arbeitsplatz mit denselben Aufgaben beschäftigt wurde oder ob es sich um wechselnde, ganz unterschiedliche Aufgaben handelt. Bei zunehmender Anzahl befristeter Verträge und Dauer der befristeten Beschäftigung eines Arbeitnehmers kann es eine missbräuchliche Ausnutzung der dem Arbeitgeber an sich rechtlich eröffneten Befristungsmöglichkeit darstellen, wenn er gegenüber einem bereits langjährig beschäftigten Arbeitnehmer trotz der tatsächlich vorhandenen Möglichkeit einer dauerhaften Einstellung immer wieder auf befristete Verträge zurückgreift ( - Rn. 36 mwN). Zu berücksichtigen ist außerdem, ob die Laufzeit der Verträge zeitlich hinter dem prognostizierten Beschäftigungsbedarf zurückbleibt ( - Rn. 46, aaO). Bei der Gesamtwürdigung können daneben weitere Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Zu denken ist dabei etwa an die Zahl und Dauer von Unterbrechungen zwischen den befristeten Verträgen ( - Rn. 27). Bei der Gesamtbeurteilung ist die Übereinstimmung von Vertragslaufzeit und prognostiziertem Beschäftigungsbedarf als Indiz gegen einen Gestaltungsmissbrauch zu berücksichtigen. Daneben können grundrechtlich gewährleistete Freiheiten von Bedeutung sein ( - Rn. 25; - 7 AZR 987/12 - Rn. 38; - 7 AZR 260/12 - Rn. 36; - 7 AZR 443/09 - Rn. 47, aaO). Außerdem sind die besonderen Anforderungen der in Rede stehenden Branchen und/oder Arbeitnehmerkategorien zu berücksichtigen, sofern dies objektiv gerechtfertigt ist ( - [Kommission/Luxemburg] Rn. 40;  - Rn. 15). Schließlich können sich Anhaltspunkte für und gegen einen Rechtsmissbrauch bei Befristungen mit dem Sachgrund der Vertretung aus der Art der Vertretung ergeben (vgl.  - Rn. 22; - 7 AZR 113/13 - Rn. 20 f.).

30bb) Zur Bestimmung der Schwelle einer rechtsmissbräuchlichen Nutzung von Sachgrundbefristungen kann an die gesetzlichen Wertungen in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG angeknüpft werden. Die Vorschrift macht eine Ausnahme von dem Erfordernis des Sachgrunds für die Befristung und erleichtert damit den Abschluss von befristeten Verträgen bis zu der festgelegten Höchstdauer von zwei Jahren bei maximal dreimaliger Verlängerungsmöglichkeit. Sie kennzeichnet den nach Auffassung des Gesetzgebers unter allen Umständen unproblematischen Bereich. Ist ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 TzBfG gegeben, lässt erst das erhebliche Überschreiten dieser Grenzwerte den Schluss auf eine missbräuchliche Gestaltung zu. Zumindest regelmäßig besteht hiernach bei Vorliegen eines die Befristung an sich rechtfertigenden Sachgrunds kein gesteigerter Anlass zur Missbrauchskontrolle, wenn die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG für die sachgrundlose Befristung bezeichneten Grenzen nicht um ein Mehrfaches überschritten sind. Werden diese Grenzen jedoch alternativ oder insbesondere kumulativ mehrfach überschritten, ist eine umfassende Missbrauchskontrolle geboten, in deren Rahmen es Sache des Arbeitnehmers ist, noch weitere für einen Missbrauch sprechende Umstände vorzutragen. Werden die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG genannten Grenzen alternativ oder insbesondere kumulativ in gravierendem Ausmaß überschritten, kann eine missbräuchliche Ausnutzung der an sich eröffneten Möglichkeit zur Sachgrundbefristung indiziert sein. In einem solchen Fall hat allerdings der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Annahme des indizierten Gestaltungsmissbrauchs durch den Vortrag besonderer Umstände zu entkräften ( - Rn. 16; - 7 AZR 310/13 - Rn. 26; - 7 AZR 443/09 - Rn. 48, BAGE 142, 308).

31b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dass sich die Befristung im vorliegenden Fall nicht als rechtsmissbräuchlich erweist, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

32Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG genannten Grenzen hinsichtlich der Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses und der Anzahl der befristeten Arbeitsverträge nicht mehrfach überschritten sind. Eine Rechtsmissbrauchsprüfung ist deshalb in diesem Fall noch nicht veranlasst. Die Klägerin war in der Zeit vom bis zum etwas länger als drei Jahre und neun Monate aufgrund von insgesamt acht befristeten Arbeitsverträgen als Briefzustellerin beschäftigt. Selbst wenn die Unterbrechungen zwischen den Arbeitsverhältnissen außer Betracht bleiben und der gesamte Beschäftigungszeitraum zugrunde gelegt wird, sind die Werte des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG noch nicht um ein Mehrfaches überschritten. Die Dauer der befristeten Arbeitsverträge erreicht nicht einmal den doppelten Wert des nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG zulässigen Zeitrahmens für eine sachgrundlos zulässige Befristung. Auch die Anzahl der Verlängerungen bleibt unterhalb des Dreifachen des nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG zulässigen Grenzwerts. Besteht danach schon kein Anlass, eine Befristungskontrolle unter dem Gesichtspunkt eines institutionellen Rechtsmissbrauchs vorzunehmen, bedarf es keiner Würdigung weiterer Umstände.

33C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:240816.U.7AZR41.15.0

Fundstelle(n):
BB 2016 S. 3124 Nr. 51
DStR 2017 S. 15 Nr. 6
NJW 2017 S. 586 Nr. 8
ZAAAF-88166